Aufgabenverschiebung in Bibliotheken kontrovers diskutiert – Bericht zur Podiumsdiskussion „Berufsbilder an Bibliotheken im Wandel – wer macht eigentlich welche Arbeit?“
Die Podiumsdiskussion auf der BiblioCon 2024 – gemeinsam organisiert von den drei VDB-Kommissionen für Fachreferatsarbeit, für berufliche Qualifikation und für Rechtsfragen – stellte den vorläufigen Abschluss einer Reihe von Online-Veranstaltungen dar, in der von Februar bis Mai 2024 die Aufgabenverschiebungen an Bibliotheken in den Arbeitsbereichen Erwerbung, Erschließung, Informations- und Digitalkompetenz sowie forschungsnahen Services bereits kontrovers diskutiert worden waren.1 Das Podium sollte nun den Diskussionsstand aus den Perspektiven von Leitung und Führung, Ausbildung und Personalentwicklung, sowie Recht und Vergütung reflektieren. Hierzu eingeladen waren Nora Neuhaus de Laurel, Personalentwicklung- und Ausbildungsleitung der Stadtbibliothek Bremen und Mitglied VDB-Kommission für berufliche Qualifikation; Arne Upmeier, Leitender Bibliotheksdirektor KIT; Thomas Witzgall, Fachreferent Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek und Mitglied VDB-Kommission für Rechtsfragen und Markus Lohmann, Leiter der Zentralbibliothek Kulturbetriebe Dortmund, Stadt- und Landesbibliothek Dortmund und Vorsitzender der VDB-Kommission für Rechtsfragen. Der überfüllte Veranstaltungssaal im CCH unterstrich eindrücklich das große Interesse der bibliothekarischen Fach-Community an dieser Diskussion und die Brisanz der Thematik.
Zum Einstieg präsentierte der Moderator, Thomas Nachreiner (UB Passau, VDB-Kommission für Fachreferatsarbeit), einen zusammenfassenden Rückblick auf die vorausgehende Veranstaltungsreihe, an den das Podiumsgespräch dann anknüpfen sollte: An den vier Online-Sessions im Vorfeld beteiligten sich laut der begleitenden Umfrage insgesamt knapp 500 Teilnehmende, die vorrangig in wissenschaftlichen Bibliotheken arbeiteten und alle bibliothekarischen Laufbahnen repräsentierten, wobei eine knappe Mehrheit im höheren Dienst verortet war, während die Angehörige des mittleren Dienstes eher gering vertreten waren. Die Mehrzahl der Teilnehmenden trägt laut eigener Angabe auch Führungsverantwortung – bemerkenswert hierbei die präzisierende Charakterisierung als „explizite Führungsverantwortung“ bei 36 % und als „implizite Führungsverantwortung“ bei 22 %.2
V.a. letztere Zahl scheint auch ein Indiz für die Art der Aufgabenverschiebung zu sein, die in den Fallbeispielen und Diskussionen der Online-Sessions zum Ausdruck kam: Wiederholt wurde die Abnahme physischer Tätigkeiten thematisiert und der Zunahme von vernetzten Tätigkeiten mit steigender Komplexität gegenübergestellt, oft begleitet von der Einschätzung, dass dadurch die tradierten Zuständigkeiten verunklart werden. Es bestünde „…grundlegend das Gefühl, dass die Qualifikationsebenen eben durch die Verschiebungen und die spontane Zuweisung von Aufgabenbereichen nicht mehr wirklich zu den Tätigkeiten passen […]“, wie in einem Session-Feedback konstatiert wurde. Mehrfach geäußert wurde auch die Wahrnehmung, dass einschlägige Stellenbeschreibungen und zahlreiche Ausbildungsinhalte nicht mehr mit diesen beschleunigten Verschiebungen Schritt halten könnten. Gleichzeitig fände die Re-Strukturierung von Arbeitsabläufen vorrangig in qualifikationsübergreifenden Teams statt, wodurch aber die (Neu-)Bewertung von tradierten wie neuen Tätigkeiten oft umso dringender erschiene.
Neben den formalrechtlichen Aspekten kamen insbesondere in den Diskussionsteilen der Online-Sessions auch die arbeitspsychologischen Dimensionen der Thematik zur Sprache: So stellten Aufgabenverschiebungen einerseits zwar Motivationspotentiale und Entwicklungsmöglichkeiten dar, würden andererseits aber auch das Risiko von Frustration über unvergütete oder nicht-validierte Mehrarbeit bergen. Sinngemäß der Befund aus den Session-Feedbacks: Welche Aufgabenverschiebungen werden als förderliches und gewünschtes „Job-Enrichment“ erlebt und welche erscheinen demgegenüber als unzulässiges oder als unverhältnismäßig empfundenes „Job-Enlargement“?
Nach dieser fokussierenden Synopse ging das Wort an die Expertenrunde auf dem Podium. Zunächst zeigte sich Arne Upmeier wenig beeindruckt vom gefühlten „Knirschen während des Umbaus“. Der vermeintliche „Verlust klarer Rahmenbedingungen“, der sich in der Entfernung der ausgeübten Tätigkeiten von den vormals zugewiesenen Qualifikationsebenen ausdrücke, wäre ein notwendiger und nicht unbedingt kritischer Effekt auf dem Weg in eine „buntere Bibliothekswelt“. Fraglos sei der öffentliche Dienst oft nicht flexibel genug für den Wandel in der Bibliothekswelt, gleichwohl gäbe es aber jenseits von Eingruppierung und Vergütung noch andere Gratifikationsmomente für die Übernahme neuer Aufgaben: Freude an der Arbeit, Wertschätzung durch Vorgesetzte und v.a. auch die Sinnhaftigkeit neuer Tätigkeiten im Vergleich mit überholten Aufgabenbereichen.
Den Punkt der Wertschätzung griff Markus Lohmann kritisch auf und betonte, dass implizite Erwartungen von Mitarbeitenden, die höherwertige Tätigkeiten übernähmen, nicht unterschätzt werden sollten und man es sich mit dem Verweis auf ideelle Anerkennung allein mitunter zu einfach mache.
Thomas Witzgall thematisierte die grundlegende Notwendigkeit, die Aufgabenzuweisung in zunehmend heterogeneren Teams auch vorrangig an den Eingruppierungen auszurichten. Diesbezüglich müsse der für Eingruppierungen – ergänzend zu den formalen Bildungsabschlüssen angewendete –
unbestimmte Rechtsbegriff „entsprechende Tätigkeit“ hinsichtlich der „Schwierigkeit der Tätigkeit“ ebenso definiert werden wie hinsichtlich der benötigten „entsprechenden Fachkenntnisse“. Dies gelte insbesondere auch für die Verortung von neuen Tätigkeiten in Bibliotheken. Denn schließlich müsse es weiterhin ein grundlegendes Ziel sein, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln bzw. zu vergüten. Mit einem Augenzwinkern merkte Witzgall an, dass bei den oft knappen Bibliotheksetats die Definition einer höherwertigen Tätigkeit freilich häufig unterbleibt, da man diese Leistung im Zweifelsfalle schlicht nicht vergüten könne. Zudem könne die gleiche Tätigkeit – beispielsweise die Auskunftstätigkeit – in verschiedenen Einrichtungen sehr unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und Ausprägungen haben. Obwohl die entsprechenden Rechtsbegriffe gefüllt werden müssten, böten sie dann dennoch keine verlässliche und vergleichbare Grundlage.
Zur vielfach angemerkten „schleichenden Übernahme“ von Aufgaben bemerkte Witzgall an späterer Stelle auch, dass einzig zugewiesene Aufgaben eingruppierungsrelevant seien, jedoch nicht die selbständig übernommenen. Er bemängelte, dass die Tätigkeiten der einzelnen Beschäftigten mitunter gar nicht erfasst würden und riet daher Betroffenen zur eigenständigen Dokumentation ihres Aufgabenspektrums. Freilich könnte sich dies bei komplexen Aufgabenbereichen und kooperativen Arbeitsweisen im Team als herausfordernd darstellen. Upmeier ergänzte, dass für die jeweilige Eingruppierung häufig ein Tätigkeitsspektrum ausgeführt wird, das sich sowohl aus höher gruppierten als auch aus niedriger eingestuften Aufgaben zusammensetzt. In der Gesamtschau müsse sich dann die entsprechende Eingruppierung ergeben.
Nach den unterschiedlichen Ausprägungen des Wandels in öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken gefragt, meinte Nora Neuhaus de Laurel, dass die grundsätzlichen Veränderungen an öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken die gleichen seien, jedoch durch andere Ausprägungen und Auswirkungen in Erscheinung träten. Sie betonte, dass Auskünfte zu Informationsangeboten wie KI, dem Umgang mit Medien und die Sensibilisierung für Fakenews durchaus höherwertige Tätigkeiten seien und auch als solche vergütet werden müssten, da sie eben nicht mit niederschwelligen Auskünften zur Lage der Toiletten und Hinweisen zur Bedienung von Kopiergeräten vergleichbar wären. Sie plädierte – durchaus mit Fingerzeig auf die politische Verantwortung – für die Schaffung der finanziellen Voraussetzungen, um aufgabenadäquate Vergütungen unter den sich verändernden Berufsbedingungen sicherzustellen. Schließlich seien Bibliotheken essentielle Mittler für Wissen und Bildung, die insofern auch zur Schaffung zentraler Kompetenzen einer demokratischen Gesellschaft beitragen würden.
Während das Podium dem ideellen Gehalt der Aussage zwar unisono beipflichtete, verwies Arne Upmeier umgehend auf die verwaltungspraktische Realität, in der Geld allein die Problematik auch nicht entschärfen könne. Für Höhergruppierungen müssten i.a.R. andere Stellenanteile umgewidmet werden, da ein dauerhafter Stellenzuwachs in wissenschaftlichen Bibliotheken kaum die Realität wäre. Daher konkurrierte auch die Übernahme fähiger Projektmitarbeitenden aus der Projektbefristung oftmals mit der durchaus berechtigten Höhergruppierung von langjährigen Mitarbeiter*innen. Zudem gäbe es vor allem in neueren Tätigkeitsfeldern, wie z.B. den forschungsnahen Services, eine Vielzahl nicht definierter Tätigkeiten, was eine begründete Eingruppierung erschwere. Folgerichtig wäre es oft praktikabler, Stellen durch bekannte Aufgabenprofile (z.B. Fachreferat) zu legitimieren, auch wenn sich die Ausführung des darin implizierten Aufgabenspektrums schon organisational verschoben hätte. Entscheidend für Akzeptanz und Wertschätzung von Veränderung wäre, so die erneute Bekräftigung von Upmeier, die Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Abgesehen von der finanziellen Kompensation könnten sich auch Gestaltungsspielräume, Arbeitszeitregelungen, Fortbildungsmaßnahmen und Veranstaltungsteilnahmen positiv auf die Zufriedenheit auswirken.
Ähnlich argumentierte Neuhaus de Laurel aus Sicht der Personalgewinnung: Jenseits der Eingruppierung seien auch Faktoren wie Flexibilität der Arbeitszeit und des Arbeitsortes oder die Büroausstattung und ein angenehmes Arbeitsumfeld ausschlaggebend. Zur finanziellen Vergütung merkte sie an, dass auch bestehende Möglichkeiten zu selten ausgeschöpft werden würden. So sei in Bibliotheken die Nutzung einer Fachkräftezulage bzw. einer Zulage bei Personalmangel oder im Falle drohender Personalabwanderung durchaus möglich. Ihre anschließende Frage an das Auditorium, ob Bibliotheken davon schon Gebrauch machen würden, blieb ohne Antwort – und könnte mithin als Beleg für ihre initiale Einschätzung angesehen werden.
Nach einer knappen Stunde wurde die Expertendiskussion für zahlreiche Rückfragen und Kommentare aus dem Publikum geöffnet. Ein Fokuspunkt der Wortmeldungen waren die Freiheitsgrade in der Aufgaben- und Arbeitsplatzgestaltung für die Beschäftigten, da diese die Bibliothek zu einem attraktiven Ort machen würden. Dieser Gedanke wurde vom Podium dankbar aufgenommen und z.B. von Upmeier dahingehend weiterentwickelt, dass die Etablierung von flachen Hierarchien und Matrix-Organisationen den Rahmen für bessere Kommunikation und die aktive Mitnahme der Belegschaft darstellen könnten.
Kritisch vermerkt wurde der mitunter empfundene Verlust von Sinnhaftigkeit bei Tätigkeiten, die sich im Zuge von Digitalisierung und Automatisierung als überflüssig oder optional erweisen würden. Auch hierzu wurde vom Podium betont, dass Führungskräfte verstärkt Freiheiten gewähren und Vertrauen schenken müssten, um die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden zu fördern. Weiterhin gälte es, gemeinsam die Bedeutung von Bibliotheken unter den veränderten Bedingungen herauszuarbeiten und dies auch allen ins Bewusstsein zu rufen.
Ein dritter Schwerpunkt der Beiträge aus dem Auditorium umfasste den Bereich Quereinstieg in Bibliotheken, der auf allen Dienstebenen und auch bei Auszubildenden als problematisch empfunden wird. Der zunehmende Fokus auf Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger würde als Wertverlust der bibliothekarischen Ausbildung empfunden, da eine Fachausbildung in vielen Einstellungsszenarien kein Vorteil mehr wäre. Die klar artikulierte Forderung dabei war, dass bei Eingruppierungen die Wertschätzung der erworbenen Abschlüsse nicht verlorengehen dürfe und v.a. auch bibliothekarische (Zusatz-)Ausbildungen als Vorteil anerkannt werden sollten. Das Podium wurde hierdurch auch an die eigenen Stellungnahmen während der Diskussion erinnert und konnte dem nur beipflichten. Ebenfalls aus dem Auditorium kam allerdings auch der Hinweis auf die mögliche Gefahr, verschiedene Status- und Bewerbergruppen gegeneinander auszuspielen, da auch Bibliotheken in Zeiten des Fachkräftemangels auf diversifizierte Ansätze der Personalgewinnung angewiesen wären.
Der Dank der VDB-Kommissionen für diese gelungene Veranstaltung geht an die Diskutanten und die Moderation auf dem Podium. Außerdem und insbesondere gebührt der Dank aber auch all den Personen, die die vorausgegangenen Online-Sessions mit ihren Impulsvorträgen gestalteten oder sich in die Kontroversen eingebracht haben, sowie jenen, die die Podiumsdiskussion mit ihren wertvollen und mutigen Wortbeiträgen im Saal oder online bereichert haben.
An die organisierenden Kommissionen wurde vielfach der Wunsch nach einer Fortführung der Online-Sessions zum Thema Aufgabenverschiebungen herangetragen. Für die Themensammlung steht weiterhin das Online-Board (https://padlet.com/thomasnachreiner/berufsbilderimwandel) zur Verfügung, das während der Veranstaltung vorgestellt wurde. Die Kommissionen laden herzlich zur weiteren Nutzung dieser Plattform ein, um Impulse für künftige Fortbildungs- und Diskussionsveranstaltungen zu sammeln.
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1 Dieser Beitrag berichtet über die Podiumsdiskussion „Berufsbilder an Bibliotheken im Wandel – wer macht eigentlich welche Arbeit?“ am 05.06.2024 anlässlich der 112. BiblioCon in Hamburg.
2 Umfragen veröffentlicht unter https://doi.org/10.24355/dbbs.084-202408081224-0.