Themenschwerpunkt „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“
Liebe Leser*innen,
nicht erst seit den Rückgaben von Benin-Bronzen aus deutschen Museen an Nigeria entwickelt sich ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass bei der deutschen kolonialen Vergangenheit noch vieles im Dunkeln liegt. Und dabei ist „im Dunkeln“ durchaus wörtlich zu verstehen. Denn die meisten der Objekte, die durch Kauf, Raub oder auf andere Weise u.a. auch nach Deutschland kamen und zum Aufbau von Sammlungen dienten, liegen in den Magazinen von Kultureinrichtungen. Dazu gehören auch zahlreiche Bücher, Handschriften und andere Objekte, die sich in Bibliotheken befinden und deren Provenienz zumeist noch erforscht werden muss. Die koloniale Vergangenheit spiegelt sich allerdings nicht nur in den Objekten selbst wider, sie kommt – z.T. noch zu wenig reflektiert – auch im Fortleben einer kolonialen Sicht auf die Menschen in den ehemaligen Kolonien, ihre Kultur und ihre Geschichte zum Ausdruck. In Bibliotheken kann sich dies u.a. in der Erschließung, z.B. durch die Verwendung kolonialrassistischer Bezeichnungen für Personengruppen in Katalogen, ausdrücken. Aber auch bei der Strukturierung von Beständen können koloniale Sichten deutlich werden.
In den letzten Jahren sind einzelne Publikationen erschienen, die entsprechende Fragestellungen und die damit verbundenen Konsequenzen aus bibliothekarischer Sicht reflektieren. Auch bei der BiblioCon der Jahre 2023 und 2024 fanden Veranstaltungen zum Thema statt. Schließlich ist mit der Gründung des Netzwerks „Dekolonialisierung von Bibliotheken im DACH-Raum“ ein weiterer, wichtiger Schritt zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit vollzogen worden.
Der vorliegende Themenschwerpunkt „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“ in o-bib hat das Ziel, diese Diskussion weiter zu befördern und zur Sensibilisierung der deutschsprachigen bibliothekarischen Community für Fragen kolonialer Kontexte in Bibliotheken beizutragen. Grundlage hierfür sind Beiträge und Überlegungen, die im Zusammenhang mit dem Workshop „Koloniale Kontexte in Bibliotheken“ im November 2023 in der Staatsbibliothek zu Berlin diskutiert wurden.
Dankenswerterweise haben Lars Müller, Larissa Schmid und Michaela Scheibe, jeweils Staatsbibliothek zu Berlin, die den genannten Workshop mitorganisiert hatten, sich bereit erklärt, die inhaltliche Abstimmung der Beiträge und die Koordination der Teams von Autor*innen zu übernehmen. Auf diese Weise konnten sie Expert*innen aus verschiedenen Themengebieten einbinden und so das Themenfeld in einer großen inhaltlichen Breite darstellen. Details zu den einzelnen Beiträgen und ihrem jeweiligen Hintergrund gibt die Einführung zum Themenschwerpunkt.
Als geschäftsführende Herausgebende von o-bib danken wir Lars Müller, Larissa Schmid und Michaela Scheibe sowohl für den Impuls als auch für das Konzept und die Betreuung dieser umfassenden Bestandsaufnahme, die inhaltlich durch weitere Beiträge in Heft 4/2024 von o-bib und sicher auch noch danach weitergeführt werden wird.
Neben dem Themenschwerpunkt bietet auch dieses o-bib-Heft verschiedene weitere Beiträge. Der Artikel „Open-Access-Transformation aus der Perspektive von Zeitschriftenherausgebenden“ steht im Kontext des von o-bib anlässlich seines 10-jährigen Bestehens ausgerufenen großen Themas „Open Access“. Der Beitrag „Virtueller Campus: digitale Plattform für Online-Lehre und die Förderung digitaler Kompetenz“ greift die strukturellen Veränderungen in der Lehre und die damit verbundenen Konsequenzen für bibliothekarisches Handeln auf. Dazu kommen u.a. Praxisberichte und der regelmäßig erscheinende Bericht aus der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Es ist uns ein Anliegen, auch bei dieser Gelegenheit unseren Dank an die Kolleg*innen aus der o-bib-Redaktion und der Abteilung Elektronisches Publizieren an der Bibliothek der LMU München, aber auch an alle andere Beteiligten wie z.B. die Gutachter*innen der Fachaufsätze auszusprechen. Die – ganz bewusst anonym bleibenden – Begutachtenden bringen sich mit ihrer fachlichen Expertise und nicht selten nennenswertem Zeitaufwand ein. Vielfach führen gutachterliche Hinweise zu einer merklichen Verbesserung und Optimierung der eingereichten Texte. Mitunter wird eine grundlegende Überarbeitung empfohlen, die viel zusätzliche Arbeit für die Autor*innen bedeutet. Gelegentlich führt die Begutachtung auch dazu, dass ein eingereichter Beitrag ganz abgelehnt werden muss oder von den Autor*innen zurückgezogen wird. In jedem Fall ist der Peer Review ein wichtiger Baustein zur Sicherung der fachlichen Qualität von o-bib, die auch weiterhin ein wichtiges Ziel unseres Engagements als Herausgebende darstellt.
Wir wünschen allen Leser*innen eine anregende Lektüre dieses o-bib-Heftes und hoffen, dass die Beiträge den fachlichen Diskurs weiter befördern werden.
Für das o-bib-Team
Achim Oßwald und Heidrun Wiesenmüller
Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/6104
Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.