Berndt von Egidy (1938–2022)

Der frühere VDB-Vorsitzende und langjährige Direktor der Universitätsbibliothek Tübingen, Berndt von Egidy, ist am 13. November 2022 verstorben.

Berndt von Egidy, am 19. Juli 1938 in Dresden geboren, nach dem Krieg zunächst in Norddeutschland, dann in Bonn aufgewachsen, studierte Geschichte und Anglistik in Bonn, Göttingen und Exeter. Nach dem ersten Staatsexamen und der Promotion zum Dr. phil. mit einer Dissertation über die Wahlen im Herzogtum Nassau 1848–1852 entschied er sich für eine bibliothekarische Laufbahn. Diese führte ihn als Referendar an die Universitätsbibliothek Heidelberg, wo er dann nach einem halbjährigen Arbeitsaufenthalt an der Universitätsbibliothek Pretoria in Südafrika auch seine erste feste Stelle antrat. 1973 wechselte er als Dezernent an die Bibliothek der damals neugegründeten Gesamthochschule Essen und zeichnete für die Koordination der Fachbibliotheken verantwortlich. Mit der daraus erwachsenen Expertise zu Abstimmungsprozessen im Bibliothekssystem und zu den damit verbundenen Personal- und Organisationsfragen qualifizierte er sich 1978 für die Position des stellvertretenden Direktors der Universitätsbibliothek Tübingen. Als Nachfolger von Joachim-Felix Leonhard übernahm er 1992 die Leitung der Tübinger Universitätsbibliothek. An die in Essen erworbenen Erfahrungen anknüpfend lag ihm als Direktor – wie schon zuvor als stellvertretendem Direktor – die Eindämmung der Zersplitterung des damals durch eine strenge Zweischichtigkeit gekennzeichneten Tübinger Bibliotheksystems besonders am Herzen. Die Koordination zwischen den selbstständigen Institutsbibliotheken und der zentralen Universitätsbibliothek erforderte langen Atem und diplomatisches Geschick. Mit dem Rückenwind eines entsprechenden Rechnungshofberichtes konnte er eine verpflichtende Abstimmung bei den Erwerbungen der dezentralen Bibliotheken mit der Universitätsbibliothek durchsetzen und die Anzahl der Doppelabonnements und Doppelanschaffungen hochpreisiger Werke reduzieren.

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Abb.: Berndt von Egidy im Jahre 2008. Foto: privat

Die besondere Leidenschaft Berndt von Egidys galt jedoch der Öffentlichkeitsarbeit und dabei besonders Fragen des Designs und der Ästhetik. In einer Zeit, in der Bibliotheken für Werbung und Information nur gedruckte Erzeugnisse zur Verfügung standen, widmete er sich mit großem Eifer der Ausgestaltung von Merkblättern und Informationsmaterialien sowie der Modernisierung von Layouts, Briefköpfen und Plakaten und zögerte dabei nicht, selbst mit Stift und Schere Hand anzulegen. Im Auftritt nach außen war ihm eine klare und für jedermann verständliche Sprache wichtig. Bibliothekarisches Kauderwelsch war ihm ein Gräuel. „Kompliziertes muss verständlich sein, wenn Berufsfremde zuhören sollen“, forderte er 1996 bei der Eröffnung des Deutschen Bibliothekartags in Erlangen.

Zu den größten Herausforderungen von Egidys Amtszeit als Direktor der Universitätsbibliothek Tübingen gehörte die Lösung ihrer damals baulich extrem schwierigen Situation. Mit ihrem weitgehend als Magazinbibliothek konzipierten historischen Gebäude war die Bibliothek für die wachsende Universität längst zu klein geworden und bot in ihrem Lesesaal viel zu wenig Arbeitsplätze. Das Hauptproblem bestand dabei jedoch in fehlender Magazinfläche, weswegen große Teile des Bestands, darunter auch wertvoller Altbestand, in angemieteten Lagerhallen untergebracht werden mussten. Dass in diesen völlig unzureichenden Räumlichkeiten die Druckwerke nicht nur in konservatorischer Hinsicht litten, sondern einige Exemplare unwiderruflich zerstört wurden, nachdem sie einer sich dort einnistenden Siebenschläferfamilie als Kinderstube gedient hatten, sorgte zwar für Kopfschütteln bei Fachleuten und Schlagzeilen in der Lokalpresse, ohne dass jedoch zunächst eine Abhilfe in Aussicht gestanden hätte. Es war Egidys Geschick, diesen Skandal dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der zu einem Jubiläum in Tübingen weilte, persönlich vor Augen zu führen und ihn mit diesem Kulturfrevel zu konfrontieren. Die schon lange vorbereiteten Pläne für einen großen Anbau ließen sich daraufhin rasch realisieren; im Herbst 2002 – und damit im letzten Jahr von Egidys Amtszeit als Direktor der Universitätsbibliothek Tübingen – konnte der Neubau eröffnet werden. Dieser erlaubte der Tübinger Universitätsbibliothek erstmals einen Freihandbetrieb in größerem Umfang und schuf eine große Zahl an zusätzlichen Nutzerarbeitsplätzen.

Mit großem Engagement nahm Berndt von Egidy Aufgaben im VDB wahr: Von 1993 bis 1999 war er Vorstandsmitglied des VDB; als Vorsitzender von 1995 bis 1997 war ihm die Modernisierung des Erscheinungsbilds und der Außendarstellung unseres Verbandes ein besonderes Anliegen. Mit dem auffälligen angeschnittenen kleinen „d“ entwickelte er ein neues Logo, das damals nicht ganz unumstritten war, aber für zwei Jahrzehnte das Corporate Design des VDB prägte und Aufmerksamkeit verschaffte. Auch scheute er sich nicht, dem traditionsreichen Jahrbuch, das wegen seines grünen Leineneinbandes damals als „grüne Bibel“ galt, einen farbigen und sehr modernen Umschlag zu verleihen; zugleich führte er für die bis dahin manuell erfolgende Redaktionsarbeit erstmals ein IT-gestütztes Verfahren ein.

Im Anschluss an seine Amtszeit im Vorstand des VDB wirkte er für drei Jahre als geschäftsführendes Vorstandsmitglied des dbv-Landesverbands Baden-Württemberg. Die Erfahrungen, die er beim Erweiterungsbau der Universitätsbibliothek Tübingen gewonnen hatte, stellte er der internationalen bibliothekarischen Community zur Verfügung und unterstützte während zweier Ägypten-Aufenthalte 2000 und 2001 die Planung und Organisation der damals neu entstehenden großen Bibliothek in Alexandria.

Nach seiner Pensionierung erfüllte er sich einen lang gehegten Wunsch und widmete sich mit großem handwerklichen Geschick und erstaunlicher fachlicher Fertigkeit der Restaurierung historischer Möbelstücke, bis ein Schlaganfall ihn in seiner Mobilität stark einschränkte.

Der VDB – Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare gedenkt seines früheren Vorsitzenden, Berndt von Egidy, mit Dankbarkeit und wird sein Andenken in Ehren bewahren.

Klaus-Rainer Brintzinger, Universitätsbibliothek der LMU München

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5922

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