Ist die Preisbindung ein geeignetes Instrument zur Förderung wichtiger Publikationen?

Ein Interview mit Prof. Dr. Georg Götz

Die Vielfalt eines qualitativ guten Titelangebots ist eine wesentliche Grundlage für Kultur, Bildung und Wissenschaft. Der Buchpreisbindung wird ein wesentlicher Beitrag für die Titelvielfalt zugeschrieben. Anlässlich des vierzigjährigen Bestehens der Buchpreisbindung in Frankreich lenkten französische Kollegen meine Aufmerksamkeit auf diesen Zusammenhang. Darauf suchte ich das Gespräch mit Prof. Dr. Georg Götz (Gießen), der mit seiner Forschergruppe auf der Grundlage einer umfangreichen Datenmenge die Effekte der Buchpreisbindung in Deutschland untersucht hat.1

In Deutschland wird in diesem Jahr das Gesetz zur Buchpreisbindung zwanzig Jahre alt. Es löste aufgrund der europäischen Rechtsangleichung eine vereinsrechtliche Regelung der Buchpreisbindung ab. In welchem Zusammenhang beschäftig(t)en Sie sich mit der Buchpreisbindung?

Als Ökonom mit einer Spezialisierung im Bereich Industrieökonomie und Wettbewerbspolitik beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit Fragen der vertikalen Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren entlang von Wertschöpfungsketten. Besonderes Augenmerk haben mit der zunehmenden Bedeutung des Onlinehandels dabei Fragen der Preissetzung und Preisbindung gewonnen. Im Gefolge der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arzneimittelpreisbindung aus dem Jahr 2016 trat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels an mich mit der Idee heran, die Wirkungen einer Buchpreisbindung in einem empirischen Forschungsprojekt aus einer ökonomischen Perspektive zu analysieren. Dieses Forschungsprojekt begann 2018 und dank der Unterstützung des Börsenvereins war es uns möglich, eine, zumindest für den Bereich der Wissenschaft, einmalige Datenbasis zur Entwicklung des Buchmarktes aufzubauen. Auf dieser Grundlage waren wir unter anderem in der Lage zu analysieren, welche Bedeutung die Existenz stationärer Buchhandlungen für den Verkauf von Büchern sowie für das Entstehen von Bestsellern hat.

Die deutsche Monopolkommission kam 2018 in einem Gutachten zur Einschätzung, die Buchpreisbindung sei unzweckmäßig, erreiche den Schutz des „Kulturguts Buch“ nicht. Welche Effekte wurden dabei zu wenig beachtet oder übersehen?

Die Monopolkommission orientiert sich in ihrer Argumentation weitgehend an derjenigen des EuGH im Fall der Arzneimittelpreisbindung. Zentral ist aus ihrer Sicht, ob die Beschränkung des Preiswettbewerbs zwischen den Buchhandlungen durch Vorteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher an anderer Stelle, zum Beispiel durch größere Titelvielfalt, gerechtfertigt ist. Dabei argumentiert sie weitgehend hypothetisch, ihre empirischen Analysen sind rudimentär. So vergleicht sie z.B. auf Pro-Kopf-Basis ohne Einbeziehung von Kontrollgrößen die Titelvielfalt in Deutschland mit der in Großbritannien und in Island. Da Aussagen zur Titelvielfalt in Zeiten des Self-Publishing bekanntermaßen schwierig sind, lassen Sie mich an dieser Stelle auf zwei weitere Punkte eingehen, mit denen wir uns in unserer Forschung ausführlicher auseinandergesetzt haben. Der eine betrifft die Entwicklung der Zahl der Buchhandlungen, der andere die Frage, inwieweit der Onlinehandel im Hinblick auf die Zahl der Buchkäufe ein gleichwertiger Ersatz für den stationären Buchhandel ist. Aus dem auch in Deutschland feststellbaren Rückgang der Zahl der Buchhandlungen folgert die Monopolkommission lapidar, dass dies die Wirkungslosigkeit der Buchpreisbindung zeige. Dies verkennt die Notwendigkeit einer sogenannten kontrafaktischen Betrachtung. Es geht darum zu beurteilen, wie die Entwicklung ohne Buchpreisbindung gewesen wäre. Und hier zeigt sich, dass die Buchhandelsdichte in Ländern ohne Buchpreisbindung deutlich geringer ist als in solchen mit. Die Monopolkommission vertritt auch die Ansicht, dass es unproblematisch wäre, wenn die Zahl der stationären Buchhandlungen zurückginge, die Kundinnen und Kunden könnten und würden dann eben im Onlinehandel bestellen. Tatsächlich zeigt unsere Forschung, dass der Onlinehandel nur ein unvollkommenes Substitut für den stationären Buchhandel ist. Die Großmutter, die auf der Suche nach einem Geschenk für ihre Enkelin ist, kauft zwar in der Innenstadt vielleicht ein Buch für sie, sie wird aber, wenn es keine Buchhandlung gibt, ziemlich sicher kein Buch bei Amazon bestellen. Entsprechend finden wir, dass die Buchverkäufe zurückgehen, wenn die Zahl der stationären Buchhandlungen sinkt, ein Befund, der vor allem für Gesellschaften bedenklich erscheint, die das Buch als Kulturgut und damit als besonders förderungswürdig erachten.

Welche Änderungen an den bestehenden Regelungen wären aus Ihrer Sicht überlegenswert, um die Vielfalt des Titelangebots zu erhalten?

Wie schon erwähnt, sind Aussagen über die Titelvielfalt in Zeiten des Self-Publishing schwierig. Noch schwieriger bzw. für einen Ökonomen geradezu unmöglich sind Aussagen darüber, ob die „richtigen“ Titel veröffentlicht und gekauft werden. Wir haben uns dem Thema Titelvielfalt aus einer anderen Richtung genähert und fragen, wie sich die Ausgaben für Bücher auf die verschiedenen Titel verteilen. Dabei zeigt ein Vergleich von Deutschland mit Großbritannien, dass der Anteil des sogenannten Long Tails in Deutschland sowohl im Hinblick auf den Umsatz als auch auf die Menge größer ist. In Großbritannien spielen Bestseller eine größere Rolle, wohingegen in Deutschland der Buchabsatz „in der Breite höher“ ist. Auch dies lässt darauf schließen, dass sich eine breite, durch eine Buchpreisbindung ermöglichte Buchhandelslandschaft positiv auf die Vielfalt der verkauften Titel auswirkt. Viele verschiedene unabhängige Buchhandlungen und Buchhändlerinnen und Buchhändler empfehlen viele verschiedene Titel.

Passt die Buchpreisbindung zu den Herausforderungen höherer Inflationsraten?

Insbesondere der Anstieg in den Energiekosten stellt auch die stationären Buchhandlungen vor Probleme. Anders als andere Branchen können sie diese Kostensteigerungen aufgrund der Buchpreisbindung nicht unmittelbar durch Preiserhöhungen ausgleichen. Allerdings ist hier festzuhalten, dass es sich beim Buchmarkt um eine äußerst dynamische und innovative Branche handelt. Permanent erscheinen neue Titel und die Halbwertszeit der meisten Titel beträgt im Hinblick auf ihren Umsatz nur wenige Monate. Vor diesem Hintergrund kommt den Verlagen eine entscheidende Rolle zu. Dieser werden sie laut Buchpreisbindungsgesetz gerecht, wenn sie bei der Festsetzung ihrer Verkaufspreise und -konditionen den von kleineren Buchhandlungen erbrachten Beitrag zur flächendeckenden Versorgung mit Büchern sowie ihren buchhändlerischen Service angemessen berücksichtigen (§6 BuchPrG). Steigende Kosten auf der Einzelhandelsebene sind damit jedenfalls von den Verlagen bei der Preisfestsetzung für Neuerscheinungen zu berücksichtigen. Welche Regelungen gegebenenfalls für die Titel der Backlist nötig sind, lässt sich ohne weitere quantitative Analyse nicht sagen. Hier wäre vorstellbar, dass, vergleichbar mit österreichischem Recht, ab einem bestimmten Zeitpunkt die Preisbindung zu einem Mindestpreis wird. Eine Preiserhöhung durch die Einzelhändler wäre dann möglich. Dabei wäre auch an einen verkürzten Zeitraum für die strikte Buchpreisbindung zu denken, zum Beispiel analog zur norwegischen Regelung, die eine Preisfestsetzung bis zum Frühjahr des auf das Erscheinungsdatum folgenden Jahres ermöglicht. Einen Systemwechsel von einer Buchpreisbindung, bei der Mindest- und Höchstpreis zusammenfällt, hin zur ausschließlichen Festlegung eines Mindestpreises scheint problematisch. Einerseits zeigt sich empirisch an Beispielen aus der Schweiz und aus Großbritannien, dass preislich ungebundene Titel, die nicht in die Kategorie Bestseller fallen, also die Mehrzahl der Titel, dort relativ teurer sind als in Ländern mit Preisbindung. Andererseits stellt dies die grundsätzliche Logik der Preisbindung in Frage, die auf die Ausschaltung des Preiswettbewerbs auf der Einzelhandelsstufe abzielt. Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass die Preisbindung bei entsprechender Aufmerksamkeit der Verlage sowie gegebenenfalls mit kleineren Anpassungen in ihrer Art und Dauer auch in Zeiten hoher Inflationsraten als geeignetes Instrument erscheint.

Was würde es für den Buchmarkt bedeuten, wenn für wissenschaftliche Publikationen Open Access verpflichtend würde, sofern sich die Autoren im öffentlichen Dienst befinden, z. B. als Professorin in einer staatlichen Universität?

Diese Frage scheint sich gleichermaßen auf das Dienstrecht von öffentlich Bediensteten wie auf den Buchmarkt zu beziehen. Obwohl wir uns in unserer Forschung bisher nicht detaillierter mit Fragen des Open Access und dessen wirtschaftlichen Auswirkungen beschäftigt haben, möchte ich als, in meiner Eigenschaft als Professor einer staatlichen Universität, „persönlich Betroffener“ zumindest in Teilen antworten. Der erste Teil der Frage knüpft wohl an das Crown copyright aus dem Vereinigten Königreich an. Mir ist nicht bekannt, dass die von weisungsgebundenen öffentlich Bediensteten erstellten Studien eine große Rolle bei Publikationen spielen. In welcher Form der Dienstgeber, also die verschiedenen Gebietskörperschaften, diese Ergebnisse veröffentlichen, bleibt ihm überlassen bzw. ergibt sich aus Anforderungen der Informationsfreiheit. Bei wissenschaftlichen Publikationen, seien es Lehrbücher, Monographien oder Kommentare im Bereich der juristischen Literatur, die von den Kolleginnen und Kollegen verfasst werden, die den schönen, nicht weisungsgebundenen Beruf von Universitätsprofessorinnen und -professoren haben, liegt das Urheberrecht bei den Autorinnen und Autoren. Solche Werke sind keine „Abfallprodukte“ der Tätigkeit als Professor oder Professorin, die mit dem Professorengehalt abgegolten wären. Es ist weder vorstellbar noch aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive wünschenswert, dass der Dienstgeber eine Pauschalprämie für eine allfällige Erstellung von Schriften zahlt. Natürlich ist es jeder Kollegin und jedem Kollegen unbenommen, seine Texte unentgeltlich bereitzustellen, genauso wie ich das mit den Aufzeichnungen meiner Vorlesungen auf YouTube mache. Eine verpflichtende unentgeltliche Bereitstellung käme aber einer Enteignung gleich. Die Anreizeffekte sind offensichtlich und das Angebot an hochwertigen und abgeschlossenen wissenschaftlichen Manuskripten würde wohl drastisch zurückgehen.

Herzlichen Dank für das informative Gespräch!

Prof. Dr. Georg Götz, Professor für Industrieökonomie, Wettbewerbspolitik und Regulierung, Universität Gießen. Die Fragen stellte Dr. Rupert Schaab (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart)

Erstveröffentlichung in der La Revue de la BNU [En ligne], 27 | 2023; https://doi.org/10.4000/rbnu.6361

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5999

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1 Gail, Maximilian Maurice; Klotz, Phil-Adrian: The Impact of the Agency Model on E-book Prices. Evidence from the UK, 2021 (MAGKS Joint Discussion Paper Series in Economics, No. 11-2021). http://hdl.handle.net/10419/234865.
Götz, Georg; Herold, Daniel; Klotz, Phil-Adrian; Schäfer, Jan Thomas: The Substitutability between Brick-and-Mortar Stores and e-Commerce - The Case of Books, 2020 (MAGKS Joint Discussion Paper Series in Economics, No. 11-2020). http://hdl.handle.net/10419/216651.
Götz, Georg; Herold, Daniel; Klotz, Phil-Adrian; Schäfer, Jan Thomas: Innovation, Bestsellers and Digitization - Where to Find the Needle in the Haystack?, 2020 (MAGKS Joint Discussion Paper Series in Economics, No. 12-2020). http://hdl.handle.net/10419/216652.