Gedenken an Prof. Dr. Gabriele Beger (1952–2024)

Portraitfoto Gabriele Beger

Abb.: Gabriele Beger im Jahr 2015. Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg1

Am 6. Mai 2024 verstarb Gabriele Beger nach kurzer schwerer Krankheit in Hamburg im Alter von 72 Jahren.

Gabriele Beger wird am 24. April 1952 in Berlin-Treptow geboren. Die Schule verlässt sie mit 16 und beginnt lieber eine Berufsausbildung zur Bibliotheksassistentin an der Berliner Stadtbibliothek, die von 1951 bis 1991 von Prof. Dr. Heinz Werner geleitet wird. Wenn man bei der Berliner Stadtbibliothek eine Ausbildung machen wollte, wurde man zu ihm persönlich gebeten, bekam einen Packen Katalogkarten und sollte diese alphabetisch ordnen. Stimmte die Ordnung, wurde man eingestellt. So muss es auch Gabriele Beger ergangen sein, die 1971 nach drei Jahren ihre Ausbildung zur Bibliotheksassistentin erfolgreich beendet. Berufsbegleitend beginnt sie gleich darauf das Fernstudium an den bibliothekarischen Fachschulen in Leipzig und Berlin, wo sie 1976 ihren Abschluss als Bibliothekarin macht, und kann nun in der neuen Funktion in der Berliner Stadtbibliothek tätig sein. 1979 wird sie zur Ausbildungsleiterin befördert – eine Tätigkeit, die sie besonders gerne macht, weil sie die Erfahrungen ihrer eigenen Ausbildung einbringen kann. 1983 wird sie wissenschaftliche Assistentin für Professor Werner, der sie in den folgenden Jahren besonders fördert, sodass sie 1984 zum Studium der Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität delegiert wird. Mit dieser Ausbildung als Diplom-Juristin, die sie kurz nach der Wende im Jahr 1990 abschließt, folgt sie in den Fußstapfen ihres Mentors und spezialisiert sich ebenfalls auf Bibliotheksrecht. Nachdem im Frühjahr 1991 Prof. Werner in den Ruhestand eintritt, wird Gabriele Beger ein Jahr später Direktorin der Berliner Stadtbibliothek.

Dann folgt eine Zeit der großen Veränderungen. Denn schon im Juli 1992 schlägt der Berliner Kultursenator Ulrich Roloff-Momin vor, die Amerika-Gedenkbibliothek und die Berliner Stadtbibliothek zu einer Zentralbibliothek zusammenzuschließen. Gabriele Beger muss sich um ihre verunsicherten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kümmern, die schon in der Anzahl reduziert waren und sich durch die viel geringere Nutzung der Berliner Stadtbibliothek (BStB) gegenüber der Amerika-Gedenkbibliothek zurückgesetzt fühlen. Keiner weiß, welche Rolle die Berliner Stadtbibliothek in dieser neuen Fusion wirklich spielen soll. Gleichzeitig setzt Gabriele Beger ihre juristischen Kenntnisse gemeinsam mit der Kulturverwaltung für ein Berliner Pflichtexemplargesetz ein, das im Herbst 1994 verabschiedet wird. Zum 1. Oktober 1995 erfolgt die Fusion der Amerika-Gedenkbibliothek und der Berliner Stadtbibliothek in der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB). Ein ehemaliger Staatssekretär übernimmt die provisorische Leitung der ZLB und führt die Fusionsgespräche.

Als ich zum 1. Dezember 1996 zunächst kommissarisch und dann am 3. Februar 1997 offiziell das Amt der Generaldirektorin, zugleich Vorstand der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin, übertragen bekomme, stelle ich sehr bald mein Konzept für eine gemeinsame ZLB vor. Die zwei Direktorinnen, Gabriele Beger für die BStB und ab März 1997 Christine-Dorothea Sauer für die AGB, erhalten jeweils häuserübergreifende Leitungsaufgaben in dem neuen Konzept. Gabriele Beger leitet das Medienzentrum, Christine-Dorothea Sauer die Betriebsabteilung. Gleichzeitig bleiben sie in ihrer Rolle als Hausdirektorinnen der beiden Häuser verantwortlich für die entsprechenden Hausangelegenheiten und sind beide Stellvertreterinnen des Vorstands der Stiftung. Nach vielen Diskussionen in häuserübergreifenden Arbeitsgruppen wird das Konzept der Fächerteilung und des erweiterten Freihandbestands präzisiert, das bei laufendem Betrieb umgesetzt werden soll. Jetzt lerne ich die Energie von Gabriele Beger in besonderer Weise kennen. Sie übernimmt 1998 die Organisation der Umzüge der Bestände jeweils von einem Haus in das andere. Unter ihrer Regie werden eine Million Medien zwischen den beiden Häusern bewegt, um die Fächer klar im Freihandbereich und im Magazin den Häusern zuzuordnen. Nach jedem Teilumzug feiert sie mit großer Freude den Erfolg. Diese Energie strahlt sie immer wieder bei neuen Projekten aus, die sie begeistert aufnimmt und wofür sie andere Menschen gewinnen kann. Es war eine großartige Zeit, mit ihr in der ZLB zusammen zu arbeiten. Ideenreich fand sie immer wieder organisatorisch praktische Lösungen und die gemeinsame Freude an gelungenen Schritten war Teil des täglichen Austausches. Als Justiziarin der Stiftung ZLB hat sie wichtigen juristischen Rat gegeben und auftauchende Probleme mit aus dem Weg geräumt.

Ihre familiäre Nähe zur Kunst macht sie offen für außergewöhnliche künstlerische Projekte, wie z.B. die Aufnahme für das Projekt mit Saxofon und Harley Davidson von Simon Stockhausen im Hof der Berliner Stadtbibliothek. Die ZLB profitiert davon immer wieder. Gabriele Beger hat eine besondere ästhetische Ader und wäre gerne Balletttänzerin geworden, gesteht sie mir einmal. Viele lernen ihre fröhliche und spontane Seite erst an ihrem 50. Geburtstag kennen, als sie plötzlich ihr neues Saxofon zückt und ein Lied spielt, das sie mit Ehrgeiz und Energie in den Wochen zuvor eingeübt hat. Der Beifall der Zuhörenden will gar nicht enden.

Selten gestresst und nie überlastet entscheidet sie sich Ende der 1990-er Jahre neben dem Beruf für eine Doktorarbeit am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt Universität Berlin zum Thema „Urheberrecht und elektronische Bibliotheksangebote – ein Interessenkonflikt“. Allein das zeigt, wieviel Power sie hat und so ist es auch kein Wunder, dass sie die Promotion 2002 abschließen kann. Hochschulstudium und Promotion neben der täglichen Arbeit und der Familie erfolgreich zu bestehen, dafür ist Gabriele Beger ein Vorbild, vor allem für Frauen der nächsten Generation!

2005 übernimmt sie als erste Frau in deren 550-jährigen Geschichte die Leitung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (SUB). Dabei ist zusätzlich bemerkenswert, dass sie als Ostdeutsche nun eine große Universitätsbibliothek im Westen Deutschlands leitet, während bis dahin meist eher Westdeutsche ostdeutsche Bibliotheken leiteten. Auch damit schreibt sie Geschichte. Bekannt wird sie in Hamburg mit der Kampagne „Hamburg ohne Worte“, bei der sie auf die Gefahr des durch Papierzerfall geschädigten Kulturguts aufmerksam macht und sich für Bestandserhaltung und Digitalisierung einsetzt. Auch in Hamburg engagiert sie sich für ein neues Pflichtexemplargesetz, das seit 2010 regelt, dass die SUB auch die digitalen Publikationen Hamburgs sammeln kann. In einer Vielzahl von bibliothekarischen Beiräten ist ihr fachlicher Rat als geschätzte Kollegin gefragt. 2018 tritt sie in den Ruhestand ein und freut sich darüber, dass sie immer ein so gutes Verhältnis zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewahren konnte.

Jahrzehntelang ist Gabriele Beger Mitglied im VDB und eine bei den bibliothekarischen Verbänden sehr gefragte Urheberrechtsexpertin. Schon 1994 engagiert sie sich für den Dachverband Bibliothek & Information Deutschland (BID). 1998 wird sie für den Deutschen Bibliotheksverband (DBV) aktiv in der Kommission Bibliothekstantieme. Darin vertritt sie die Interessen der Bibliotheken, immer bereit Lösungen zu finden. Von 2002 bis 2008 ist sie Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI) und führt den Verband näher an die BID heran. Von 2007 bis 2010 engagiert sie sich als Vorsitzende des DBV. Sie wird Vorsitzende der Rechtskommission des DBV und vertritt die BID beim Deutschen Kulturrat im Fachausschuss Urheberrecht, in dem sie ab 2010 den Vorsitz innehat. In dieser Funktion verhandelt sie im Bundesjustizministerium mit der Vertretung des Börsenvereins um die Gestaltung eines fairen Ausgleichs im Urheberrecht. Wenn sie von diesen Sitzungen zurückkommt, dann beschwert sie sich oft über die zähen Verhandlungen, aber freut sich auch über die kleinen Erfolge, die ihr mit realistischen und umsetzbaren Vorschlägen gelingen. Für ihr langjähriges Engagement und in Anerkennung ihrer Verdienste wird ihr 2018 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen.

Am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Berliner Humbold-Universität hat sie seit 1996 Lehraufträge zu Rechtsfragen des Bibliotheksrechts übernommen. 2005 wird sie zur Honorarprofessorin am Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam berufen und lehrt dort Informationsrecht. Auch in Hamburg übernimmt sie 2007 einen Lehrauftrag. Fast zwanzig Jahre lang engagiert sie sich außerdem für eine Vielzahl von Fortbildungen zum Bibliotheksrecht in allen Varianten und für alle Bibliotheksarten. Wer einmal von ihr rechtliche Fragen des Bibliotheks- und Informationsrechts erläutert bekommen hat, weiß nicht nur alles über die Gesetze, sondern auch, wie man die rechtlichen Probleme geschickt interpretiert, ja wie man Spaß an dem sonst so trockenen juristischen Stoff bekommt. So hat sie Generationen von jungen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren ausgebildet. Ihre juristischen Beiträge und Aufsätze sind dabei stets gut lesbar und klar. Die Handreichung „Urheberrecht in Bibliotheken“, die Ellen Euler von der Fachhochschule Potsdam gemeinsam mit ihr noch im vergangenen Jahr 2023 in ein Open-Access-Format überführt hat, ist heute für alle Bibliothekar*innen zugänglich. Es ist schön, dass auf diese Weise ihr Werk für die Qualifizierung im Bibliotheks- und Informationsrecht über ihren Tod hinaus noch Jahre weiter wirken wird.

Claudia Lux, Berlin

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/6105

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