Dr. Rudolf Frankenberger (12. Dezember 1932 – 16. Januar 2023)

Der frühere VDB-Vorsitzende und Gründungsdirektor der Universitätsbibliothek Augsburg, Dr. Rudolf Frankenberger, ist am 16. Januar 2023 im Alter von 90 Jahren in Stadtbergen bei Augsburg verstorben. Er hat in einem langen Leben für das wissenschaftliche Bibliothekswesen in Bayern und in Deutschland Entscheidendes geleistet.

Abb.: Rudolf Frankenberger im Jahr 2022. Foto: privat

Rudolf Frankenberger wurde am 12. Dezember 1932 in Stammbach in Oberfranken geboren. Er studierte an den Münchener Universitäten Chemie, Biologie und Geographie. Auf das Staatsexamen 1956 folgte 1959 die Promotion im Fach Geographie über die Wiederaufforstung landwirtschaftlicher Flächen in Oberfranken an der damaligen Technischen Hochschule München. Im gleichen Jahr trat er als Bibliotheksreferendar in den bayerischen Bibliotheksdienst ein. Nach dem Referendariat war Frankenberger ab 1961 an der UB Erlangen tätig, zunächst als Fachreferent, dann als Leiter der Katalogabteilung und Stellvertreter des Bibliotheksleiters.

Mit 37 Jahren trat er am 1. April 1970 das Amt des Direktors der UB der neuen Universität Augsburg an. Er gehört zur Generation der Gründer neuer Universitätsbibliotheken in Bayern. Zu diesem Zeitpunkt existierten für die Bibliothek nicht einmal Planungspapiere, und das Personal bestand nur aus dem Direktor und einer Mitarbeiterin. Doch sollte der Studienbetrieb schon zum Wintersemester 1970/71 starten. Mit der ihm eigenen Mischung aus Pioniergeist, Organisationstalent und pragmatischem Vorgehen schaffte es Rudolf Frankenberger, innerhalb weniger Monate mit neuen Mitarbeiter*innen das Bibliothekszentrum in einer angemieteten früheren Industriehalle einzurichten. Schon Mitte Oktober 1970 standen ein Lesesaal mit 100 Arbeitsplätzen und 10.000 Bänden sowie ein Freihandmagazin für ca. 60.000 Bände zur Verfügung. Die Studierbarkeit an der Gründungsfakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit 14 Professoren und 190 Studierenden konnte auch hierdurch gesichert werden.

In den folgenden Jahren hat man immer wieder die Schnelligkeit des Bestandaufbaus und der Bereitstellung in Augsburg gelobt. Sie verdankt sich dem frühen Einsatz der Datenverarbeitung, die Rudolf Frankenberger als Pionier konsequent nutzte. Ihre Grundlage war die Nachnutzung von andernorts vorliegenden Daten anstelle einer eigenen Neuerfassung. Da die Katalogaufnahmen der Neugründung UB Regensburg maschinenlesbar vorlagen, nutzte Augsburg sie für die Bestellung und den Formalkatalog nach (lokalspezifische Angaben fügte Augsburg noch hinzu); die Notationsdaten wurden für die Buchaufstellung und die Sacherschließung weiterverwendet.

Aus der Tandemlösung von Regensburg und Augsburg entwickelte sich die gemeinsame Katalogdatenbank des Bibliotheksverbunds Bayern. Denn alle weiteren Neugründungen der Folgejahre in Bayern nutzten diesen Katalogdatenpool und reicherten ihn mit eigenen Daten an. Auf diese Weise konnte Frankenberger mit Geschick und Hartnäckigkeit nach und nach einen bayernweiten Datenverbund aufbauen, durchaus auch gegen Widerstände. Die großen älteren Bibliotheken in Bayern zogen erst später nach. Der Bibliotheksverbund Bayern war der erste in Deutschland und er blieb bis zum Ende von Frankenbergers Amtszeit der an Katalognachweisen umfangreichste deutsche Verbund. Die UB Augsburg engagierte sich auf Initiative ihres Leiters in Bayern und bundesweit besonders in der Sacherschließung. Rudolf Frankenberger arbeitete in der Kommission für Sacherschließung des früheren Deutschen Bibliotheksinstituts (DBI) mit und gab die für die Praxis maßgebliche Beispielsammlung zu den RSWK heraus. Bis heute bringt die UB Augsburg sich bei der Normierung landes- und bundesweit führend ein, zunächst im Rahmen der Schlagwortnormdatei, heute in der GND und einschlägigen Expertengremien.

Ebenso dringlich wie der laufende Betrieb der UB war in den ersten Jahrzehnten die Aufbauplanung für das Bibliothekssystem. Frankenberger plante eine Zentralbibliothek mit den zentralen Dienstleistungen Erwerbung, Katalogisierung und Ausleihe und daneben wenigen größeren Teilbibliotheken bei den Fachbereichen; diese sollten als Präsenzbibliotheken mit Arbeitsplätzen und aktueller Fachliteratur geführt werden. Für die Dozent*innen waren Handapparate vorgesehen, Institutsbibliotheken sollte es nicht geben. Dieses System wurde so eingeführt und erwies sich als sehr effizient; auch die meisten Lehrenden haben es rasch akzeptiert. Anschließende Neugründungen in Bayern orientierten sich daran.

Zentralbibliothek und Teilbibliotheken waren in Augsburg lange Zeit provisorisch untergebracht; dabei war immer wieder Frankenbergers Talent zur Improvisation gefragt. Die Bauplanung für das neue Bibliothekssystem begleitete ihn jahrzehntelang. Zahlreiche Bibliotheksbauten wurden während seiner Amtszeit auf dem Campus südlich der Stadt errichtet und bezogen: 1977 die Teilbibliothek Geisteswissenschaften, 1985 die Zentralbibliothek, 1990 die Teilbibliothek Mathematik, 1994 die Teilbibliothek Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und 1998 die Teilbibliothek Physik. Die Universitätsbibliothek wuchs mit ihrer Universität, die bei Frankenbergers Ausscheiden ca. 160 Professuren, gut 2.000 Mitarbeiter*innen und ca. 15.000 Studierende umfasste. Die ursprüngliche Zielplanung hatte allerdings mit 8.000 Studierenden gerechnet. Die Bewältigung dieser Überlast brachte ihrerseits etliche Probleme mit sich. Aber mit dem vom Direktor immer eingeforderten und geförderten Teamgeist und dank eines Arbeitsstils, der die Mitarbeiter*innen stets eng einband, wurden sie gut bewältigt.

Trotz einer häufig schwierigen Haushaltslage und nur wenig Sondermitteln kam der Bestandsaufbau in großen Schritten voran und die Regalkapazitäten füllten sich rasch. Am Ende des Jahres 1997 waren nahezu 1,9 Mio. Bände und 400.000 Non-book-Medien erreicht. Neben der aktuellen Fachliteratur, die in strenger Auswahl und möglichst ohne Doppelkäufe angeschafft wurde, legte Frankenberger großen Wert darauf, eine Auswahl an umfangreicheren Altbeständen und privaten Büchersammlungen zu kaufen, die seitdem vor allem in den Geisteswissenschaften einen reichen Fundus für die Forschung bilden. Ein aufsehenerregender Ankauf gelang dem Freistaat 1980 mit der Fürstenbibliothek Oettingen-Wallerstein. Er wurde dadurch auf einen Schlag um ca. 147.000 historische Drucke, ca. 1.300 Inkunabeln, ca. 1.000 Handschriften (ganz vorwiegend aus dem Mittelalter) und ca. 2.000 Musikmanuskripte – einschließlich der Bestände von fünf früheren Klosterbibliotheken – reicher. Diese Fürstenbibliothek wurde der UB Augsburg zugewiesen und in den Folgejahren erschlossen. Sie sichert ihr bis heute einen der vorderen Plätze unter den Altbestandsbibliotheken.

Unter den weiteren Erwerbungen umfangreicher historischer Sammlungen während Frankenbergers Direktorat seien noch einige genannt: die Bibliothek der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Freising, die Bibliothek der Pädagogischen Stiftung Cassianeum, Donauwörth, aus dem Zeitraum 1870 bis 1920, eine Sammlung zur Musik der Synagoge vor 1933 sowie die Thomas-Mann-Sammlung der Germanist*innen Klaus W. und Ilsedore B. Jonas. Es war ebenso ein Verdienst der Bibliothek wie ein Glücksfall, dass das Bestandsprofil der UB und wesentliche Anteile des Forschungsprofils der Universität sich parallel entwickelten und aufeinander bezogen. Die UB entfaltete auf Initiative und unter aktiver Beteiligung ihres Direktors, der auch persönlich an den historischen Themen interessiert war, nun eine rege Ausstellungs- und Publikationstätigkeit rund um die historischen Sammlungen. Die große Halle in der Zentralbibliothek bot dafür seit 1985 gute Voraussetzungen. Auch hier kam Frankenbergers Rolle als Online-Pionier noch einmal zum Tragen. Schon in den 1980-er Jahren wurden in einem DFG-Projekt Digitalisate von Titelblättern der historischen Drucke erstellt.

Die hohe Kompetenz und die Tatkraft des Augsburger Bibliotheksleiters sprachen sich natürlich in der Fachwelt herum; hierzu trugen auch Frankenbergers zahlreiche Vorträge und Publikationen bei. Von 1985 bis 1991 berief die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ihn in den damaligen Bibliotheksausschuss (heute AWBI) und von 1989 bis 1991 war er dessen Vorsitzender. In diese Amtszeit fielen wichtige Grundsatzpapiere wie die „Vorschläge zur Weiterentwicklung der Verbundsysteme unter Einbeziehung lokaler Netze“ und das Konzept der DFG zur Ausstattung der Hochschulbibliotheken mit lokalen Bibliothekssystemen. 1991 startete die UB Augsburg als Pionierin das erste Online-Katalogsystem, das unter dem Akronym SOKRATES bekannt wurde. Wissenschaftsminister Zehetmair, ein Altphilologe, schenkte der Bibliothek zu diesem Anlass eine Marmorbüste des Philosophen Sokrates. Sie stand jahrzehntelang im Besprechungszimmer der Bibliothek und galt als äußeres Zeichen für die hier praktizierte offene Gesprächskultur.

Nach der politischen Wende von 1989 war die Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Bibliotheken in Ost- und Westdeutschland ein wichtiges Thema. Rudolf Frankenberger wirkte an den Empfehlungen der DFG zur Integration der Bibliotheken der neuen Bundesländer in die überregionalen Strukturen der Bundesrepublik mit. 1989 wurde er in die Arbeitsgruppe Bibliotheken des Wissenschaftsrats berufen. Während seiner Mitgliedschaft bis 1997 standen dort Entscheidungen von großer politischer und finanzieller Tragweite an. Sie betrafen den Bau und die Erweiterung der Hochschulbibliotheken, aber auch Anträge zur Weiterentwicklung ihrer lokalen Bibliothekssysteme. In dieser wissenschaftspolitischen AG arbeiteten drei Bibliothekare mit fünf Professoren und zwei Vertretern von Bund und Ländern zusammen. Die Bibliothekare konnten dank ihrer hohen Sachkompetenz und Überzeugungskraft die Anliegen entscheidend voranbringen. Die Entscheidungsstrukturen in Sachen Hochschulbau waren schon damals ziemlich undurchsichtig; Rudolf Frankenberger konnte durch zwei Aufsatzpublikationen über das Thema erheblich zur Transparenz und Akzeptanz des Verfahrens beitragen.

Im Jahr 1980 hatte er zusammen mit den Kollegen Peter Schweigler (UB der TU München), Rolf Fuhlrott (UB der TU Karlsruhe) und Werner Rittberger (FIZ Energie/Physik/Mathematik in Karlsruhe) eine neue Bibliothekszeitschrift gegründet. Sie sollte sich auf technische Fragen mit Blick auf die Praxis konzentrieren und bekam den Namen ABI Technik. Publikationsfelder der Zeitschrift waren – und sind bis heute – Automation, Bau und Technik in Bibliotheken, Archiven und Informationseinrichtungen. Rudolf Frankenbergers Gabe, auf Menschen zuzugehen, bewährte sich beim Gewinnen der Autor*innen einmal mehr, sein Standvermögen ebenfalls. Er hat sich über die Dienstzeit hinaus bis 2001 im Herausgebergremium engagiert. Über Jahrzehnte berichtete er in der Zeitschrift regelmäßig über Bibliotheken und Bibliothekskongresse in Österreich. Die Vereinigung der Österreichischen Bibliothekare (VÖB) zeichnete ihn dafür 1992 mit der Dr.-Josef-Bick-Ehrenmedaille aus.

Auch um unseren Berufsverband VDB hat Rudolf Frankenberger sich in leitender Funktion verdient gemacht. Er war zunächst als Vorstandsmitglied auf der Bundesebene aktiv an der Entwicklung des Verbands beteiligt. Für die Jahre 1983 bis 1985 wählten die Mitglieder ihn zum Vorsitzenden des Vereins Deutscher Bibliothekare (VDB). Frankenberger hat als Vorsitzender zwei große Deutsche Bibliothekartage, die wichtigsten Kongresse im Bibliothekswesen, in Bielefeld und in Trier eröffnet; 1987 war der Bibliothekartag schließlich zum ersten Mal zu Gast in „seiner“ Universität Augsburg.

Ein viel diskutiertes Thema dieser Jahre war das Empfehlungspapier des Wissenschaftsrates von 1986 über den Magazinbedarf der „neuen“ Universitätsbibliotheken. Frankenbergers Erfahrung, sein Organisationstalent und sein ausgleichendes Wesen halfen, die stark divergierenden Interessen zu bündeln. Als Mitglied der Ausbildungskommission des VDB machte er sich u.A. um die Aktualisierung der Informationen des Berufsbilds „Wissenschaftlicher Bibliothekar“ verdient, die in der Reihe „Blätter zur Berufskunde“ der Bundesanstalt für Arbeit erschienen. Natürlich war er auch hier ebenso in der Praxis aktiv; viele Bibliothekar*innen der nächsten Generation bildete er in Augsburg aus oder er hat sie beraten und unterstützt.

Von seiner Bereitschaft zum kollegialen Engagement profitierte auch der internationale Bibliotheksverband IFLA. Hier hatte er in den Jahren um 1990 zuerst das Amt des Secretary und dann jenes als Chairman der „Section of Interlending and Document Delivery“ inne. Der IFLA-Weltkongress 1991 in Moskau bescherte ihm unruhige Tage. Wie er erzählte, durften die Delegierten ihr zentral gelegenes Tagungshotel nicht verlassen, nachdem Michail Gorbatschow, der Generalsekretär der KPdSU, gerade unerwartet seinen Rücktritt erklärt hatte. Moskau war in Aufruhr, auf dem Roten Platz fanden sehr große Demonstrationen statt und die Armee ließ Panzer auffahren.

Zu Rudolf Frankenbergers Abschied aus dem aktiven Bibliotheksdienst im Jahr 1998 gab sein langjähriger Stellvertreter an der UB Augsburg, Dr. Otto Weippert, eine Festschrift heraus, für die zahlreiche Kolleg*innen aus Deutschland Aufsätze beisteuerten; ihre Themen standen auch für die Breite der bibliothekarischen Arbeitsfelder des Jubilars. Der Band enthält auch Frankenbergers Personalbibliografie. Die Universität Augsburg ernannte ihn anlässlich seines Ausscheidens zu ihrem Ehrenmitglied. Auch im Ruhestand kam er zu zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen als interessierter und geschätzter Gesprächspartner in die Universität. In dieser Lebensphase hatte Rudolf Frankenberger wieder mehr Zeit für seine Ehefrau Luise, die drei erwachsenen Töchter, die Verwandtschaft und den Freundeskreis. Sein persönliches Engagement im Rotary Club Augsburg baute er nun noch aus, indem er regionale und überregionale Ehrenämter bei Rotary International übernahm.

Als Gründungsdirektor blieb er dabei stets an „seiner“ Bibliothek und am Bibliothekswesen interessiert. Zusammen mit Klaus Haller (BSB München) publizierte Frankenberger 2004 das Buch „Die moderne Bibliothek“ – ein umfangreiches Standardwerk, das in 17 Beiträgen zuverlässig über den Stand des wissenschaftlichen Bibliothekswesens informierte. Zuletzt gelang es, ihn noch einmal für einen Fachbeitrag zur Festschrift zum 100. Deutschen Bibliothekartag, welche die Berufsverbände VDB und BIB 2011 herausgaben, zu gewinnen. Das Thema seines Aufsatzes war die IT-Revolution der Jahre 1960 bis 1990, die ihn und seine Generation im Bibliotheksdienst so entscheidend prägte.

Dr. Rudolf Frankenberger wird mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen, seiner Tatkraft und Offenheit für Neues, aber auch mit seiner Bescheidenheit vielen Fachkolleginnen und -kollegen fehlen, die ihn kennenlernen oder mit ihm arbeiten durften. Der VDB und die UB Augsburg werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.

Ulrich Hohoff, Universitätsbibliothek Augsburg (i.R.)

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5939

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