Praxishandbuch wissenschaftliche Bibliothekar:innen : Wandel von Handlungsfeldern, Rollen und Perspektiven im Kontext der digitalen Transformation / herausgegeben von Wilfried Sühl-Strohmenger und Inka Tappenbeck. – Berlin: De Gruyter Saur, 2024. – XIV, 488 Seiten : Illustrationen, Diagramme. – (De Gruyter Praxishandbuch). – ISBN 978-3-11-079004-7 : EUR 99.95 (auch als E-Book verfügbar)

Im Gegensatz zu einer vermutlich nicht leistbaren idealtypischen Beschreibung künftiger Berufsfelder wissenschaftlicher Bibliothekar:innen liefert das Handbuch Beschreibungen aus der aktuellen beruflichen Praxis. Vierundvierzig wissenschaftliche Bibliothekar:innen stellen ihre sehr unterschiedlichen Tätigkeiten dar. In der Gesamtschau handelt es sich um substantielle und authentische Impulse. Sie geben Einblicke in die Facetten eines Berufes, der mit der fortschreitenden Digitalisierung zahlreiche neue Ausprägungen erfährt.

Dieses Buch aus der Praxis, das sei vorweggenommen, ist allen, die vor einer Berufswahl stehen, Berufseinsteiger:innen, aber auch Quereinsteiger:innen besonders zu empfehlen. Es ist in neun Handlungsfelder und einen Abschlussteil mit dem Titel „Rollenverständnis und Rollenerwartungen“ gegliedert. Die Überschriften zu den einzelnen Teilen verbalisieren aufschlussreich bibliothekarische Aufgabenfelder. Das relevante Tätigkeitsspektrum von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen in Bibliotheken wird damit treffend präsentiert.

Überwiegend handelt es sich um kurze Aufsätze. Einzelne Autor:innen leiten ausführlich in ihr sachliches Metier ein, bevor sie zur beruflichen Seite gelangen. Bei anderen Beiträgen stehen die Anwendungsbeispiele stärker im Vordergrund. Diese Mischung stört nicht. Sie bietet Leser:innen vielmehr die Möglichkeit, bislang weniger bekannte Fachthemen zu entdecken.

Ein fünf Seiten umfassendes Inhaltsverzeichnis präsentiert die Struktur des Sammelbandes. In die zehn Teile führt jeweils ein kurzer Text ein, und jedem Beitrag sind ein Abstract und eine Kurzbiographie der Autor:innen vorangestellt. Dankenswerter Weise wurde auf eine detaillierte Dezimalgliederung verzichtet. Durchgängig hat man stattdessen sinntragende Zwischenüberschriften in den Beiträgen vorgesehen.

Ein Vorwort, eine Gesamteinführung und der Schlussbeitrag von Wilfried Sühl-Stohmenger und Inka Tappenbeck als Herausgeber:in bilden den Rahmen. Eiligen Lesern können die Gesamteinführung und der Schlussaufsatz mit Fazit und Ausblick dienen, da hier die Handlungsfelder zusammenfassend skizziert sind. Das macht die Lektüre der Einzelbeiträge nicht entbehrlich. Diese eröffnen aufschlussreiche Perspektiven jenseits früherer klischeehafter Charakterisierungen von Fachreferent:innen in Bibliotheken.

Einzuschieben ist an dieser Stelle, dass sich in den Einführungen und in den Abstracts einige Ausführungen wiederholen. Im zusammenfassenden Schlussbeitrag der Herausgeber:in finden sich dann nochmalige Erwähnungen. Die Annahme, dass ein Sammelwerk mit diesem Umfang selten in einem Zug gelesen werden wird, könnte diese Wiederholungen rechtfertigen.

Für den Band wurde eine durchgehend gegenderte Sprache „gewagt“ (S. XII). Das funktioniert gut und wird in der vorliegenden Rezension adaptiert.1 Das Praxishandbuch ist als Open-Access-Publikation verfügbar und wurde durch die Hochschulen beteiligter Autor:innen finanziell unterstützt. Auf die Beiträge folgt ein zusammenfassendes alphabetisch geordnetes LiteraturverzeichniS. Das hat Vorteile, erschwert aber die Zuordnung der Literatur zu den Aufsätzen.

Die Publikation überzeugt deshalb, weil sie konzeptionell nicht an eine Berufsbilddebatte anschließt, sondern beschreibend die Vielfalt in den unterschiedlichen Spezialisierungen auffächert.2 Die digitale Transformation, so kann man aus Sicht des Rezensenten ergänzen, hat keinen Endpunkt. Wie bereits in den vergangenen Jahrzehnten entstehen neue Aufgaben und können sich experimentelle Themenfelder als nicht tragend erweisen.3 Dennoch überrascht bei der Lektüre der Aufsätze, wie stark als Referenzpunkt ein „klassisches“ Berufsbild „Fachreferent:in“ wiederholt herangezogen wird. Rhetorisch gefragt: Ist ein enges Berufsbild bzw. Aufgabenfeld in der Praxis nicht eher die Ausnahme und das schon seit Jahr(zehnt)en?

Im Folgenden gebe ich eine Skizze der im Praxishandbuch vorgestellten Handlungsfelder.4 Während die Überschrift von Teil I „Medien und Informationen erwerben, erschließen und vermitteln“ den grundsätzlichen Wandel im Berufsalltag noch nicht wiederzugeben scheint, bestätigen die vier Beiträge in diesem Teil allerdings, dass die digitale Transformation im beruflichen Alltag angekommen ist.

Viola Voß hat einen gut lesbaren Übersichtsartikel (S. 11–25) zu ihren aktuellen Fachreferatstätigkeiten geschrieben. Rasch wird deutlich, dass das Klischee der Bibliothekar:innen, die vornehmlich „gute“ Bücher auswählen, überholt ist. Die Publikationsformen für wissenschaftliche Literatur, Voß spricht anschaulich von „Darreichungsformen“ (S. 21), haben mit der Digitalisierung eine enorme Bandbreite gewonnen. Ob Kauf, Lizenz, Open Access, E-Only-Strategie, E-Book-Pakete; hinter jedem hier herausgegriffenen Stichwort stehen zu verantwortende Abwägungen.

Henriette Rösch interpretiert in ihrem Beitrag (S. 27–33) den Begriff „Bestand“ neu. Bestand ist, was eine Bibliothek über den Katalog für die Literaturversorgung ihrer Nutzer:innen vermittelt, weit über ein überkommenes Inventarverzeichnis hinaus. Es handelt sich um eine kurz gefasste Anregung, die Begriffe Bestandsentwicklung, Bestandsvermittlung oder Katalog in der „digitalen Verfasstheit“ (S. 27) wissenschaftlicher Literatur mit neuem Sinn auszustatten.

Mit dem Aufsatz „Informationsservices passgenau anbieten“ (S. 35–44) legt Caroline Leiß eine Kurzanleitung für die Einführung von zielgruppenspezifischen Schulungs- und Beratungsangeboten einer Bibliothek vor.

Matthias Harbeck stellt die besonderen Anforderungen an wissenschaftliche Bibliothekar:innen dar (S. 45–54), die in den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten nationalen Fachinformationsdiensten tätig sind.

Teil II des Praxishandbuches steht unter der Überschrift „Lehren und Lernen in der Bibliothek“.

Zum Rollenverständnis der Bibliothekar:innen bei der Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz formuliert Oliver Schoenbeck einen „ganzheitlichen“ Ansatz (S. 59–68). Er weist den Bibliotheken in der komplexen Welt digitaler Angebote eine bibliothekspädagogische Rolle zu, nicht als spezialisierte Aufgabe einzelner „Teaching Librarians“, sondern als vernetzte Aufgabe.

Christina Kläre erweitert das Repertoire um die Vermittlung von Datenkompetenzen für das wissenschaftliche Arbeiten (S. 69–77). Daten auf qualifizierte Weise managen und anwenden zu können, fordert Fähigkeiten der Anwender:innen. Der wissenschaftliche Dienst in Bibliotheken ist, so die konsequent dargelegte Schlussfolgerung von Kläre, durch seine Vernetzung in den Hochschulen dazu prädestiniert, hier Unterstützung zu bieten. Kläre gelingt es, Aufmerksamkeit für ein vermeintlich trockenes Thema zu erzeugen.

Dass sich bibliothekarische Expeditionen auf neues Terrain lohnen, machen Susanne Kundmüller-Bianchini und Eva Besgen am Beispiel des Aufbaus eines Beratungszentrums E-Learning deutlich (S. 79–90). Drei Anregungen sind besonders interessant: das Schulungsangebot der Bibliothek werde in die Digitalisierung der Lehre eingebunden, zweitens könnten die bibliothekarischen Angebote, didaktisch begleitet, um Formate des E-Learning erweitert werden und schließlich realisiere die Bibliothek eine Steigerung der Akzeptanz in der Hochschule.

Ute Engelkenmeier (S. 101–110) öffnet den Blick für die „hybride Lernwelt“ und die Rolle zwischen „Teaching Librarian“ und „Learning Support Librarian“ (S. 106). Lernen findet zunehmend in „Mischformen von Präsenz- und Distanzlernen“ (S. 101 f.) statt. Engelkenmeier stellt das „Hybrid Learning Center“ der Technischen Universität Dortmund vor und beschreibt neue bibliothekarische Aufgaben aufgrund der „hybriden Lehr-/Lernsettings“ (S. 102). Die Autorin stellt abschließend Kompetenzfelder für die Ausgestaltung der neuen bibliothekarischen Rolle zusammen. Aus Sicht des Rezensenten ist das eine allgemeingültige Zusammenstellung und nicht nur auf die Anforderungen an Learning Support Librarians zu beschränken.

Peter Schubert beleuchtet die Aufgaben eines bibliothekarischen Baubeauftragten (S. 91–100). Die Anforderungen, Bibliotheksgebäude in Folge der digitalen Transformation als „Lernräume“ weiter zu entwickeln, führt zu organisatorischen und architektonischen Fragestellungen, die bibliotheksfachlich zu begleiten sind.

Der dritte Teil des Praxishandbuches trägt die Überschrift „Wissenschaftler:innen beraten und unterstützen“.

Thomas Nachreiner beschreibt seine Rolle „an der Schnittstelle zwischen Bibliothek und Fachwissenschaft“ (S. 115–124). Dabei arbeitet er insbesondere die erforderliche „Schnittstellenkompetenz“ heraus, um als Fachreferent den Bedarfen der wissenschaftlichen Fächer, der Zusammenarbeit mit bibliothekarischen Netzwerkpartnern und der Notwendigkeit eines effektiven Verwaltungshandeln gerecht werden zu können. Hierzu zählt nach seiner Einschätzung auch „exploratives Handeln“ (S. 123). Dieser Hinweis wird durch die weiteren Inhalte des Praxishandbuches bestätigt: Das Ausloten von neuen, bedarfsbezogenen Handlungsfeldern ist noch nicht abgeschlossen.

Was sind Forschungsdaten und welche Anforderungen werden an Forschungsdatenmanager:innen gestellt? Diesen Fragen geht Susanne Blumesberger nach (S. 125–134). Ein gelungener Überblick zu den Schlüsselbegriffen dieses komplexen Themas, das einen zunehmend wachsenden Stellenwert gewinnt.

Anja Oberländer und Matthias Landwehr (S. 135–145) zeigen die Bandbreite neuer Herausforderungen auf, die mit dem Oberbegriff „Open Science“ verbunden sind. Bibliotheken und Informationseinrichtungen übernehmen eine Rolle für die Etablierung und den Support neuer Handlungsfelder von Open Access über Forschungsdatenmanagement bis Citizien Science.

Ladina Tschander betont, dass die Bibliotheken sich aktiv um ein anderes Image als das tradierter Informationssammlungen kümmern müssen (S. 147–155). Neben den „Embedded Librarians“ als Teil der akademischen Organisation beschreibt sie die Rolle der „Liaison Librarians“. Inspirierend ist der „dritte Weg“ an der Universität Zürich durch die Bildung eines Kompetenzzentrums „Digital Society Initiative“ (S. 154) als eine Plattform, die rund um „Open Science“ Anknüpfungspunkte zur Zusammenarbeit von Bibliothek und Forschung schafft.

Den dritten Teil des Praxishandbuches über die Unterstützung und Beratung von Wissenschaftler:innen schließt der Beitrag von Sonja Rosenberger und Diego Siqueira (S. 157–169) ab. Sie beschreiben differenziert – ausgehend vom „Digital Humanities Center“ Bochum – die Rollen, die in der Unterstützung der Digital Humanities wahrzunehmen sind. Sie fordern, die „althergebrachten Personalstrukturen“ in Bibliotheken „aufzubrechen“ (S. 169), um die ganze Bandbreite von Beratung, Softwareentwicklung und Datenmanagement bedienen zu können.

Die Bedeutung der Publikationsservices im Berufsbild steht im Mittelpunkt von Teil IV des Praxishandbuches.

Für alle, die nach einer praxisnahen Zusammenstellung wesentlicher Aspekte und Kompetenzen zur Förderung des Open-Access-Publizierens suchen, bietet Markus Putnings (S. 175–189) reichlich Material.

Unter dem Label „Publikationsdienste“ fasst Alice Keller (S. 191–198) die Bibliotheksangebote zur Unterstützung des Publikationsprozesses zusammen. Sie setzt auf ein „Team spezifisch ausgebildeter wissenschaftlicher Bibliothekar:innen“ (S. 198). Lesenswert ist ihre systematische Darstellung der zu beachtenden Voraussetzungen und Kompetenzen beim Aufbau von Publikationsservices.

Der fünfte Teil des Praxishandbuches widmet sich den Schwerpunkten der historischen Buchbestände und digitalen Sammlungen.

Armin Schlechter nähert sich dieser Facette des Berufsbildes wissenschaftlicher Bibliothekar:innen noch vergleichsweise konventionell (S. 203–211). Eine neue Dimension der Nutzung historischer Buchbestände thematisiert Ute Olliges-Wieczorek (S. 213–231). Gut kuratierte digitale Sammlungen erreichen eine neue Öffentlichkeit, so ist ihre Botschaft. Der Beitrag zeigt Ansätze auf, wie sich die Bibliothek durch „offene Kulturdaten“ in wissenschaftliche und gesellschaftliche Kontexte einbringen kann. Das sind kulturpolitische Arbeitsfelder in einem kreativen Berufsalltag.

Es ist eine größere Bandbreite von Objekten, die in Bibliotheken gesammelt werden oder man wird auch sagen dürfen, die sich angesammelt haben. Siegfried Schmidt (S. 233–243) spricht die Vielschichtigkeit der „Materialität“ (S. 234) an, die Spezialsammlungen ausmacht. Die digitale Transformation, stellt er heraus, bietet nun die Chance zu einer „Revitalisierung“ von Sonderbeständen, die bis dahin als „nutzloser Ballast“ galten (S. 240). Zu den neuen beruflichen Tätigkeitsfeldern des / der „Altbestandsbibliothekar:in“ (S. 233) findet sich auf S. 241–243 eine übersichtliche Zusammenstellung.

Thomas Stäcker beschreibt Möglichkeiten, die mit der Digitalisierung bibliothekarischer Sammlungen verbunden sind (S. 245–256). Das schriftkulturelle Erbe liegt auf diese Weise nicht nur als digitalisiertes Duplikat vor. Maschinenlesbare Volltexte, die im Internet verfügbar sind, „eröffnen die Möglichkeiten der Analyse durch Text- und Datamining“. Es entstehen neue editorische Aufgaben. Der/die „wissenschaftliche Altbestandsbibliothekar:in“ wird von Stäcker als eine Mischung von „data scientist bzw. data curator und Fachmann/Fachfrau für historische Sammlungen“ ausgewiesen (S. 256).

Teil VI ist dem Thema „Bibliotheken führen und leiten“ gewidmet.

Was aber haben differenzierte Darlegungen zu Managementmethoden mit der digitalen Transformation zu tun? Joachim Kreische arbeitet (S. 261–270) in komprimierter Weise die „Heterogenität der berufsethischen und fachkulturellen Hintergründe“ (S. 269) heraus. Dies fordert von Leitungspersonen die Kompetenz, gemeinsam mit den Mitarbeitenden erforderliche Veränderungen im Berufsleben einzuleiten. In partizipativer Verantwortung sind die Zukunftsaufgaben gemeinschaftlich anzugehen. Kreische stellt dabei die „strategieorientierte Personalentwicklung als zunehmende Flexibilisierung der gesamten Organisation“ dar (S. 268).

Susanne Göttker erläutert in ihrem Aufsatz (S. 271–280), wie infolge der digitalen Transformation veränderte erwerbungstechnische Gegebenheiten greifen. Aus der „Abgeschiedenheit“ (S. 280) eines Finanzdezernates mit vorgegebenen Etatansätzen hat sich entsprechend die Notwendigkeit eines virtuos agierenden Finanzmanagements entwickelt.

Der Auftrag von Bibliotheksleitungen orientiert sich an der „Maxime“, „Bibliotheken in die Zukunft führen“, so der von Klaus-Rainer Brintzinger vertretene Ansatz (S. 281–291). Nach allgemeineren Darlegungen zur Rolle von Bibliotheksleitungen wird die Methode der „Portfolio-Analyse“ vorgestellt. Brintzinger fokussiert auf den Leitgedanken, dass für den Markt (die Universität) die geeigneten Produkte anzubieten sind. Hier ist zu ergänzen, dass für das Managementkapitel eine thematische Erweiterung vorteilhaft wäre. Man sollte umfassender auf die aktive Rolle von Bibliotheksleitungen eingehen, die Richtung und Inhalt des Veränderungsmanagements zu organisieren haben.

Für die digitale Transformation sind die „IT – Dienste in und für Bibliotheken“ in Teil VII zentral.

Andreas Weber (S. 297–310) bietet zur Bedeutung der IT-Infrastrukturen in Bibliotheken eine kurze historische Einführung. Er macht weitergehend auf ein spannendes Berufsprofil aufmerksam, das neben technischem Know-How in besonderer Weise spezifische Managementqualitäten fordert, um die Projekte und die Transformation der Bibliotheken erfolgreich führen zu können.

Adrian Pohl berichtet aus seinem beruflichen Werdegang (S. 311–320). Er erläutert „nicht-programmtechnische zentrale Aufgabenbereiche und Rollen der Softwareentwicklung“ (S. 313), in die sich Bibliothekar:innen einbringen können. Pohl macht Mut, zu lernen, auszuprobieren und beruflich innovative Wege zu gehen. „Von Seiten der Bibliothekar:innen ist hier Offenheit und Neugierde nötig.“ (S. 320)

Die Aufforderungen von Benjamin Flämig (S. 321–334) schließen hier an. Er appelliert dafür, „künstliche Intelligenz“ als neues Tätigkeitsfeld und als Weg zur Entlastung von den „Routineaufgaben“ (S. 334) zu betrachten.

Vier Beiträge des Praxishandbuches sind dem Teil VIII mit der Überschrift „An Bibliotheken forschen und entwickeln“ zugeordnet. Dabei ist klarzustellen, dass das Praxishandbuch das Profil wissenschaftlicher Bibliothekar:innen in das „System der Wissenschaft“ (S. 3) einordnet, es jedoch nicht einer „genuinen Wissenschaftlichkeit“5 zuordnet.

Christoph Kudella, Daniel Kurzawe und Jan Brase berichten aus der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und ihren Arbeitszusammenhängen in der Digitalisierung und Forschung (S. 339–348). Sie stellen am Beispiel „Digitaler Editionen“ die Vorteile der Projektorganisation mit externer Forschungsförderung heraus.

Die Rekonstruktion der Nachweise deutscher Drucke hat Züge detektivischer Arbeit. Olaf Hamann beleuchtet die Arbeit mit historischen Buchbeständen (S. 349–362). Illustriert werden auch die Besonderheiten, die sich hierzu durch die politischen Ereignisse in der deutschen Geschichte ergeben haben. Untersuchungen zu „Kriegsverlusten“, zur „Provenienzforschung“ und das Aufspüren verschollener Buchsammlungen werden skizziert. Der Beitrag vermittelt Einblicke in ein anspruchsvolles, international vernetztes Arbeitsfeld und offeriert mehr als bibliotheksfachliches Grundwissen.

Jens Ilg stellt eine provokante These (S. 363–369) vor. Das Berufsbild wissenschaftlicher Bibliothekar:innen ist in seinem Facettenreichtum, so der Ansatz von Ilg, nicht tragend. Er fordert „Haltung“, ein „bibliothekarisches Berufsethos“ (S. 369), das sich konsequent an den Bibliotheksnutzer:innen orientiert. Das wird leidenschaftlich vorgetragen und kann der Belebung der Diskussion über das Selbstverständnis dieser Berufsgruppe dienen. In dieser Diskussion könnte man fragen, ob nicht doch eine systematisch aufbereitete Datengrundlage und spezialisierte bibliothekarische Expertisen notwendige Voraussetzungen sind, um zeitgemäße Angebote zu entwickeln.

Carolin Zapke gewährt einen Einblick in ihren Berufsalltag als Fachreferentin (S. 371–378). Einer ihrer Schwerpunkte ist die Entwicklung von Angeboten zu Bibliometrie für verschiedene Zielgruppen der Universität Chemnitz. Dabei geht Zapke auch auf die zurückhaltende Nachfrage ein.

Teil IX des Bandes befasst sich mit Berufsverbänden, mit Lobbyarbeit und mit der Fort- und Weiterbildung. Auf den ersten Blick scheint dieser Themenblock nicht in den Kontext der Digitalisierung zu passen.

Aber die veränderte Welt, so könnte ein Fazit zum Beitrag von Reinhard Altenhöner über „Wissenskooperation […]“ lauten (S. 383–394), braucht neue Kooperationsformen. Wenn ein eng gefasstes Berufsbild obsolet geworden ist und die hohe Fragmentierung bibliothekarischer Vereine und Verbände die „Außenwirksamkeit“ (S. 392) beschränken, dann sind „organisationsübergreifende Netzwerke“ (S. 393) gefordert. Das verleitet zu der Frage an den Autor, ob die Gründungsintentionen (1999 ff.) der Deutschen Initiative für Netzwerkinformationen, DINI e.V., nochmals aufzugreifen sind – und falls ja, wie das erfolgen könnte?

Frank Simon-Ritz benennt unter Bezug auf bestehende Gesetze und Ordnungen einen Auftrag (S. 395–401): Der politische und hochschulpolitische Raum ist über die bibliotheksfachlichen Themen zu informieren. „Lobbyarbeit“ bekommt damit einen besonderen Akzent: Die bibliothekarische Fachexpertise zu digitalen Angeboten ist in rechtlicher, technischer oder auch strategischer Hinsicht an die Entscheidungsträger heranzubringen. Simon-Ritz nennt Beispiele, in welchen Formaten das erfolgreich gelingen kann.

Konstanze Söllner zeigt die Schwierigkeiten auf, die sich in der Personalgewinnung am Arbeitsmarkt eingestellt haben (S. 403–410). Sie plädiert für eine ausgeprägte Fort- und Weiterbildung, für informelles Lernen und für alternative berufsbegleitende Qualifizierungsstrategien. Söllner dokumentiert Offenheit für neue Wege. Der Beitrag unterstreicht, dass hier nichts fest gefügt ist, sondern neu gedacht (und initiiert) werden muss.

Der abschließende zehnte Teil des Praxishandbuches „Rollenverständnis und Rollenerwartung“ verlässt die Darstellung einzelner Handlungsfelder.

Eine differenzierte Darstellung von Johanna Hickmann, Janina Kühner und Alessandro Aprile6 trägt die Überschrift „Wissenschaftliche Bibliothekar:innen – eine Analyse der Stellenausschreibungen für den höheren Dienst in Deutschland 2016–2021“ (S. 415–434) . Diese Untersuchung bietet eine Reihe aufschlussreicher Tabellen zu den Informationen, die sich aus Ausschreibungstexten ermitteln lassen. Hier kann als Ergebnis nur stark verkürzt wiedergegeben werden, dass neben der „klassischen Fachreferatsarbeit“ (S. 432) ein sehr breites Aufgabenspektrum gefragt ist. Die Autor:innen schließen mit dem Hinweis, dass ein Referendariat, also die Laufbahnprüfung für den höheren Bibliotheksdienst, nicht mehr notwendiges Einstellungskriterium für die einschlägigen Positionen in Bibliotheken ist. In der Wahrnehmung des Rezensenten bestätigt die vorgelegte Analyse, dass die digitale Transformation neben Spezialisierungen durch ein Fachstudium „vielfältige Wege“ (S. 433) zur weiterbildenden Qualifikation fordert und zwar während des gesamten Berufslebens.

Thomas Nachreiner, Karolin Bubke, Sonja Rosenberger und Jana Mersmann7 thematisieren das „Rollenverständnis von Fachreferent:innen […]“ (S. 435–448). Ihr Ausgangspunkt ist ein fehlendes „einheitliches Berufsbild von Fachreferent:innen mit klar konturiertem Aufgabenspektrum“ (S. 437). Das Berufsprofil, so lässt sich die Grundannahme dieses Beitrages zusammenfassen, oszilliert zwischen der Flexibilität für neue Aufgaben und pragmatischer Beliebigkeit. Hier wurden die Befragungen von Bibliotheksleitungen, Konsortien der Nationalen Forschungdateninfrastruktur (NFDI) und Fachinformationsdiensten (FID) sowie von einzelnen Wissenschaftler:innen ausgewertet, um die Außensicht auf die Rolle von Fachreferent:innen zu ermitteln. Die „Arbeit am Rollenverständnis“ (S. 447), so kann man den letzten Satz des Aufsatzes verstehen, dient dazu, die „tradierten Erwartungen“ zu überwinden und dennoch eindeutige Aufgabenzuschreibungen für diesen Beruf zu definieren. Es handelt sich um einen Beitrag, der (insbesondere S. 445 ff.) zu Nachfragen anregt. Eine Frage könnte problematisieren, inwieweit die Suche nach „identitätsstiftenden Domänen“ (S. 447) überhaupt zielführend ist.

Der den Band abschließende Beitrag von Wilfried Sühl-Strohmenger und Inka Tappenbeck (S. 449–457) resümiert vornehmlich die Kernaussagen der Beiträger:innen des Praxishandbuches. Die Darstellung eines Fazits bzw. einer Perspektive fällt sehr knapp aus und ist in der Überschrift des Schlussbeitrags gespiegelt: „Wissenschaftliche Bibliothekar:innen gestalten die digitale Transformation […]“ – und zwar durch die „Entwicklung neuer Tätigkeitsfelder, Aufgabenbereiche, Rollen und Funktionen aber auch durch die Etablierung eines neuen bibliothekarischen Mindsets“ (S. 457). Damit kommen Sühl-Strohmenger und Tappenbeck im Ergebnis bei der angestrebten „Standortbestimmung“ (S. XII) nicht zu neuen Festlegungen des Berufsprofils wissenschaftlicher Bibliothekar:innen, sondern die Offenheit für ein breites berufliches Spektrum bleibt konstitutiv. Den Anspruch, der sich mit ihrem Hinweis auf ein einzubringendes „neues bibliothekarisches Mindset“ (S. 4 und 457) verbindet, hat Ute Engelkenmeier in ihrem Beitrag über „hybride Lernwelten“ treffend beschrieben: „Für das Berufsfeld (wissenschaftliche) Bibliothekar:in sind transformative Kompetenzen wichtig, flexibel zu bleiben, ein offenes Mindset zu haben und Lernen allumfassend zu verstehen.“ (S. 109)

Dem kann man zuzustimmen, denn der Sammelband stellt in den unterschiedlichen Beiträgen „Rollen“ vor, die in der Transformation auszufüllen und weiter zu entwickeln sind. Dabei ist es aus Sicht des Rezensenten wichtig, von Rollen im Plural zu sprechen, für die sich nicht nur Berufseinsteiger sondern auch Fachreferent:innen weiterbilden müssen. Eine weitergehende Perspektive könnte daher darin gesehen werden, die hierfür geeigneten Wege und Modalitäten zu diskutieren. Spezialisierte bibliotheks-, informations- oder medienwissenschaftliche Studiengänge und berufsbegleitende Weiterbildungsmöglichkeiten zielen auf Profile wie Data Librarians oder beispielsweise Mediendidaktiker:innen ab. Diese Weiterbildungsmöglichkeiten werden im Sammelband nicht eingehender angesprochen.8 Die Frage, welche Angebote für die in den Bibliotheken wahrzunehmenden beruflichen Rollen passend sind und welche Wege hierfür geeignet sind, wäre dann wohl einen weiteren Sammelband aus der Praxis wert.

Albert Bilo, Universitätsbibliothek Duisburg-Essen 1997–2019

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/6022

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1 Um eine Einheitlichkeit zwischen Text und Zitaten herzustellen, folgt in diesem Beitrag die gegenderte Sprache der Norm des rezensierten Werks und setzt jeweils einen Doppelpunkt in die Wörter. Alle anderen o-bib-Beiträge verwenden seit 2020 das Gender-Sternchen.

2 Vgl. zur Berufsbilddebatte im vorliegenden Band Nachreiner u.a., Zum Rollenverständnis von Fachreferent:innen […], S. 435-447.

3 Das war im Grunde schon Thema der Kolloquien, die von der „Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik“ 1972 ff. organisiert wurden. Vgl. auch die „Essener Symposien“ der Jahre 1980 bis 1996. Der erste Tagungsband hieß: Helal, Ahmend H. (Hg.): Current trends in serials automation. Essen Symposium, 6 October–8 October 1980 (Veröffentlichungen der Gesamthochschulbibliothek Essen 1). Essen 1981.

4 In der vorliegenden Rezension wird versucht, die Beiträge des Sammelwerkes vorzustellen und zu weitergehender Lektüre einzuladen. Auf Grund des beschränkten Raums wird auf eingehendere Detailkritiken verzichtet.

5 Nachreiner u.a., Zum Rollenverständnis von Fachreferent:innen […], S. 437.

6 Ausweislich der Kurzbiographien sind alle drei Autor:innen Mitglieder der VDB Kommission für Fachreferatsarbeit. Vgl. auch https://www.vdb-online.org/kommissionen/fachreferat/mitglieder.php, Stand: 10. 02. 2024.

7 Der/die Autor:innen beziehen sich (S. 437) auf den Themenschwerpunkt „Aufgabenspektrum Fachreferat: Ein Arbeitsgebiet im Wandel“ in o-bib (2), 2022, https://doi.org/10.5282/o-bib/2022H2, und sind Mitglieder der VDB-Kommission für Fachreferatsarbeit.

8 Vgl. aber den Beitrag von Konstanze Söllner im Praxishandbuch S. 403–410 zur wahrzunehmenden Führungsaufgabe in der Fort- und Weiterbildung. Ute Engelkenmeier liefert „Impulse“ (S. 109 f.) für die bibliotheksspezifische Ausbildung und das lebenslange Lernen.