Herausforderungen, Chancen und Grenzen digitaler Sammlungen

Die vom Wolfenbütteler Arbeitskreis für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte und dem Fachinformationsdienst Buch-, Bibliotheks- und Informationswissenschaft veranstaltete Tagung „Sammlungen digital denken“ fand vom 26. bis 28. September 2022 an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (HAB) mit 63 Teilnehmenden statt, um sich mit „zukunftsorientierten, insbesondere digitalen Aspekten des Sammelns“ (HAB) zu befassen. Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage, „wie wir heute in verschiedenen Institutionen Sammlungen digital denken“. Darauf aufbauend formulierte Johannes Mangei (Stellvertretender Direktor der HAB) 1 in seinen einleitenden Worten u.a. folgende Leitfragen zur Tagung: Welche Chancen und Einschränkungen ergeben sich durch digitale Sammlungen? Welche Auswirkungen hat das Digitale auf die Nutzung der überlieferten Kollektionen? Welche Diskussionen werden dazu aktuell geführt oder wären noch zu führen?

Sammlungskulturen im physischen und digitalen Raum

Der erste Tag stand unter dem Titel Sammlungskulturen im physischen und digitalen Raum. Den Auftakt machte Stefan Schmunk (Professor für Informationswissenschaft und Digitale Bibliothek an der Hochschule Darmstadt) mit dem Vortrag „Episteme des Sammelns – Sammlungen zwischen Materialität und Digitalität?“. Er stellte fest, dass digitales Sammeln die Grundlage für das digitale Forschen darstellt. Das Gesammelte erhält durch die Digitalität eine neue Materialität; zugleich ergeben sich neue Darstellungsmöglichkeiten. Da zudem die rein digitale Repräsentation physischer Sammlungen nicht mehr genügt und Metadaten als Forschungsgrundlage an Bedeutung gewinnen, muss unter dem Paradigmenwechsel des Digitalen ein neuer Methodenkanon erarbeitet werden.

Bei allen Vorteilen des Digitalen gilt es auch, dessen mögliche Mängel zu beachten. Durch die Digitalisierung entstehen mit Beschränkungen behaftete Abbildungen und Repräsentationen der physischen Originale. Die Auswahl der dargestellten Merkmale unterliegt der Entscheidung des Modellierers und ist dem jeweiligen Kontext ebenso wie den jeweiligen Relevanzkriterien unterworfen.

Insgesamt eröffnen digitale Sammlungen, so Schmunk, neue Tiefendimensionen für die Forschung. Im Kontext dieser Entwicklungen muss aber auch gefragt werden, wie damit umzugehen ist, wenn Daten nicht mehr interpretiert werden können, da bspw. bereits erhobene Daten aufgrund nicht mehr ausführbarer Programme nicht mehr lesbar sind.

Im Anschluss fragte Karsten Heck (Referent für Sammlungsmanagement an der Zentralen Kustodie der Georg-August-Universität Göttingen) in seinem Vortrag „Denkbar freie Versammlung: Universitätssammlungen und die Nutzbarkeit des Digitalen“, wie es möglich ist, Objekten im Digitalen gerecht zu werden. Nicht von allen Sammlungsobjekten können „digitale Zwillinge“ angefertigt werden, weshalb Metadaten in das Zentrum der Arbeit mit digitalen Sammlungen gerückt werden sollten. Da durch diese mehr Informationen zugänglich werden können, ist es im Digitalen häufig möglich, die Gesamtsammlung in ihrer Semantik und Vernetzung darzustellen. Sie ist durchsuchbar und stellt letztlich ein „fair-netztes“ Schaudepot dar. Hinzu kommt die Möglichkeit der Vernetzung mit anderen Datenbanken wie bspw. der Gemeinsamen Normdatei (GND). Durch die Verwendung des International Image Interoperability Framework (IIIF) ergeben sich schließlich neue Verknüpfungsmöglichkeiten und neue Formen des digitalen Kuratierens, wie Heck anhand des Story-Telling-Tools Strollview demonstrierte.

Michael Knoche (ehemaliger Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar) plädierte in seinem Vortrag „Frühneuzeitliche Wunderkammern und heutige bibliothekarische Sammlungsstrukturen“, der deren historische Entwicklung und Zusammenhänge beleuchtete, für ein Beibehalten des physischen Sammelns und den Umgang mit dem physischen Objekt, während zugleich eine Tendenz zur Abschaffung des Buches zu beobachten ist. Damit einhergehend unterliegt auch das Sammeln einem Änderungsprozess. So wird bspw. immer weniger das physische Medium als Lizenzen erworben. Eine Sammlung besteht folglich nicht mehr, sobald die Lizenzen auslaufen.

Bibliotheken müssen auf diese Entwicklungen hin zu digitalen Sammlungen reagieren und sich als Bestandteile eines lokalen bis hin zu einem internationalen Netzwerk begreifen, das arbeitsteilig Leistungen erbringt. Können sie ihren Standort in Wissenschaft und Forschung nicht definieren, wird es für Bibliotheken schwierig, ihre Daseinsberechtigung zu begründen.

Problematisch an der neuen Entwicklung ist, dass viele der Erkenntnismöglichkeiten den Objekten selbst entstammen. Zudem kommen Sammlungen durch vielfältige Entscheidungen des Erschließens und Erwerbens zu Stande. Daher, so plädierte Knoche, sollten Bibliotheken die Intention des Sammelns physischer Objekte nicht zu schnell aufgeben.

André Schüller-Zwierlein (Direktor der Universitätsbibliothek Regensburg) richtete in seinem Vortrag „Unikales als Herausforderung für die Digitalisierung“ den Fokus auf die Relevanz von Unikaten. Sie erhalten ihre Einzigartigkeit bspw. erst durch Akte des Auswählens, weshalb sie als menschliche Handlungen zu verstehen sind.

Das Sammeln von Unikalem bleibt auch in der Gegenwart für Forschung und Lehre relevant, u.a. um gesammelte Objekte auszustellen, um sich mit anderen Sammlungen zu vernetzen und so physische wie auch digitale Ausstellungen zu ermöglichen. Folglich ist es die Aufgabe der Wissenschaft, die vielen kognitiven und physischen Funktionsweisen von Unikaten ausreichend zu erforschen. Das Digitale muss in diesem Zusammenhang als Chance begriffen werden, auf Unikales aufmerksam zu machen.

Thomas Mandl (Professor am Institut für Informationswissenschaft und Sprachtechnologie an der Universität Hildesheim) fragte in seinem Vortrag „Digitale Sammlungen als Grundlage für Big Data: Der Umgang mit Bias in Bilddaten“ danach, was mit digitalen Sammlungen getan und wie sie ausgewertet werden können. Sie ermöglichen die Verknüpfung von Beständen oder auch neue Analysemethoden. Bei der Auswertung von Sammlungen kann aufgrund ihrer oft nicht beachteten Zusammensetzung aber auch ein Bias erzeugt werden, weshalb bspw. bei Bildsammlungen die Bedingungen ihrer Digitalisierung berücksichtigt werden müssen.

Um Unsicherheiten und der Gefahr des Bias zu begegnen, ist es u.a. nötig, die möglichen Verzerrungen und die problematische Repräsentativität transparent zu machen. Im Zusammenhang mit geisteswissenschaftlicher Forschung besteht das Problem, so Mandl, dass sie im Vergleich zu Metriken der künstlichen Intelligenz häufig nicht in binären Klassen unterscheidet. Zudem fehlt die notwendige Menge an Trainingsdaten.

Sammlungen in Archiven, Museen und bibliothekarischen Einrichtungen: Projekte, Konzepte, Innovationen

Der zweite Konferenztag stand unter dem Titel Sammlungen in Archiven, Museen und bibliothekarischen Einrichtungen: Projekte, Konzepte, Innovationen. Maria Effinger (Leiterin der Abteilung „Publikationsdienste“ an der Universitätsbibliothek Heidelberg) thematisierte in ihrem Vortrag „‚Die Bibliothek von Alexandria‘? Sammlungen digitalisieren, erschließen und vernetzen in der Universitätsbibliothek Heidelberg“ die Tätigkeitsfelder einer modernen Bibliothek, die auch Aufgaben der Digitalisierung, Vernetzung und Archivierung übernimmt. Die digital aufgestellte Bibliothek muss für unterschiedliche wissenschaftliche Anforderungen in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern bedarfsgerechte Entwicklungsschwerpunkte erkennen und umsetzen. Die Heterogenität der benötigten Dienstleistungen stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Diese reichen von Lösungen für virtuelle Bibliotheken oder digitale Editionen bis hin zur Langzeitarchivierung von Forschungsdaten. Das Digitale hat das Potential, eine „absolute Bibliothek“ bzw. eine „absolute Sammlung“ als vernetzbaren Wissensspeicher zu etablieren. Durch diese Entwicklung, so Effinger, erhalten Bibliotheken eine große Chance, ins „Herz einer Universität“ vorzudringen. Ihre Legitimität bleibt so bestehen oder nimmt gar zu – und sie erhält selbst die Möglichkeit, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen.

Anna Lingnau (Projektkoordinatorin des Fachinformationsdienstes Buch-, Bibliotheks- und Informationswissenschaft) befasste sich in ihrem Beitrag „Teilautomatisiert sammeln: Die Herausforderungen der digitalen Bibliothek“ mit der zentralen Rolle des Sammelns bibliographischer Informationen durch einen Fachinformationsdienst (FID) wie den hier vorgestellten FID Buch-, Bibliotheks- und Informationswissenschaft.

Um ein maschinell lesbares Fächerprofil zu erarbeiten, gilt es zunächst, ein abstraktes Bestandskonzept zu entwickeln und mögliche Filterkriterien zu definieren. Damit wird eine Abkehr von der manuell-intellektuellen Selektion vollzogen (soweit die Publikation nicht selbst in physischer oder elektronischer Form erworben wird) hin zur Nutzung der Vorarbeiten anderer. Da dabei jedoch nur Metadaten übernommen werden, ist die Beurteilung der Qualität der auf diese Weise verzeichneten Medien nur eingeschränkt möglich. Letztlich gilt aber: Um die Kontrolle über die gesamte Datenmasse zu behalten, muss Kontrolle an Dritte abgegeben werden. Kritisch merkte Lingnau an, dass die Qualität der (teil-)automatisierten Datenerhebung nicht im Ganzen überprüfbar oder auch deren einheitliche Darstellung nicht immer möglich ist.

Barbara Biedermann (Stiftung Sitterwerk, St. Gallen) stellte in ihrem Vortrag „Recherchieren am offenen System. Das Prinzip der dynamischen Ordnung in den Sammlungen der Stiftung Sitterwerk“ die aus einer Kunstbibliothek und einem Werkstoffarchiv bestehende Bibliothek der Stiftung Sitterwerk vor. Während sich dort die Werkstoffe in fest zugeordneten Schubladen befinden, besitzen die Bücher keine festen Standorte. Sie können durch die Nutzenden in beliebiger Ordnung ins Regal gestellt werden und erhalten so immer neue Rollen und Bedeutungen. Damit die Bücher trotzdem auffindbar sind, sind sie mit Radio Frequency Identification (RFID)-Tags ausgestattet.

Ein weiterer Bestandteil der dynamischen Ordnung stellt die sogenannte Werkbank dar. Dabei handelt es sich um einen mit RFID-Antennen ausgestatteten Tisch, auf dem die Zusammenhänge von Materialien und Büchern dargestellt werden können, die für die Nutzenden im Nachhinein findbar sind. So erfolgt eine nutzerbasierte Digitalisierung mit Zugängen zu den Beständen und es werden Momente, in denen Informationen zu Wissen werden, langfristig genutzt. Allerdings müssen die genannten Tools, so Biedermann, den Nutzenden vermittelt werden. Auch sind die Bücher trotz der technischen Ausstattung nicht immer auffindbar. Für die bessere Findbarkeit soll in Zukunft u.a. ein Schlagwortsystem eingeführt werden.

Wiebke Schreier (Leiterin des Fugger und Welser Erlebnismuseums in Augsburg) thematisierte in ihrem Vortrag „Storytelling im Fugger und Welser Erlebnismuseum in Augsburg: Chancenreiches Spannungsfeld digitaler Vermittlung in Museen“ Möglichkeiten und Herausforderungen digitaler Museen, die sich nicht auf eine Sammlung physischer Originalobjekte stützen können. Dem hier vorgestellten multimedialen Museum liegt das Konzept des Storytellings zugrunde. Die Identifikation und persönliche Ansprache jedes Besuchers erfolgen durch einen RFID-Chip, den er in einem Pfeffersack erhält. Durch ihn werden Audioaufnahmen oder auch Projektionen im Raum ausgelöst, wodurch ein interaktiver Kontakt mit der Ausstellung ermöglicht wird. Ein nahezu ausschließlich multimediales Museum bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich: Das Personal und die Kompetenzen fehlen für diese Art von Museen häufig und die Funktionen müssen eigenständig gewährleistet werden. Auch eine Aktualisierung der Ausstellung stellt sich als nicht immer leicht dar. Trotzdem, so betonte Schreier, bilden digitale Ausstellungen die Möglichkeit, Menschen auf eine neue Art anzusprechen und Denkprozesse anzustoßen.

Constanze Hampp (Leiterin der Abteilung „Kommunikation“ am Museum für Naturkunde in Karlsruhe) stellte in ihrem Vortrag das „Online-Wissensportal Wunderkammer des Staatlichen Museums für Naturkunde in Karlsruhe“ vor. Die Sammlung besteht aus etwa fünf Millionen Objekten, die auch aus konservatorischen Gründen nicht alle gezeigt werden können. Um sie trotzdem öffentlich zugänglich zu machen und niedrigschwellige Zugänge anzubieten, werden ausgewählte Objekte online präsentiert. Seit Februar 2022 werden besonders interessante und typische Objekte oder solche mit spannenden und kuriosen Geschichten gezeigt. Sie können auf vielfältige Art und Weise gesucht bzw. gefunden werden, sei es zum Beispiel über eine einfache Suche oder über eine Weltkarte, auf der die Fundorte dargestellt sind. Zum Angebot gehört zudem u.a. auch die Vermittlung der Inhalte in leichter Sprache. Die Gestaltung der Wunderkammer wird an das jeweils genutzte, von den Besuchern mitgebrachte technische Gerät angepasst.

Andrea Weniger (Leiterin der Abteilung „Bildung und Vermittlung“ an der Hamburger Kunsthalle) stellte in ihrem Vortrag „Digitale Sammlungen in der Hamburger Kunsthalle“ deren Entstehen, Konzept und Benutzung vor. Die Ansichten der digitalisierten Objekte lassen ein Zoomen in Originalgröße zu, zudem können diese in den sozialen Medien geteilt werden. Auch auf Metadaten, wissenschaftliche Texte und Bibliographien kann zugegriffen werden. Schließlich sind alle Werke, die in den Ausstellungen analog gezeigt werden, digital zugänglich.

Im Rahmen der digitalen Vermittlung wird ein 360-Grad-Rundgang durch ausgewählte Säle der Kunsthalle angeboten. Dabei können zusätzliche Informationen über eine Audiospur abgerufen werden. Eine Besonderheit im Programm des Jahres 2022 stellte die Virtual-Reality-Anwendung „See, Hear, Play Kandinsky!“ zum Gemälde „Weißer Punkt Komposition 248“ Wassily Kandinskys dar. Mit Hilfe von Virtual-Reality-Technik konnten Besucher in das Gemälde eintauchen, selbst aktiv werden und einzelne Kompositionselemente zum Klingen bringen. Im Anschluss konnte das Originalgemälde im Nebenraum betrachtet werden. Weniger erläuterte, dass auf diese Weise das Digitale und das Analoge im Sinne einer „Virrealität“ in Verbindung gebracht wurden.

Zukunftsorientierung und Digitalität in institutionsübergreifenden (bibliothekarischen) Strukturen

Der dritte Tag stand unter dem Motto Zukunftsorientierung und Digitalität in institutionsübergreifenden (bibliothekarischen) Strukturen. Alice Keller (Direktorin der Universitätsbibliothek Basel) eröffnete den Konferenztag mit ihrem Vortrag „Digital und alles gut? Wissensspeicher im Dilemma zwischen einfacher Zugänglichkeit und sicherer Aufbewahrung“. Sie setzte sich mit der Problematik auseinander, dass Bestände von Bibliotheken geschützt werden müssen, das bewahrte Wissen aber zugleich zugänglich gemacht werden soll. Die Hauptaufgabe von Bibliotheken besteht letztlich darin, das Auffinden von Büchern zu ermöglichen, auch von solchen, die den Nutzenden unbekannt sind. Bibliotheken können zu Zufallsfunden beitragen, indem bspw. gezielt Schlagwörter vergeben werden, während die Suche anhand von Algorithmen unter Berücksichtigung dieser Schlagwörter und anderer Metadaten erfolgt. Bei digitalen Bibliotheken besteht allerdings die Gefahr, mahnte Keller, dass Software und Hardware veralten, sodass ein Zugriff auf die Daten nicht mehr möglich ist, wodurch die langfristige Zugänglichkeit in Gefahr gerät.

Maria Hermes-Wladarsch (Leiterin der Abteilung „Historische Sammlungen“ der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen) fragte in ihrem Vortrag „Die digitale Transformation der Papyrussammlung der SuUB Bremen. Herausforderungen und Perspektiven“ nach der Veränderung physisch vorliegender Sammlungen, wenn sie ins Digitale transformiert werden. Die digitale Transformation der Papyrussammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen ermöglichte nicht nur den Zugang für die Wissenschaft, sondern es konnten zugleich weitere Informationen zu den Papyri, welche die Digitalisate der Objekte alleine nicht vermitteln, in Form von Metadaten publiziert werden. Die Digitalisierung ermöglichte außerdem u.a. die Integration verteilt aufbewahrter aber zusammengehöriger Fragmente. Hermes-Wladarsch stellte heraus, dass die technische Lösung ein konstitutives Element der Sammlung und ihrer Präsentation darstellt. Damit bedeutet digitale Transformation nicht allein die Überführung einer Sammlung in den digitalen Raum, der physische Bestand wird durch die digitale Transformation durch informationelle Anreicherungen gar ein neuer Bestand.

Christian Heitzmann (Leiter der Abteilung „Handschriften und Sondersammlungen“ der HAB) und Torsten Schaßan (Abteilung „Handschriften und Sondersammlungen“ der HAB) beleuchteten in ihrem Vortrag „Handschriftensammlungen in digitalen Kontexten am Beispiel der Herzog August Bibliothek“ die Erfassung von Handschriften und ihre Bereitstellung in Datenbanken anhand der Handschriftendatenbank der HAB. Die Datenbank umfasst insgesamt etwa 1.900 digitalisierte Handschriften, die anhand verschiedener Zugangsmöglichkeiten gefunden werden können. Eine erste und auf der Startseite der Datenbank prominent dargestellte Übersicht zeigt jene Handschriften, die in der jeweils aktuellen Ausstellung der HAB zu sehen sind. Daneben existieren u.a. verschiedene thematische Zugänge bzw. Ordnungsprinzipien. Für die Funktionalität der Datenbank ist von großer Bedeutung, dass die Handschrift eindeutig identifizierbar und beschreibbar ist, was u.a. anhand der Nutzung von Normdatensätzen ermöglicht wird. Dadurch können die Handschriften in (immer wieder) neuen (digitalen) Kontexten erscheinen, bspw. ihrer Herkunft oder ihrer besonderen Gestaltung. Zugleich bildet die Zuweisung von Informationen und Kontexten einen Bestandteil des Sammelns.

Nach so vielen inspirierenden Einblicken in Projekte und Ideen stellte sich nicht zuletzt die Frage nach der finanziellen Umsetzung zukünftiger Projekte. Ulrike Hintze (Referentin für Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bonn) stellte die „Fördermöglichkeiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beim Aufbau digitaler Sammlungen“ vor. Das Ziel der DFG ist es, die Erschließung von Beständen mit überregionaler Bedeutung zu fördern. Dazu zählen nicht-textuelle Sammlungen ebenso wie genuin digitale Daten. Die zentrale Bedingung für die Förderung der Erschließung ist die breite Nutzung für eine Vielzahl von Forschungsfragen. Gefördert werden können aber auch die Entwicklung von Erschließungsstandards oder Workshops zur Abstimmung in der Forschungscommunity. Hintze betonte, dass es wichtig ist, dass die Formate möglichst eine breite Anwendung auf nationaler und internationaler Ebene erfahren können.

Abschlussdiskussion

In der Abschlussdiskussion wurde festgehalten, dass die neuen Methoden des digitalen Sammelns genutzt werden sollten, um Kontrolle über die zunehmende Anzahl von Objekten und Daten zu erhalten. Dabei ist es wichtig, keine reine Ansammlung von Digitalisaten zu bilden, sondern tatsächliche Sammlungen, was nur durch zielorientiertes Auswählen und auf Normdaten und definierten Kategorien basiertes Erschließen möglich ist. Von Relevanz ist zudem die Sicherstellung der Unversehrtheit und der Authentizität der Daten.

Mit der Entwicklung digitaler Sammlungen können Grenzen überwunden und Ausstellungen mit Objekten erstellt werden, auf die kein physischer Zugriff an einem Ort existiert. Ermöglicht wird ferner ein leichter Zugang zu Digitalisaten oder auch eine neue Erlebbarkeit, wodurch ein intensiver Umgang mit den digitalisierten Objekten und daraus folgend das Gewinnen neuer Erkenntnisse ermöglicht wird, was bei den Originalen bspw. aus konservatorischen Gründen eingeschränkt sein kann. So entstehen Forschungsfragen und -potentiale, die allein am analogen Objekt nicht entstanden wären.

Allerdings bilden das digitale Sammeln und Darstellen keine ultimative Darstellungsform von Sammlungen und Objekten. Durch die digitale Sphäre gehen Dimensionen wie die Materialität eines Objektes verloren. Zudem besteht die Gefahr, dass unbewusst entschieden wird, das Sammeln realer Objekte einzustellen.

Sollten Portale abgeschaltet werden, müssen die Digitalisate in lokalen Datenbanken dauerhaft erhalten bleiben, wodurch u.a. die Nachhaltigkeit digitaler Sammlungen gesichert wird. Zudem gilt im Zusammenhang mit digitalen Sammlungen: Je länger und öfter Objekte genutzt werden, desto eher und länger bleiben sie erhalten – im Gegensatz zu physischen Objekten, für die eher das Gegenteil gilt.

Schließlich darf nicht vergessen werden, dass zwar neue Zugänglichkeiten geschaffen werden und für viele Objekte eine Barrierefreiheit entsteht, zugleich jedoch alle Institutionen und Nutzende über Grenzen hinweg technologisch mitgenommen werden müssen, da ansonsten das Risiko besteht, einzelne bspw. aufgrund fehlender finanzieller Mittel digital abzuhängen.

Es bleibt damit festzuhalten, dass das digitale Denken von Sammlungen neue Möglichkeiten schafft, das Physische des Sammelns dabei jedoch nicht vernachlässigt werden darf. Beide Denkweisen von und Perspektiven auf Sammlungen gilt es daher, miteinander zu verbinden.

Jan Gerd Wilkens, Universitätsbibliothek Marburg, https://orcid.org/0000-0003-2907-1315

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5925

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1 Ich bedanke mich bei Johannes Mangei und Sandra Simon für ihre wertvollen Hinweise und die Korrektur des
Manuskripts.