„Libraries in the Research and Innovative Landscape – Supporting, Partnering, Leading“

Einblicke aus der Jahreskonferenz 2022 des europäischen Bibliotheksverbands LIBER und Ausblicke auf die Zukunftspläne

Andreas Brandtner, Vorstandsmitglied beim europäischen Bibliotheksverband LIBER (Ligue des Bibliothèques Européenes de Recherche / Association of European Research Libraries) im Gespräch mit Hella Klauser, Deutscher Bibliotheksverband

  1. Von 6. bis 8. Juli 2022 fand nach zweijähriger Pandemie die Jahreskonferenz von LIBER1 wieder analog statt, diesmal in Odense, Dänemark. Die Konferenz war ausgebucht, Sie waren als Vorstandsmitglied natürlich dabei. – Wie war die Stimmung, was waren die Höhepunkte, was haben Sie mitgenommen?

Die Stimmung war wirklich ausgezeichnet, sowohl im Executive Board und in den anderen Gremien als auch während der Konferenz. Viele Kolleg*innen hatten sich lange Zeit physisch nicht mehr treffen können und freuten sich über die Begegnungen. LIBER ist ja nicht bloß eine Plattform des fachlichen Austauschs, sondern stellt eine Community dar, die Menschen zusammenführt, die mit großem Engagement, ausgeprägter Kompetenz und einem offenen Mindset das wissenschaftliche Bibliothekswesen in Europa weiterentwickeln wollen. Diese Community-Ausrichtung findet ihren Niederschlag in jahrelangen Kooperationsbeziehungen und zum Teil auch Freundschaften.

Angesichts der gegenwärtigen Weltsituation war die Eröffnungsrede von Oksana Brui, der Präsidentin des Ukrainischen Bibliotheksverbands und Direktorin der Bibliothek des Sikorsky Polytechnic Institute in Kiew, besonders markant und eindrucksvoll. Sie wies in ihrem Statement eindringlich darauf hin, wie wichtig die Unterstützung aus dem Ausland ist. Auch betonte sie, dass aus ihrer Sicht angesichts des Kriegs jeglicher Kontakt zu russischen Verbänden und Kolleginnen und Kollegen abzubrechen sei.

Als Mitglied des Executive Board hatte ich während der Konferenz eine Reihe von Gremiensitzungen wahrzunehmen, was meine Teilnahme an der Konferenz etwas einschränkte. Im Zentrum meiner Aufmerksamkeit stand und steht hier die Finalisierung und Implementierung der neuen Strategie von LIBER für die Jahre 2023 bis 2027.

Inhaltlich war ich sehr angetan von der Konzentration der Themen rund um die verschiedenen Aspekte von Openness. Dabei ist klar zu erkennen, wie in bestimmten Bereichen große Fortschritte gemacht werden und dass die Bibliotheken einen bedeutenden Anteil daran haben. Besonders die Beiträge aus Frankreich fand ich angesichts ihrer Wirksamkeit auf nationaler Ebene beeindruckend. So hat Julien Roche (Universität Lille) in seiner Präsentation dargestellt, wie vielfältig und intensiv die wissenschaftlichen Bibliotheken in Frankreich den „French Plan for Open Science“ unterstützen und mitgestalten. Cécile Swiatek (Universität Paris Nanterre) berichtete vom Aufbau einer nationalen, föderierten Forschungsdatenplattform.

  1. Das Thema der 51. LIBER-Konferenz lautete „Libraries in the Research and Innovative Landscape – Supporting, Partnering, Leading“. Welche Themenschwerpunkte stecken dahinter, die diskutiert wurden?

Die inhaltlichen Schwerpunkte der Konferenz sind eng an den Themenkomplex Open Research / Open Scholarship / Open Science gebunden. Konkret geht es um Open Access, Open Education, Citizen Science, Data Management usw. Diese Bereiche werden auf ganz unterschiedlichen Ebenen behandelt. Neben europäischen Großinitiativen (z.B. die European Science Cloud EOSC) werden nationale Programme (z.B. der französische nationale Open Science Plan 2018–2021 und 2021–2024) und Initiativen einzelner Konsortien oder Institutionen (z.B. die Aktivitäten der Zurich University of Applied Sciences zu Open Educational Resources) vorgestellt und diskutiert. Dies erfolgt in Form von Keynotes, Präsentationen, Lightning Talks, Podiumsdiskussionen und Workshops. Die Fragerichtung ist dabei stets, wie sich Bibliotheken mit ihren Kompetenzen und Services innerhalb der Wissenschaft vernetzen und verankern können („Libraries in the Research and Innovative Landscape“) und welche Rollen sie dabei übernehmen können. Das reicht dann von der Dienstleistung („Supporting“) über die Partnerschaft („Partnering“) bis zur Führung („Leading“). Insofern ist es nur konsequent, dass auch dem Thema „Upskilling“ eine besondere Aufmerksamkeit zugewiesen wurde, also der Aufgabe, die Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeitenden konsequent weiterzuentwickeln, um die Relevanz der Bibliotheken nachhaltig zu sichern. Die Bibliotheken müssen in der Lage sein, direkt mit Forschung zu kommunizieren und zu interagieren. Das verlangt eine konsequente Weiterentwicklung der individuellen und organisationalen Fähigkeiten und auch die Ausprägung neuer Stellenprofile (z.B. Data Stewards).

  1. Aus Deutschland haben laut Teilnehmendenliste 27 Personen von insgesamt fast 400 Personen teilgenommen. – Sind Sie mit diesem Schnitt zufrieden?

Die Beteiligung aus Deutschland ist auf einen engeren Kreis von Bibliotheken konzentriert, die sich seit vielen Jahren und sehr aktiv in LIBER engagieren. Auch dieses Jahr hat es wieder hervorragende Beiträge aus Deutschland gegeben. Ich bin überzeugt, dass noch Potential für eine breitere Beteiligung der wissenschaftlichen Bibliotheken aus Deutschland besteht. Hier ist zu beobachten, dass die ein oder andere Bibliothek, die bislang nicht dabei gewesen ist, mittlerweile Interesse zeigt. LIBER behandelt die aktuellen Fragen des wissenschaftlichen Bibliothekswesens, vor allem um den immer wichtiger werdenden Themenkomplex Open Research und bietet eine Austauschplattform auf internationaler Ebene. Das ist für unsere fachliche Weiterentwicklung ebenso wichtig wie für die Anbahnung und Umsetzung von Kooperationen. Um in die deutschsprachige Bibliothekslandschaft zu wirken, berichten wir von den großen Veranstaltungen und veröffentlichen in der nächsten Ausgabe von ABI Technik Tagungsberichte zur Konferenz in Odense und zu den LIBER Journées for Library Directors, die von 18. bis 20. Mai 2022 in Budapest stattgefunden haben.

  1. Vorgestellt wurde auch die kommende Strategie des Verbandes – Was ist 2023–2027 geplant, wie geht es weiter mit LIBER?

Ja, wir haben in einem sehr aufwendigen Verfahren, das äußerst sorgfältig gestaltet wurde und ein hohes Maß an Beteiligung ermöglichte, die neue LIBER-Strategie 2023–2027 erarbeitet und nun präsentiert. Sie folgt auf die Strategie 2018–2022 („Research Libraries Powering Sustainable Knowledge in the Digital Age“) und soll den starken Veränderungen, die die Forschungslandschaft in den nächsten Jahren erfahren wird, gerecht werden. An dem Strategieprozess waren nicht nur zahlreiche LIBER-Mitglieder beteiligt, sondern auch Partnerorganisationen wie EBLIDA (European Bureau of Library Information and Documentation Associations), IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions), COAR (Confederation of Open Access Repositories) oder SPARC (Scholarly Publishing and Academic Resources Coalition) Europe.

Die Strategie basiert auf der Mission von LIBER, wissenschaftliche Bibliotheken in Europa konsequent zu stärken, um exzellente Forschung zu ermöglichen, und unseren zentralen Werten – Zusammenarbeit und Inklusion – zu entsprechen. Zudem haben wir drei Hauptantriebskräfte identifiziert, die die wissenschaftlichen Bibliotheken und LIBER in den kommenden Jahren maßgeblich beeinflussen werden, nämlich die weitere Verbreitung von Openness, die zunehmende Beschleunigung der digitalen Transformation durch neue Technologien und die notwendige Wahrung von Rechten und Werten. Als Zielvorstellung 2027 wird für die wissenschaftlichen Bibliotheken vorgenommen:

Es würde hier zu weit führen, tiefer ins Detail zu gehen und die konkreten Maßnahmenpakete zu benennen. Im Herbst beginnen wir mit der Implementierung der Strategie und werden dazu entsprechend kommunizieren. Zudem reorganisieren wir die interne Struktur unserer Arbeitsebene und passen die Committees und Working Groups den Erfordernissen der neuen Strategie an.

  1. Auf der Jahrestagung fand auch der Wechsel an der Spitze von LIBER statt. Die Schweizerin Jeannette Frey hat die Stafette der Präsidentschaft von LIBER an ihren bisherigen Stellvertreter Julien Roche übergeben.

Ja, Julien Roche, Direktor von Libraries and Learning Center der Universität Lille (Frankreich), wurde zum neuen Präsidenten gewählt. Julien ist eng mit LIBER verbunden und hat über Jahre hinweg wichtige Funktionen innegehabt, als Mitglied des Executive Board, als Chair des Steering Committee on Reshaping the Research Library, als Leiter der Leadership Working Group und schließlich seit 2018 als Vize-Präsident von LIBER. Er hat die Reorganisation der Universitätsbibliothek Lille maßgeblich mitgestaltet und darüber übrigens einen sehr lesenswerten Bericht publiziert.2 Er ist im französischen Bibliothekswesen an wichtigen Initiativen und Vorhaben federführend beteiligt und auf europäischer und internationaler Ebene exzellent vernetzt. Insofern ist er der ideale LIBER-Präsident und wird die hervorragende Arbeit, die Jeannette Frey geleistet hat, bestens fortsetzen.

Zudem wurde Giannis Tsakonas, der Direktor der Universitätsbibliothek der University of Patras (Griechenland), zum neuen Vize-Präsidenten gewählt. Als Vorstandmitglieder bestätigt wurden Lars Burmann, Direktor der Universitätsbibliothek der Uppsala University (Schweden), Adam Sofronijevic, stellvertretender Direktor der Universitätsbibliothek der University of Belgrade (Serbien) und Cécile Swiatek, Direktorin der Universitätsbibliothek der Paris Nanterre University (Frankreich). Neu in das Board gewählt wurden Anna Clements, Direktorin der Library Services und University Librarian der University of Sheffield (England), Dóra Gaálné Kalydy, stellvertretende Generaldirektorin des Library and Information Centre der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und Sara Lammens, Generaldirektorin der Royal Library of Belgium. Birgit Schmidt (Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen) und ich als Vertretungen deutscher Bibliotheken befinden sich in der zweiten Amtsperiode, die 2023 endet, sodass eine Wiederwahl für eine eventuelle dritte (und damit statutengemäß auch letzte) Amtsperiode für 2023 auf der LIBER-Konferenz in Budapest anstünde.3

  1. Am letzten Konferenztag wurde auch der „Award for Library Innovation“ vergeben. An wen und für welches Projekt ging diese Auszeichnung?

Den Innovationspreis hat diesmal ein Projekt der Finnischen Nationalbibliothek in Helsinki gewonnen, nämlich der Beitrag „Supporting Sámi Languages in Digital Services“ von Riitta Koikkalainen und Niko Partanen. Dieses Projekt soll gemäß den Leitlinien der von der UNESCO ausgerufenen Internationalen Dekade für indigene Sprachen den Zugang zu Ressourcen, die in einer der samischen Sprachen vorliegen, fördern. Genutzt wird dazu aktuelle Informationstechnologie. Die Gewinner wurden vom Programmausschuss der Konferenz ausgewählt, Bewertungskriterien sind Innovationsgrad, Auswirkung auf die breitere Bibliotheksgemeinschaft und Originalität sowie Qualität.

  1. Die nächste Jahreskonferenz von LIBER ist bereits für 2023 angekündigt: Sie wird vom 5. bis 7. Juli 2023 in Budapest stattfinden. Bis dahin aber gibt es noch einige Aktivitäten des Verbandes und auch Möglichkeiten des persönlichen Treffens und Austauschs – was ist geplant?

Die nächste große Veranstaltung ist der LIBER Winter Event, der erstmals stattfindet. Er wird am 1. und 2. Dezember 2022 in Amsterdam an der Vrije Universiteit veranstaltet und richtet sich vor allem an die Mitglieder und Projektpartner von LIBER. Die Tagung soll ab 2022 jährlich an unterschied­lichen Austragungsorten als Forum für die Präsentation und Diskussion der von den LIBER Working Groups geleisteten Arbeit und der internationalen Projekte, an denen LIBER beteiligt ist, dienen. Die Veranstaltung ist für bis zu 100 Teilnehmende ausgerichtet. Im Herbst setzen wir außerdem unsere Reihe von Webinaren und Workshops mit Veranstaltungen zu Themen Open Science und Citizen Science sowie zu Copyright-Fragen fort. Im Juli 2023 folgt die 52. Jahreskonferenz in Budapest und im Mai 2024 tragen wir die LIBER Journées for Library Directors bei uns an der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin aus. Dass wir diese Leuchtturmveranstaltung nach Berlin geholt haben, versteht sich auch als Beitrag, LIBER in Deutschland noch präsenter zu machen.

Andreas Brandtner, Freie Universität Berlin
Hella Klauser, Deutscher Bibliotheksverband e.V., Kompetenznetzwerk für Bibliotheken, Berlin

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5892

Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

1 LIBER definiert sich selbst als Stimme der europäischen wissenschaftlichen Bibliotheken und steht für Ligue des Bibliothèques Européenes de Recherche. Der europäische Bibliotheksverband für wissenschaftliche Bibliotheken wurde 1971 gegründet; sein Sitz ist in Den Haag. Vgl. <https://libereurope.eu/>, Stand: 03.09.2022; sowie das Gespräch von Hella Klauser mit Andreas Brandtner über die LIBER-Tagung 2020 unter <https://doi.org/10.5282/o-bib/5640>.

2 Roche, Julien: The LILLIAD Innovation Learning Centre, in: ABI Technik 37 (3–4), 2017, S. 242–248. Online: <https://doi.org/10.1515/abitech-2017-0055>.

3 Die Mitglieder des Executive Board von LIBER werden vorgestellt unter <https://libereurope.eu/board/>. Stand: 03.09.2022.