Gemeinsame Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv

„Alles IK oder was? Ideen und Beispiele für die Vernetzung von Literacies in Bibliotheken gesucht!“

Best-Practice-Wettbewerb Informationskompetenz 2022

Dieser Beitrag der gemeinsamen Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv möchte der Fachcommunity die vier prämierten Einreichungen des Best-Practice-Wettbewerbs Informationskompetenz 2022 vorstellen und damit insbesondere Konzepte bekannt machen, welche über den Kern der IK-Förderung hinausdenken und die Förderung vielfältiger Literacies in den Blick nehmen.

Bibliotheken sprechen oft von Informationskompetenz, wenn es um die Angebote geht, mit denen sie die Teilhabe an der Informationsgesellschaft fördern – sei es im Privaten oder in der Wissenschaft. Um den wachsenden Ansprüchen einer zunehmend digitalen Welt gerecht zu werden, müssen aber heute etablierte Aufgabenfelder erweitert und mit neuen Themen vernetzt werden: Digital- und Medienkompetenz, Daten- und Schreibkompetenz, Kommunikations- und Lernkompetenzen stehen nicht nur für sich, sondern überschneiden und ergänzen sich. Hier entsteht ein Bedarf an neuem Wissen und Fertigkeiten, um die Potentiale der digital geprägten Gesellschaft und Wissenschaft effektiv nutzen zu können – ein Bedarf, der auch neue Vermittlungsangebote, -methoden und -formate fordert. Bibliotheken stehen damit vor didaktischen, organisatorischen und fachspezifischen Herausforderungen: Modelle und Konzepte sind nötig, die die Berührungspunkte dieser Kompetenzen oder „Literacies“ ausloten und in gemeinsame Formate übertragen. Dazu sind auch neue Kooperationsformen, Partner und Möglichkeiten der Vernetzung gefragt.

Der diesjährige Best-Practice-Wettbewerb Informationskompetenz rief dazu auf, insbesondere Beispiele einzureichen, die aufzeigen wie öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken sich in der Praxis in diesem Spannungsfeld unterschiedlicher Literacies positionieren - sei es allein oder gemeinsam mit externen Partnern.

Ziel des Wettbewerbs war es, vorbildliche Konzepte und Umsetzungen zu fördern, Best-Practice-Beispiele bekannt zu machen und zum Erfahrungsaustausch und zur Nachahmung sowie ggf. zur Nachnutzung anzuregen. Teilnahmeberechtigt waren Bibliotheken, Bibliothekarinnen und Bibliothekare aller Sparten.

Eingereicht wurden insgesamt 19 Beiträge von wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken sowie deren Kooperationspartnern. Die hohe Anzahl an Einreichungen verdeutlicht die Aktualität des gewählten Themas und zeigt damit auch auf, dass viele Bibliotheken längst Aktivitäten entfaltet haben, um ihre Angebote auf die Anforderungen einer zunehmend daten- und digitalorientierten Wissenschaft und Gesellschaft anzupassen. Anders und plakativer formuliert: Die Zeiten, in denen sich Bibliotheken ausschließlich auf Bibliotheksführungen und Katalogschulungen konzentrieren konnten, gehören endgültig der Vergangenheit an. Die Einreichungen belegen eine enorme thematische Breite der Aktivitäten und zeigen das Innovationspotential der Literacies auf: Das Spektrum reichte von Data Literacy und neuen digitalen Lehr-Lern-Konzepten über neue Formen der Schreibberatung bis zu digitaler Quellenkritik und Informationsbewertung.

Ermittelt wurden die Preisträger*innen in einem mehrstufigen Verfahren durch eine vierköpfige Fachjury (Charlotte Becker, Beratungsstelle für Öffentliche Bibliotheken Südniedersachsen; Dagmar Knorr, Leiterin des Schreibzentrums der Leuphana Universität Lüneburg; Raphaela Müller, JFF-Institut für Medienpädagogik; Ulrike Wuttke, FH Potsdam, Professurvertretung Bibliotheks- und Informationstechnologien und Digitale Services).

Aufgrund gleicher Punktzahl sind dabei gleich zwei der bestbewerteten Einreichungen auf dem zweiten Platz gelandet.

Die Preisträger lauten:

1. Preis: Uwe Johnson-Bibliothek Güstrow

2. Preis: Universitätsbibliothek Wuppertal

2. Preis: ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

3. Preis: Bibliothek der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden

1. Preis: Uwe Johnson-Bibliothek Güstrow (Tilmann Wesolowski)

Die Uwe Johnson-Bibliothek Güstrow präsentiert mit ihrer Einreichung ein Projekt, das sich der Vermittlung von Digital- und Technikkompetenz an einer öffentlichen Bibliothek widmet. Darin werden digitale Angebote mit haptischen Stationen und bibliothekspädagogischen Bausteinen kombiniert. Die Umsetzung erfolgt in unterschiedlichen Formaten und verteilt in den Räumlichkeiten der Bibliothek. Zu den Angeboten zählen u.a. Makerspaces, „Probier‘s aus-Boxen“, Medienstationen und flankierenden Workshops. Aus diesen Komponenten entsteht ein Gesamtkonzept, das kreative Elemente der Digitalität, der technischen Bildung sowie der Bibliotheks- bzw. Museumspädagogik miteinander verbindet. Das Konzept ist dabei modular aufgebaut, damit auch andere Bibliotheken einzelne Bausteine unabhängig von vorhandenen Ressourcen, wie z.B. dem zur Verfügung stehenden Raum, adaptieren können. Dieser Aufbau fördert auch die Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen. So werden z.B. Kurse zur Robotik für Grundschulen angeboten und ein Workshop Photogrammetrie für die 8. und 9. Klasse. Begleitet wird das Angebot zudem jeweils durch ausgewählte Literatur zu den einzelnen Bausteinen.

Die Uwe Johnson-Bibliothek hat mit diesem Projekt ein Angebot für den MINT-Bereich an einer öffentlichen Bibliothek geschaffen, das prototypisch für die Möglichkeiten steht, die auch kleineren Bibliotheken zur Verfügung stehen.

Für die Jury war vor allem die Nachnutzbarkeit des Konzepts auf der Ebene der öffentlichen Bibliotheken ein besonders positives Merkmal des Angebots. Hinzu kamen die überzeugende Kombination unterschiedlicher Literacies und die Verbindung von analogen und digitalen Komponenten bei der Förderung derselben. Der Vorbildcharakter des Angebotes wird durch die aktuelle Nutzung, eine positive Evaluierung sowie die bereits stattfindende Nachnutzung einzelner Komponenten durch zahlreiche Einrichtungen bestätigt.

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Abb. 1: Modulare Technothek. Plakat der Uwe Johnson-Bibliothek Güstrow im Rahmen des Best-Practice-Wettbewerbs 2022 der Gemeinsamen Kommission für Informationskompetenz von VDB und dbv. Copyright: Uwe Johnson-Bibliothek Güstrow.

Platz 2: Universitätsbibliothek Wuppertal (Jan Fritze, Kerstin Kaiser, Fred Demmer)

Die Universitätsbibliothek Wuppertal reichte das Vorhaben digi-komp.nrw1 für den Wettbewerb ein. Das Kooperationsprojekt, an dem mehrere Hochschulbibliotheken und wissenschaftliche Einrichtungen aus Nordrhein-Westfalen beteiligt sind, wird seit 2019 vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Bundeslandes gefördert. Ziel ist eine Online-Plattform für interdisziplinäre und modular aufgebaute E-Learning-Selbstlernkurse, die zur Förderung der Medien-, Informations- und Digitalkompetenz von Studierenden – vor allem der ersten Semester – beiträgt. Thematische Schwerpunkte der Plattform sind: „Informationsrecherche und -bewertung“, „Medienproduktion und Präsentation“, „Prinzipien der digitalen Welt“ (hier werden v. a. technische Themen wie Daten, KI und Algorithmen aufbereitet), „Rechtliche Grundlagen“ sowie ein übergeordneter Einstieg „Information, Wissenschaft und Kommunikation“. Bei der Themenwahl orientierten sich die Projektpartner an den sogenannten Future Skills, die die zentralen Schlüsselqualifikationen für die Zukunft umfassen. Bei der Vermittlung dieser Themen wird auf eine mediale Vielfalt aus Text, Bild, Videos und weiterem audiovisuellem Material gesetzt.

Ein Schwerpunkt liegt im modularen Aufbau des Lernangebots, durch den die Einheiten leicht in individuelle Lernkontexte integriert werden können. Außerdem fördert das Konzept die eigenverantwortliche Wissensaneignung durch die Studierenden und die bedarfsgerechte Integration z. B. in Schulungsangebote von Bibliotheken als Teil von Blended-Learning-Szenarien. Die dadurch erzielte Flexibilität des Lernangebots wurde von den Jurymitgliedern besonders hervorgehoben.

Ebenso überzeugte die Jury die Bereitstellung der Materialien als Open Educational Resources (OER). So werden die digitalen Lernmaterialien landesweit unter der freien Lizenz CC-BY-SA 4.0 verfügbar gemacht.

Als besonders innovativ wurde die Verknüpfung verschiedener Literacies betont, durch die aktuelle Bedarfe der Wissensvermittlung eingelöst werden.

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Abb. 2: digi-komp.nrw. E-Learning für Studierende. Plakat der Universitätsbibliothek Wuppertal im Rahmen des Best-Practice-Wettbewerbs 2022 der Gemeinsamen Kommission für Informationskompetenz von VDB und dbv. Copyright: Universitätsbibliothek Wuppertal.

Platz 2: ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (Ellen Heidelberger, Tamara Pianos)

Mehrere wissenschaftliche Beobachtungen belegten, dass schriftliche Arbeiten von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften häufig nicht den Qualitätsansprüchen der Lehrenden genügen. Die Studierenden tun sich mit den fachspezifischen Konventionen schwer und sind nicht mit den grundlegenden Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens vertraut. Ausgehend von diesem Befund entwickelte das Team der ZBW einen Guide zum Thema “Schreibe Deine beste Hausarbeit in Wirtschaftswissenschaften”.

Bei der Konzeption des Guides beschränkte sich das Projektteam nicht auf den Bereich der Informationskompetenz, sondern berücksichtigte weitere Literacies und deren Schnittmengen. Dazu gehören u.a.: Die recherchierten Informationen in ihrer Qualität zu bewerten, Informationen aus unterschiedlichen Quellen miteinander in Bezug zu setzen, aus den Informationen Argumente zu formulieren und diese Argumente in wissenschaftlicher Sprache auszudrücken. Natürlich spielen auch die “traditionellen” Skills des korrekten Zitierens und der effizienten Recherche eine Rolle im Guide. Daneben unterstützt der Guide die Studierenden beim Zeit- und Projektmanagement, das als eine besondere Herausforderung identifiziert wurde.

Gerade das ganzheitliche Konzept des Guides, das auf die individuelle Lebenssituation der Studierenden eingeht, überzeugte die Jurymitglieder. Auch wurde gelobt, dass der Guide die Studierenden mit den Spezifika der Wirtschaftswissenschaften vertraut macht, wie die Bedeutung von Working Papers.

Schließlich wurde die attraktive Gestaltung des Guides als besonders positiv bewertet. Die Broschüre, deren erste Auflage 2019 fertiggestellt worden ist, liegt mittlerweile auch in einer englischen Ausgabe vor. Dies sowie die hohe Verbreitung des Guides zeugen von der positiven Resonanz und dem Nachnutzungspotential: Bislang wurden über 75.000 gedruckte Exemplare von über 250 Institutionen bestellt. Zusätzlich wurde eine digitale PDF-Version auf EconBiz, dem Suchportal der ZBW, veröffentlicht und dort bislang über 3.000 Mal heruntergeladen. Eine weitere PDF-Version ohne lizenzpflichtige Abbildungen unter einer CC-BY-Lizenz ermöglicht es interessierten Institutionen, den Guide in eigene Angebote einzubinden.2

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Abb. 3: Schreibe Deine beste Hausarbeit in Wirtschaftswissenschaften. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaftswissenschaften im Rahmen des Best-Practice-Wettbewerbs 2022 der Gemeinsamen Kommission für Informationskompetenz von VDB und dbv. Copyright: ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaftswissenschaften.

3. Preis: Bibliothek der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (Petra-Sibylle Stenzel)

Gerade für kleinere wissenschaftliche Bibliotheken stellt die Umsetzung eines zeitgemäßen und für unterschiedliche Zielgruppen geeigneten Schulungs- und Workshopangebots eine große Herausforderung dar. Die Einreichung der Bibliothek für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW) hat dafür eine überzeugende Lösung in Form von Kooperationen und eines breit angelegten Netzwerks entwickelt. Grundlegend für das Konzept ist es, dass die Schlüsselqualifikation Informationskompetenz als Teil der ganzheitlichen Hochschulbildung verstanden wird und das Vermittlungsangebot deshalb nicht nur Studierende adressiert, sondern auch auf Lehrende, Forschende und universitäre MitarbeiterInnen ausgedehnt wird. Gerade durch die Verbindung der bibliothekarischen Expertise mit den Kenntnissen von inner- und außeruniversitären Akteuren ist es möglich, auch den neuen Anforderungen der sich stetig wandelnden Informationstechnologie gerecht zu werden. Die Kooperationen ermöglichen es, ressourcenschonend neue Themenfelder, wie z.B. die Gute Wissenschaftliche Praxis, in das Schulungsangebot aufzunehmen. Gleichzeitig können so die Qualität und die Reputation der Informationskompetenzvermittlung gesteigert werden. Formate wie die „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ zeugen von der erfolgreichen Umsetzung des skizzierten Ansatzes und dem Gelingen des Vorhabens.

Die Jurymitglieder lobten die durch den interdisziplinären Ansatz geschaffenen Synergieeffekte und die praxisnahe Umsetzung, die zur Nachnutzung einlädt. Auch die Berücksichtigung und Verschränkung unterschiedlicher Literacies sowie deren zielgruppengerechte Vermittlung überzeugte die Jury, die die Einreichung mit dem dritten Platz belohnte.

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Abb. 4: Zusammen recherchiert man weniger allein – kooperative Informationsvermittlung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW). Bibliothek der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden im Rahmen des Best-Practice-Wettbewerbs 2022 der Gemeinsamen Kommission für Informationskompetenz von VDB und dbv. Copyright: Bibliothek der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden.

Fazit zum Best-Practice-Wettbewerb Informationskompetenz 2022

Das Ziel des diesjährigen Wettbewerbs Informationskompetenz war es, vorbildhafte Best-Practice-Beispiele aus der Community vorzustellen und zu würdigen, die aufzeigen, wie das wechselseitige Zusammenspiel von unterschiedlichen Literacies innovativ umgesetzt werden kann. Damit sollten auch Lösungen für die Herausforderungen der Digitalität für Gesellschaft und Wissenschaften gezeigt werden und die Rolle von Bibliotheken in diesem Kontext beleuchtet werden.

Die prämierten Beiträge machen deutlich, wie unterschiedlich die Antworten auf diese Herausforderungen sein können. Vor allem belegten die Einreichungen eine bestehende Experimentierfreude, neue Inhalte und Konzepte auszuprobieren bzw. alte Konzepte neu zu denken. Die Bandbreite reicht dabei von der Kombination physischer und digitaler Elemente bis zu digital-only-Angeboten. Dabei werden etablierte Konzepte, wie z.B. die Lese- oder Schreibkompetenzförderung, neu gedacht und gänzlich neue Angebote, wie z.B. zu Data oder Digital Literacy, entwickelt. Deutlich wird, dass sich Bibliotheken aktiv in diesem Feld beteiligen. Dabei profitieren sie von ihrer vorhandenen Erfahrung in der Informationskompetenzvermittlung und gehen gleichzeitig aktiv die Chance an, die eine Kombination der “neuen” Literacies bietet. Als treibende Kraft lässt sich zudem der Wille beobachten, zielgruppenspezifische und moderne Angebote zu schaffen.

Die gemeinsame Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv möchte an dieser Stelle allen Teilnehmenden am Wettbewerb danken, sie gratuliert insbesondere den vier Preisträgern und hofft, dass die Beiträge anderen Bibliotheken Impulse geben und Mut machen, das eigene Vermittlungsangebot breiter aufzustellen. Gerade die modular und kooperativ aufgestellten Projekte zeigen auf, wie auch mit kleinen Maßnahmen und geringen Budgets attraktive Vermittlungsprogramme entwickelt werden können.

Christina Schmitz, Staatsbibliothek zu Berlin
Erik Senst, Leuphana Universität Lüneburg
Timo Steyer, UB Braunschweig

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5876

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