VDB-Fortbildung für Fachreferent*innen der Philosophie in Oldenburg
Ausgerichtet vom Bibliotheks- und Informationssystem (BIS) der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und der Kommission für Fachreferatsarbeit des VDB fand vom 23. bis 24. September 2024 eine Fortbildung für Fachreferent*innen der Philosophie in Oldenburg statt, an den Veranstaltungsorten Karl Jaspers-Haus und BIS. Für das Fachreferat Philosophie hatte es lange keine fachspezifische Fortbildung gegeben. Der Impuls für diese Veranstaltung entstand im Austausch während eines Online-Termins zwischen dem Fachinformationsdienst (FID) Philosophie und Fachreferent*innen. Das Programm wurde dem Fortbildungskonzept der Kommission für Fachreferatsarbeit entsprechend so entworfen, dass zum einen Zeit für den kollegialen Austausch eingeplant wurde und zum anderen der Austausch mit Wissenschaftler*innen aus dem Fach Philosophie ermöglicht wurde.
Für den Austausch mit der Wissenschaft stellten sich zunächst vom Institut für Philosophie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Juniorprofessorin Dr. Gesa Wellmann und Prof. Dr. Mark Siebel zur Verfügung. Sie gaben in einem Werkstattbericht einen Einblick in ihre Arbeitsweise: Gesa Wellmann mit einem Schwerpunkt auf hermeneutisch ausgerichtete Arbeit und Mark Siebel mit Fokus auf Analytische Philosophie. Beide berichteten, was für Quellen sie für ihre Arbeit lesen und mit welchen Rechercheinstrumenten und -strategien sie sich in ihren Forschungsgebieten auf dem Laufenden halten. Außerdem gingen sie auf ihre Publikationsgewohnheiten ein. Beide schilderten mit Blick auf ihr Informationsverhalten textuelle und persönliche Netzwerke als wichtige Quellen, um auf Literatur zu ihren Forschungsthemen aufmerksam zu werden: Über einschlägige Texte wird nach dem Schneeballprinzip weitere Literatur gefunden, einschlägige Zeitschriften werden regelmäßig gesichtet und die Forschungsfelder sind i.d.R. so abgesteckt, dass man sich untereinander kennt und weiß, woran andere Wissenschaftler*innen forschen. Wissenschaftlichem Nachwuchs, der noch nicht über solche Netzwerke verfügt, empfehlen sie, einschlägigen Kolleg*innen über academia.edu oder researchgate.net zu folgen und die zentralen Zeitschriften für das eigene Forschungsgebiet zu identifizieren. Der FID Philosophie dagegen ist offenbar noch nicht in der Fläche bekannt. Es stellt sich daher zum Beispiel die Frage, wie die Angebote des FID ggf. auch besser in lokale Bibliotheksangebote integriert werden können, um die Zahl der Anlaufpunkte für die philosophische Community klein zu halten. Im Austausch über die Förderung von Digital- und Informationskompetenz thematisieren beide die Herausforderung, Studierende zum Lesen (längerer) philosophischer Texte zu motivieren. Ob sich das Studium der Philosophie und die Philosophiedidaktik weiterentwickeln werden weg vom Fokus auf Textarbeit hin zu methodischen Ansätzen wie Philosophieren mit Dingen oder theatrales Philosophieren, wird zu sehen sein, ebenso wie die Mittel, mit denen Bibliotheken die Lehre in der Philosophie in diesem Kontext unterstützen können. Neben der Textarbeit als zentraler Methode der Philosophie wird in der Philosophie mittlerweile teils auch mit sozialwissenschaftlichen oder psychologischen Methoden gearbeitet, z.B. um Gedankenexperimente durchzuführen. An der Universität Oldenburg hat sich dazu ein sichtbarer Forschungsschwerpunkt innerhalb des DFG-geförderten Projekts Maße der Bedarfsgerechtigkeit, Expertise und Kohärenz herausgebildet.
Einen weiteren Einblick in die wissenschaftliche Arbeit im Fach Philosophie gaben Prof. Dr. Reinhard Schulz und Dr. Dirk Fonfara. Sie stellten den Teilnehmer*innen der Fortbildung die im Karl Jaspers-Haus aufgestellte Bibliothek von Karl Jaspers und ihre Arbeit an der Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (Schwabe Verlag) vor – Reinhard Schulz in seiner Rolle als Mitherausgeber, Dirk Fonfara als einer der Editoren. Die Jaspers-Bibliothek umfasst neben Karl Jaspersʼ eigener Bibliothek sein Werk in verschiedensten Ausgaben und Übersetzungen. Die Bibliothek ist ein Sonderstandort des BIS in Oldenburg und wird ohne den Einsatz von eigenem Personal bewirtschaftet. Im Karl Jaspers-Haus selbst stehen Gästeappartements für Fellows zur Verfügung, die mit dem Bestand arbeiten möchten. Obwohl dort regelmäßig Veranstaltungen stattfinden, die von der Stadtöffentlichkeit gut besucht werden, ist der Bibliotheksbestand nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Für die editorische Arbeit sind die Spuren von Karl Jaspersʼ Gewohnheit „mit dem Bleistift zu lesen“ im Bibliotheksbestand von hoher Relevanz. Anhand seiner Anstreichungen und Notizen in den Büchern können sowohl Zitate überprüft als auch Jaspers Annäherung an und Verständnis von anderen Philosoph*innen nachvollzogen werden. Die Sammlung von Übersetzungen von Jaspersʼ Werk wird außerdem dazu genutzt, die Rezeptionsgeschichte seiner Werke nachzuvollziehen.
Als dritten Einblick in die Wissenschaft stellte Ph. Dr. Jörg Noller seinen Forschungsschwerpunkt Philosophie der Digitalität vor. Er ist u.a. Mitherausgeber des Buchs Was ist digitale Philosophie? Phänomene, Formen und Methoden (Brill, mentis 2024). Digitale Philosophie definiert er zum einen als Philosophieren über das Digitale und zum anderen als Philosophieren im Medium des Digitalen unter Einsatz von datenintensiven, digitalisierten Verfahren. Gerade die Fragen nach der Nutzung digitaler Verfahren in der Philosophie waren im Sinne von Unterstützung der Digital Humanities durch Bibliotheken von großem Interesse für die Teilnehmer*innen der Fortbildung. Jörg Noller stellt die These auf, dass Philosophieren nicht, wie oft angenommen, jenseits von Mediengebrauch stattfindet und dass die beim Philosophieren verwendeten Medien (z.B. Sprache, digitale Medien) bislang abgesehen von der Sprachphilosophie meist zu wenig reflektiert werden. Digitale Philosophie geht daher u.a. der Frage nach, wie man durch digitale Medien philosophieren kann. Als Beispiele hierfür wurden Netzwerksysteme und semantische Wikisysteme zur Ordnung von Wissen, Apps zur Unterstützung des philosophischen Denkens und Argumentierens, die Nutzung von Youtube als philosophischer Diskussionsraum oder Virtual-Reality-Headsets für die Simulation unterschiedlicher Rollen angeführt. Ein weiterer Aspekt digitaler Philosophie ist die Frage nach der Verantwortung im Kontext von Digitalisierung, u.a. im Sinne eines ethischen Plädoyers für digitale Tugenden oder im Sinne des Hinterfragens, was wir konkret tun, wenn wir bislang analoge Vorgänge digitalisieren.
Mit diesen Inhalten ist digitale Philosophie als Forschungsgebiet innerhalb der Philosophie im Kommen. Dies zeigt sich u.a. an Gründungen der letzten Jahre wie der DGPhil-AG Digitale Philosophie und dem wissenschaftlichen DFG-Netzwerk Digitale Philosophie oder am Motto des diesjährigen XXVI. Deutschen Kongresses für Philosophie #digital|denken. Insgesamt, erläuterte Jörg Noller, ist digitale Philosophie aktuell allerdings noch vor allem ein Thema des wissenschaftlichen Nachwuchses. Auf die Frage, wie Bibliotheken bzw. Infrastruktureinrichtungen die wissenschaftliche Arbeit im Fach Philosophie unterstützen können, nannte er die Bereitstellung systematisch aufbereiteter und maschinenlesbarer Daten, z.B. zu philosophischen Publikationen, sowie die Bereitstellung von Infrastruktur zum Publizieren im Open Access, um mit kostenfreien hochwertigen Publikationen eine niedrigschwellige Beteiligung an der philosophischen Forschung zu ermöglichen.
Angeregt durch den Austausch mit den Wissenschaftler*innen wurden Themen identifiziert, die im kollegialen Austausch unter den Fachreferent*innen behandelt werden sollten, so die Förderung von Digital- und Informationskompetenz, Erwerbungsfragen, Sacherschließungsfragen, das Aufgabenspektrum des Fachreferats in unterschiedlichen Bibliothekstypen, Publikationsunterstützung und Open Access sowie die Kontaktpflege zwischen Fachreferat und Fach vor Ort an den Hochschulen. Es stellten sich in der Diskussion dabei Besonderheiten der Literatur- und Informationsversorgung in der Philosophie heraus. So scheint Open Access in der Breite noch keine große Rolle zu spielen. Das Informationsverhalten der Wissenschaftler*innen und Studierenden ist im Vergleich zu anderen Fächern relativ leicht zu unterstützen, da die anliegenden philosophischen Fragestellungen in der Regel gut mit Recherchen in den einschlägigen Nachweismitteln umzusetzen sind. Unter den Anwesenden wurde die Beobachtung geteilt, dass das eigentliche „Philosophieren“ in der ausbildenden Lehre einen größeren Stellenwert habe als handwerkliche Fragen und Schlüsselkompetenzen wie Recherche, Zitieren etc., die in anderen Fächern mittlerweile oft zur grundständigen Ausbildung gehören. Keine großen Unterschiede der fachspezifischen Herausforderungen traten zwischen den deutschen und den vier schweizerischen Kolleg*innen, die die Fortbildung besuchten, hervor.
Die Kombination aus Austausch mit der Wissenschaft und kollegialem Austausch wurde von den Teilnehmer*innen geschätzt und es wurde mehrfach für eine Wiederholung der Veranstaltung plädiert. Der Austausch über unterschiedliche Ansätze und Vorgehensweisen in den verschiedenen Bibliotheken sowie in Deutschland und der Schweiz war sehr bereichernd und eine Führung durch das BIS regte zusätzlich den Austausch über bibliotheksspezifische Regelungen und Gegebenheiten an. Leider konnte anders als vorgesehen kein Vertreter des FID Philosophie an der Veranstaltung teilnehmen. Hier war aber im vorigen Jahr schon ein virtueller Termin sehr erfolgreich, sodass der FID vielleicht noch einmal in gleicher Form separat einladen und an den gelungenen Austausch dieser Fortbildung anknüpfen kann.
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