Spotlight Digital Humanities

Podiumsdiskussion der VDB-Kommission für Fachreferatsarbeit

Mit ihrer Podiumsdiskussion am 31.05.2022 beim 8. Bibliothekskongress Leipzig rückte die VDB-Kommission für Fachreferatsarbeit die Synergieeffekte zwischen Fachreferat und Digital Humanities (DH) ins Scheinwerferlicht. Die Arbeit in den geisteswissenschaftlichen Fachreferaten an wissenschaftlichen Bibliotheken ist geprägt durch kontinuierliche Weiterentwicklung. Mehr und mehr eingebunden in forschungsnahe Dienstleistungen, pflegen Fachreferent*innen enge Kontakte in die jeweilige Wissenschaftscommunity, die sich selbst im Wandel befindet: In den Geisteswissenschaften wird zunehmend digital gearbeitet und die Beschäftigung mit den vielfältigen Methoden der Digital Humanities nimmt zu.

Im Fokus der Diskussion stand die Frage, welche Potentiale und Herausforderungen sich für Bibliotheken und Fachreferent*innen ergeben, die Services im Bereich der Digital Humanities etablieren möchten. Diskutiert wurden die dafür nötigen Rahmenbedingungen, Möglichkeiten zur Kooperation, Aus- und Weiterbildung sowie Serviceangebote.

Auf dem Podium diskutierten Expert*innen aus Bibliothek und Forschung: José Calvo Tello (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen), Andreas Christ (Universitätsbibliothek Kiel), Joëlle Weis (Trier Center for Digital Humanities) und André Wendler (Deutsches Buch und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek). Die Diskussion wurde ergänzt durch Videostatements von Andrea Rapp (Technische Universität Darmstadt) und Silke Schwandt (Universität Bielefeld). Moderiert wurde die Diskussion von den VDB-Kommissionsmitgliedern Karolin Bubke (Hochschule Hannover) und Sonja Rosenberger (Universitätsbibliothek Bochum).

Zunächst skizzierten die Diskutant*innen ihre Aufgabengebiete und die fachliche Ausrichtung ihrer Einrichtungen, worin sich die grundlegende Heterogenität des Verhältnisses von Digital Humanities und Bibliotheken widerspiegelte. So befassen sich Andreas Christ und José Calvo Tello als Fachreferenten mit dem Thema, Joëlle Weis im Rahmen ihrer Tätigkeit als Forscherin, André Wendler in museal-vermittelnder Rolle sowie Silke Schwandt und Andrea Rapp als Professorinnen in den Bereichen Digital History bzw. Computerphilologie und Mediävistik.

Das Ergebnis einer unter den insgesamt mehr als 100 Teilnehmenden vor Ort und im Stream durchgeführten Mentimeter-Umfrage1 zeigte das große Publikumsinteresse an den Aspekten Vernetzung, Aus- und Weiterbildung, Aufbau und Sicherung von Infrastruktur sowie Tools und Methoden, die vom Podium aufgegriffen wurden.

Vernetzung und Kompetenzbündelung

Die Wichtigkeit von Vernetzung und Kompetenzbündelung unterschiedlicher Akteur*innen in den Bereichen Forschung, Lehre und Transfer wurde kontinuierlich betont. Beispielsweise gibt es mit dem Trier Center for Digital Humanities ein Kompetenzzentrum, das Digital-Humanities-Projekte u.a. in den Bereichen Forschungsinfrastrukturen, Digitale Editionen und Digitale Literatur- und Kulturwissenschaften unterstützt, aber auch selbst Projekte durchführt. An der Universität Bielefeld hingegen besteht ein „Netzwerk mit Knotenpunkten“, dessen einzelne Inseln aus Forschungsprofessuren, Fakultäten und Arbeitsbereichen miteinander verknüpft werden.

Vielfach sind Bibliotheken Teil eines solchen Netzwerks und in dieses in der Rolle von Datenspezialist*innen und -lieferant*innen involviert. Für Bibliotheken ergebe sich hier, so Joëlle Weis, jedoch oft die Herausforderung, lediglich als Dienstleistungs- oder Serviceeinrichtungen wahrgenommen zu werden, deren Beitrag zur Forschung oft nicht genügend anerkannt werde. Andrea Rapp spricht von Bibliotheken als Vertrauensträger*innen, die bei der „Integration der Digitalität in die eigene Fachlichkeit“ unterstützen können. Dabei sei eine echte Beteiligung essentiell, unter der André Wendler nicht vorgefertigte, sondern auf unterschiedliche Forschungsfragen angepasste Services versteht. Nicht zu vernachlässigen sei auch das Potenzial, dass aus ursprünglich geplanten Services oft auch eigene Forschungsfragen entstehen, die die Grundlage weiterer Projekte bilden können.2

Darüber hinaus wurde deutlich, dass Infrastrukturprojekte wie die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und CLARIAH sowie die Fachinformationsdienste (FID) bei der Vernetzung eine wichtige Rolle spielen und dass Kommunikation in alle Richtungen vorhanden sein muss3, um vorhandene Kompetenzen sinnvoll bündeln und nutzen zu können. Dienstleistungen oder Forschung vor Ort sind ohne diese Netzwerke nicht möglich: Die DH-Welt lebt von Kooperation und Austausch, so das Fazit der Diskutant*innen.

Lehre

Im Kontext DH-Lehre wurde deutlich, dass es für die Digital Humanities keine einheitliche Definition geben könne, da Methoden und Vorgehensweisen projekt- und bestandsspezifisch ausgewählt werden müssen. Stattdessen habe sich ein breites Feld entwickelt, in dem teils unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden und sich ein Trend zur Ausdifferenzierung abzeichne. Bibliotheken müssen hier hinterfragen, welche Personen zu ihrer Zielgruppe gehören, z.B. die von José Calvo Tello so bezeichneten „Hardcore DHler“ oder Personen, die digitale Methoden in das eigene Fach einbringen. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Communities mit teils unterschiedlichen Bedarfen und Erwartungen hinsichtlich einer Unterstützung durch Fachreferent*innen.

Neben Forschung und Lehre wurde zudem die Bedeutung des Transfers in die Gesellschaft betont. Citizen Science im Bereich der Digital Humanities zu betreiben wurde von allen Diskutant*innen als sinnvoll und gewinnbringend beurteilt.

Digital Humanities und Forschungsdatenmanagement (FDM)

Diese beiden Bereiche werden vielerorts zusammen gedacht, was jedoch auch von den strukturellen Rahmenbedingungen an der jeweiligen Einrichtung abhängt. Das Podium war sich einig, dass im Kontext FDM noch einige Überraschungen auf die Bibliotheken zukommen könnten. FDM leiste dabei viel mehr als nur Sorge dafür zu tragen, dass entstehende Daten lange erhalten und wiederverwendbar bleiben. Die eigentliche Herausforderung bestehe darin, diese Daten in die Datenhaltung der Bibliotheken zu integrieren.

Darüber hinaus müssten viele Wissenschaftler*innen, insbesondere in den Geisteswissenschaften, noch dafür sensibilisiert werden, dass auch sie ggf. Forschungsdaten erzeugen. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was Daten eigentlich sind und wozu sie eingesetzt werden können, stelle die Basis von Digital Humanities dar und führe dazu, Data-Literacy-Kompetenzen aufzubauen. Dabei sei eine allgemeine Beratung aufgrund der Unterschiede in den Disziplinen tendenziell schwierig umzusetzen. Ziel der Bibliotheken sollte an dieser Stelle sein, zwischen Fachwissenschaft und bibliothekarischen Systemen und Services zu vermitteln. Sie können unter anderem als Vermittler von Data Literacy fungieren und (Forschungsdaten-)Bestände speichern bzw. zur Verfügung stellen.

Aus- und Weiterbildung und Kompetenzaufbau

Als besonders wichtig stuften die Diskutant*innen und die Teilnehmenden den Aspekt Aus- und Weiterbildung sowohl für Bibliothekspersonal als auch für Forschende ein. Um einen niedrigschwelligen Einstieg in DH-Themen zu finden, sei es empfehlenswert z.B. Pre-Conference-Workshops oder Einsteigerworkshops etwa zur Programmierung zu besuchen. Einen Überblick über aktuelle Trends und Themen in den Digital Humanities bietet die Tagung DHd des gleichnamigen Verbands DHd - Digital Humanities im deutschsprachigen Raum.4

Fazit

Das Podium war sich einig, dass die Digital Humanities viele Potenziale sowohl für die Forschung als auch für Bibliotheken bieten und dass durch Kooperationen und Austausch Synergieeffekte für beide Seiten entstehen können und müssen. Fachreferent*innen können und sollten als Ansprechpartner*innen für Fragen zu Digital Humanities fungieren und ihr Netzwerk innerhalb und außerhalb ihrer Einrichtungen ausbauen, um auch künftig auf die Bedarfe ihrer Community ausgerichtete Services und Unterstützung bieten zu können.

Janina Kühner, Universitätsbibliothek Bamberg, Mitglied der VDB-Kommission für Fachreferatsarbeit

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5852

Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

1 Mersmann, Jana: Umfrage Spotlight Digital Humanities – von 0 auf 100!?. Bibliothekskongress Leipzig. 2022.
DOI: <https://doi.org/10.5281/zenodo.6787374>.

2 Ein Beispiel hierfür ist etwa die Named Entity Recognition, mit deren Hilfe sogenannte Entitäten, z.B. die Namen von Personen, Datumsangaben oder geographische Angaben wie Ländernamen, in Texten identifiziert und klassifiziert werden können.

3 CLARIAH-DE ist Teil einer digitalen Forschungsinfrastruktur für die Geisteswissenschaften und stellt u.a. technische Infrastrukturen, Forschungsdaten sowie digitale Werkzeuge für Forschende bereit. CLARIAH-DE: Willkommen bei CLARIAH-DE, <https://www.clariah.de/>, Stand: 17.08.2022.

4 Verband DHd – Digital Humanities im deutschsprachigen Raum: Tagungen, <https://dig-hum.de/aktuelles>, Stand: 23.06.2022.