Wissenschaftskommunikation im Wandel : von Gutenberg bis Open Science / Rafael Ball. – Wiesbaden : Springer VS, 2021. – X, 141 Seiten : Illustrationen. – ISBN 978-3-658-31540-5 : EUR 49.99 (auch als E-Book verfügbar)

Ein Buch, das der Leserschaft verspricht, auf 140 Seiten die Geschichte der Wissenschaftskommunikation darzustellen, wird sicher großes Interesse bei denjenigen wecken, die sich einen Überblick über das Thema verschaffen wollen. Dies wird erst recht der Fall sein, weil der Autor einer der vom Verlag genannten Zielgruppen, den Informationsprofis (und solchen, die es werden wollen), keineswegs unbekannt ist und das Buch in einem Verlag erschien, der als renommiert gilt.

Die Kombination „renommierter Verlag und bekannter Autor“ führt möglicherweise dazu, dass man dem Buch – je nach Grad der Vorkenntnisse – mit einem gewissen Respekt begegnet und sich vielleicht sagt: „Ich kann davon ausgehen: Das stimmt, was hier steht.“ Ob das Buch diese Erwartung erfüllt, soll Gegenstand dieser kleinen Untersuchung sein. Anders als bei Rezensionen üblich, werden hier sowohl die Leistung des Autors als auch die des Verlags betrachtet.

Der Titel

Der Titel des Buches „Wissenschaftskommunikation im Wandel“ klingt vertraut, hat der Autor doch selbst bereits 2007 einen Artikel unter diesem Titel publiziert.1 Jedoch untersuchte er damals die „Verwendung von Fragezeichen im Titel von wissenschaftlichen Zeitschriftenbeiträgen in der Medizin, den Lebenswissenschaften und in der Physik von 1966 bis 2015“.

Der Zusatz zum Titel lautet „Von Gutenberg bis Open Science“, und auf dem hinteren Umschlag wird gesagt, das Werk behandele „die Entwicklung der Wissenschaftskommunikation seit der Antike und führt die Entwicklung in die Gegenwart von Open Access und Open Science“. Tatsächlich jedoch setzt Ball historisch sogar früher an, nämlich bei den Anfängen der Menschheit. Das zweite Kapitel wird durch einen Peritext eingeleitet: „Seit drei Millionen Jahren gibt es Menschen auf der Erde, seit wenigen Jahrtausenden gibt es die Schrift.“ Man mag zunächst staunen, da man davon ausging, dass es den Homo Sapiens – und von wem sollte, wenn es um „die Entwicklung der Sprache und die Erfindung der Schrift“ geht, sonst die Rede sein? – erst seit ca. 300.000 Jahren gibt. Im Text selbst erläutert Ball aber, dass verschiedene Spezies gemeint seien. Dieser Exkurs zeigt schon die Dimension der im Buch behandelten Geschichte der Wissenschaftskommunikation.

Zitate und Quellenangaben

Ball zieht in der Einleitung2 Meyers Konversationslexikon heran, um den Begriff „Wissenschaft“ zu definieren (S. 2). Die Definition aus dem Lexikon („das System des durch Forschung, Lehre und überlieferte Literatur gebildeten, geordneten und begründeten, für sicher erachteten Wissens einer Zeit“) hätte auch vollkommen genügt, um zunächst eine Vorstellung davon zu vermitteln, worum es in dem Buch geht.

Aber der Autor beginnt anders. Er definiert auf der ersten Seite Wissenschaftskommunikation als „Teil des wissenschaftlichen Prozesses selbst, dass Wissenschaftler und Forscher über ihre Erkenntnisse miteinander reden, sich austauschen, ihre Ideen und Hypothesen diskutieren, revidieren oder bestätigen“, um direkt anschließend eine erste Definition von „Wissenschaft“ zu geben. Er zieht dafür den Wissenschaftssoziologen Derek de Solla Price und dessen Buch „Little Science, Big Science“ heran: „Ganz in diesem Sinne definiert […] de Solla Price (1922–1983) Wissenschaft. Für ihn ist Wissenschaft das, was in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wird und ein Wissenschaftler ist ein Mensch, der in solchen Zeitschriften etwas veröffentlicht hat (De Solla Price, 1974, S. 6ff.)“.

Diese Quellenangabe – wie erwähnt auf S. 1 – ist problematisch. Der erste Aspekt ist formaler Natur. In der zitierten Ausgabe ist die S. 6 nämlich nicht bedruckt. Der Hinweis auf die „anerkannten wissenschaftlichen Zeitschriften“ ist stattdessen auf S. 50 zu finden. Der zweite Aspekt ist der Zusammenhang, in dem de Solla Price die „anerkannten wissenschaftlichen Zeitschriften“ erwähnt. In seinem Buch geht es bei diesem Thema um die Aussagekraft einer wissenschaftlichen Entdeckung, für die man „Grade der Bedeutsamkeit festsetzen“ müsse; dies solle in Form einer „gleitenden Skala“ geschehen. „Eine solche Skala – die traditionelle, wie sie von Dekanen und anderen Arbeitgebern benützt wird – ist die Zahl der Publikationen, die einer in anerkannten wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht hat. Es ist von vornherein zugestanden, dass dies ein schlechter Maßstab ist.“3 Es erschließt sich nicht, warum Ball an prominenter Stelle eine Definition bringt, die im Sinne des zitierten Autors keine ist. Ball hingegen ist es ernst mit dieser Definition und dem Beleg bei de Solla Price, wiederholt er beides doch auf S. 61.

Auf S. 2 rekurriert Ball auf die „Wertschöpfungskette des Wissens“, die er bereits 20014 in einem Artikel (etwas anders als in dem in Rede stehenden Buch) grafisch dargestellt hatte. Die Quellenangabe lautet „(Ball, 2002, S. 26–27)“. Gemeint ist aber die nur im Literaturverzeichnis angegebene Quelle: „Ball, R. (2001) […] S. 117–130)“. Eine Kleinigkeit, gewiss. Ebenso wie der Nachweis „(Ziegenfuss, 1949, S. 282ff.)“ auf S. 20, der im Literaturverzeichnis ohne Entsprechung bleibt. Weiß man, dass Werner Ziegenfuss das „Philosophen-Lexikon“ herausgegeben hat, dann lohnt eine Suche im Literaturverzeichnis unter P, wo man tatsächlich fündig wird. Aber wäre es nicht Aufgabe eines gewissenhaften Lektorats gewesen, diesen Widerspruch zu korrigieren?

Wir haben also bereits auf zwei Seiten drei Quellenangaben, die so nicht hätten gedruckt werden dürfen. Dem kann man entgegenhalten, es könne nicht Aufgabe des Lektorats sein, sich eine Monografie von 1974 zu beschaffen, um Angaben zu prüfen; das wäre es vermutlich auch nicht, wenn die weiteren Quellenangaben im Buch keinen Anlass zum Zweifel geben würden.5 Daher hätte nach der ersten Lektüre klar sein müssen, dass eine Überprüfung angezeigt gewesen wäre.

Gravierender ist es, wenn anderen Autoren Worte in den Mund gelegt werden, die diese nicht geschrieben haben. So schreibt Ball auf S. 21: „Oder wie Thomas Hettche – freilich mit einem Seitenhieb auf die Digitalisierungsstrategie der Bibliotheken – in der FAZ schrieb: ‚Wir reisen mit beängstigend leichtem Gepäck. Denn nichts von dem, was wir aufnehmen, akkumuliert sich noch in uns. So, wie wir nicht satt sind, wenn wir nicht essen, sind wir dumm, wenn der Datenfluß einmal abreißt. Und so klingt es fast unglaublich, dass Bibliothekare – einst Bewahrer von Buch und Kultur – heute aktiv daran beteiligt sind, unsere anamnetische Kultur verschwinden zu lassen.‘“

Für dieses Zitat gibt Ball die Quelle mit „Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 23.12.2003“ an. Der Anfang des Zitats ist so auch in dem Zeitungsartikel nachzulesen. Der zweite Absatz jedoch ist weder dem PDF noch der HTML-Seite des F.A.Z.-Bibliotheksportals zu entnehmen. Nach Auskunft der F.A.Z. wurde der Artikel aus der gedruckten Tagesausgabe vom 23.12.2003 nicht verändert, sodass die Druckausgabe vom 23.12.2003 mit der im Bibliotheksportal identisch ist und der Satz zumindest von Hettche nicht für die F.A.Z. geschrieben wurde.

Das in Frage stehende Zitat hat Ball bereits in einem früheren Buch und in zwei Artikeln gebracht:

  1. „Was von Bibliotheken wirklich bleibt“. Wiesbaden, Dinges & Frick, 2013, S. 65.
  2. „Sicherheit und Verunsicherung im Zeitalter elektronischer Wissenschaftskommunikation“, in: B.I.T. online 8 (1), 2005, S. 25–28.
  3. „Der Klick zum Wissen“, in: Gegenworte Heft 14, 2004, S. 49–52.6

In der letztgenannten Quelle sieht man dann das Zitat von Hettche richtig zitiert: „Dabei ‚reisen [wir] mit beängstigend leichtem Gepäck. Denn nichts, was wir aufnehmen, akkumuliert sich noch in uns. So, wie wir nicht satt sind, wenn wir nicht essen, sind wir dumm, wenn der Datenfluß einmal abreißt‘“. In der Fußnote 6 gibt Ball die Quelle an und fügt dann einen eigenen (!) Satz hinzu: „Und so klingt es fast unglaublich, dass Bibliothekare – einst Bewahrer von Buch und Kultur – heute aktiv daran beteiligt sind, unsere anamnetische Kultur verschwinden zu lassen.“ Daraus wurde im Laufe eines Jahres (2004–2005) ein Konglomerat aus Zitat und eigenem Kommentar, das Hettche zugewiesen wurde. Damit wird deutlich, dass der „Seitenhieb auf die Digitalisierungsstrategie der Bibliotheken“ eben nicht von Hettche, sondern von Ball selbst stammt.

Der Wert eines guten Lektorats zeigt sich in Fällen, in denen Online-Quellen und deren Adressen im Zeitraum zwischen Schreiben und Lektorat verändert wurden. Dieser Zeitraum kann durchaus einige Monate betragen. So zitiert Ball auf S. 105 eine Online-Quelle, die einen Monat nach dem angegebenen Konsultationsdatum vom Netz genommen wurde. Dies konnte der Autor nicht antizipieren, doch wäre es Sache des Lektorats gewesen, die Online-Quellen zu prüfen und den Autor auf diese Änderung hinzuweisen, damit er seinen Text anpassen kann. Eine solche Anpassung finden wir auch: Auf S. 105 wird Sherpa Romeo vorgestellt; diese Webseite hat Ball im Mai 2020 konsultiert und ihre URL als Quelle angegeben. Interessanterweise enthält sein Buch auf S. 106 aber einen Screenshot der Startseite von Sherpa Romeo, für den die URL der neuen Version genannt wird, aber das Konsultationsdatum fehlt.7

Insgesamt erweckt die hier vorliegende Zitierpraxis den Eindruck eines in Eile geschriebenen Buchs, die aus Sicht der Rezensentin nicht den Ansprüchen genügt, die ein*e Bibliothekar*in an sich selbst stellen müsste.

Orthographie, Interpunktion, Grammatik, Layout

Ein weiterer Vorteil des Lektorierens ist, dass dort Fehler auffallen, die ein*e Autor*in im eigenen Text nicht bemerkt. Ein fehlendes Lektorat dagegen macht sich z.B. in Büchern aus Selbstverlagen und in Verlagen, die weniger auf Qualität fokussiert sind, bemerkbar.

Hier aber kommen grammatikalisch falsche Wörter vor (Bsp.: S. 14, 10. Zeile von unten: „sehen“ anstelle von „sähen“), außerdem fehlende Buchstaben (Bsp.: S. 91, 4. Zeile von unten: „eingehende“ anstelle von „einhergehende“) sowie das (bedauerlicherweise auch in bibliothekarischen Kreisen) häufig falsch geschriebene Wort „lizensierte“ anstelle von „lizenzierte“ (Bsp.: S. 88, 8. Zeile von unten). Natürlich würden auch Tippfehler vom Lektorat entdeckt (Bsp.: S. 58, 16. Zeile von oben: § anstelle von „) sowie zu viele Kommata (Bsp.: S. 89, 7. Zeile von oben: Kommata nach „teilten“ und „teilen“).

Am Layout wäre der Redaktion aufgefallen, dass das Literaturverzeichnis ein unruhiges Schriftbild hat, was daher rührt, dass manche Quellen kursiv gedruckt sind, der Kursivdruck jedoch keiner Methodik folgt. Auch das mehrzeilige Zitat auf S. 24f. wäre wie alle anderen eingerückt worden.

Zu den Formalia sei noch auf den Disclaimer des Verlags auf der Rückseite der Haupttitelseite hingewiesen: „Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind.“

Der Inhalt

Der Text gliedert sich in sechs Kapitel, wovon die Einleitung das erste ist. Die fünf weiteren Kapitel folgen grundsätzlich der Chronologie der Wissenschaftskommunikation. Jedoch schlägt der Autor bei jeder Phase dieser Geschichte einen Bogen ins Hier und Jetzt durch seine Fragen zur Digitalisierung. So schreibt er im Abschnitt über die Entwicklung der Sprache und die Erfindung der Schrift auf S. 14, die Schrift habe den Ägyptern „als ein Geschenk Gottes“8 gegolten, im Mittelalter hätten Gelehrte „das geschriebene Wort als eine Gottesverehrung bezeichnet“ und es würde ihn „nicht verwundern“, fänden wir diesen Gedanken „in der aktuellen Diskussion um die Digitalisierung der Wissenschaftskommunikation“ wieder, gälte „doch Vielen das geschriebene und gedruckte Wort als etwas nahezu Heiliges“9. Ball führt ein weiteres Zitat an, das seine Theorie bestärken soll: „‚Für jeden Buchstaben, jede Zeile und jeden Punkt, den er schreibe, werde ihm eine Sünde vergeben, meinte im elften Jahrhundert ein Mönch aus Arras.‘“ Just dieses letzte Zitat widerlegt aber Balls Theorie von der Fortdauer des Heiligen im geschriebenen Wort, denn das Heilige bestand im Mittelalter gar nicht in der Wahrnehmung des geschriebenen Worts, sondern vielmehr im Schreiben, um dadurch Gottes Wort in der Welt zu verbreiten.10

Doch zurück zum Lesen als Kulturtechnik im digitalen Zeitalter! Ball führt einige Autoren an, die sich darüber kulturkritisch äußern. Das beginnt mit dem Abstieg des Menschen durch seine Sesshaftwerdung (Harari), geht über den entfremdeten, verarmten, da von der Schrift geprägten Menschen (McLuhan), dessen Hirn nicht zum Lesen gebaut sei (Spitzer), bis zur Frage, ob die Formen des Lesens und Schreibens, die sich der Mensch angeeignet hat, in 30 Jahren noch gefragt sein würden (Hagner). Dies sind zwar alles bedenkenswerte Aspekte, doch letztlich stellt Ball zu Recht fest, dass Sprache und Schrift nun einmal die Basis für Wissenschaftskommunikation seien (S. 16–19).

Entlang der drei Paradigmenwechsel „Die Revolution des Aristoteles“, die den Wechsel vom Mündlichen bei Sokrates zum schreibenden Aristoteles bezeichnet, „die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg“ und die digitale Revolution in den 1990er-Jahren (S. 23) beschreibt Ball die Geschichte der Wissenschaftskommunikation in den Kapiteln zwei bis vier (S. 11–75).

Im vierten Kapitel belegt er die exponentielle Steigerung der Anzahl wissenschaftlicher Zeitschriften im 20. Jahrhundert. Es wird „klar, dass wissenschaftliche Veröffentlichungen zu einem Massenphänomen (und später zu einem Massenproblem geworden sind).“11 Darauf folgt eine Darstellung der Zitationsdatenbanken, die zur „Quantifizierung des Wissens als (notwendige) Konsequenz der Wissenschaft als Massenphänomen“ führen. Eine „relevante Konsequenz aus der Verbreitung und Nutzung bibliometrischer Zitationsdatenbanken ist das zunehmende strategische Verhalten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Produzenten von wissenschaftlichem Output. […] Die Philosophie des Looking Good statt Being Good evoziert strategisches Handeln der Autoren entlang und auf der Grundlage wissenschaftsfremder Kriterien“ (S. 75).

Ball belegt diesen Vorwurf mit zwei Metastudien. In der ersten wurden 486 Psychologie-Artikel daraufhin untersucht, ob spezifische Berichterstattungsstrategien verwendet wurden. Dies war bei 65 Papers der Fall (Jellison et al., 2019)12. Der zweite Beitrag behandelt das Ranking von Business Schools (Gioia & Corley, 2002)13.

Ball erwähnt nicht die Reputationsproblematik, die aus seiner Behauptung deutlich wird, Wissenschaft sei das, „was in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wird“ (S. 1). Er beschreibt nicht, dass die Verlängerung eines Zeitvertrags, geschweige denn eine Festanstellung von Wissenschaftler*innen, immer noch oftmals vom Impact Factor der Zeitschriften abhängt, in denen diese publizieren, und er informiert auch nicht über Initiativen wie DORA (Declaration of Research Assessment), die diese Abhängigkeit aufzulösen versuchen.

Im weiteren Verlauf des fünften Kapitels kommt er stattdessen noch drei Mal auf die Gefahr zurück, die der Wissenschaftskommunikation durch „Looking good vs. Being good“ entstehe. Dies sei bei Altmetrics der Fall (S. 87). Außerdem gerate „das eigene Schamgefühl als Maßstab für die Unterscheidung [zwischen den Kategorien ‚wahr‘ und ‚falsch‘, Rez.] zunehmend in Zweifel, wie genau man es denn mit der Wahrheit nehmen müsse. […] Wenn Wahrnehmung (und ihre Feststellung) wichtiger werden als Wahrheit, dann werden für die widerspruchslose Grenzverschiebung von Wissen zur Meinung und umgekehrt die Schranken fallen“ (S. 115). Letztlich werde der „Aufbau von (Forschungs-)Daten-Servern und anderen übergreifenden Publikationsplattformen der Verlage (die über riesige Datenmengen verfügen) später wieder Abhängigkeiten erzeugen, insbesondere dann, wenn in der Wissenschaft Looking Good wichtiger wird als Being Good und die Auswertung von Publikationsdaten diesen Trend unterstützt“ (S. 128). Auch hier fehlen kritische Anmerkungen zu den Workbenches der großen Verlage und welche Gefahren die „Abhängigkeiten“, also der Vendor Lock-In, implizieren. Jegliche Verantwortung für die Missstände im wissenschaftlichen Publikationssystem wird den Autor*innen angelastet, Lösungen werden nicht angedeutet – auch im letzten Abschnitt „Ausblick“ nicht.

Das fünfte Kapitel „Wissenschaftskommunikation in der Gegenwart“ beginnt mit einem siebenseitigen Abriss der dafür genutzten Medien vom Papyrus zur CD-ROM. „Dies alles geschah am Horizont einer aufziehenden Internetwelt“, wie man verblüfft auf S. 85 liest.

Mit dem dritten Abschnitt des fünften Kapitels beginnt – ausgehend von der Zeitschriftenkrise – Balls Auseinandersetzung mit der Open-Access-Bewegung. Er hatte bereits in der Einleitung angedeutet, dass seine Beziehung zu Open Access nicht unbedingt euphorisch ist: „Die Unabhängigkeit von Zeit und Raum der digitalen Welt ist für die Wissenschaftskommunikation eine Revolution. Dieser Geist steckt auch in der Open-Access-Bewegung, die teilweise aber mit ihren Forderungen über das Sinnvolle und Machbare hinausgeht, indem sie erwartet, dass wissenschaftliche Informationen ständig immer [sic] und überall, aktuell kostenlos für jedermann zugänglich sind“ (S. 8).

Die hier genannten Forderungen sind die, die im „Bethesda Statement on Open Access Publishing“ von 2003 als Definition von Open Access stehen:

„An Open Access Publication is one that meets the following two conditions:

  1. The author(s) and copyright holder(s) grant(s) to all users a free, irrevocable, worldwide, perpetual right of access to, and a license to copy, use, distribute, transmit and display the work publicly […].
  2. A complete version of the work and all supplemental materials, including a copy of
    the permission as stated above, in a suitable standard electronic format is deposited
    immediately upon initial publication in at least one online repository […].“14

Rafael Balls Behauptung, eine der grundlegenden Definitionen von Open Access ginge über das Sinnvolle und Machbare hinaus, gehört, da sie, ebenso wie die folgenden Punkte, nicht belegt wird, eher in den Bereich der Meinung. Insgesamt stellt Ball fest, dass „das Thema der Zugänglichkeit zu wissenschaftlicher Information und Literatur für nicht wenige der Beteiligten eine Art Stellvertreterkrieg für politisch-ideologische Weltanschauungen dar[stellt] (Kapitalismuskritik), die teilweise weit über die Sachebene hinausreicht“ (S. 93). Mit der Realität konfrontiert, so insinuiert Ball, ende „die Begeisterung für Open Access“ (S. 103). Das Open-Access-System werde zwar auf Grund des Drucks der Open-Access-Bewegung und der Macht des Faktischen zunehmend akzeptiert (S. 107), „wenngleich die allermeisten Wissenschaftlerinnen die ‚Faust nur in der Tasche‘ machen können oder wollen“ (S. 114). Ball meint, durch Open Access würden „die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit […] massiv beschnitten“ (S. 113) und führt dafür zwei Quellen an. Demgegenüber existieren durchaus Stellungnahmen, die anderer Meinung sind.15

Eine „Darstellung der Wissenschaftskommunikation“ (S. V) sollte entweder auf Meinungsäußerungen verzichten oder beide Seiten zu Wort kommen lassen. Gerade in einem Buch, welches dieses Thema wie hier auf wenige Seiten komprimiert, hätte der Autor darauf achten müssen, dass die von ihm als Gefahr angesehene „Grenzverschiebung von Wissen zur Meinung“ (S. 115) nicht eintritt.

Zu den Fakten sei darauf hingewiesen, dass PLOS ONE heute nicht mehr als größte OA-Zeitschrift der Welt gilt, die mit einem Peer-Review-Verfahren arbeitet (so auf S. 103). Denn bereits 2017 stellte Phil Davis fest, dass PLOS ONE von Scientific Reports überholt worden sei.16 Auf S. 104 stellt Ball die verschiedenen Creative-Commons-Lizenzen vor. Im Gegensatz zu dem hier Beschriebenen werden alle Lizenzen, bis auf CC 0, mit „CC BY“ eingeleitet. Die Einschränkungen erfolgen durch angehängte Kürzel, also z.B. „CC BY-NC“ anstelle von dem hier angegebenen „CC-nc“.17

Zum Schluss noch zwei Anmerkungen zu den „Seitenhieben“ auf Bibliotheken und Bibliothekar*innen: Ball setzt Diamond Open Access fälschlich mit Selfpublishing gleich und sagt, es sei „fatal, sich von den Leistungen der Verlagswelt und der Bibliotheken als Partner abzuwenden, in der Hoffnung […] auf ein funktionierendes Selfpublishing bauen zu können“. Gleichzeitig wertet er „die massive Beteiligung von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren an ihrer eigenen Selbstentmachtung durch das Engagement in der Open-Access-Bewegung [als] ein geradezu absurdes Phänomen in der Geschichte der Berufsstände“ (S. 112).

Für Ball waren Bibliotheken früher „unverzichtbar, weil sie wirtschaftlich unabhängig nur ihrem Sammelprofil verpflichtet […] kauften oder auch nicht kauften.“ Heute würden „dezidierte Kaufentscheidungen kaum noch gefällt, da inzwischen bei den Großen der Publishingindustrie das komplette Programm lizensiert [sic] wird oder […] open access zur Verfügung steht“ (S. 112). Da es die so genannten „Big Deals“ der großen Verlage bereits seit Anfang der 2000er-Jahre gibt, ist die von ihm ausgemachte „Selbstentmachtung“ der Bibliothekar*innen – wenn überhaupt – kein aktuelles, mit Open Access zusammenhängendes Phänomen.

Im letzten Absatz des Buches stellt Ball fest, die Verlage seien „Stakeholder im Veröffentlichungsprozess und sehen nicht still zu, wie Wissenschaft, Forschungsförderer und Bibliothekare das Ende der Verlage ausrufen“ (S. 128). Er gibt in seinem Buch über 250 Quellen an, auch Plato, Goethe und Heidegger bleiben nicht unbelegt. Aber für seine Behauptungen, die Bibliothekar*innen entmachteten sich selbst durch ihr OA-Engagement und sie riefen das Ende der Verlage aus, bleibt der Autor seiner Leserschaft die Belege schuldig.

Fazit

Ball schreibt auf S. 110 „Der Verlag betreut Autoren und Herausgeber von der Idee bis zur Produktion und Fertigstellung des Manuskripts“, und ergänzt dann „Dazu zählen [sic] die Beratung über Gestaltung und Format, Umfang, Sprache oder Ausstattung.“ Dem Autor wäre zu wünschen gewesen, der Verlag hätte genau dies getan.

Die am Anfang dieser Rezension gestellte Frage, ob das Buch die Erwartungen erfüllt, welche die Kombination „renommierter Verlag und bekannter Autor“ weckt, muss mit einem klaren Nein beantwortet werden. In Hinblick auf die fehlerhaften Zitationen ist sogar von der Lektüre abzuraten, da durch weiteres Zitieren die Potenzierung der Fehler droht.

Es handelt sich um das Buch eines Autors, der vor allem im letzten Teil zwar viel bemängelt und eher rückwärtsgewandt argumentiert, aber keine Alternativen bietet. Man mag einwenden, dass dies auch nicht seine Aufgabe sei. Aber in diesem Fall hätte er auch auf seine Meinungsäußerungen besser verzichtet.

Susanne Göttker, FernUniversität in Hagen, Universitätsbibliothek, https://orcid.org/0000-0003-4380-2612

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5932

Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

1 Ball, Rafael: Wissenschaftskommunikation im Wandel. Die Verwendung von Fragezeichen im Titel von wissenschaftlichen Zeitschriftenbeiträgen in der Medizin, den Lebenswissenschaften und in der Physik von 1966 bis 2005, in: Information, Wissenschaft & Praxis 58 (6/7), 2007, S. 371–375. Online: <https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/193627>, Stand: 01.05.2023.

2 Diese Einleitung ist ungewöhnlicherweise gleichzeitig das erste Kapitel.

3 De Solla Price, Derek: Little Science, Big Science. Frankfurt, M., 1974.

4 Ball, Rafael: Die Position der Bibliothek in der Wertschöpfungskette der Wissenschaft, in: Ball, Rafael (Hg.): Die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens, Jülich 2001 (Schriften des Forschungszentrums Jülich, Reihe Bibliothek 10),
S. 117–130. Online: <https://juser.fz-juelich.de/record/45366/files/Bibliothek_10.pdf>, Stand: 23.09.2022.

5 Wie zum Beispiel auf S. 14 die Quellenangabe „(Hagner, 2015, S. 5)“. Gemeint ist das Buch „Zur Sache des Buches“ von Michael Hagner. Auf dessen S. 5 ist aber nur eine Widmung an seine Mutter zu finden. Dafür steht bei Hagner auf S. 180: „…, doch der fahrlässige Umgang mit Fußnoten ist keine Erfindung des Buchdrucks, sondern ein Phänomen der letzten Jahrzehnte, in denen die Fußnote zum Platzhalter für ein Fischen im Ungefähren wurde“.

7 Der Leserschaft sei versichert, dass das Buch noch sehr viele meist formale Fehler in den Quellenangaben enthält. Es soll jedoch bei der genannten Auswahl bleiben, da eine weitere Auflistung der Aufrechterhaltung des Spannungsbogens nicht dienlich wäre.

8 Sollte die Schrift tatsächlich das Geschenk nur eines der vielen altägyptischen Götter gewesen sein, ist vermutlich Toth, der Gott der Schreiber, Wissenschaft und Weisheit gemeint. Oder es handelt sich um einen Fehler, da die alten Ägypter nicht monotheistisch waren.

9 Letzteres wird von Ball belegt mit „(Hagner, 2015, S. 5)“, ein Verweis, der aber wie schon erwähnt ins Leere führt. Die Rezensentin stellt nicht in Abrede, dass Hagner sich in seinem Buch tatsächlich so oder so ähnlich geäußert hat, nur hat sie es nicht gefunden. Sie würde sich freuen, wenn jemand die entsprechende Textstelle fände.

10 Vgl.: „Denn mit jedem Wort des Herrn, das der Kopist niederschreibt, fügt er dem Satan eine Wunde zu.“, in: Cassiodorus, Flavius Magnus Aurelius; Bürsgens, Wolfgang (Hg.): Institutiones divinarum et saecularium litterarum = Einführung in die geistlichen und weltlichen Wissenschaften, lateinisch-deutsch. Teilbd. 1. Freiburg 2003 (Fontes Christiani, 39,1), S. 269.

11 Die abschließende Klammer steht so im Text.

12 Jellison, Samuel; Roberts, Will; Bowers, Aaron u.a.: Evaluation of spin in abstracts of papers in psychiatry and psychology journals, in: BMJ Evidence-Based Medicine 25 (5), 2020, S. 178–181. Online: <https://doi.org/10.1136/bmjebm-2019-111176>.

13 Gioia, Dennis A.; Corley, Kevin G.: Being good versus looking good. Business school rankings and the Circean transformation from substance to image, in: Academy of Management Learning & Education 1 (1), 2002, S. 107–120. Online: <https://www.jstor.org/stable/40214104>, Stand: 01.05.2023.

14 Bethesda Statement on Open Access Publishing, Juni 2002, <https://dash.harvard.edu/bitstream/handle/1/4725199/Suber_bethesda.htm>, Stand: 01.05.2023.

15 Vgl. Steinhauer, Eric: Das Recht auf Sichtbarkeit. Überlegungen zu Open Access und Wissenschaftsfreiheit, Münster 2010, S. 73 und 75 und alle dort wiederum genannten Quellen. Online: <https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:708-dh2359>.

16 Davis, Phil: Scientific Reports Overtakes PLOS ONE As Largest Megajournal, Scholarly Kitchen, 06.04.2017, <https://scholarlykitchen.sspnet.org/2017/04/06/scientific-reports-overtakes-plos-one-as-largest-megajournal/>, Stand: 01.05.2023.