Annäherungen an koloniale Bezüge in Bibliotheken
Jan Hüsgen, Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, Berlin
Meliné Pehlivanian, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Irene Albers, Freie Universität Berlin, Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Andreas Schmid, Freie Universität Berlin, Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
Thomas Richter, Mikado-Bibliothek, Aachen
Aïsha Othman, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main
Zusammenfassung
Die Autor*innen analysieren die besonderen Bedingungen der unterschiedlichen kolonialen Bezüge in Bibliotheken ausgehend von Nachlässen von Wissenschaftler*innen, den Beständen einer missionswissenschaftlichen Bibliothek, dem Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft sowie anhand von Forschungen zur philologischen Provenienzforschung. Der Beitrag verdeutlicht so die umfangreichen Handlungsfelder für die Auseinandersetzung mit kolonialen Kontexten in Bibliotheken.
Summary
The authors analyse the special conditions of the different colonial contexts in libraries based on the estates of scientists, the holdings of a missionary library, the photo collection of the German Colonial Society and research on philological provenance research. The authors problematise the special conditions of the different colonial references and point out future fields of action.
Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/6051
Autorenidentifikation:
Hüsgen, Jan: ORCID: https://orcid.org/0009-0005-8834-2324, GND: 1132167418;
Pehlivanian, Meliné: ORCID: https://orcid.org/0000-0001-6601-8834, GND: 1050962249;
Albers, Irene: ORCID: https://orcid.org/0009-0005-3969-3371, GND: 12353822X;
Schmid, Andreas: ORCID: https://orcid.org/0009-0005-0420-497X;
Richter, Thomas: ORCID: https://orcid.org/0009-0001-2235-0920;
Othman, Aïsha: ORCID: https://orcid.org/0000-0001-7790-8605
Schlagwörter: Koloniale Kontexte; Sondersammlungen; Bildbestände; Sammlungen von Wissenschaftler*innen
Content Note: Der Beitrag beschäftigt sich mit Material, welches rassistische Abbildungen und Begriffe enthält. Die Auseinandersetzung mit diesen Quellen ist im wissenschaftlichen Kontext unumgänglich, die Reproduktion kolonialer Gewalt kann aber auf die jedoch auf Leser*innen verletzend wirken.
Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0.
1. Einführung
Der Begriff „koloniale Kontexte“ umfasst Strukturen und Prozesse seit Beginn der europäischen Expansion im 15. Jahrhundert die durch „ungleiche Machtverhältnisse und ein […] Selbstverständnis der kulturellen Höherwertigkeit der Herrschenden geprägt sind.“1 In dieser Definition des Deutschen Museumsbundes im Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten umfasst er dabei sowohl Erwerbsstrukturen für Kultur- und Sammlungsgut, wie auch den Bereich der Rezeption kolonialen Denkens in Objekten und Darstellungen sowie das Fortbestehen von kolonialen Strukturen und Denkmustern.
Lässt sich diese Definition auf Bibliotheken übertragen? Ähnlich wie Museen und Archive profitierten Bibliotheken von der Akkumulation des Kulturguts, das im Zuge der europäischen kolonialen Expansion nach Europa kam. Auf diesen Zusammenhang haben bereits Felwine Sarr und Bénédicte Savoy am Beispiel französischer Plünderungen in Korea und Westafrika hingewiesen.2 Die Geschichte des Raubs von Manuskripten lässt sich dabei durch zahlreiche Beispiele seit der Eroberung der Amerikas bis hin zu den Kolonialkriegen zum Beginn des 20. Jahrhunderts ergänzen. Dieses physische Raubgut ist nur eine – wenn auch besonders prominente – Kategorie für koloniale Kontexte in Bibliotheken. Die Aneignung des Sammlungsguts war kein passiver Vorgang, sie umfasste ebenso gezielte Plünderungen oder die Ausnutzung eines Machtgefälles beim Erwerb in den Kolonialgebieten, wie die zentrale Organisation des Raubs in den Kolonialmetropolen, etwa im Fall des sogenannten „Papyrus-Kartell“.3 Mitarbeiter*innen in Bibliotheken waren aktiv in koloniale Erwerbungsstrukturen eingebunden, z. B. wenn sie Manuskripte aus kolonialen Gewaltkontexten erwarben oder Nachlässe von Forscher*innen in den Bestand überführten. Dies wird in den verschiedenen Bibliothekstypen auf unterschiedliche Weise deutlich. Wissenschaftliche Bibliotheken können Manuskriptbestände enthalten, deren Provenienz einen kolonialen Kontext aufweist oder Deposita von Akteur*innen oder Institutionen der Kolonialgeschichte. Aber auch öffentliche Bibliotheken haben einen Bezug zu kolonialen Kontexten etwa über Kolonialliteratur – z. B. Autobiographien oder Reisebeschreibungen von Akteur*innen der Kolonialgeschichte oder in ihren Beständen oder Anthologien von Märchen, Lyrik oder Erzählungen, die in einem kolonialen Kontext angeeignet wurden. Eine besondere Herausforderung bilden schließlich Spezialbibliotheken, die bereits aufgrund ihres Sammelgebiets im Bereich der Missionsgeschichte oder Geografie eng mit der europäischen Kolonisation verbunden sind. Diese Akkumulation von Archiven, Manuskripten und Überlieferungen innerhalb des hier in den Fokus genommenen westlichen Bibliothekssystems begünstigte die Entstehung wissenschaftlicher Spezialsammlungen, die nach Ende der formalen Kolonialherrschaft eine Monopolisierung des Wissens fortschrieben.4
Dieser Beitrag bringt verschiedene Ansatzpunkte von kolonialen Kontexten in Bibliotheken zusammen und nähert sich so dem Thema an. Ausgehend von Akteur*innen, Texten, Überlieferungen, Institutionen und Bildmedien zeigt er, wie tiefgreifend Bibliotheken in koloniale Strukturen durch Akteur*innen, Bestände und institutionelle Bedingungen eingebunden waren und welche Herausforderungen sich dabei aus der Arbeit mit diesen Beständen ergeben.
2. Sammlungen durch Wissenschaftler*innen
Für den Erwerb entsprechender Texte waren Bibliotheken u. a. auf Personen angewiesen, die in den Kolonialgebieten Manuskripte in ihren Besitz brachten, mündliche Überlieferungen aufzeichneten oder Schriften kopierten.
Der Afrikanist und Theologe Ernst Dammann (1904–2003) gehörte als Schüler und Mitarbeiter von Carl Meinhof und Dietrich Westermann5 zur zweiten Generation von Afrikanisten in Deutschland. Für die Staatsbibliothek zu Berlin ist Dammann von besonderer Bedeutung, da er einerseits Bestandsbildner der Berliner Swahili-Handschriften-Sammlung war und darüber hinaus diese 1993 noch selbst ausführlich katalogisieren konnte. An seinem Beispiel kann exemplarisch und aus erster Hand die koloniale Sammelpraxis im britischen Mandatsgebiet Tanganyika nacherzählt werden.
Ernst Dammann wurde 1904 in Pinneberg geboren. Er studierte Theologie, orientalische und afrikanische Sprachen. In Hamburg belegte er die Sprachen Ewe, Vai und Herero bei Carl Meinhof. In Berlin hörte er bei Dietrich Westermann Vorlesungen. Seit 1930 war Dammann am Seminar für Afrikanische Sprachen in Hamburg beschäftigt. Von 1933–1937 ging er als Missionar, Pastor und Sprachforscher nach Tanganyika und an die Swahili-Küste in das Gebiet, welches bis 1918 Teil der Kolonie Deutsch-Ostafrika war und anschließend britisches Mandatsgebiet wurde. In dieser Zeit legte Ernst Dammann die Grundlage für seine Swahili-Handschriftensammlung. Nach der Beendigung seiner Tätigkeit als Missionar der Bethel-Mission (im Zuge von Konflikten um seine Aktivitäten als örtlicher Parteifunktionär der NSDAP) konnte sich Dammann mit Carl Meinhofs Hilfe von Juni 1936 bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland im Frühjahr 1937 ausschließlich mit Sprach- und Handschriftenforschungen an der Swahili-Küste befassen.6 Zunächst ging es darum, Meinhofs konkreten Auftrag auszuführen, der darin bestand, in Lamu unbekannte Versionen und Texte des klassischen Swahili-Epos „Chuo cha Herkal“7 zu beschaffen, die Meinhof für seine Edition benötigte. In Konkurrenz zur englischen Afrikanistik, die auch auf der Jagd nach Manuskripten war, konnte Dammann Kontakte zu ostafrikanischen Gelehrten nutzen, die ihm noch die 1935 verstorbene britische Afrikanistin Alice Werner vermittelt hatte. Schon bald stieß er zur großen Freude Meinhofs auf weitere Handschriften des „Chuo cha Herkal“ – diese Texte befinden sich heute überwiegend im Asien-Afrika-Institut, Abteilung für Afrikanistik und Äthiopistik der Universität Hamburg. Zwei ostafrikanische Gelehrte, mit denen Dammann arbeitete, werden von ihm mit Dankbarkeit erwähnt: Scheich Mbarak al -Hinawy und Muhamadi Kijuma Masihi (gest. ca. 1939). Letzterer war einer der besten Kenner der Swahili-Literatur und gleichzeitig Kopist, Übersetzer, Autor und für Dammanns Handschriften-Mission von entscheidender Bedeutung. Afrikanische Gelehrte wie Kijuma Masihi, die mit den Europäern arbeiteten, wurden oft als „Informanten“ bezeichnet. Doch dieser Begriff wird der Bedeutung der betreffenden Personen keineswegs gerecht. Man kann sogar sagen, dass es diese so genannten „Informanten“ waren, die die europäischen Prestigeprojekte erst ermöglichten. Kijuma Masihi verschaffte Dammann den Zugang zu Handschriften – als Vertrauensperson und Gewährsmann für seine Landsleute. Dammann schrieb in seinen Lebenserinnerungen: „Als ich auf Lamu weilte waren noch viele Swahili-Handschriften in privatem Besitz. Hier half Masihi aus eigener Initiative, mir Material zugänglich zu machen. Verständlicherweise waren die Besitzer nicht gewillt, ihre literarischen Schätze abzugeben.“8
Abb 1: Handschrift aus dem Bestand von Ernst Dammann, Staatsbibliothek zu Berlin, Hs. or. 9903a.
Kijuma Masihi kopierte die Handschriften oder regte sogar gelegentlich deren Neuproduktion zum Verkauf an die Europäer an. In der Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin sind einige von Kijuma Masihi kopierte Handschriften erkenntlich am Kürzel „M.K.“. Schließlich war Kijuma Masihi unverzichtbar für die Interpretation und Übersetzung der Texte – gerade bei der damals üblichen Schreibung des Swahili mit arabischen Buchstaben. Dammann schreibt dazu:
„Hinzu kommt, daß es keine verbindliche Orthographie gibt, ganz zu schweigen davon, daß die arabische Schrift nur die drei Vokale a, i und u kennt. […] In manchen Fällen kommt noch der besonders im Lamu-Dialekt wichtige Unterschied zwischen aspirierten und nichtaspirierten Lauten im Wortanlaut hinzu […]. Auch wenn einzelne Schreiber wie der bekannte Dichter und Kopist Muhamadi Kidjumwa Masihii in Lamu in seiner Spätzeit zusätzliche Bezeichnungen eingeführt haben, bleibt, wie ich auch aus eigener Erfahrung mit Schriftkundigen weiß, nicht selten eine Unsicherheit bestehen. Diese wird dadurch vergrößert, daß sich die zahlreichen Schreiber der Manuskripte mangels einer verbindlichen Orthographie nach eigenen Regeln richteten. Es bedarf daher in jedem Falle eines erfahrenen Informanten aus Ostafrika als Sachverständigen“.9
Für Dammann war Kijuma Masihi die höchste Autorität in Sachen Swahili-Dichtung. In seinen Erinnerungen berichtet er, wie er sich von ihm die arabischen Swahilitexte vorlesen und erläutern ließ, und diese gleichzeitig mitschrieb. Am Abend diktierte er dann das Ergebnis seiner Frau Ruth. Dank dieser gemeinsamen Arbeit war es Dammann auch möglich, zahlreiche Fehler (bzw. Missverständnisse) der bisherigen Herkal-Edition, resultierend aus der fehlenden Vokalisierung des Textes, zu korrigieren.
In seinen Lebenserinnerungen „70 Jahre gelebte Afrikanistik“ schreibt Ernst Dammann „Was ich an handschriftlichen Aufzeichnungen von Afrikanern in Ostafrika in Swahili oder anderen Sprachen Tansanias besaß, befindet sich seit 1992 in der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin“.10 Tatsächlich stammt der größte Teil der 125 Swahili Handschriften aus der Sammlung Dammann. Die vielfältigen Schriftdenkmale stammen aus dem 19./20. Jahrhundert und bestehen aus Kopien (Abschriften und Pausen) sowie, originalen Manuskripten und Briefen zu religiösen, literarischen, historischen und Alltagsthemen (vgl. z.B. Abb. 1). Wie dieser kurze Exkurs jedoch zeigen will, ist es nicht allein der Namensgeber Ernst Dammann, dem die SBB diesen Bestand zu verdanken hat, sondern ebenso seine Frau und Mitarbeiterin Ruth Dammann und eben jener ostafrikanische Dichter und Gelehrte Muhamadi Kijuma Masihi.
3. Philologie und Provenienz
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden nicht nur Artefakte, Manuskripte und Bücher, sondern auch unzählige Texte aus den Kolonien nach Europa gebracht. Dort wurden sie dann als Märchen, Mythen, Lieder, Legenden oder Weisheiten klassifiziert. Über ethnographische und missionarische Publikationen gelangten sie einerseits ins Umfeld der Avantgarde, wo sie als Quellenmaterial für moderne Poetiken und Literaturtheorien genutzt wurden.11 Andererseits entstand ein Markt für populäre Anthologien und Geschenkbücher, die aus den diversen Texten eine günstige Einnahmequelle für die Verlage machten. Vielfach zirkulieren diese – nach westlichem Recht: gemeinfreien – Texte noch heute, wobei ihre genaue Herkunft und die Umstände ihrer Aufzeichnung zusehends verschleiert oder vergessen wurden.12 In diesem Sinn bezeichnete der kenianische Autor Ngũgĩ Wa Thiong‘o die afrikanischen Oraturen als „stolen legacy“.13
Abb. 2: Die Ausstellung „Literatur als koloniale Beute? Provenienzgeschichten 1910–2021“ war vom 26. April bis zum 21. Juli 2023 in der Freien Universität Berlin zu sehen. (Foto: Oliver Nickel)
Hinzu kommt, dass die gängige Trennung von materiellem Raub und immaterieller Aneignung nicht in allen Rechtsverständnissen sinnvoll ist. Sie basiert auf Klassifikationssystemen, die zum Beispiel Sprüche von den Objekten trennen, auf die sie sich beziehen und mit denen sie zusammengehören. Wohin zum Beispiel mit Liedern, deren korrekter Vortrag dem Nachweis von Landrechten dient oder deren Weitergabe als Übertrag eines exklusiven Eigentums verstanden wird?14 Nimmt man diesen prekären epistemischen Status der Texte ernst, lassen sie sich nicht einfach unter „Rezeptionsobjekte“ subsumieren, denen der Leitfaden des Deutschen Museumsbunds15 eine geringe Priorität im Vergleich mit Sammlungsgut aus formalen Kolonialherrschaften zuschreibt. Vielmehr liegen sie quer zu diesen Kategorien.
Herauszufinden, worum es sich bei den vermeintlichen ‚Märchen‘ (Liedern oder Sprüchen) eigentlich handelt, gehört zu den Aufgaben einer „philologischen Provenienzforschung“.16 Ihr Ziel ist es, die Übertragungsketten der Texte von ihrer jüngsten Erscheinung möglichst bis zum Moment ihrer Aufzeichnung nachzuvollziehen, die jeweiligen Veränderungen, Sinn- und Wertzuschreibungen zu untersuchen und die einseitige europäische Deutungsschleife durch Forschungskollaboration zu unterbrechen, wie sie für museale Sammlungen bereits vielfach praktiziert werden.17
Abb. 3: Carl Meinhofs Afrikanische Märchen (1917) war den „tapfern deutschen Männern und Frauen in Afrika gewidmet“ und verschwieg die Erzähler*innen der vermeintlichen Märchen. (Foto: Alberto Ricci)
Dabei gilt es auch, potenziell gewaltvolle Aufzeichnungskontexte sichtbar zu machen: So wurden beispielsweise einige Texte aus Carl Meinhofs Afrikanische Märchen (vgl. Abb. 3) in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika zur Zeit des Genozids an OvaHerero und Nama (1904–1908) notiert. Das lässt sich schon bei Meinhof, der den ersten Lehrstuhl für Afrikanistik in Deutschland inne hatte, nicht auf den ersten Blick feststellen und wird in späteren Reprints völlig verschwiegen.18 Auch die Namen von Erzähler*innen, die sich manchmal noch in der Ersttranskription finden, werden Schritt für Schritt ausradiert, bis sie schließlich ganz verschwinden – entweder hinter einem übergestülpten Begriff einer notwendig anonymen, da vorgeblich von allen getragenen Volkskultur oder hinter der behaupteten Autorschaft eines Avantgarde-Künstlers wie Tristan Tzara. In manchen Fällen lässt sich eine Quelle aber auch gegen den Strich lesen und so die Handlungsspielräume kolonisierter Menschen rekonstruieren, die sich der Machtasymmetrie widersetzt haben.19
Bibliotheken können diese umfangreichen Arbeiten einer „philologischen Provenienzforschung“ nicht selbst bewältigen. Sie sind auf Kooperationen mit Literaturwissenschaftler*innen, Ethnolog*innen und Expert*innen aus den Herkunftsgesellschaften angewiesen. Sie können aber digitale Infrastrukturen schaffen, die den Zugang zu den Texten und die textvergleichende Methode erleichtern. Genaue Texterkennung und eine zuverlässige Volltext-Suche beschleunigen die Arbeit ungemein und unterstützen die möglichst vollständige Rekonstruktion von Provenienzketten. Allerdings müssen sich die positiv konnotierten Ideen von Zugänglichkeit und (möglichst weiter) Zirkulation auch eine kritische Überprüfung gefallen lassen. Erstens gilt es zu bedenken, dass die Digitalisierung der Texte auf einer Website mit europäischer Domain und in europäischen Sprachen zunächst ihre Gravitation in Richtung Westen fortsetzt. Zweitens ist – wenn vielleicht auch nicht in vielen Fällen – mit Texten zu rechnen, deren Zirkulation an bestimmte Regeln geknüpft ist, die durch die bisherige Verbreitung in westlichen Drucksachen bereits verletzt wurden. Die kollaborative Forschung20 kann durch eine digitale Infrastruktur erleichtert werden, muss diese aber umgekehrt immer wieder korrigieren: indem unzulässige Zirkulationsketten abgebrochen und neue Ansätze der Zugänglichkeit ausprobiert werden.
4. Spezialbibibliotheken: Das Beispiel Mission
Vor einer besonderen Herausforderung im Umgang mit kolonialen Kontexten stehen Bibliotheken, die aufgrund ihrer institutionellen Geschichte oder ihren Beständen eng mit dem Kolonialismus verbunden waren. Dies können etwa Bibliotheken in Museen, in Instituten für regionalwissenschaftliche Forschung oder in Missionsgesellschaften sein.
Die meisten katholischen Orden und evangelischen Missionsgesellschaften unterhalten auch heute noch Bibliotheken, die sich thematisch mit den jeweiligen Missionsgebieten befassen. Diese waren früher oft nicht oder nur beschränkt für die Öffentlichkeit zugänglich, sondern dienten vielfach primär der Ausbildung künftiger Missionar*innen. Sie enthalten daher in der Regel keine Bücher, die die Missionar*innen aus den Missionsgebieten nach Europa mitbrachten, sondern vielmehr (1) Druckerzeugnisse, die in Europa für den Gebrauch in der Mission produziert wurden, vor allem Bibelübersetzungen, Katechismen, Schul- und Liederbücher in indigenen Sprachen; (2) Missionszeitschriften zur Verbreitung der Missionsidee in Europa21 und (3) Werbeschriften für die Mission.
In den letzten Jahren sind Missionszeitschriften, als Quellengattung in den Forschungsfokus gerückt.22 Sie bilden einen besonders umfangreichen Bestand in Missionsbibliotheken. Missionszeitschriften wurden für ihre Abonnenten, Wohltäter und sonst mit der Mission verbundene Menschen produziert und verbreitet. Sie sprechen ganz gezielt die missionsaffine Öffentlichkeit an und dienen dazu über die Missionstätigkeit zu berichten. Die Texte und die zahlreichen Illustrationen spiegeln ausschließlich die Sicht der Missionierenden auf die Missionierten wider. Dabei werden das für Europäer schon klimatisch schwierige Leben im ‚Dschungel‘, die ‚Sittenlosigkeit‘ wie Polygamie und Nacktheit, aber auch die Bereitwilligkeit der lokalen Eliten zur Bekehrung hervorgehoben. Missionserfolg wird mitunter in der Anzahl der Taufen gemessen.23 Die Missionierten selbst kommen meist nicht zu Wort.24 Auf Bildern sollen sie hingegen Emotionen hervorrufen: das Bild vom armen ‚N****kind‘ diente nicht zuletzt der Generierung von Spenden für Missionszwecke – oder in seiner Extremform zum sogenannten ‚Freikauf eines Heidenkindes‘.
Abb. 4: Titelblatt der Zeitschrift „Die Weltmission der katholischen Kirche“.
Missionar*innen bewegten sich in einem kolonialen Umfeld, das sie mitprägten und das ihre Handlungen und Denkweisen prägte. Dabei gibt es aber in ihren Texten Spezifika, denn ihre Haltung zu den kolonialen Herrschaftseliten war durchaus ambivalent, von den jeweiligen individuellen Kontexten abhängig und daher auch einer gewissen Wechselhaftigkeit unterworfen. Nicht zuletzt zeichnet sich gerade in der Mission vielfach ein europäisches Überlegenheitsdenken ab: der indigene Mensch, sittlich verkommen, müsse durch das Christentum erst kulturell gehoben werden, um zu einem vollwertigen Menschen zu werden.
Diese insgesamt von einer großen Bandbreite geprägten Sichtweisen und Denkmuster fanden durch die zahlreichen Publikationen Eingang in Missionsbibliotheken. Außerhalb von Orden und evangelischen Missionsgesellschaften waren und sind Missionsbibliotheken selten und auf Hilfswerke beschränkt. Eine zentrale Sammelstelle für Missionsliteratur bestand daher meist nicht. Das 1832 gegründete katholische Hilfswerk missio in Aachen (früher „Päpstliches Werk der Glaubensverbreitung“) unterhält seit 1917 eine Missionsbibliothek. Sie war in den Anfangsjahren primär zur Information für den Pfarrklerus konzipiert worden mit dem Ziel, dass sich die Pfarrer informieren und begeistern, dann in ihren Gemeinden für die Missionsidee werben und dadurch Spenden sammeln konnten.25
Charakteristisch für Missionsbibliotheken ist, dass aufgrund des langen Sammlungszeitraums und dem Sammlungsauftrag beinahe alle Schriften zur Mission vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Rückzug der Kolonialmächte (v. a. aus Afrika) in kolonialen Kontexten entstanden sind. Sie sind in Wortwahl, Duktus und vor allem im Menschenbild der Kolonialzeit geschrieben und illustriert (vgl. als Beispiel Abb. 4). Für diese Einrichtungen stellt sich daher die Frage nach dem Umgang mit von kolonialen Denkmustern geprägter, teils offen rassistischer Literatur, die weder dem heutigen Menschenbild noch der gegenwärtigen Missionstheologie entspricht. Wie sollen also Missionsbibliotheken mit vergangenen, überholten und von einer kolonialen Perspektive geprägten Missionsverständnissen umgehen? Werden linguistische, geographische und ethnologische Wissensvermittlung über Afrika und Asien, missionarische Leistungen und Bildung entwertet durch ihre Entstehung in kolonialen Kontexten? Wie können Bibliotheken mit der Herausforderung umgehen, ihre kolonialzeitlichen und unkritisch-missionarischen Bestände zu erschließen und dennoch kultursensibel arbeiten?
5. Bildbestände
Der Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) an der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg in Frankfurt am Main (UB JCS) beherbergt eine der wichtigsten Sammlungen an Fotografien und Publikationen deutscher Kolonialinstitutionen. Bei dem Gesamtbestand von insgesamt ca. 55.000 Bildträgern handelt es sich mehrheitlich um Glasplatten, aber auch um Abzüge von Fotografien und Kleinbildfilme der Deutschen Kolonialgesellschaft, der Kolonialen Reichsarbeitsgemeinschaft und des Reichskolonialbundes. Der Bildbestand der DKG deckt somit den gesamten Zeitraum der organisierten Kolonialbewegung des Deutschen Reiches sowie die kolonialrevisionistischen Bestrebungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus ab (1887–1943).
Die DFG förderte in den 1990er Jahren die Verfilmung des Bildbestands der DKG mit dem Ziel der Konservierung der Inhalte der fragilen Datenträger. Die Sammlung wurde in einem zweiten Schritt vollständig digitalisiert und steht seit 2004 online zur Verfügung.26 Die Erschließung der Materialien konnte sich zu diesem Zeitpunkt nur auf eine formale und inhaltlich-beschreibende Kategorisierung der Bilder und Bildinhalte beschränken. Die Erfassung der Metadaten wie etwa der Informationen zu Fotografen, Entstehungsort und Jahr erfolgte wegen der großen Zahl von ca. 55.000 Bildern und dem begrenzt zur Verfügung stehenden bibliothekarischen Personal ohne eine wissenschaftliche Recherche zu den Bildinhalten und zu weiteren Kontextinformationen. Auch die Präsentation der Bilder und die Suchfunktionen innerhalb der Bilddatenbank entsprechen nicht mehr den gewohnten Funktionalitäten vergleichbarer aktueller Angebote.
Im Folgenden soll auf einige der problematischen Bildinhalte beispielhaft näher eingegangen werden, dafür ist es notwendig die Bilder selbst abzubilden.
Das Bildarchiv der DKG begann als zusammengewürfelte Sammlung aus Spenden von Mitgliedern, doch die DKG erkannte bald, dass sie diese Bilder nutzen konnte, um die Idee des Kolonialismus zu bewerben. Hierfür gab es vorformulierte Vortragstexte zu ausgewählten Bildern. Diese Lichtbildvorträge entstanden zu einzelnen Regionen und Themen (z.B. zur Landwirtschaft). Mitglieder der DKG konnten die notwendigen Projektoren, Glasdias und Vortragsmanuskripte ausleihen.
Die Fotografen waren weiß, mehrheitlich männlich und privilegiert, anders hätten sie sich kaum die Ausstattung und deren Transport leisten können oder ausreichend Zeit für die damals noch aufwändige Anwendung der Technologie gehabt. Viele waren Kolonialoffiziere, die ihre Reisen und Zeit in den Kolonien „dokumentierten“. Die Kolonisatoren fotografierten also die Kolonisierten. Hieraus spricht deutlich der Koloniale Blick: Die Art und Weise, in der die koloniale Agenda versuchte, die Macht zu erhalten und zu legitimieren, indem sie koloniale Realitäten bestimmte, einschließlich der Entmenschlichung kolonialer Untertanen und der ständigen Trennung von „Uns“ (Kolonisten, zivilisiert) und „Anderen“ (kolonisiert, wild).
Dieses Othering mündete manchmal sogar in die Leugnung der Existenz dieses „Anderen“: es gibt nur empty landscape „leere Landschaften“ (oder die Menschen werden als Teil der Landschaft betrachtet; vgl. Abb. 5).
Abb. 5: Usambara Berge, Tanzania. Hecker, 1935. Bildbestand der DKG Bildnr. 052-1525-33, UB JCS https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/urn/urn:nbn:de:hebis:30:2-593161, Stand: 26.07.2024.
Diese Art Bild wirkt harmlos, ist aber besonders perfide, weil es den Herrschaftsanspruch über diese weiten Landschaften deutlich macht. Infrastruktur und besonders Eisenbahnen werden häufig als “Entwicklung” propagiert, dabei dienten sie dem Zweck, die ausgebeuteten Ressourcen einfacher und schneller in den Globalen Norden zu transportieren. Und sie wurden mittels Zwangsarbeit errichtet (vgl. Abb. 6).
Abb. 6: „Eisenbahnverkehr / Bgb 13 / Otavi - Bahnbau bei Okaputa, - Vortreckkolonne von Herero-Arbeitern. / Fot. R.K.B. / S.W.A.“ Fotograf unbekannt, 1904/1907; Bildbestand der DKG, UB JCS Bildnr. 013-2082a-04; https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/urn/urn:nbn:de:hebis:30:2-741374, Stand: 26.07.2024.
Krieg und Genozid sind weitere zentrale Motive, die zwei Seiten aufweisen.
Eine „Saubere“ wie bei der Einweihung des Reiterdenkmals 1912 in Windhuk: Die Inschrift gedenkt der gefallenen deutschen Soldaten, die den Genozid an den Herero und Nama verübten (1904 bis 1908). Das Denkmal wurde erst 2013 entfernt.
Und das Brutale (in diesem Beitrag nicht gezeigt): Bilder von internierten Hereros, auch Kindern, während des Genozids. Bilder, die direkt vor Hinrichtungen aufgenommen wurden und die die wegen der Vorbereitung von Widerstand gegen die deutschen Kolonisatoren Verurteilten schon mit dem Strick um den Hals zeigen. Der Voyeurismus wird noch gesteigert durch Aufnahmen von nackten hingerichteten Personen.
Der Kolonialismus stützte sich nicht nur auf militärische und wirtschaftliche Macht, sondern auch auf Formen der kulturellen Repräsentation. Die Macht, kolonisierte Bevölkerungen als definierbare Objekte der visuellen Beobachtung zu repräsentieren, spielte in diesem Kontext eine herausragende Rolle, denn die koloniale Inbesitznahme durch Europa geschah zeitgleich mit der Entwicklung neuer Fotografietechnologien. An Bilder anknüpfende Narrative von Rückständigkeit und Primitivität waren grundlegende Elemente der Rechtfertigung der Kolonialherrschaft. Der Koloniale Blick ist dennoch nicht die einzige mögliche Lesart kolonialer Bilder.27 Diese Bilder erlauben oft multiple Interpretationsmöglichkeiten und sind zudem wichtige Zeitdokumente für die Herkunftsgesellschaften.28 Daher ist eine größtmögliche Offenheit bei gleichzeitig sensiblem Umgang mit Bildern aus kolonialen Kontexten erforderlich.
Historische Fotografien sind ebenso wie andere Dokumente eine Interpretation einer historischen Realität. Im Fall der kolonialen Fotografien spiegeln diese die hegemonialen Strukturen und rassistischen Stereotype wider. Die heutige Darstellung im Rahmen der Digitalisierung seitens der Bibliothek muss deshalb sowohl eine bloße Reproduktion des Kolonialen Blicks vermeiden, aber gleichzeitig den Blick auf koloniale Gewalt ermöglichen. Hier zeigt sich der scheinbare Gegensatz von größtmöglicher Transparenz auf der einen Seite und der notwendigen Sensibilität im Umgang mit Daten und Objekten, die koloniale Gewalt darstellen, auf der anderen Seite.
„I am wondering if there is a way to develop an ethics of care for digitization that is able to signal to different kinds of users or audiences where and how sensitivity is required, not as an optional stance but as a prerequisite for the digital encounter.“29
Die Bilder gehören häufig zu den wenigen Bildquellen zu bestimmten Regionen in der Zeit um 1900 und sind damit wertvolle Zeitdokumente für die Herkunftsgesellschaften im Globalen Süden. Dennoch sind Digitalisierungsbemühungen gerade mit Bezug auf Afrika unter dem Schlagwort des „Digital Imperialism“ stark in die Kritik geraten.30 Als Beispiel seien in diesem Zusammenhang die Überlegungen der Global Indigenous Data Alliance (GIDA) genannt, die „CARE Principles for Indigenous Data Governance“ (Collective benefit, Authority to control, Responsibility, Ethics)31, in denen es heißt:
„Die aktuelle Entwicklung hin zu offenen Daten und offener Wissenschaft berücksichtigt die Rechte und Interessen von indigenen Völkern nicht ausreichend. Die vorhandenen Prinzipien der Bewegung für offene Daten (z.B. die FAIR-Prinzipien: findable, accessible, interoperable, reusable) konzentrieren sich in erster Linie auf Merkmale von Daten, die einen verstärkten Datenaustausch zwischen Entitäten erleichtern; Machtunterschiede und historische Kontexte bleiben unbeachtet.“32
Entsprechende Fragen der Ethik und der Politik (Digitalisierung als Empowerment für die betroffenen Gemeinschaften oder Machtausübung des globalen Nordens) wurden bei der Digitalisierung der Bilder aus dem Bildbestand der DKG von Mitte der 1990er bis in die frühen 2000er vollständig ausgeblendet und nicht kritisch reflektiert. Eine rassismuskritische Aufarbeitung des Bestands wird ab 2024 im neuen Projekt „Visual Analytics für den Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft (VABiKo)“ begonnen.33
6. Zusammenfassung
Bibliotheken müssen sich in vielfältiger Hinsicht mit kolonialen Kontexten auseinandersetzen. Dieser Beitrag konnte nur einige Aspekte anreißen. Auf den ersten Blick scheint die Definition kolonialer Kontexte in Bezug auf Bibliotheken sehr abstrakt, doch zeigen die einzelnen Beispiele, dass Bibliotheken in verschiedenen Bereichen von dieser Thematik betroffen sind.
So kann ausgehend von Ernst Dammann als einem wesentlichen Bestandsbildner für die Swahili-Handschriften der Staatsbibliothek zu Berlin diskutiert werden, wie die Rolle von Intermediaries wie Muhamadi Kijuma Masihi bei der Erwerbung und wissenschaftlichen Aneignung von Manuskripten zu bewerten ist. Wie nutzte Dammann seine Kontakte bei der Aneignung von Handschriften im britischen Mandatsgebiet Tanganyika?
Auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist der umfangreiche Bestand von Texten, Erzählungen und Märchen, die aus den Kolonien nach Europa gelangten und Gegenstand einer europäischen Aneignung und Textproduktion wurden, die ihren Ursprung und ihre Autor*innenschaft systematisch verschleierte. Bei dieser „philologischen Provenienzforschung“34 kommt eine klassische Definition kolonialer Kontexte an ihre Grenzen und es zeigt sich, dass die Bereitstellung von Volltexten für die Provenienzforschung eine zwingende Voraussetzung sein kann.
Eine besondere Herausforderung bietet sich Spezialbibliotheken, die sich aufgrund ihres Sammlungsauftrags und -bestandes grundsätzlich mit der Thematik auseinandersetzen müssen. Das Beispiel der Missionsbibliotheken verdeutlicht, wie herausfordernd der kritische Umgang mit einem Bibliotheksbestand vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Missions- und Menschenbildes sein kann. Hier stellt sich die Frage, welche neuen Formen des Umgangs mit diesen Beständen gefunden werden können.
Dies gilt schließlich ebenso besonders für die umfangreiche Bildbestände in Bibliotheken, wie das Beispiel der Fotosammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft zeigt. Wie können diese Bestände im Spannungsfeld zwischen größtmöglichem Zugang und gleichzeitigem sensiblen Umgang mit dem problematischen Material bereitgestellt werden? Eine rassismuskritische Auseinandersetzung mit diesen Beständen steht dabei vor besonderen Herausforderungen.
Für alle skizzierten Bereiche gilt dabei, dass für die Aufarbeitung von kolonialen Kontexten in Bibliotheken eine Einbindung von Vertreter*innen, Institutionen und vor allem Wissen aus den Herkunftsgesellschaften notwendig ist. Diskussionen zum Umgang mit sensiblen Bildinhalten, rassistischer Literatur und Erwerbskontexten können auch in Bibliotheken nicht ohne eine kollaborative Arbeit mit Nachfahr*innen von früheren Eigentümer*innen und/oder Expert*innen wie z.B. oral historians, Bibliotheksmitarbeiter*innen in den Herkunftsländern des Wissens erfolgen, die gemeinsame Forschungsagenden erarbeitet und durch ihre Vielstimmigkeit dazu beiträgt, koloniale Strukturen in Bibliothekbeständen aufzubrechen.
Literaturverzeichnis
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- Ankit, Rakesh: ‘In trust for the three nations’? The India Office Library & Records dispute, 1947–72, in: Contemporary British History 37 (2), 2023, S. 165–191, https://doi.org/10.1080/13619462.2022.2110471.
- Albers, Irene; Schmid, Andreas: Literatur als koloniale Beute? Für eine philologische Provenienzforschung, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 97 (4), 2023, S. 1003–1018, https://doi.org/10.1007/s41245-023-00222-9.
- Azamede, Kokou: How to use Colonial Photography in Sub-Saharan Africa for Educational and Academic Purposes: The Case of Togo, in: Helff, Sissy; Michels, Stefanie (Hg.): Global Photographies. Memory, History, Archives, Bielefeld 2018, S. 57–68, https://doi.org/10.1515/9783839430064-005.
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1 Deutscher Museumsbund: Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Berlin 20213, S. 27, https://www.museumsbund.de/publikationen/leitfaden-zum-umgang-mit-sammlungsgut-aus-kolonialen-kontexten/, Stand: 25.04.2024.
2 Sarr, Felwine; Savoy, Bénédicte: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter, Berlin 2019, S. 25f.
3 Zimmerer, Jürgen; Wigand, Jakob: Kolonisierte Manuskripte. Zur Erforschung der Papyrus Sammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, in: Provenienz und Forschung 2021 (1), S. 49–52.
4 Ankit, Rakesh: ‘In trust for the three nations’? The India Office Library & Records dispute, 1947–72, in: Contemporary British History 37 (2), 2023, S. 165–191, https://doi.org/10.1080/13619462.2022.2110471.
5 Carl Meinhof, Wikipedia, 30.09.2023, https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Meinhof, Stand: 26.07.2024; Diedrich Westermann, Wikipedia, 18.11.2023, https://de.wikipedia.org/wiki/Diedrich_Westermann, Stand: 26.07.2024.
6 Balbiani, Florian: Mission, Kolonialismus, Nationalsozialismus. Ernst Dammann und die Hamburger Afrikanistik, 1930–1937, München 2023 (Hamburger postkoloniale Studien 8).
7 Eine epische Dichtung von etwa 1000 vierzeiligen Strophen in der Lamu-Mundart des Swahili, deren Thema der Kampf der Muslime gegen den oströmischen Kaiser Heraklius im 7. Jahrhundert ist.
8 Dammann, Ernst: 70 Jahre erlebte Afrikanistik: Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte, Berlin 1999 (Marburger Studien zur Afrika- und Asienkunde. Serie A, Afrika), S. 64.
9 Dammann, Ernst: Afrikanische Handschriften, Teil 1 Handschriften in Swahili und anderen Sprachen Afrikas, Stuttgart 1993 (Verzeichnis der Orientalischen Handschriften Deutschland Bd. XXIV,1), S. 13.
10 Ebd. S. 70.
11 Das war Thema der Ausstellung „Literatur als koloniale Beute? Provenienzgeschichten 1911–2021“ (vgl. Abb. 2) in der Philologischen Bibliothek der FU Berlin. S. a.: Fery, Anton et al.: Literatur als koloniale Beute? Provenienzgeschichten 1910–2021 (Ausstellung in Berlin, 26.4.–21.7.2023), in: Zeitschrift für Germanistik, N. F. 34 (1), 2024, S. 183–188, https://doi.org/10.3726/92165_183.
12 So schon Jedamski, Doris: Kolonialismus, in: Brednich, Rolf Wilhelm (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Bd. 8, Berlin 1996, Sp. 68–76, Sp. 68.
13 Ngũgĩ wa Thiong’o: Penpoints, Gunpoints and Dreams. Towards a Critical Theory of the Arts and the State of Africa, Oxford 1998, S. 127.
14 Lowie, Robert: Incorporeal Property in Primitive Society, in: Yale Law Journal 37 (5), 1928, S. 551–563.
15 Deutscher Museumsbund: Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, 2021, S. 3.
16 Albers, Irene; Schmid, Andreas: Literatur als koloniale Beute? Für eine philologische Provenienzforschung, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 97 (4), 2023, S. 1003–1018, https://doi.org/10.1007/s41245-023-00222-9.
17 Scholz, Andrea: ‚Wissen teilen‘ als postkoloniale Museumspraxis. Ein Kooperationsprojekt zwischen der Universidad Nacional Experimental Indígena del Tauca (Venezuela) und dem Ethnologischen Museum Berlin, in: Sociologus 67 (1) 2017, S. 59–82, https://doi.org/10.3790/soc.67.1.59; Hilden, Irene; Mahazi, Jasmin; Kalibani, Mèhèza: Accessing Colonial Sound Archives. For a Plurality of Interpretations, Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage 2021, https://www.carmah.berlin/reflections/accessing-colonial-sound-archives-for/, Stand: 05.04.2024.
18 Meinhof, Carl: Afrikanische Märchen, Jena 1917. Reprints gab es 1991 im Diederichs-Verlag und 2018 bei Anaconda, auf dem Markt der Anthologien zirkulieren einzelne Texte allerdings noch viel weiter.
19 Schüttpelz, Erhard: Die Moderne im Spiegel des Primitiven. Weltliteratur und Ethnologie 1870–1960, Paderborn 2005, S. 33–61; Diagne, Souleymane Bachir: Cultural Mediation, Colonialism & Politics. Colonial ‚Truchement‘, Postcolonial Translator, in: Adebanwi, Wale (Hg.): The Political Economy of Everyday Life in Africa. Beyond the Margins, Rochester, NY 2017, S. 308–317.
20 Siehe das Beispiel in Albers; Schmid, Literatur als koloniale Beute?, 2023, S. 1017.
21 Acke, Hanna: Missionary periodicals as a genre. Models of writing, horizon of expectation, in: Jensz, Felicity; Acke, Hanna (Hg.): Missions and media. The politics of missionary periodicals in the long nineteenth century, Stuttgart 2013 (Missionsgeschichtliches Archiv 20), S. 225–243.
22 Spohn, Elmar: Missionspublikationen in der NS-Zeit. Eine Quellenstudie zu vier ausgewählten Missionszeitschriften der Glaubens- und Gemeinschaftsmissionen, in: Evangelische Missiologie 39, 2023, S. 136–145; Nebgen, Christoph: Jim Knopf und die armen Heidenkinder, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 105, 2021, S. 123–129.
23 Wu, Albert: Narratives of conversion in nineteenth-century German missionary periodicals: converting individuals, saving the state, in: Jensz, Felicity; Acke, Hanna (Hg.): Missions and media. The politics of missionary periodicals in the long nineteenth century, Stuttgart 2013 (Missionsgeschichtliches Archiv 20), S. 79–96.
24 Koschorke, Klaus; Burlacioiu, Ciprian; Frieder, Ludwig u. a. (Hg.): „To give publicity to our thoughts“. Journale asiatischer und afrikanischer Christen um 1900 und die Entstehung einer transregionalen indigen-christlichen Öffentlichkeit, Wiesbaden 2018 (Studien zur außereuropäischen Christentumsgeschichte 31).
25 Schückler, Georg: Die Missionsbibliothek des Päpstlichen Werkes der Glaubensverbreitung (Zentrale Aachen), in: Euntes docete 21, 1968, S. 361–365; Suermann, Harald: MWI library in the service of the world church, in: Ramesha, B.; Sornam, S. Ally; Neelankavil, John (Hg.): Library space and content management for a networked society. International conference proceedings, Bangalore 2014, S. 3–8.
26 Vgl.: Goethe Universität, Frankfurt am Main: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek, 2024, https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/kolonialesbildarchiv/nav/index/all, Stand: 16.07.2024.
27 Edwards, Elizabeth; Lien, Sigrid (Hg.): Uncertain Images. Museums and the Work of Photographs, Oxford 2014.
28 Azamede, Kokou: How to use Colonial Photography in Sub-Saharan Africa for Educational and Academic Purposes: The Case of Togo, in: Helff, Sissy; Michels, Stefanie (Hg.): Global Photographies. Memory, History, Archives, Bielefeld 2018, S. 57–68, https://doi.org/10.1515/9783839430064-005; Tsinhnahjinnie, Hulleah J.: When Is a Photograph Worth a Thousand Words?, in: Pinney, Christopher; Petersen, Nicolas; Thomas, Nicholas (Hg.): Photography’s Other Histories, Durham 2003, S. 40–52, https://doi.org/10.1515/9780822384717-005.
29 Odumosu, Temi: The Crying Child. On Colonial Archives, Digitization, and Ethics of Care in the Cultural Commons, in: Current Anthropology 61 (S22), 2020, S. S141–S339, https://doi.org/10.1086/710062.
30 Breckenridge, Keith: The Politics of the Parallel Archive. Digital Imperialism and the Future of Record-Keeping in the Age of Digital Reproduction, in: Journal of Southern African Studies, 40 (3), 2014, S. 499–519, https://doi.org/10.1080/03057070.2014.913427.
31 Vgl.: CARE Principles for Indigenous Data Governance. https://www.gida-global.org/care, Stand: 27.05.2024.
32 Vgl.: Die CARE-Prinzipien für indigene Data Governance. https://www.gida-global.org/s/Die-CARE-Prinzipien-fur-indigene-Data-Governance.pdf, Stand 12.07.2024.
33 Vgl.: Ewerth, Ralph; Risse, Thomas: Visual Analytics für den Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft (VABiKo), DFG, 2024, https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/531013489.
34 Albers; Schmid: Literatur als koloniale Beute?, 2023.