Vielfalt der Lern- und Arbeitsplätze in München

Eine Exkursion der Gemeinsamen Baukommission von dbv und VDB

Am 18. und 19. Mai 2022 lud die gemeinsame Baukommission1 von dbv und VDB zu einer zweitägigen Veranstaltung nach München ein und organisierte rund um das Thema „Vielfalt der Lern- und Arbeitsplätze“ ein abwechslungsreiches Programm, das sich dem Fokusthema insbesondere durch die gemeinsame Besichtigung verschiedener – nicht nur bibliothekarischer – Standorte und Ausstattungsbeispiele näherte. Rahmende Vorträge beleuchteten darüber hinaus die sich immer stärker diversifizierenden, oftmals auch konkurrierenden Anforderungen an zeitgemäße und bedürfnisgerechte Bibliotheksausstattung sowie die Notwendigkeit, Bibliotheken als Ort und Raum der Begegnung, des kritischen Denkens, der Diversität und des gleichberechtigten Mit- und Nebeneinanders verschiedener Bedürfnisse und Nutzungsformen immer wieder neu zu denken und weiterzuentwickeln.

Gut 35 Teilnehmende aus ganz Deutschland, zum überwiegenden Teil tätig in wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken und allesamt mit Bau-, Raum- und Ausstattungsfragen und der Weiterentwicklung neuer Services betraut, fanden sich in der gastgebenden Fachbibliothek Philologicum der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität zusammen und konnten neben vielgestaltigen Anregungen und Inspirationen für Projekte und Entwicklungen in ihren eigenen Häusern auch eine Reihe neuer Kontakte zu anderen Baureferent*innen und -beauftragten mitnehmen.

Nach einem eröffnenden Vortrag von Lena Berg, Mitglied der Baukommission, der unter dem Titel „Mehr Vielfalt wagen“ die Vielgestalt aktueller Nutzungsanforderungen umriss und anhand nationaler und internationaler Ausstattungsbeispiele und grundlegender Prinzipien der Raumgestaltung versuchte, Lösungen im Umgang mit diesen Bedürfnissen zu umreißen, konnte die Gruppe bei einer Führung durch die Fachbibliothek Philologicum einige erste Eindrücke der Umsetzung live begutachten.

Das Philologicum wurde im Herbst 2019 als größte Fachbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität eröffnet und versammelt auf ca. 6.000 m2 Literatur zu allen europäischen Sprach- und Literaturwissenschaften. Neben der Bereitstellung von 400.000 Medieneinheiten bietet das Philologicum in einem Neubau in historischen Außenmauern vor allem mit über 740 unterschiedlichen Arbeitsplätzen Raum für eine Vielzahl von Nutzungen, vom klassischen Lesesaalplatz bis hin zu Gruppen- und Kommunikationszonen.2

Die Bibliothek befindet sich an einem der repräsentativsten Straßenzüge Münchens. Der rückwärtig gelegene Eingang schafft einen einladenden Platz für Zusammentreffen, Kommunikation und Campusleben. Die Fassade wurde aufwändig restauriert und schafft einen erstaunlich gut funktionierenden Spagat zwischen historisch (den beiden Eckrisaliten) und modern mit der durchgehenden Glasfront, bei der Lichteinfall- und Temperatursteuerung durch Profile aus eloxiertem Aluminium erreicht wird.

Die Bibliothek repräsentiert in ihrer Einrichtung sicherlich – v.a. im Vergleich zu anderen Orten, die bei der Fortbildung zu besichtigen waren – einen eher traditionellen Typ von Bibliothek, beeindruckt aber mit ihrem bis ins Detail durchdachten Raumkonzept. Zum Beispiel wirken die Tische und Stühle in den Gruppenbereichen nur auf den ersten Blick massiv, lassen sich jedoch leicht zu Vortrags-, Schulungs- und Stillarbeitssettings umgruppieren. Der Einsatz von Holz und das abgestimmte Farbkonzept im Innenbereich, das sich von den Wandfarben aus dem Spektrum der Farbenlehre von Le Corbusier in den Treppenhäusern bis zu den von einer Schreinerei maßgefertigten Arbeitstischen und Stühlen zieht, sorgt für Wohlfühlatmosphäre. Dass das Konzept aufgeht, zeigt sich nicht zuletzt in der hohen Zahl von Besucher*innen. Das Thema „Eine Bibliothek für die Philologien“ wird durch die Zitate in über 20 Sprachen, die sich an den Glaswänden finden, spielerisch umgesetzt, ebenso in Syntaxbäumen an den Wänden des Treppenhauses. Das Gebäude erhält u.a. durch diese Elemente eine Leichtigkeit, die bei den Nutzenden gut ankommt. Die Bibliothek wurde als bemerkenswerter europäischer Bibliotheksbau im Augustheft des INSIDER-Newsletter von LIBER als „featured library“ präsentiert.3

Als zweiten Besichtigungsstandort hatte die Baukommission das HP84 gewählt, den Ausweichstandort der Münchner Stadtbibliothek während der grundlegenden Sanierung und Umbauphase des Gasteigs. Diese zentrale Kultureinrichtung hat gemeinsam mit der Isarphilharmonie, der Aspekte Galerie und der Volkshochschule interimsweise in der Hans-Preißinger-Straße 8 ein Zuhause in der ehemaligen Trafohalle in Sendling nahe der Isar gefunden.5

Dieser provisorische Standort beeindruckt mit seinem sehr großen überdachten Innenhof, in dem noch ein ehemaliger Kran an die vorangegangene Nutzung erinnert. Die Bibliothek hat die offenen Galerien rund um die Halle bezogen, die durch die zahlreichen Treppenaufgänge und die Offenheit zur Halle mit entsprechender Geräuschentwicklung zunächst wenig geeignet für eine Bibliothek erscheinen. Beherzt hat man hier aus der Not eine Tugend gemacht, bewusst weitgehend auf Ruhezonen und die Bildung einer einzigen Zugangsschleuse mit Buchsicherungsgate verzichtet. Stattdessen setzt man sowohl räumlich als auch bibliothekarisch ein „Open Library“-Konzept um.

„Transition“ und „Übergang“, „Provisorium“ und Flexibilität finden sich im gesamten Gestaltungskonzept der Stadtbibliothek im HP8 wieder: Bücherregale aus Kartonagen, Bücherinseln auf Europaletten, Trageriemen und OSB-Platten als Werkstoff prägen die Innenausstattung ebenso wie mobile Möblierung auf Rollen. Alle Bestandteile lassen sich leicht umgruppieren, so dass aus Arbeitsplätzen schnell ein Freiraum für Veranstaltungen wird. Regale, Präsentationsmöbel und auch eine treppenartige Leseinsel sind aus erstaunlich stabilen Pappmodulen zusammengesetzt, die sich leicht neu zusammenstellen und anordnen lassen, falls dies gewünscht oder notwendig werden sollte. Dabei setzt die Inneneinrichtung durch die Verwendung von wiederverwertbarem Material einen besonderen Akzent auf Nachhaltigkeit.

Ein Schwerpunkt der Bibliothek liegt auf dem Themenfeld Musik: Ein eigener Aufnahmeraum („Music Lab“), Musikinstrumente, Sonic Chairs und eine entsprechende Medienpräsentation runden das Angebot für die Besucher ab. Zudem sind ein Kino- und Vortragssaal in die Räumlichkeiten integriert.

Die Bibliotheksverwaltung residiert nicht in klassischen Büros, sondern auf der obersten Galerie der Halle mit beeindruckendem Blick nach unten auf die Geschosse der Bibliothek. Besprechungsräume wurden als Cubes in die ansonsten offene Bürofläche eingefügt, so dass Besucher*innen und Mitarbeitende die Offenheit zur Halle hin teilen, die zur Kreativität, Kommunikation und einem inspirierenden Miteinander einladen soll.

Den ersten Tag des Programms rundete ein Besuch im Showroom von Steelcase6 ab. Ganz nach der Firmenphilosophie – „Da wir […] verschiedene Wünsche und Erwartungen hegen, müssen wir unsere Vorstellungen von Raumdesign und Arbeitsumgebungen überdenken“ – gestaltet Steelcase vielfältige Arbeitsräume und setzt hierfür einfallsreiche und bis ins Detail durchdachte Produkte ein. Die Münchner Niederlassung des 1916 in den USA gegründeten Unternehmens mit weltweit 11.000 Beschäftigten befindet sich in einem umgebauten Bürogebäude in der Brienner Straße. Hier wurde konsequent das Konzept von Open-Space-Büroräumen umgesetzt. Auf mehreren Etagen findet man Zonen für konzentrierte Einzelarbeit und Gruppenarbeit, die durch eine neue zentrale Treppe verbunden wurden, um für optimale Kommunikation und Transparenz zu sorgen.

Tag zwei der Veranstaltung nahm bewusst keine Bibliotheken in den Fokus, sondern sah die Besichtigung von Orten vor, die mit gelebten Co-Working-Konzepten und durchdachten Lernraumkonzepten zur Verflechtung von physischer und digitaler Lehre weiterführende Impulse für die Gestaltung von Lernorten, Arbeitsräumen und Nutzer*innenplätzen auch im Bibliothekskontext bieten können.

Die Hochschule München7 präsentierte hierbei in bedarfsgerecht konzipierten Lernräumen Mobiliar, welches je nach Anlass und Bedürfnis von Lehrenden und Studierenden mobil, flexibel und individuell eingesetzt werden kann, um ein ideales Lernumfeld zu schaffen. Die Teilnehmer*innen hatten zu Beginn Gelegenheit, im Strascheg Center for Entrepreneurship (SCE) ein auf Kreativität ausgerichtetes Raum- und Möblierungskonzept kennenzulernen. Das SCE fördert die Gründung von Start-ups aus der Wissenschaft und begleitet junge Unternehmer von der Ideenentwicklung bis zur marktfähigen Innovation.8

In der Hochschule wurden inzwischen schon zahlreiche Räume konsequent auf die Belange moderner Lehre ausgerichtet. Die Fäden dazu laufen in der „Stabsabteilung Innovative Lehre“ bei Petra Spier zusammen, die zwischen Hochschulleitung, Lehrenden und Gebäudemanagement vermittelt und dabei oft genug auch „übersetzen“ muss. Sie ist Koordinatorin im Projekt „Lehrraum der Zukunft“, welches sich mit der Wirkung von Raum und Räumen auf die Lehrqualität und den Lernerfolg der Studierenden beschäftigt.9 Seit Beginn der Pandemie kam zum ursprünglichen Projekt noch das Corona-Management hinzu.

Frau Spier führte die Teilnehmenden der Fortbildung durch verschiedenartige Lehrräume unterschiedlicher Typologien am Standort des Campus Lothstraße und stellte vor, was sich insbesondere durch die Pandemie in Bezug auf die Raumausstattung, aber auch auf didaktische Konzepte verändert hat.

In direkter Nachbarschaft gelegen besichtigte die Gruppe im Anschluss das Munich Urban Colab10, eine Co-Working-Initiative der Landeshauptstadt München mit dem UnternehmerTUM11, dem Zentrum für Innovation und Gründung der Technischen Universität München, die mietbaren Arbeitsraum vielgestaltiger Ausprägung sowie Veranstaltungsflächen zur Verfügung stellen: Neben klassischen und weniger klassischen Büro- und Co-Working-Bereichen für Start-ups werden auch Werkstätten, IT-Labs und Makerspaces angeboten.

Zurück im Philologicum setzte Richard Jacob vom Architekturbüro Gensler12 unter dem Vortragstitel „Imagining the Future Library. The New Learning Landscape“ das Gesehene der zwei programmgefüllten Tage noch einmal in einen größeren Kontext. Er definierte die Bibliothek der Gegenwart und Zukunft als kollaborativen, multifunktionalen Ort im Zentrum der Gesellschaft, der sich stetig neuen Anforderungen stellt und sich immerzu wandelt. Er forderte: Bibliotheken müssen ein Selbstverständnis etablieren, sich als Ort des Miteinanders und des Ideenaustauschs zusammen mit den Nutzenden neu zu erfinden.

Für diejenigen Teilnehmenden, die nach dem offiziellen Programmabschluss noch ein wenig Zeit erübrigen konnten, wurde noch eine Führung durch die Fachbibliothek Medizinische Lesehalle angeboten, einem der ästhetischen Schmuckstücke der LMU. Im ehemals als Kunstgalerie von Emanuel von Seidl errichteten Gebäude von 1913 befindet sich bereits seit mehreren Jahrzehnten die Lesehalle für die im umliegenden Klinikviertel studierenden und lehrenden LMU-Angehörigen. Eine 2014 abgeschlossene Sanierung macht zentrale Elemente der historischen Galerie – wie den schwarzen Wandanstrich im Kuppelsaal, stoffbezogene Wandelemente und Bildernägel aus Messing – wieder sichtbar und schafft dadurch eine ganz besondere Atmosphäre.

Die sehr positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden zu Programm und Konzept der Tagungsveranstaltung nimmt die gemeinsame Baukommission von dbv und VDB zum Anlass, dieses Format in eine Reihe zu überführen: Im Herbst 2022 wird die Besichtigung mehrerer inspirierender Standorte in Düsseldorf13 angeboten.

Lena Berg, Universitätsbibliothek München
Ulrike Brunenberg-Piel, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf
Michael Mönnich, KIT-Bibliothek Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Tatjana Mrowka, Universitäts- und Stadtbibliothek Köln
Ilona Rohde, Universitätsbibliothek Marburg

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5891

Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

2 S. dazu Berg, Lena: Neues Haus im alten Gewand. Das Philologicum der Universitätsbibliothek der LMU München. In: Bibliotheksforum Bayern 12:4/2018, S. 275–279, <https://www.bibliotheksforum-bayern.de/archiv/2018/heft-4-2018>, Stand: 22.09.2022; Brintzinger, Klaus-Rainer: Die Fachbibliothek Philologicum der Universitätsbibliothek der LMU München. Ein Neubau in einem historischen Gebäude. In: ABI Technik 40:3/2020, S. 229–245, <https://doi.org/10.1515/abitech-2020-2019>.

5 Vgl. Isabella Kratzer, Mareike Post, Melanie Ratjen: Zwischenspiel: die neuen Standorte der Münchner Stadtbibliothek, in: BuB 73 (2021), S. 616–619.

7 <https://www.hm.edu/>, Stand: 22.09.2022.

8 <https://www.sce.de>, Stand: 22.09.2022.

10 <https://www.munich-urban-colab.de/>, Stand: 22.09.2022.

11 <https://www.unternehmertum.de/>, Stand: 22.09.2022.

12 <https://www.gensler.com/>, Stand: 22.09.2022.