Moving Libraries – Transformationen und Potentiale

2. DACHS-Tagung am 14. und 15. Februar 2024 in St. Gallen

Unter dem Titel „Moving Libraries – Transformationen und Potentiale“ organisierten die Verbände Bibliosuisse, Bibliotheksverband Südtirol (BVS), VDB – Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare und die Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB) am 14.02. und 15.02.2024 die 2. DACHS-Tagung an der Universität St. Gallen (HSG). Gastgeberin vor Ort war die Universitätsbibliothek St. Gallen.

Das Thema der Tagung war der beschleunigte Wandel in Bibliotheken sowie Informationsinfrastruktureinrichtungen und die sich daraus ergebenden Herausforderungen.

Die Tagung richtete sich an Informationsspezialist*innen und Bibliothekar*innen, die mit der Organisationsentwicklung in Leitungsverantwortung, auf Abteilungs- oder Teamleitungsebene befasst sind. Sie wandte sich darüber hinaus an alle, die sich mit Fragen der Weiterentwicklung von Bibliotheken und Informationsinfrastruktureinrichtungen insbesondere mit Blick auf die Transformation der Services, hybride Lernorte, forschungsnahe Dienstleistungen und die Veränderungen in der Zusammenarbeit mit Kooperationsparnern auseinandersetzen. Darüber hinaus diente die Konferenz dazu, die Zusammenarbeit zwischen Informationsspezialist*innen und Bibliothekar*innen in den deutschsprachigen Ländern sowie die grenzüberschreitende Mobilität zu fördern und zu festigen.

Die Tagung in St. Gallen knüpfte an zurückliegende gemeinsame Tagungen der genannten Verbände aus dem DACHS-Raum an, u. a. an die 1. DACHS-Tagung, die am 13.02. und 14.02.2019 unter dem Titel „Bibliothek – Qualifikation – Perspektiven“ an der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität in München stattfand.

In der Begrüßung durch die organisierenden Verbände blickte Heike Ehrlicher (Bibliosuisse) auf die 1. DACHS-Tagung in München zurück, erläuterte das Thema der diesjährigen Tagung und dankte dem anwesenden Verwaltungsdirektor der Hochschule St. Gallen (HSG) Bruno Hensler sowie Edeltraud Haas als Direktorin der HSG-Universitätsbibliothek für die Gastfreundschaft sowie die intensive Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der diesjährigen DACHS-Tagung. Anke Berghaus-Sprengel (VDB) bekräftigte diesen Dank und schloss dabei auch die Mitglieder der vorbereitenden Programmkommission, die Referent*innen sowie die Bibliosuisse-Geschäftsstelle ein. Eva Ramminger (VÖB) verband ihre Dankesworte mit dem Hinweis auf den Anlass für diese Tagung: den hohen Veränderungsdruck, dem sich Bibliotheken derzeit gegenübersehen. Gerlinde Schmiedhofer (BVS) betonte in ihren Dankesworten auch die gute Zusammenarbeit der organisierenden Verbände.

In seiner Begrüßung unterstrich Bruno Hensler die Bedeutung von Präsenzveranstaltungen sowohl im Studium als auch bei Fachtagungen. Deshalb sei er sehr erfreut über die hohe Anzahl an Teilnehmenden an der DACHS-Tagung. Ebenfalls erfreulich sei, dass die HSG-Bibliothek von Studierenden weiterhin gut besucht und genutzt werde.

Hensler rekurrierte anschließend auf ein internationales Symposium zur Zukunft von Universitäten (das am 15. und 16. September 2023 zum 125. Jubiläum der HSG unter dem Motto „Universities in an Age of Uncertainty“ stattfand) und problematisierte, ob es jemals Zeiten ohne Transformationen gegeben habe. Aus seiner Sicht sei es Aufgabe von Universitäten, u. a. einen ‚Spirit‘ der Transformation zu generieren und Treiber z. B. von gesellschaftlichen und technischen Veränderungen zu sein. In Zusammenhang mit den durch KI zu beobachtenden Veränderungen komme den Universitätsbibliotheken die wichtige Rolle zu, auch weiterhin der Ort zu sein, an dem man an die ‚Quellen von Wissen‘ gelange.

Lena Rudolf, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Führung und Personalmanagement an der HSG, stellte in ihrer Keynote „New Leadership & New Work – Erfolgsfaktoren in der Transformation der Arbeitswelt“ den Beitrag von Führung/Führungspersonen zur neuen Arbeitswelt in den Mittelpunkt. In einem kurzen Rückblick skizzierte sie Veränderungen in der Arbeitswelt, in der Mitarbeitende nicht mehr nur ausführende Kräfte seien. Auch aufgrund fortschreitender Automatisierung seien sinnstiftende Arbeit und die Befähigung dazu immer wichtiger geworden. Der demographische Wandel führe dazu, dass bereits jetzt und in Zukunft verstärkt zu wenige Arbeitskräfte verfügbar seien. Untersuchungen zeigten, dass die ‚Generation Z‘ ca. alle zwei Jahre den Arbeitgeber wechsele und nur noch zu ca. 13 % in Großbetrieben arbeite. Unternehmen sähen sich nicht nur einem hohem Wettbewerbsdruck gegenüber sondern hätten auch mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen. Als weitere Probleme benannte sie ein ‚emotionales Kündigen‘ von Mitarbeitenden (‚quiet quitting‘), ein insbesondere in China zu beobachtender passiver Widerstand gegenüber hoher Arbeitsbelastung (‚lying flat‘), emotionale Erschöpfung bei Führungskräften, eine ‚quarterlife crisis‘ bei 20- bis 30-Jährigen angesichts von Unsicherheiten und Selbstzweifeln bezüglich des bisherigen beruflichen und privaten Lebenswegs. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen seien Führung und Führungskultur kritische Erfolgsfaktoren, denn Führungspersonen seien wichtige Veränderer in der Arbeitswelt. Mit ‚New Work‘ und ‚New Culture‘ könne diesen Entwicklungen erfolgreich begegnet werden.

Hybrides Arbeiten habe in den letzten Jahren erheblich zugenommen, so Rudolf. ‚New Work‘ sei gekennzeichnet von flexiblen Arbeitszeiten, mobiler Arbeit, digitaler Kommunikation, Desk Sharing, digitalen Technologien, individualisiertem und fluidem Arbeiten sowie durch das Arbeiten in virtuellen Teams. Die Auswirkungen seien laut jüngsten Untersuchungen ambivalent: Führungskräfte und erfahrene Mitarbeitende hätten weniger Probleme im Umgang mit hybrider Arbeit, während neu eingestellte Mitarbeitende damit größere Schwierigkeiten hätten. Für Führungskräfte bedeute dies, gerade den neuen Mitarbeitenden mehr Aufmerksamkeit zu widmen, zumal sich viele Unternehmen von ortsgebundener Arbeit zu Netzwerkunternehmen entwickelten. Wichtig sei deshalb eine andere Arbeitskultur. Als Erfolgsfaktoren für ‚New Culture‘ benannte Rudolf: Führung mit Vision und Inspiration, ein ‚beidhändiges Führen‘ (im Sinne von Visionen entwickeln und Aufgaben erledigen), eine Vertrauenskultur im Arbeitsumfeld, eine Stärkung der Selbstkompetenz und des Selbstvertrauens von Mitarbeitenden, flexible Strukturen und agile Methoden sowie ein Top-Management mit Vorbildfunktion.

Zu beobachten sei bei vielen Unternehmen eine Fokussierung auf die Aufgaben mit unterschiedlichen Arbeitszeit- und -ortsmodellen. Wichtig seien dabei allerdings klare ‚Spielregeln‘ für alle Beteiligten im ‚New Work‘. Auch wenn neues Führungsverhalten weniger hierarchieorientiert und stärker partizipativ sei, sollte sich das ‚unbossing‘ nicht zu einem ‚laissez-faire‘ und einer Indifferenz der Führungspersonen gegenüber Leistung und Mitarbeitenden entwickeln. In vielen Fällen sei eine ‚Transformationale Führung‘ erforderlich (Vorbildhandel, inspirierende Motivation, geistige Anregung, individuelle Beachtung), die auch den Aspekt ‚gesund führen‘ umfasse (z. B. angemessene Einschätzung des Stresslevels von Mitarbeitenden, Erkennen von Anzeichen hoher Belastung, Schaffung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen, Befähigung der Mitarbeitenden zu gesunder Selbstführung, Ermutigung der Mitarbeitenden, sich gegenseitig zu unterstützen). Bei der erfolgreichen Transformation in der Arbeitswelt sei die (Arbeits-)Kultur der Erfolgsfaktor für ‚New Work‘, so Rudolf. Ein Führungsvakuum sei zu verhindern (keine Laissez-faire-Führung). ‚New Leadership‘ umfasse eine sinn- und menschenorientierte Führung in unterschiedlichen Kontexten.

Über die an der UB und ZB Zürich sowie an der UB Johann Christian Senckenberg in Frankfurt/M erfolgenden Organisationswicklungen berichteten Landina Tschander (UB Zürich) und Madeleine Boxler Klopfenstein (ZB Zürich) sowie Daniela Poth (UB Johann Christian Senckenberg, UB JCS). Poth stellte zunächst die neue Vision der UB JCS vor: „Wir sind ein (H)UB für Menschen, Wissen und Services der Goethe-Universität“. Zudem nannte sie als wichtige Gründe für den 2022 eingeleiteten Strategie- und Transformationsprozess neu hinzugekommene Aufgaben wie z. B. die Open-Access-Beratung und das Forschungsdatenmanagement, den demographischen Wandel, den Fachkräftemangel sowie sinkende Budgets. Zentrale Ziele des Strategie- und Transformationsprozesses seien die Profilschärfung und die Priorisierung von Aufgaben sowie die Weiterentwicklung der Organisationsstruktur. Begleitet wurde die UB JCS durch eine externe Beratungsagentur. Sie war verantwortlich für die interne Projektleitung, strategische Analysen, die Erarbeitung strategischer Optionen sowie die Umsetzungsplanungen. Das Präsidium und Nutzende wurden in diesen Prozess mit einbezogen. Die neue Organisationsstruktur werde zum 01.03.2024 wirksam. Neben der strategischen und operativen Ebene wurden auch die finanzielle sowie die soziale Ebene berücksichtigt. Insgesamt stellte der Strategie- und Transformationsprozess eine grosse zeitliche, inhaltliche, organisatorische und auch emotionale Herausforderung für alle Beteiligten dar.

Landina Tschander skizzierte zunächst die Gründung der neuen UB Zürich, die im Januar 2022 aus insgesamt 40 zum Teil sehr kleinen Bibliotheken hervorgegangen sei. Trotz der Einbeziehung von Professor*innen und Bibliotheksmitarbeitenden habe es insbesondere in drei Fakultäten erheblichen Widerstand gegeben. Aus dem Projekt Aufbau Universitätsbibliothek Zürich (AUB) ging eine Zusammenarbeit zwischen der Universitätsbibliothek Zürich (UB) und der Zentralbibliothek Zürich (ZB) hervor. Allerdings habe zunächst nur ein Rahmenkonzept zu Informationsressourcen, Bibliotheksräumen sowie Vermittlung und Unterstützung bei Informationsrecherchen vereinbart werden können. Entgegen den früheren Erwartungen sei noch kein zentraler Bibliotheksneubau in Sicht, so dass die UB auch weiterhin sehr dezentral operieren müsse. Zwar sei die ehemalige Hauptbibliothek inzwischen organisatorisch im Gesamtsystem integriert, doch bestünden weiterhin zahlreiche Doppelstrukturen sowie Unklarheiten bezüglich Entscheidungskompetenzen. Zudem fehle oft die Identifikation mit der neuen UB. Deshalb sei es wichtig, nun eine neue ‚Change Story‘ zu entwickeln, die von allen Beteiligten auszuarbeiten sei. Ausserdem dürfe das bereits Erreichte nicht aus dem Blick geraten.

Madeleine Boxler Klopfenstein schilderte anschließend die bisherige Kooperation zwischen der UB und der ZB. Sie beruhe auf einer Absichtserklärung zur Zusammenarbeit für den Zeitraum 2020 – 2026 mit dem Ziel, durch das Zusammenwachsen von UB und ZB allen Universitätsangehörigen ein zentrales Dienstleistungsportfolio anzubieten. Dazu sei eine Konsolidierung der bisherigen Dienstleistungsangebote erforderlich. In der ZB erfolgten hierzu Pilotprojekte, um erforderliche Veränderungen auszuprobieren. Hierbei seien Fehlertoleranz und Vertrauensaufbau wichtige Aspekte. Zudem sei eine gemeinsame Umsetzungsplanung für die UB und ZB zu entwerfen, die bislang noch fehle. Die vorhandene Rahmenvereinbarung reiche nicht aus. Auch seien die bevorstehenden Veränderungen zu konkretisieren. Hierzu wurde ein Projektteam gebildet und eine externe Projektbegleitung organisiert. Ausgangspunkt für die erfolgte neue Strategieentwicklung sei ein Produktportfolio. Die gemeinsame Strategie für die Jahre 2024 – 2027 gelte für das Gesamtsystem von UB und ZB. Sie beziehe sich somit sowohl auf die Funktion als Universitätsbibliothek als auch auf jene als Kantons- und Stadtbibliothek (ZB). Die Hauptadressaten der Strategie seien die Trägerschaften beider Bibliotheken, die Mitarbeitenden in diesen Bibliotheken sowie universitäre und öffentliche Zielgruppen.

Benjamin Auberer und Martin Spenger von der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München beleuchteten weitere Aspekte der Organisationsentwicklung in ihrem Beitrag „Selbstverständnis in Bewegung. Entwicklungsperspektiven des wissenschaftlichen Bibliotheksdienstes an der UB der LMU München“. Mit Bezug auf die Struktur der LMU-UB (z. B. 14 Fachbibliotheken und eine Zentralbibliothek) skizzierten beide zunächst die organisatorischen Veränderungen der zurückliegenden zehn Jahre und die Einführung neuer Teams sowie organisatorischer Bereiche (zentral und dezentral). Dies erfolgte als Reaktion auf den Wandel der bisherigen und die Entwicklung neuer Aufgabenbereiche. Durch einen extern begleiteten Organisationsentwicklungsprozess wurden Aufgabenbereiche neu sortiert sowie bislang dezentral wahrgenommenen Aufgaben in zentrale Aufgaben umgewandelt. So konnten Doppelstrukturen aufgelöst und übergreifende Sachthemen in das Aufgabenspektrum der Fachreferate integriert werden. Die neustrukturierten Aufgabenbereiche sind nun nicht mehr den Fachbibliotheken zugeordnet sondern stehen jetzt in der Verantwortung der UB-Direktion bzw. einzelnen Abteilungen. Einher ging damit die Gründung und Organisation neuer Teams sowie die Sichtbarmachung dieser neuen Teams innerhalb und außerhalb der UB. Am Beispiel des Abteilungsreferats für E-Books und Zentrale Medienbearbeitung und der Referate Forschungsunterstützung im Themenfeld Lifesciences sowie Schulung und Benutzung verdeutlichte Auberer die Ergebnisse des Organisationsentwicklungsprozesses. So habe eine Verschlankung und Zentralisierung von Arbeitsabläufen, eine bessere Vernetzung innerhalb der LMU sowie ein neues Bewusstsein für die Aufgaben und Funktionen der Fachbibliotheken und der Fachreferate erreicht werden können. Weiterhin erforderlich sei eine Schärfung der Rollenprozesse und eine Organisationsweiterentwicklung. Die Anzahl und Vielfalt der Standorte wirkten sich allerdings erschwerend auf diese notwendigen Veränderungsprozesse aus.

Benjamin Fläming von der Zentral- und Landesbibliothek Luzern skizzierte in seiner Präsentation „Agile Strategie- und Organisationsentwicklung an der ZHB Luzern“ zunächst die Ausgangspunkte für die neue Strategie- und Organisationsentwicklung. Die bisherige Strategie habe sich auf den Zeitraum 2018 – 2022 bezogen und war auf den Prüfstand zu stellen. Zudem sollten alle 160 Mitarbeitenden an den acht Standorten in einem partizipativen Prozess beteiligt werden, der sowohl Workshops als auch die Nutzung digitaler Kollaborationstools umfasste. Während des ersten Workshops brachten die Mitarbeitenden alle Themenschwerpunkte für die zukünftige ZHB-Strategie in Form von Pitch-Meetings ein. Nach dem ersten Workshop erarbeitete ein Kernteam gemeinsam mit einem Sounding Board, das allen Mitarbeitenden zur Teilnahme offenstand, die Arbeitsdokumente für den zweiten Workshop. Nach dem Modell des Golden Circle nach Simon Sinek erfolgte die gemeinsame Live-Überarbeitung der neuen ZHB-Vision. Zudem wurden neue Strategiefelder identifiziert. Im dritten Workshop wurde dann im Mai/Juni 2023 der gesamte Prozess der Strategie- und Organisationsentwicklung abgeschlossen. Im Sinne eines ‚mission statement‘ wurde der „Kompass 2029“ für die ZHB festgelegt, Strategiefelder abgeleitet und Strategieziele festgelegt. Mit Blick auf die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse stellte Fläming fest: Stakeholder sollten möglichst frühzeitig einbezogen werden, eine Nutzerbefragung musste aus Zeitgründen entfallen, drei Workshops sowie die Vor- und Nachbereitung waren mit einem großen Zeitaufwand verbunden, Partizipation und Wertschätzung der Inputs sowie Transparenz waren sehr wichtig und bildeten die Grundlage für den erfolgreichen Prozess und die hohe Identifikation der ZHB-Mitarbeitenden.

Gabriela Lüthi-Esposito von der Bibliothek der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW Hochschulbibliothek) sprach über „Die ZHAW Hochschulbibliothek im Zeichen der Selbstorganisation“. An der Bibliothek der 2008 gegründeten und auf drei Standorte in drei verschiedenen Orten verteilten ZHAW wurden vor drei Jahren agile Methoden und Tools eingeführt, um die Fachteams durchlässiger zu gestalten, das Knowhow der Mitarbeitenden besser zu nutzen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich in neue Themenfelder einzubringen bzw. neues Knowhow aufbauen zu können. Es wurden Werte definiert, die für alle Mitarbeitenden verbindlich sind. Die Weiterentwicklung der Bibliothek war intrinsisch motiviert und hatte zum Ziel, gute Services beizubehalten und weiterzuentwickeln, Neues zu erproben und ggf. zu integrieren, die Flexibilität und Teilhabe der Mitarbeitenden zu fördern und die Identifikation mit der Bibliothek zu stärken. Wichtig waren dabei der Kundenfokus, eine Fehlerkultur, die das Experimentieren ermöglicht und fördert, eine Feedback-Kultur sowohl innerhalb der Bibliothek als auch in der Zusammenarbeit mit Kunden sowie die Selbstverantwortung aller Beteiligten. Etabliert wurde in der Folge ein rollenbasiertes Kreismodell mit verteilter Führungsarbeit. Deutlich wurde bei diesen Veränderungen, dass Verhaltensänderungen Zeit, Geduld, Offenheit und Vertrauen auf Seiten aller Beteiligter erforderten. Auch die Wertschätzung von Expertenwissen und die Klärung, warum eine Veränderung sinnvoll ist, waren wichtige Aspekte dieses Veränderungsprozesses.

Michaela Linhardt und Pamela Stückler von der Universitätsbibliothek Graz gaben in ihrem Vortrag „UB4Tomorrow. Ein Einblick in die Organisations- und Strategieentwicklung der Universitätsbibliothek Graz“ einen Werkstattbericht aus dem aktuellen Entwicklungsprojekt. Eingangs erläuterte Stückler, dass sich der Projektname auf das Motto der Universität Graz beziehe: “We work for tomorrow”. Das Rektorat der Universität habe ihre Entwicklungsplanungen für die Jahre 2025 – 2030 formuliert und mit der UB eine Zielvereinbarung zu einer Vereinfachung von Organisationsstrukturen sowie einer Analyse und Optimierung des Serviceportfolios geschlossen. Nachdem die UB-Entwicklung in den zurückliegenden Jahren sehr stark von einem großen Bauvorhaben geprägt war, startete 2023 ein „Innovationsprojekt“ zur Weiterentwicklung der UB. Mit externer Unterstützung wurde zunächst mit einer Analysephase begonnen. Im Rahmen einer internen Online-Umfrage gaben UB-Mitarbeitende interessante und wichtige Rückmeldungen beispielsweise zu den Fragen „Was gefällt mir an der UB gut und sollte beibehalten/ausgebaut werden?“, „Wo sehe ich UB-interne Verbesserungsbedarfe?“ und „Wie soll die UB an der Uni Graz wahrgenommen werden?“ Es gab viele positive Rückmeldungen z. B. zum Arbeitsklima, zum mobilen Arbeiten, zur neuen Bibliotheksleitung und auch zu Weiterbildungsmöglichkeiten. Verbesserungsbedarfe wurden u. a. gesehen beim Gebäudemanagement, bei der internen Kommunikation und bei der Wahrnehmung von Führungsaufgaben. In sechs Fokusgruppen mit jeweils sieben bis 17 Teilnehmenden wurden im weiteren Verlauf wichtige Themen der Weiterentwicklung behandelt. Besondere Herausforderungen ergaben und ergeben sich angesichts der erforderlichen Zeitressourcen, der Zusammensetzung des Projektkernteams sowie der Umsetzung der erarbeiteten Roadmap.

Alexander Berg-Weiss und Olaf Eigenbrodt berichteten als Mitglieder der VDB-Kommission für forschungsnahe Dienste bzw. der gemeinsamen Managementkommission von VDB und dbv zum Thema „Forschungsnahes Arbeiten als Querschnittsaufgabe“. Nach einem Rückblick auf Entwicklungen beim forschungsnahen Arbeiten in den zurückliegenden 20 Jahren und einem Hinweis auf die abnehmende Bedeutung von Bibliotheken in diesem Zusammenhang aufgrund von starker Konkurrenz bei digitalen Dienstleistungen, hoben beide Forschungsdatenmanagement und Publikationsdienste als aktuell wichtige Aufgaben von wissenschaftlichen Bibliotheken hervor, die auch die zukünftige Relevanz von wissenschaftlichen Bibliotheken sichern. Wichtig sei dabei, den Auswirkungen des digitalen Wandels in der Wissenschaft nicht nur mit zusätzlichen neuen digitalen Diensten zu begegnen, sondern sich die grundlegenden Veränderungen des wissenschaftlichen Arbeitens zu vergegenwärtigen. Dies erfordere andere Arbeitsweisen in Bibliotheken, die z. B. Projektkultur und exploratives Arbeiten in der Wissenschaft stärker berücksichtigen als bislang. Aus der Managementperspektive ergeben sich dabei vier Dimensionen: A) Kulturwandel: exploratives Vorgehen, Iteration und Unsicherheit bezüglich des erreichten Erkenntnisstands zählten zu der grundsätzlichen Arbeitsweise und den Werten des forschenden Arbeitens und seien von Bibliotheken beim forschungsnahen Arbeiten zu berücksichtigen, auch wenn sich daraus Widersprüche zum traditionellen bibliothekarischen Arbeiten ergäben. B) Strategiearbeit: die Anforderungen der Forschenden an Infrastrukturen veränderten sich im digitalen Wandel stetig. Die strategische Ausrichtung des Dienstleistungsportfolios sei von Bibliotheken in gegenläufigen Prozessen zu organisieren, sowohl bottom-up als auch top-down. C) Organisationsdesign: Weder eine klassische Linienorganisation noch eine Matrixorganisation würden den Anforderungen an forschungsnahes Arbeiten gerecht. Vielmehr seien neue interne Arbeitsbeziehungen herzustellen, bei denen die Kompetenzen im Vordergrund stehen. D) Personalentwicklung: Mitarbeitende in Bibliotheken sollten lernen, wie in der Forschung mit Unsicherheiten umzugehen, Kompetenzen aufzubauen und selbstorganisiert zu arbeiten. Dabei unterstützten sie ihre Führungskräfte und ermöglichten so ein forschungsnahes Arbeiten. Berg-Weiss und Eigenbrodt betonten, dass forschungsnahes Arbeiten unmittelbare Auswirkungen auf die Organisationsentwicklung in Bibliotheken habe und als eine Querschnittsaufgabe zu begreifen sei.

Eva Ramminger von der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol (Innsbruck) fokussierte in ihrem Vortrag „Talentgewinnung als Teil der Organisationsentwicklung. Neue Strategien zwischen aktivem und digitalem Rekruiting“ den Wandel in der Arbeitskultur, den Aufgabenanforderungen, den bibliothekarischen Aufgaben und den Stellenangeboten. Mit Blick auf frühere Publikationen zur Beschäftigungssituation in Bibliotheken sei inzwischen zu beobachten, dass das Arbeiten in Bibliotheken von einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten und neuen Arbeitszeitmodellen, einer Transformation von Organisationsstrukturen und zunehmender Vernetzung von Arbeitsstrukturen ebenso geprägt sei, wie von einer Förderung der Selbstkompetenz, einer teilweisen Angst bei Mitarbeitenden vor zu wenig Stabilität und zu viel Agilität sowie einem Bedürfnis nach sinnstiftender Tätigkeit. Bei den Berufsbezeichnungen in Stellenausschreibungen (Quelle: BiblioJobs.eu) sei für den Zeitraum von 2014 – 2024 sowohl eine quantitative Zunahme an Ausschreibungen insgesamt als auch eine Zunahme an unterschiedlichen Stellenbezeichnungen und -profilen zu verzeichnen. Damit einher gehe ein steigender personeller und organisatorischer Aufwand in Zusammenhang mit Stellenausschreibungen und -besetzungen, was sich oft negativ auf die Dauer von Stellenbesetzungsverfahren auswirke. Für Bibliotheken habe das Rekruiting inzwischen eine strategische Bedeutung, um z. B. neue Mitarbeitende zu gewinnen und auch angesichts der hohen Mobilität von Mitarbeitenden halten zu können. Zudem habe das E-Rekruiting (Nutzung sozialer Netzwerke, Automatisierung von Personalgewinnungsprozessen) auch für Bibliotheken stark an Bedeutung gewonnen. Wichtig sei es, in den Bibliotheken Rekruiting-Kompetenzen auszubauen, eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Mitarbeitenden zu ermöglichen und kundenorientierte Organisationsstrukturen zu entwickeln.

Johannes Andresen von der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann in Bozen berichtete in seinem Vortrag „Jenseits aller Baumassnahmen: Die Organisation des Bibliothekszentrums in Bozen“ von den besonderen Herausforderungen der bisherigen Planungsphasen. So soll nun ein neues Bibliothekszentrum entstehen, das die Aufgaben einer öffentlichen und einer wissenschaftlichen Bibliothek sowohl für die deutschsprachige als auch die italienischsprachige Bevölkerung Südtirols kombiniert. In dem neuen Gebäude sollen zudem ein Medienzentrum und ein Autonomiezentrum untergebracht werden. Neben den Herausforderungen auf politischer und fachlicher Ebene erwies sich die bislang fehlende Koordinierungsebene als eine besondere Schwierigkeit. Nach einer ersten Planungsphase (1995 – 2015) und der Bereitstellung von ca. 60 Mio. € durch die Landesregierung erfolgte dann leider ein Stillstand im Projekt. Im Jahr 2022 wurden die Planungen fortgesetzt, wobei nun die neue Funktion als Autonomiezentrum hinzukam. Derzeit befinde sich das Projekt wieder in einer intensiven Planungsphase, die diesmal geprägt sei von einem Bemühen um große Transparenz, einer umfassenden Partizipation und einer intensiven Kommunikation.

Verena Pernthaler und Volker Klotz vom Landesamt für Bibliotheken und Lesen Südtirol referierten in ihrem Vortrag „Einen Ort lebendig halten. Partizipation, Vernetzung und Identifkation durch die Bibliothek Stilfs“ über ein mit EU-Mitteln finanziertes Pilotprojekt, durch einen Bibliotheksneubau die Lebensqualität in einer sehr ländlich geprägten Gemeinde zu verbessern. Im Rahmen des EU Green Deals wurden Mittel bereitgestellt, wirtschaftliche und soziale Schäden durch die Covid-Pandemie im ländlichen Raum abzufedern. Die Attraktivität der Dörfer solle erhöht, Beschäftigung geschaffen sowie das Kulturleben wiederbelebt und Kulturerbe erhalten werden, um dadurch die neue Ansiedlung in den Orten und deren Belebung zu fördern. Daraus wurde in Italien ein nationaler Plan zum Wiederaufbau und zur Stärkung der Resilienz entwickelt, mit dem verschiedene Initiativen im Kulturbereich gefördert wurden. Eine dieser Initiativen ist das für die Gemeinde Stilfs im Vinschgau in Südtirol geplante Neubauprojekt eines Hauses der Gemeinschaft, in dem eine Bibliothek, Verkaufs- und Praxisräume sowie Seniorenwohnungen untergebracht sein werden. In diesem ehrenamtlich geführten Haus werden also verschiedene Angebote zusammengefasst sein, die das Leben in der Dorfgemeinschaft fördern sollen.

Alice Keller von der Universitätsbibliothek Basel warf in ihrem Vortrag die Frage „Strategisch Denken: Privileg der Führungskräfte oder Gestaltungsspielraum für alle Mitarbeitenden?“ auf. Dazu stellte sie der gängigen Auffassung, dass strategische Überlegungen grundsätzlich Aufgabe der Führungskräfte seien, die eigenen praktischen Erfahrungen mit der Einbeziehung der Mitarbeitenden der UB Basel in die Strategieentwicklung der Bibliothek gegenüber. In diesem Prozess wurden in zwei Workshops, an denen alle Mitarbeitenden teilnahmen, zwei unterschiedliche Methoden erprobt. Zum einen wurden virtuelle Flugpläne erstellt, in denen die Mitarbeitenden Prioritäten für Ziele und Aufgaben abbilden und miteinander ins Verhältnis setzen konnten. Zum anderen hatten die Mitarbeitenden die Möglichkeit, anhand der Methode „Lego Serious Play“ kreativ die Bibliothek der Zukunft zu gestalten und mit Lego-Steinen und -Figuren zu visualisieren. Am Ende dieses Prozesses zeigte sich, dass die Motivation der Mitarbeitenden, sich an strategischen Überlegungen zu beteiligen, durch die spielerische Methode stark angeregt wurde, kreative und teilweise eher kühne Vorschläge gemacht wurden und auch schwierigere Themen angesprochen werden konnten.

Martin Gasteiner von der Universitätsbibliothek Wien gab mit seinem Vortrag „Disruptiv und/oder integrativ? Angewandte GPT-/KI-Modelle an Forschungsbibliotheken“ zum Abschluss der Tagung noch einen intensiven Einblick in die aktuellen Anwendungsmöglichkeiten von KI-gestützten Dienstleistungen in Bibliotheken und der Forschung. So sei die Texterkennungssoftware Transkribus ein ‚Vehikel‘ für den Aufbau von large language models von handschriftlichen Texten, könnten KI-basierte Bilderkennungsprogramme bei der Klassifizierung und Erschließung von Bildwerken unterstützen und sei eine passgenaue Kombination verschiedener GPT- und KI-Programme ein zentraler Baustein für moderne Forschungsumgebungen. Zu den Aufgaben von Bibliotheken müsse es daher in Zukunft gehören, solche Programme vorzuhalten und sie den Forschenden zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus könnten Bibliotheken durch die von ihnen bereitgestellten hochwertigen und gut strukturierten Daten zur Verbesserung der KI-Systeme beitragen und diese gleichzeitig für immer weitere Anwendungsbereiche nutzbar machen. Daher plädierte Gasteiner dafür, KI nicht als Bedrohung sondern vielmehr als Unterstützung für die Weiterentwicklung bereits bestehender Arbeitsweisen und Dienstleistungen zu verstehen, die die intellektuelle Arbeit sowohl der Bibliotheksmitarbeitenden als auch der Forschenden ergänzen und unterstützen können.

In der von Konstanze Söllner von der Universitätsbibliothek der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg moderierten Abschlussdiskussion erörterten Berg-Weiß, Keller, Ramminger und Tschanner aktuelle Herausforderungen in der eigenen Organisationsentwicklung, eigene positive Erfahrungen und Erfolgsrezepte, besondere Herausforderungen und negative Beispiele sowie zukünftige Planungen für die jeweilige Organisationsentwicklung. Betont wurde die Bedeutung von interner Partizipation, regelmäßiger Reflexion des bereits Erreichten, das Zulassen von Konflikten sowie die Weiterbildung von Mitarbeitenden. Zudem wurde die Nutzung von KI in Bibliotheken sowie der Einsatz von Managementtools wie z. B. Performance Indicator angesprochen. Ein weiterer Aspekt betraf die engere Verzahnung von Bibliotheken mit der Forschung und insbesondere mit Forschungsprozessen.

Im Anschluss an die Tagung fand ein von Klaus-Rainer Brintzinger von der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München koordinierter Vernetzungsworkshop statt. Dieser richtete sich an Teilnehmende, die aktuell Organisationsentwicklungsprojekte gestalten oder dies unmittelbar vorhaben. Über 20 Teilnehmende berichteten über eigene Erfahrungen mit Strategie- und Organisationsentwicklungen und tauschten sich insbesondere zu Schwerpunktthemen für einen weiteren Austausch und kollegiale Beratung aus.

Mit über 160 Teilnehmenden war die 2. DACHS-Tagung sehr gut besucht. Zahlreiche positive Rückmeldungen zum Tagungsprogramm zeigten, dass sowohl das Rahmenthema als auch die Präsentationen und Praxisbeispiele als sehr inspirierend wahrgenommen wurden. Die Offenheit des kollegialen Austauschs inklusive der Benennung auch negativer Erfahrungen wurde dabei sehr geschätzt. Deutlich wurde, dass Transformationen in einer Vielzahl von Bereichen erfolgen und Bibliotheken sich dadurch einer großen Bandbreite an Herausforderungen gegenübersehen. Nicht nur stellen technologische Entwicklungen sowie datengetriebene Forschung und Lehre veränderte Anforderungen an das Serviceportfolio insbesondere wissenschaftlicher Bibliotheken, auch strukturelle Veränderungen in der Arbeitswelt haben einen erheblichen Einfluss auf das Arbeiten in Bibliotheken und ihre Kooperation z. B. mit Forschenden. Hinzu kommen Themen wie Tarifrecht bzw. Kollektivverträge und KI, die während der Tagung teilweise angesprochen wurden, sich auf die Komplexität von Organisationsentwicklungen jedoch ebenfalls deutlich auswirken.

Gelobt wurde auch die Veranstaltungsorganisation sowie das Veranstaltungsformat, das mit der Konzentration auf einen Veranstaltungsraum und einem ausreichend großen Foyer kurze Wege zwischen den Vorträgen und Pausen bot sowie viel Gelegenheit für einen regen Austausch.

Ewald Brahms, Universitätsbibliothek, Stiftung Universität Hildesheim, https://orcid.org/0009-0009-0320-1039

Christoph Müller, Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin, https://orcid.org/0000-0001-9399-6676

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/6033

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