Drei Jahre Mitgliedschaft des VDB bei The Carpentries

Ein Zwischenstandsbericht der Kommission für berufliche Qualifikation

1. Einleitung

Was ist The Carpentries?

The Carpentries ist eine gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, grundlegende IT-Kenntnisse an Wissenschaftler*innen und Bibliothekar*innen zu vermitteln1. Die 2014 gegründete Organisation hat ihren Ursprung in einem bereits 1998 etablierten Kurs, der sich zunächst an eine Zielgruppe von Wissenschaftler*innen richtete, insbesondere an solche in der Anfangsphase der Promotion2. Seit 2013 wird das Curriculum auch für Bibliothekar*innen angeboten. Die Kursinhalte wurden 2015 dann noch einmal genauer an ihre spezifischen Bedürfnisse angepasst und schließlich wurde 2018 ein eigenständiger Zweig mit dem Namen Library Carpentry innerhalb der Carpentries eingerichtet3,4. Die anderen beiden Zweige sind Data Carpentry und Software Carpentry.

Die zentralen von The Carpentries verfolgten Aktivitäten sind (a) die von der Community kontinuierlich weiterentwickelten Kurse, die als Open Educational Resources (OER) zur Nachnutzung bereitgestellt werden und (b) das Instructor Training, in dem interessierten Teilnehmer*innen didaktische Grundlagen vermittelt werden. Die Carpentries bieten dabei explizit keine technische Fortbildung für Expert*innen an, sondern beschränken sich auf eine Grundlagenausbildung. Die Instructors bringen ihre informationstechnischen Kenntnisse daher aus anderen Kontexten ein oder haben sie selbst in einem Carpentry-Kurs erworben und dann weiter ausgebaut. Der Schwerpunkt der Carpentry-Didaktik liegt auf praktischen Übungen und der Verwendung offener Werkzeuge und Lehrmaterialien.

Das Kerncurriculum von Library Carpentry umfasst die Einheiten Introduction to Data, The Unix Shell, OpenRefine und Introduction to Git. Darüber hinaus gibt es weitere Angebote zu SQL, Webscraping, Introduction to Python und Introduction to Data for Archivists. In Entwicklung befinden sich die Einheiten zu Digital Preservation und OCR/Text & Data Mining5. ZB MED entwickelt eine Einheit zu Wikidata6.

Die Carpentries rahmen ihre Workshops üblicherweise mit Umfragen, die vor und nach dem Workshop den Kenntnisstand und das Interesse der Teilnehmenden abfragen. Dadurch soll die Wirksamkeit der Trainings überprüft und ihre iterative Verbesserung ermöglicht werden. Ausgewertet wurden die Ergebnisse allerdings bisher nur für Data Carpentry und Software Carpentry. In den Umfragen zeigt sich, dass die Carpentry-Trainings das Selbstvertrauen der Teilnehmer in Bezug auf ihre Programmierfähigkeiten stärken, und dass die Teilnehmer*innen bei sich selbst eine verbesserte Problem­lösungskompetenz wahrnehmen7. Eine Messung der Wirksamkeit über die subjektive Wahrnehmung der Teilnehmer*innen hinaus ist jedoch schwierig8.

2. Rückblick

Carpentries in Deutschland

In Deutschland finden Carpentry-Kurse seit 2018 statt. Mitgliedschaften halten neben dem VDB auch die Friedrich-Schiller-Universität Jena, die Helmholtz Information & Data Science Academy, das GFZ Potsdam, das Max-Delbrück Centrum in Berlin und die Universität Göttingen9. Aktiv in der Durchführung von Workshops ist außerdem ZB MED, das seine Angebote auch im Rahmen des Zentrums für bibliotheks- und informationswissenschaftliche Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen und in Kooperation mit anderen Einrichtungen anbietet10. Die TH Köln hat Library Carpentry als Grundlagenmodul in den MALIS-Studiengang integriert11. Die SUB Göttingen hat auf Grundlage der Carpentry-Inhalte eine Toolbox für die Fachreferate entwickelt12.

Engagement des VDB

Der VDB engagiert sich seit 2019 als Mitglied in den Carpentries13. Auf der operativen Ebene betreut wird die Mitgliedschaft des VDB durch die Kommission für berufliche Qualifikation. Ihre zentrale Aufgabe sieht die Kommission im Aufbau eines einrichtungsübergreifenden Netzwerks von Instruktor*innen, das interessierte Bibliotheken bei der Durchführung von Workshops unterstützen kann, ohne dass diese selbst eine Mitgliedschaft bei den Carpentries abschließen müssen. In diesem Sinne schreibt der VDB die ihm durch die Mitgliedschaft zur Verfügung stehenden Plätze im Instructor Training jährlich frei aus. Jedes Jahr können dadurch sechs Personen aus verschiedenen Einrichtungen gemeinsam das Training durchlaufen, sich miteinander vernetzen und den Carpentry-Gedanken in ihre jeweiligen Wirkungsorte weitertragen.

Die Kommission veranstaltet selbst keine Workshops, unterstützt aber gerne bei der Gewinnung von Instruktor*innen. So hat bereits eine Reihe von Workshops stattgefunden, an denen die vom VDB ausgebildeten Instruktor*innen (zum Teil federführend) beteiligt waren:

Die Kommission hatte außerdem geplant, die Vernetzung der deutschsprachigen Carpentry-Community durch Veranstaltungen weiter voranzutreiben, unter anderem im Rahmen der Bibliothekskongresse und -tage. Leider wurde diese Planung durch die Pandemie zunächst ausgebremst und konnte erst 2022 erfolgreich – und in verkleinerter Form – umgesetzt werden.

3. Ausblick

Ergebnisse aus dem World-Café auf dem Bibliothekskongress 2022

Am 2. Juni 2022 veranstaltete die VDB-Kommission für berufliche Qualifikation im Rahmen einer öffentlichen Arbeitssitzung auf dem Bibliothekskongress in Leipzig ein World-Café zum Thema
„Library Carpentry – Quo Vadis?“. Mit elf Teilnehmer*innen aus verschiedenen beruflichen Kontexten wurde dort an drei Thementischen die weitere Entwicklung der Carpentry-Aktivitäten im deutschsprachigen Raum diskutiert. Wir skizzieren im Folgenden die Ergebnisse dieser Diskussion entlang der drei Themen Community, Weiterentwicklung und Anschlussformate.

Community

Am Thementisch Die Carpentry-Community stellte die Kommission die Frage: Wie können die bereits ausgebildeten und zukünftigen Instructors besser miteinander und mit interessierten Einrichtungen vernetzt werden? Welche Kommunikationskanäle wollen wir als Community in Zukunft nutzen?

Es zeigte sich schnell, dass die Carpentry-Inhalte nicht nur ein Thema für die externe Weiterbildung (als Angebot „von außen“) sind, sondern für einen nachhaltigen Erfolg sowohl in der hausinternen Personalentwicklung als auch in der Ausbildung verankert werden sollten. Angeregt hierfür wurde z.B., Workshops auch an und in Kooperation mit den Hochschulen durchzuführen.

Ein wichtiger Akteur für die Koordination solcher Aus- und Weiterbildungsangebote sind neben den Einrichtungen und Hochschulen weiterhin die Berufsverbände. Für den VDB wurde angeregt, das Thema Library Carpentry nicht nur in der Kommission für berufliche Qualifikation zu bearbeiten, sondern dabei auch mit der Kommission für forschungsnahe Dienste des VDB und mit geeigneten Kommissionen aus anderen Verbänden zu kooperieren.

Um die Community insgesamt stärker miteinander ins Gespräch zu bringen, wurde neben informativen Beiträgen, z.B. in Fachzeitschriften, auch die Durchführung weiterer Veranstaltungen empfohlen – z.B. in Form einer Jahrestagung der deutschsprachigen Carpentry-Community oder eines Carpentry-Barcamps. Gleichzeitig zeigte sich, dass auch niedrigschwellige, virtuelle Formate solche Angebote ergänzen müssen.

Weiterentwicklung

An diesem Thementisch fragte die Kommission nach möglichen Richtungen, um die Carpentry-Lessons spezifisch für den deutschsprachigen Raum weiterzuentwickeln.

Die Diskussion zeigte auf, dass neben dem Problem der Sprache – die Angebote der Carpentries sind vorwiegend auf Englisch gehalten – auch unterschiedliche Soft- und Hardwarekulturen eine Herausforderung darstellen können. So orientieren sich die Carpentries z.B. stark an den von Entwickler*innen bevorzugten Unix-Umgebungen, treffen aber auf ein Publikum, das stark durch die Nutzung von Windows geprägt ist. Auch die temporäre Nutzung alternativer Systeme und Software stößt oft auf Hindernisse durch unflexible IT-Abteilungen und -Richtlinien. Betont wurde von den Teilnehmer*innen daher, dass sich die Community nicht nur an potentielle Nutzer*innen der Lessons wenden darf, sondern auch die Leitungsebene vom Nutzen einer freieren, kreativen Handhabung von IT-Ressourcen überzeugen muss.

Neben den generischen Tools, die von den Carpentries unterrichtet werden, existieren im deutschsprachigen Bibliothekswesen außerdem eine Reihe von Spezialanwendungen und -formaten. Hier besteht oft eine Diskrepanz zwischen dem teilweise sehr detaillierten Anwendungswissen der Nutzer*innen und einem grundsätzlicheren computational thinking, das auch den Transfer des vorhandenen Wissens in andere Systeme und Umgebungen erlauben würde. Da für die tägliche Arbeit der Umgang mit vorhandenen Systemen unumgänglich ist, können die gelernten Tools oft nicht in den Arbeitsalltag integriert werden. Hier könnte es sich anbieten, manche der Lessons auch stärker auf anwendungsnahe Fälle (z.B. den Umgang mit spezifischen Formaten wie PICA14) anzupassen und dafür auch Inhalte der Software- und Data-Carpentries nachzunutzen.

Anschlussformate

Auf der Grundlage eines Impulsreferates zur Göttinger Hacky Hour von Julika Mimkes (SUB Göttingen) wurde an diesem Tisch diskutiert, welche anderen Formate die Angebote der Carpentries sinnvoll ergänzen und an einen Workshop anschließen können. Hacky Hours werden als Ergänzung des Carpentry-Programms unter anderem auch an ZB MED eingesetzt15.

Neben der Nennung konkreter Formate (Hacky Hour; Open Science Meetup, Methoden-Café, Book Club) und Weiterbildungsangebote (Programming Historian) wurde unter anderem angeregt, die Carpentry-Kurse auch dadurch stärker in die Praxis einzubinden, dass z.B. in der Ausbildung von FaMIs und Referendar*innen Aufgaben vergeben werden, die mit Hilfe der vermittelten Inhalte bearbeitet werden können.

Deutlich wurde auch, dass für die IT-bezogene Weiterbildung neben einer hohen Eigenmotivation auch wichtig ist, dass im Berufsalltag entsprechende Freiräume für das Experimentieren mit neuen Technologien geschaffen werden – auch jenseits einer konkreten Aufgabenbearbeitung.

Betont wurde außerdem die Rolle einer aktiven und hilfreichen Community für den Erhalt der eigenen Motivation. Hierfür kann es sich sowohl anbieten, aus den Teilnehmer*innen eines spezifischen Kurses oder unter den Mitarbeiter*innen einer einzelnen Einrichtung Arbeits- und Unterstützungskreise für die Weiterarbeit zu gründen, als auch eine übergreifende Community zu etablieren – so wie es der VDB mit seinem Ausbildungsprogramm für Instruktor*innen aktiv betreibt.

4. Fazit

Die Carpentries bieten ein einfaches und niederschwelliges Format zur Vermittlung von IT-Kompetenz an. Gerade in Anbetracht der herausfordernden Personallage im Bibliotheksbereich können sie ein wertvolles Mittel zum Erwerb dieser wichtigen Skills sein.

Die Umstellung auf das Online-Format während der Covid-19-Pandemie hat sich für die Durchführung der Workshops nicht als hinderlich erwiesen, sondern ermöglicht vielmehr deutlich mehr Interessent*innen die Möglichkeit zur Teilnahme und führt damit zu einer breiteren Wirkung.

Die Plätze zur Ausbildung der Instruktor*innen konnten in der letzten Runde voll belegt werden. Zukünftige Aufgabe wird es jedoch sein, die ausgebildeten Instruktor*innen weiterhin in der Community zu halten, um so einen größeren Pool von Instruktor*innen zu erhalten. (Es darf dabei nicht vergessen werden, dass die Arbeit der Instruktor*innen ehrenamtlich erfolgt und ihr Engagement keine Selbstverständlichkeit ist.)

Die VDB-Kommission für berufliche Qualifikation sieht sich auch weiterhin als Unterstützerin und Vernetzerin, um die Community in Deutschland zu stärken. Das World-Café auf dem Bibliothekskongress war dabei ein wichtiges Vernetzungstreffen. Diese sollen auch in Zukunft in Verbindung mit bibliothekarischen Fortbildungen und Tagungen angeboten werden. Der VDB hat deswegen seine Mitgliedschaft erneut verlängert, und die Kommission plant, die Anregungen aus dem World-Café aufzunehmen und in die Praxis umzusetzen.

Martin Mehlberg, Staats- und Universitätsbibliothek Bremen
Maria Nüchter, KIT-Bibliothek, Karlsruhe

Andreas Walker, Bibliothek des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven

1 The Carpentries, <https://carpentries.org/>, Stand: 28.09.2022.

2 Wilson, Greg: Software Carpentry: lessons learned, 28.01.2016. Online: <https://doi.org/10.12688/f1000research.
3-62.v2
>.

3 Baker, James; Moore, Caitlin; Priego, Ernesto u.a.: Library Carpentry: software skills training for library professionals, in: LIBER Quarterly: The Journal of the Association of European Research Libraries 26 (3), 28.11.2016, S. 141–162. Online: <https://doi.org/10.18352/lq.10176>.

4 The Carpentries: Timeline, <https://librarycarpentry.org/timeline/>, Stand: 28.09.2022.

5 The Carpentries: Our lessons, <https://librarycarpentry.org/lessons/>, Stand: 28.09.2022.

6 Seidlmayer, Eva; Müller, Rabea; Förstner, Konrad U.: Data Literacy for Libraries – A Local Perspective on Library Carpentry, in: Bibliothek Forschung und Praxis 44 (3), 20.12.2020, S. 485–489. Online: <https://doi.org/10.1515/bfp-2020-2038>.

7 Jordan, Kari; Michonneau, François; Weaver, Belinda: Analysis of Software and Data Carpentry’s Pre- and Post-Workshop Surveys, Zenodo, 17.07.2018. Online: <https://doi.org/10.5281/zenodo.1325464>.

8 Wilson: Lessons learned, 2016. Siehe Fußnote 2

9 The Carpentries: Our current member organizations, <https://carpentries.org/members>, Stand: 28.09.2022.

10 Seidlmayer, Müller & Förstner: Data Literacy for Libraries, 2022.

11 Meinhardt, Haike; Tappenbeck, Inka: Der reakkreditierte MALIS-Studiengang der TH Köln: neue Kompetenzen,
größere Flexibilität, mehr E-Learning, in: API Magazin 3 (1), 27.01.2022. Online: <https://doi.org/10.15460/apima
gazin.2022.3.1.96
>.

12 Calvo Tello, José; Czolkoß-Hettwer, Michael; Mimkes, Julika: Kooperative Fachreferate: Eine offene Toolbox für den Bestandsaufbau, in: o-bib. Das offene Bibliotheksjournal / Herausgeber VDB 9 (2), 17.05.2022, S. 1–14. Online: <https://doi.org/10.5282/o-bib/5787>.

13 Konstanze Söllner. VDB engagiert sich bei The Carpentries, 25.04.2019, <https://www.vdb-online.org/2019/04/25/vdb-engagiert-sich-bei-the-carpentries/>, Stand: 28.09.2022.

14 Dies z.B. unter Einbeziehung von Ressourcen wie Voß, Jakob: Einführung in die Verarbeitung von PICA-Daten, 23.09.2022, <https://pro4bib.github.io/pica/#/>, Stand: 28.09.2022.

15 Seidlmayer, Müller & Förstner: Data Literacy for Libraries, 2022.