Jella Lepman : Journalistin, Autorin, Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek : eine Wiederentdeckung / Gabriele von Bassermann-Jordan, Waldemar Fromm, Christine Haug und Christiane Raabe (Hg.). – München : Allitera Verlag, 2024. – 171 Seiten : Illustrationen. – (Bavaria. Kleine Reihe ; Band 4) – ISBN 978-3-96233-439-0 : EUR 20.00

Unter den zahlreichen deutschen Spezialbibliotheken ist die Internationale Jugendbibliothek in München in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: zum einen als Spezialbibliothek für Kinder- und Jugendliteratur mit dezidiert internationaler Ausrichtung, zum anderen jedoch und ganz besonders durch ihre Gründungsgeschichte in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ideengeberin und Gründerin war die in Stuttgart geborene deutsche Jüdin Jella Lepman, die, 1936 zur Emigration gezwungen, als Reeducation-Beauftragte der US Army kurz nach Kriegsende nach Deutschland zurückkehrte. Mit beindruckender Beharrlichkeit und Ausdauer verfolgte sie ihre Idee, Kindern und Jugendlichen als der nachfolgenden Generation Orientierung und Vorbilder zu vermitteln und dabei mit Jugendbüchern aus der freien demokratischen Welt neue Horizonte zu eröffnen. Aus den zunächst nur temporären Ausstellungen internationaler Jugendbücher wuchs schnell eine Bibliothek heran, die 2024 auf das 75. Jahr ihres Bestehens zurückblicken kann. 2020 wurden die Lebenserinnerungen von Jella Lepman durch die Internationale Jugendbibliothek neu herausgegeben.1 Der nun erschienene Sammelband zu Person und Werk Jella Lepmans war ursprünglich für eine für das Jahr 2020 geplante Tagung gedacht, welche dann jedoch pandemiebedingt entfallen musste und erst 2024, aber in anderer Zusammensetzung, nachgeholt werden konnte.

In zehn Beiträgen werden wichtige und wesentliche Aspekte des Wirkens von Jella Lepman vor und in der unmittelbaren Nachkriegszeit beleuchtet. Diese verdeutlichen nicht nur ihre Rolle bei der Gründung der Internationalen Jugendbibliothek, sondern darüber hinaus auch bei der Neugestaltung des literarischen und kulturellen Lebens in München. Zur Gründungsgeschichte der Internationalen Jugendbibliothek gehört das, was die jüdische Exilantin als uniformierte Angehörige der US-Army bei ihrer eher widerwilligen Rückkehr nach Deutschland vorfand: ein völlig kriegszerstörtes München, eine perspektivlose junge Generation, aber auch ein praktisch nicht mehr existierender Buchmarkt und ein zum Erliegen gekommenes Pressewesen. Diesem sollte jedoch nach dem Willen der Alliierten eine wichtige Bedeutung bei der Demokratisierung Deutschlands zukommen. In ihrer Einleitung zeichnen die Herausgebenden nach, wie geschickt die gelernte Journalistin Jella Lepman in ihrer Funktion als „Special Adviser for Women’s and Youth Affairs“ angesichts dieser desolaten Ausgangssituation ihre Idee entwickelte, mit einer Ausstellung von internationalen Kinder- und Jugendbüchern, aus der dann die Internationale Jugendbibliothek hervorging, zum demokratischen Wiederaufbau und zur Völkerverständigung beizutragen. Vertieft wird dies durch die materialreiche und auf Archivquellen gestützte Studie der Münchener Historikerin und Bibliothekarin Jutta Weishäupl zu Jella Lepmans Aufbauarbeit bei der Internationalen Jugendbibliothek. Der Münchener Amerikanist Michael Hochgeschwender ordnet in seinem umfassenden Beitrag die Rahmenbedingungen von Jella Lepmans Wirken in die unterschiedlichen Facetten der amerikanischen Reeducation-Politik ein. Diese entfernte sich rasch von den ursprünglichen Ideen Roosevelts und im beginnenden Kalten Krieg wurde die antikommunistische Ausrichtung zentral, was sich dann auch in der Kulturpolitik widerspiegelte. Bibliothekarisch besonders interessant ist Hochgeschwenders Hinweis auf die Einführung der Dewey-Dezimalklassifikation in der Internationalen Jugendbibliothek durch eine amerikanische, von der ALA entsandte Bibliothekarin im Sommer 1949. Dies erfolgte jedoch gegen den Widerstand von Lepman, die der Dewey-Klassifikation wegen des rassistischen Hintergrunds ihres Schöpfers ausgesprochen skeptisch gegenüberstand. Hier konnte sich Lepman aber nicht durchsetzen.

Der Kästner-Forscher Sven Hanuschek untersucht in seinem Beitrag, welchen Anteil Jella Lepman an Erich Kästners Konferenz der Tiere“ hatte. Diese geht auf eine gemeinsame Idee von Kästner und Lepman zurück und wurde wohl in weiten Teilen von beiden gemeinsam entworfen, sodass Lepmans Name zunächst auch in die Titelei aufgenommen wurde, jedoch sie bzw. ihre Erben später kein Urheberrecht an dem Werk geltend machen konnten. Mit der Verfilmung der „Konferenz der Tiere“ und der Frage, was der damit verbundene Medienwechsel für die Rezeption dieses Werkes durch ein jugendliches Publikum bedeutete, beschäftigt sich die Münchner Buchwissenschaftlerin Laura Mokrohs.

Christiane Rabe, Leiterin der Internationalen Jugendbibliothek, fokussiert sich in ihrem Beitrag auf die von Lepman initiierte Ausstellung von Kinderbuchzeichnungen aus aller Welt, die erstmals 1949 in der Internationalen Jugendbibliothek stattfand und mehrmals wiederholt wurde. Bei einer die Ausstellung begleitenden Tagung prallten sehr deutlich die unterschiedlichen pädagogischen Ansätze der internationalen und deutschen Teilnehmer*innen aufeinander; insbesondere der spanische Kulturphilosoph Ortega y Gasset, den Lepman als Referenten gewinnen konnte, plädierte dafür, kindliche Zeichnungen als Ausdruck der ursprünglichen Kreativität und Unbefangenheit zu sehen und Kinder nicht als junge Erwachsene zu betrachten. Die deutsche Seite hingegen sah in der Schulung der Talente und der dazu erforderlichen Disziplin die Hauptaufgabe einer künstlerischen Erziehung.

Jella Lepmans eigene Rolle als Kinderbuch- und zugleich Exil-Autorin beleuchtet der Beitrag von Larissa Carolin Jagdschian am Beispiel des 1942 in England erschienenen Kinderdetektivromans Das Geheimnis vom Kuckuckshof“, der freilich in Deutschland erst verspätet und dann nur sehr spärlich rezipiert wurde.

Wie visionär Jella Lepmanns Idee und ihr fester Glaube an die Kinder als Generation der Unschuldigen war und welche Widerstände sie in der Stadtpolitik überwinden musste, stellt Andreas Heusler anhand einer gut dokumentierten Archivstudie anschaulich dar. Sein Fazit, dass ohne das „hartnäckige, regelmäßige und überzeugungsstarke Insistieren Jella Lepmans (…) die Vision einer Internationalen Jugendbibliothek allenfalls eine Absichtserklärung ohne Erfolgschancen geblieben“ wäre, verdeutlicht, über welch starken Charakter Jella Lepman – trotz oder gerade wegen der entbehrungsreichen Exiljahre und demütigenden Erfahrungen – verfügte und mit welcher Willensstärke sie ihre Idee verfolgte.

In einem weiteren Beitrag zeichnet Anna Axtner-Borsutzky die Gründung des bis heute bestehenden „International Board on Books for Young People“ nach und geht dabei auf die Rolle der UNESCO ein. Jella Lepman war auf deren finanzielle und ideelle Unterstützung angewiesen, die Kommunikation mit dieser internationalen Organisation war jedoch durch grundlegende Missverständnisse und Vorbehalte geprägt.

Den Abschluss des Bandes bildet der von Gabriele von Bassermann-Jordan edierte Briefwechsel zwischen Jella Lepmann und Erika Mann. Er zeigt, welch geschickte Netzwerkerin Jella Lepman war und wie sie die ihr zunächst nur flüchtig bekannte Tochter eines berühmten Vaters als Unterstützerin für ihre Idee, aber auch als persönliche Freundin gewinnen konnte.

Auch nach 75 Jahren bleibt Jella Lepmans Persönlichkeit und ihr optimistischer Idealismus so leuchtend, dass man den Herausgebenden und Beitragenden dieses Bandes nur danken kann: Sie haben Jella Lepmans Vision, mit Literatur für Kinder und Jugendliche einen Grundstein für eine Erziehung zur Demokratie und zur Völkerverständigung zu legen, aufs Neue weiterverbreitet. Dies erscheint in den heutigen Tagen aktueller denn je. Jede Bibliothekarin und jeder Bibliothekar sollte sich daher mit Jella Lepmans Leben und Werk befasst haben – und dazu dient dieser Band in hervorragender Weise. Kleinere Redundanzen zwischen den einzelnen Beiträgen sind wohl auch darauf zurückzuführen, dass die eigentlich zugrundeliegende Tagung zunächst nicht stattfinden konnte und daher auch die Beiträge nicht ganz aufeinander abgestimmt werden konnten. Diese tun dem Band jedoch kein Abbruch, sondern erhöhen die Lesbarkeit und ermöglichen es, jeden Beitrag auch einzeln zu rezipieren.

Klaus-Rainer Brintzinger, Universitätsbibliothek der LMU München, https://orcid.org/0000-0001-5948-1820

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/6115

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1 Lepman, Jella: Die Kinderbuchbrücke, hrsg. von der Internationalen Jugendbibliothek unter Mitarbeit von Anna Becchi, München 2020.