Nr. 1 (2025)
DOI: 10.5282/o-bib/6070

LEGO® Metadaten für die Reproduzierbarkeit

Dokumentation von Forschungsprozessen fachunabhängig vermitteln

1. Überblick

Die Methode „LEGO® Metadaten für die Reproduzierbarkeit“ wird an der Humboldt-Universität (HU) seit mehreren Jahren genutzt, um die Herausforderung zu vermitteln, durch gute Dokumentation reproduzierbare Forschung zu betreiben. Sie wird im Rahmen von Lehrveranstaltungen (Bibliothekswissenschaften), in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen als Online-Veranstaltung im Rahmen der „Love-Data-Week“ und in gekürzter Form in einzelnen Schulungen eingesetzt. Im Rahmen der 112. BiblioCON konnte sie auch in einem Hands-on Lab getestet werden.1 Weitere Anwendungsszenarien, z.B. für die Lange Nacht der Wissenschaften oder als kurzer Impuls in Schulungsveranstaltungen wurden entworfen, aber noch nicht durchgeführt. Auch diese Ideen werden im hier vorliegenden Bericht vorgestellt.

Abb. 1: Einsatz der Methode im Rahmen des Wahlpflichtkurses Forschungsdatenmanagement am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der HU

Damit versteht sich dieser Bericht auch als Handreichung für alle, die diese Methode selbst durchführen wollen und Informationen suchen, die über die reine Methode hinaus gehen. Die ursprüngliche Beschreibung der Methode ist zusammen mit den benötigten Vorlagen auf Zenodo veröffentlicht.2

2. Die Methode

Die Methode simuliert Forschungsprozess, Dokumentation und Reproduktion des Forschungsergebnisses, indem zuerst Fahrzeuge mit LEGO® gebaut und dabei der Bauprozess dokumentiert wird und danach mit Hilfe der entstandenen Dokumentation von einer anderen Gruppe das Fahrzeug nachgebaut wird. Den Gruppen werden unterschiedliche Materialien zur Dokumentation gestellt, so dass verschiedene Strategien und unterschiedliche formale Randbedingungen der Dokumentation in der Auswertungsphase reflektiert werden können.

Kurz zusammengefasst läuft eine Veranstaltung mit dieser Methode wie folgt ab:

Das Gespräch zur Auswertung ist in der Regel geprägt von der Erfahrung, dass Anweisungen, die von der bauenden Gruppe als eindeutig verstanden wurden, von den Nachbauenden anders oder nicht eindeutig interpretiert wurden. Hinzu kommt, dass realisiert wird, wie anspruchsvoll Dokumentation unter Zeitdruck ist. Diese Erfahrung machen besonders die Gruppen, die zuerst bauen und erst im Anschluss die Dokumentation beginnen.

Um weitere Aspekte von Dokumentation und Forschungsplanung in der Auswertung adressieren zu können, haben die Gruppen unterschiedliche Voraussetzungen im Dokumentations- und Nachbauprozess:

Gruppe 1: leeres Blatt, nur die Arbeitsanweisung

Gruppe 2: Tabelle, die den Dokumentationsprozess strukturiert

Gruppe 3: leeres Blatt und eine Liste der zur Verfügung stehenden Bausteine

Gruppe 4: Tabelle und eine Liste der zur Verfügung stehenden Bausteine.

Die unterschiedlichen Voraussetzungen ermöglichen eine Diskussion, wie hilfreich es ist, eine Struktur für die Dokumentation des Bauprozesses vorzugeben, ob das vorgegebene Schema der Tabellen für den Zweck passt oder weitere Informationen erfasst werden sollten und wie die verwendeten Steine am besten beschrieben werden, damit sie für die Nachbauenden eindeutig identifizierbar sind.

3. Anpassungen und Erfahrungen

Die hier kurz vorgestellte Methode kann für verschiedene Einsatzszenarien angepasst werden, die zusammen mit den Erfahrungswerten aus verschiedenen Veranstaltungen hier vorgestellt werden.

3.1 Methode als Online-Veranstaltung:

Die Methode wurde als Präsenzveranstaltung entwickelt, kann aber auch online durchgeführt werden. Die Adaption für Onlineveranstaltungen erfolgte 2020 durch die Übersetzerin der Methode in Zusammenarbeit mit anderen FDM-Trainer*innen, eine Dokumentation wurde aber bisher nicht veröffentlicht.3

Es wird pro Gruppe eine Person benötigt, die das LEGO®-Set bei sich hat, dazu eine WL, die die Veranstaltung moderiert.

Abb. 2: Verschiedene Lösungen der WL, eine eigene Kamera auf die Steine zu richten

Abgesehen von diesen Anpassungen läuft die Methode wie oben beschrieben ab. Die Gruppen können bei Bedarf etwas größer sein, weil das Online-Format zum einen ermöglicht, dass mehrere Personen an der Dokumentation gleichzeitig arbeiten, zum anderen ist es wahrscheinlicher, dass einzelne Personen zu stillen Beobachter*innen werden.

3.2 Veränderungen bei Material und Aufgabenstellung

Beide Formate wurden in verschiedenen Kontexten an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) auch in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus anderen Berliner Einrichtungen mehrfach durchgeführt, wo-raus sich im Austausch mit den verschiedenen Kolleg*innen Anpassungen und Abwandlungen ergeben haben:

Steinliste

Die Methode sieht eine Liste der zur Verfügung stehenden Steine mit der von LEGO® verwendeten Systematik vor. Als Erweiterung wurde für die Bezeichnung der Bausteine eine eigene Systematik entwickelt, die die Farben, Anzahl der Noppen, Höhe und ggf. Sonderformen kodiert. Dadurch ist es in der Zusammenarbeit deutlich einfacher, die Bezeichnung der Steine zu ermitteln und besonders das Wiederfinden der Steine in der Liste ist beim Nachbau weniger zeitraubend. Damit wird bei einer Gruppe (z.B. Gruppe 3) nicht die international genutzte und einheitliche Bezeichnung von LEGO® verwendet, sondern eine besser handhabbare aber nur lokal verständliche Bezeichnung. Dieses Spannungsfeld ermöglicht Diskussionen zu Sinn und Problemen lokaler Lösungen und kann Auswege aus dem Dilemma wie z.B. Konkordanzen aufzeigen.

Abb. 3: Der Entwurf einer Steinkodierung und die daraus resultierende Liste

Anzahl der zu verbauenden Steine

Die Anweisungen in der Originalanleitung sehen vor, dass für den Bau eines Fahrzeuges 15 – 30 Steine verwendet werden sollen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass daraufhin einzelne Gruppen taktisch vorgehen und einen möglichst simplen Aufbau mit möglichst wenigen Steinen wählen. Da je nach Zählung bzw. genutzten Radkonstruktionen bereits das „Fahrgestell“ (eine Grundplatte mit vier Rädern) bis zu 13 Bausteine erfordert, entstanden Fahrzeuge, die meist fehlerfrei zu reproduzieren waren und damit zu weniger erlebten Problemen und Besonderheiten beim Nachbau führten. Dieses Vorgehen trat allerdings nie bei allen vier Gruppen gleichzeitig auf, sodass die Lernziele dennoch erreicht werden konnten, weil die Erlebnisse der anderen Gruppen eine umfassende Auswertung ermöglichten. Übertragen auf die Forschung würde eine solche Selbstbeschränkung bedeuten, dass der Forschungsprozess auf den kleinsten gemeinsamen Nenner heruntergefahren wird und kreative Prozesse keinen Raum mehr bekommen. Dies widerspricht in der Regel dem Selbstverständnis von Forschenden.

Aus diesem Grund wurde die Anleitung für die Bauphase an dieser Stelle angepasst: „Nutzen Sie dafür neben Rädern/Propellern inkl. Felgen und Achsen weitere 20 bis 30 Bausteine.“

Baustein-Sets

Die Methode ist im Original so konzipiert, dass keine einheitlichen Baustein-Sets benötigt werden, sondern hinreichend abwechslungsreiche Sets aus einer größeren Sammlung von Bausteinen zusammengestellt werden. In diesem Fall wechseln die Gruppen für die Reproduktionsphase die Tische bzw. die Breakout-Sessions. An der HU wurden einheitliche Sets eingeführt, die mit über 200 Steinen inklusive zwei Sorten von Rädern, Propellern und anderen Sonderteilen genug Bandbreite für kreative Fahrzeuge bieten. Diese Entscheidung birgt mehrere Vorteile:

Die Festlegung auf die Sets hat aber auch Nachteile:

3.3 An unterschiedliche Rahmenbedingungen angepasste Versionen

Die Methode kann auch auf unterschiedliche Rahmenbedingungen angepasst werden, um sowohl bei Gruppengröße als auch Zeitaufwand flexibler zu sein:

Die maximale Anzahl von Teilnehmenden kann von 24 auf 36 erhöht werden, wenn zwei weitere Gruppen gebildet werden. Diese Gruppen 5 + 6 können mit Tablet oder Kamera ausgestattet werden und damit eine weitere Dimension der Dokumentation einführen. Diese Erweiterung ist in der ursprünglichen Beschreibung der Methode ausführlich dargestellt.4 In der Auswertung kommt dann der Aspekt reiner Bilddokumentation im Gegensatz zu textuellen Beschreibungen hinzu. Es kann zusätzlich die Frage der Maschinenlesbarkeit diskutiert werden. Bei online durchgeführten Veranstaltungen ergibt sich dieser Aspekt auch ohne entsprechende Ausstattung, weil mit Screenshots gearbeitet werden kann.

In der Regel wird für die Durchführung der Methode ein Zeitrahmen von 60 bis 90 Minuten veranschlagt, weshalb sie entweder als eigenständige Veranstaltung oder als Teil einer umfangreichen Schulungsveranstaltung (1-2 Tage) oder -reihe durchgeführt werden kann. Sie kann aus Zeitgründen auf einen der beiden Teile (Dokumentation oder Nachbau einer vorhandenen Dokumentation) reduziert werden. Allerdings ist es dann nötig, dass fehlende Erlebnisse der Teilnehmenden durch die Moderation der WL aufgefangen werden, z.B. durch anekdotische Erzählungen, die bestimmte Aspekte für die Auswertung verdeutlichen.

Mehrere Anwendungsfälle der gekürzten Methode wurden identifiziert und teilweise schon getestet:

4. Tipps für Material und Durchführung

Aus den Erfahrungen der verschiedenen Veranstaltungen ergeben sich Hinweise, die hier gesammelt werden:

4.1 Gruppengröße

Es sollten nicht mehr als sechs Personen in einer Gruppe sein, wenn alle aktiv mitarbeiten. Eine größere Gruppe macht die Abstimmungsprozesse zu langwierig. Für die verschiedenen Aufgaben und den Austausch von Ideen und Erfahrungen während der Bauphasen ist es empfehlenswert, mindestens drei Personen in einer Gruppe zu haben, vier Personen pro Gruppe wurden bisher als ideal erlebt.

4.2 Gruppeneinteilung

Die Einteilung der Gruppen selbst kann bereits Neugierde auf die folgende Methode wecken: Steine aus den Sets in einem Beutel zum blinden Ziehen legen die Gruppenzusammensetzung fest und ordnen auch zu, wer zu welchem Tisch geht. Dafür müssen die Steine einer Gruppe nicht gleich sein, eine Zuordnung über die Farbe genügt.

Diese Form der Gruppeneinteilung zieht die Herausforderung nach sich, dass die Steine, die zur Gruppeneinteilung genutzt wurden, zum Beginn der Bauphase zuverlässig zu den Sets zurückkehren. Während das Zusammenfinden der Gruppe über die gleichen Farben noch unkompliziert ist, muss auch die Zuordnung der Gruppe zu einem bestimmten Tisch klar erkennbar sein. Folgende Optionen können dabei unterstützen und damit die WL in der Startphase entlasten:

Eine ähnliche Methode, die Gruppen einzuteilen, aber ohne die Sets zu nutzen, sind verschiedene Sorten von Süßigkeiten (so viele, wie Gruppen gebildet werden). Ein Vorgehen, das immer wieder positiv auffällt, zum Beginn einer Gruppenarbeit gute Laune schafft und das fehleranfällige Zuordnen der Gruppeneinteilungssteine zu ihren Sets vermeidet.

4.3 Weitere Hinweise

Schließlich noch praktische Hinweise, womit die WL sich die Durchführung erleichtern kann:

Abb. 4: Original und Nachbau sind auf den Fotos markiert – in der Präsentation sind die Bilder in der Regel so zugeschnitten, dass die Kärtchen nicht zu sehen sind.

Als Spielunterlage wurden sehr flache Stülpkartons A3 angeschafft, die eine klar begrenzte Fläche für das Ausbreiten der Steine schaffen. Der Karton dämmt die Gefahr ein, dass Steine beim Bauen verloren gehen, und verhindert durch die Kante, dass fertige Fahrzeuge herunterfallen, wenn die Unterlage bewegt wird (was z.B. vorkommt, wenn die Gruppenarbeit aus Platzgründen in verschiedenen Räumen stattfindet).

Abb. 5: Bauphase: die Bausteine sind auf der Unterlage ausgebreitet, im Vordergrund der Beutel mit Gruppenzuordnung

Es hat sich bewährt, die Materialien in eigenen Mappen mit der Gruppenbezeichnung vorzubereiten, so dass zum einen klar ist, dass beim Start pro Gruppe die benötigten Zettel beieinander sind, zum anderen der Wechsel der Dokumentationen schnell und einfach möglich ist, weil die Gruppenbezeichnungen auf den Mappen helfen, den Überblick zu behalten.

5. Fazit

Die Methode macht eindrücklich erlebbar, dass eine gute, verständliche Dokumentation und damit die Reproduzierbarkeit von Forschung von vielen Faktoren abhängt und führt unmittelbar zu der Erkenntnis bei den Teilnehmenden, wie wichtig der Aspekt der Dokumentation in der Planung eines Forschungsvorhabens ist.

Sie bietet unter verschiedenen Rahmenbedingungen die Möglichkeit, Herausforderungen der Dokumentation von Forschungsprozessen spielerisch erlebbar zu machen. Die Erfahrung zeigt, dass „Spielen mit LEGO®“ auch von fortgeschrittenen Wissenschaftler*innen nicht als „kindisch“ abgelehnt wird. Vielmehr werden solche spielerischen Elemente – insbesondere mit etwas so Beliebtem wie LEGO® – gerne angenommen und sowohl Aufmerksamkeit als auch eine positive und neugierige Stimmung in den Veranstaltungen geschaffen. Sie kann daher gewinnbringend eingesetzt werden, sollte aber regelmäßig durchgeführt werden, um den erhöhten Aufwand zu rechtfertigen, der nötig ist, bevor sie das erste Mal angeboten werden kann.

Anmerkungen

1 Dieser Beitrag bezieht sich auf das von der Autorin angebotene Hands-on Lab „Reproduzierbare Forschung mit LEGO®“ am 05.06.2024 auf der 112. BiblioCon 2024 in Hamburg. Vgl. Herwig, Anja: Folien zu Hands-on Lab/ Reproduzierbare Forschung mit LEGO®, 112. BiblioCON, OPUS Publikationsserver, 10.05.2024, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0290-opus4-188011.
2 Biernacka, Katarzyna: LEGO® Metadaten für die Reproduzierbarkeit, Zenodo, 30.03.2020, https://doi.org/10.5281/zenodo.3733164.
3 Biernacka: LEGO® Metadaten für die Reproduzierbarkeit
4 Biernacka: LEGO® Metadaten für die Reproduzierbarkeit
5 Schlottke, Natalie; Stehle Marcel: Kostenlos, praktisch und nachhaltig. Scannen mit Smartphone und Scanzelt, UB Blog, 08.12.2021, https://blogs.hu-berlin.de/wir_bewegen_buecher/2021/12/08/kostenlos-praktisch-und-und-nachhaltig-scannen-mit-smartphone-und-scanzelt/, Stand: 10.07.2024

Anja Herwig, Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin, https://orcid.org/0000-0003-1703-3979

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/6070

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