Eine Frage der Einstellung

Von Repositorien, Fächern und Menschen im Zuge der digitalen Transformation

Kai Matuszkiewicz, Philipps-Universität Marburg

Zusammenfassung

Am Beispiel des medienwissenschaftlichen Open-Access-Fachrepositoriums media/rep/ wird exem­-plarisch illustriert, wie Fachrepositorien in ihren Fächern die fachkulturelle Transformation als Teilaspekt einer übergreifenden digitalen Transformation unterstützen können und warum es hierfür notwendig ist, soziale und technische Aspekte konsequent zusammenzudenken. Mit Blick auf das Forschungsdatenmanagement wird dargestellt, wie sich der fachkulturelle Wandel in einer Disziplin wie der Medienwissenschaft vollzieht, was dies letztlich für die entsprechenden Fachrepositorien bedeutet und welche Maßnahmen sich daraus ergeben, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Summary

Using the example of the Open Access media studies repository „media/rep/“, this article illustrates how subject repositories can support the transformation in their communities according to the culture of their domain as a partial aspect of an overarching digital transformation and why it is necessary to consistently think together social and technical aspects for this purpose. With a view to research data management, it is shown how the domain-specific transformation takes place in a subject area such as media studies, what this ultimately means for the corresponding subject repositories and what the resulting measures are to meet these challenges.

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5846

Autorenidentifikation: Matuszkiewicz, Kai: GND: 1081159812; ORCID: https://orcid.org/0000-0001-8634-8160

Schlagwörter: Fachrepositorium; Digitale Transformation; Medienwissenschaft

Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

1. Einleitung

Die digitale Transformation durchdringt gegenwärtig Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik gleichermaßen und betrifft dementsprechend auch die Wissenschaft in ihrer vollen institutionellen, infrastrukturellen, methodischen und praxeologischen Breite. Dies bedingt einen Wandel innerhalb dieser, der bis in die einzelnen Disziplinen greift und deren Fachkulturen grundlegend verändert. So fordern asynchrone digitale Lehr-Lernangebote das Selbstverständnis und die etablierten Arbeitstechniken wie -praktiken der Disziplinen ebenso heraus wie die vermehrte Abkehr von traditionellen Publikationsmodellen, die durch digitale Infrastrukturen infrage gestellt werden, um nur zwei Beispiele zu nennen. Hierdurch sind nicht zuletzt die Fachrepositorien als Akteure des Wandels innerhalb ihrer jeweiligen Fachcommunity gefragt.1 Das gilt auch für das medienwissenschaftliche Repositorium media/rep/,2 welches bestrebt ist, die Medienwissenschaft bei der fachkulturellen Transformation zu unterstützen. Dies ist für ein Publikationsrepositorium wie media/rep/, das gegenwärtig ein Forschungsdatenrepositorium aufbaut, besonders relevant, da es verlangt, die Prinzipien der Open Science künftig breiter zu denken und nicht nur Open Access zu berücksichtigen.3

Der vorliegende Beitrag skizziert am Beispiel der Medienwissenschaft, wie ein derartiger Anspruch auf eine aktive Mitgestaltung an der fachkulturellen Transformation die Aufgaben von Fachrepositorien neu akzentuieren und Herausforderungen neu perspektivieren kann. Mit Blick auf Zweitveröffentlichungen bedeutet dies z.B. nicht nur, von der Rechteklärung über die Metaverdatung bis hin zum Upload zu unterstützen bzw. diese Arbeitsschritte ggf. zu übernehmen, es meint auch, Beratungs- und Unterstützungsangebote in Hinblick auf einen Kompetenzausbau der Forschenden zu etablieren, die eine Anpassung etablierter Arbeitspraktiken an die Folgen der Digitalisierung der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen erlauben. Dies folgt dem Grundgedanken, dass derartige Aushandlungen wissenschafts- und community-getrieben ablaufen müssen, um zu disziplinspezifisch adäquaten Lösungen zu gelangen. Deshalb wird die fachkulturelle Transformation als digitale Transformation begriffen, was es erlaubt, soziale und technische Aspekte gleichermaßen zu betrachten und zusammenzuführen. Die Digitalisierung wissenschaftlicher Arbeitspraktiken durch die zunehmende Verbreitung digitaler Methoden oder Infrastrukturen induziert fachkulturelle Wandlungsprozesse, die keinesfalls auf ihre technischen Komponenten reduziert werden sollten. Eine Auffassung der fachkulturellen Transformation im Besonderen als Teil einer übergreifenden digitalen Transformation im Allgemeinen verbindet dergestalt die soziale und die technische Dimension und verringert hierdurch eine Marginalisierung des Sozialen. Darüber hinaus bindet es die fachkulturelle Transformation an allgemeinere Entwicklungen im Kontext der digitalen Transformation zurück, die auch die Wissenschaft beeinflussen wie z.B. ein verändertes Verständnis von Autor*innenschaft.4

Unter diesem Gesichtspunkt soll mit dem Forschungsdatenmanagement eine exemplarische Arbeitspraktik herausgegriffen und anhand dieser die fachkulturelle Transformation in der Medienwissenschaft näher beleuchtet werden. Im Sinne des oben skizzierten Verständnisses der Neuakzentuierung der Aufgaben eines Fachrepositoriums ist das Forschungsdatenmanagement nicht nur relevant, um möglichst gut aufbereitete Forschungsdaten veröffentlichen zu können. Vielmehr ist das Forschungsdatenmanagement eine Arbeitspraktik, die bisher in den Medienwissenschaften kaum verbreitet und somit besonders relevant im Kontext des vorliegenden Erkenntnisinteresses ist. Aufbauend auf den Ergebnissen von qualitativen Experteninterviews wird weiter unten die Relevanz von sozialer Akzeptanz und Nutzung von technischen Infrastrukturen und Beratungs- wie Unterstützungsangeboten ausgestellt. Abgeschlossen wird der Beitrag von hieraus abgeleiteten Schlussfolgerungen zu möglichen zu ergreifenden Maßnahmen für Forschungsinfrastrukturanbieter*innen.

2. Fachrepositorien, Fachcommunity und fachkulturelle Transformation

Das medienwissenschaftliche Open-Access-Fachrepositorium media/rep/5 ist eine Kooperation des Instituts für Medienwissenschaft und der Universitätsbibliothek der Philipps-Universität Marburg. Es ist seit 2018 nutzbar und wird als Projekt bereits seit 2017 von der DFG gefördert.6 media/rep/ nimmt Publikationen aus der kulturwissenschaftlichen Medienwissenschaft sowie angrenzenden Disziplinen auf und macht diese frei und kostenlos für Forschende, Lehrende, Studierende sowie eine interessierte Öffentlichkeit zugänglich. Der Bestand umfasst gegenwärtig ca. 19.000 Dokumente zuzüglich Meta- und Normdaten, beinhaltet Texte, Videos und Audios aus den Bereichen Monografien und Sammelbände, Schriftenreihen, Zeitschriften, Aufsätze, Vorlesungs- und Vortragsaufzeichnungen sowie Podcasts. In Zusammenarbeit mit NFDI4Culture wird gegenwärtig ein Forschungsdatenrepositorium für die Medienwissenschaft entwickelt.7

Als Fachrepositorium versteht sich media/rep/nicht nur als digitaler Speicherort für Dokumente und Daten, welche es archiviert, zugänglich und nachnutzbar macht.8 Es betrachtet seine Aufgaben als Repositorium auch dahingehend, dass es als aktiver Akteur innerhalb des Faches auftritt (z.B. in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Medienwissenschaft als Fachgesellschaft), um die fachkulturelle Transformation im Allgemeinen sowie die Open-Access-Transformation im Besonderen zu befördern.9 Dies zieht es nach sich, dass die Beteiligung am fachlichen Community-Building (auf Konferenzen, in Netzwerken und Arbeitsgemeinschaften, in Projekten und Initiativen etc.) eine wesentliche Rolle spielt. Hierdurch rückt die Nutzerperspektive stärker in den Fokus und verweist auf eine nicht unwesentliche Herausforderung für Fachrepositorien. So müssen sich diese als Plattformen ihres Faches an diese Community dergestalt anschließen, dass die (Weiter-)Entwicklung des Repositoriums aus den Bedarfen des Faches heraus wissenschaftsgetrieben erfolgt. Zugleich entsteht aber eine eigene fachliche (Sub-)Community, und zwar jene derer, die das Repositorium intensiv in Forschung und Lehre nutzen. Das Entstehen dieser ‚zusätzlichen‘ Community muss keineswegs ein Problem sein, kann aber zu einem solchen werden, wenn der Repositoriums-Community nicht der Anschluss an die ‚eigentliche‘ Community gelingt, ergo die Community des Repositoriums dieses zwar rege nutzt, letztlich aber nur einen kleinen Teil der gesamten Fachcommunity ausmacht.

Damit hängt eine zweite Herausforderung zusammen. Legt man den in diesem Kapitel formulierten Anspruch an und betrachtet ein Repositorium als aktiven Akteur der fachkulturellen Transformation, so bedeutet dies nicht nur, dass die Repositoriumsverantwortlichen aktiv sein müssen, sondern dass sie die Fachcommunity ins Repositorium holen, indem sie dieses als Forschungsinfrastruktur einer kollektiv-kollaborativen Wissensproduktion (neu-)gestalten.10 Das verändert nicht nur den Aufgabenbereich von Repositorien, die entsprechende Infrastrukturen anbieten und bewerben müssen, sondern regt auch zu einer Neuperspektivierung dieser beiden Herausforderungen (Community-Arbeit und Plattform für kollektiv-kollaborative Wissensproduktion) an. Entscheidend für den Erfolg einer Infrastruktur oder Plattform ist letztlich die Akzeptanz bzw. Nutzung durch die Community, ergo die soziale Dimension dieses Transformationsprozesses. Betrachtet man das Aufkommen von Technik aus einer technik- und mediengeschichtlichen Perspektive, so muss man konstatieren, dass sich Technik nicht allein durchsetzt, indem sie erscheint, sondern dass komplexe soziale, kulturelle, wirtschaftliche oder politische Prozesse und Faktoren eine Rolle spielen und schließlich zur Nutzung oder Nicht-Nutzung führen. Der Buchdruck mit beweglichen Lettern setzte sich bekanntlich bspw. erst durch die Reformation wirklich durch, welche zu einem erheblichen Teil durch landesfürstliche Interessen politisch motiviert oder – wie die ‚Deutschen Bauernkriege‘ – ökonomisch bedingt war. Diese sozialen Komponenten gilt es mitzudenken und zu ergründen, will man eine neue Infrastruktur in einer hochgradig transformativen Zeit erfolgreich implementieren.

3. Die fachkulturelle als digitale Transformation

Das heißt keinesfalls, dass die technische Dimension zu vernachlässigen sei, vielmehr ist es geboten, beide konsequent zusammenzudenken. Das bedeutet, dass die fachkulturelle Transformation als ein soziotechnischer Prozess zu verstehen ist,11 was diesen im Kontext der übergreifenden digitalen Transformation verortet. Scheint es, auf die Forschung blickend, Commonsense zu sein, die digitale Transformation als soziotechnischen Prozess zu betrachten,12 so lassen praxeologische Beobachtungen hieran jedoch Zweifel aufkommen. Vielfach sind institutionell wie überinstitutionell technische Angebote vorhanden, werden aber nicht genutzt.13 Das kann an Unkenntnis, Berührungsängsten, fehlenden Unterstützungs- oder Beratungsangeboten liegen, ist aber in jedem Fall ein Problem der sozialen Dimension. Technik allein setzt sich nicht durch. Mit Brian Winston kann man das Verhältnis zwischen Technik und Sozialem gar dergestalt begreifen, dass man die Entwicklung neuer Technologien als Reaktion auf soziale Bedürfnisse begreift und Technikentwicklung dementsprechend als soziale Transformation versteht.14

Aus diesem Grund ist es entscheidend, die soziale Dimension des Transformationsprozesses stärker zu fokussieren, ohne die technische dabei auszublenden. Dass dies ein lohnenswertes Unterfangen ist, illustriert der Blick auf eine der Medienwissenschaft durch Forschungsgegenstände wie -methoden vergleichbare Disziplin – die Digital Humanities.15 Diese verfügen zweifellos über die notwendigen digitalen Infrastrukturen, Plattformen und Tools, jedoch lässt sich die Offenheit der Digital Humanities gegenüber diesen nicht allein im Vorhandensein von Hard- und Software begründen, sondern vielmehr in dem sozial ausgehandelten Mindset dieser jungen Disziplin, das sich nicht zuletzt in digitalen Methoden manifestiert.16 Mit anderen Worten: der Erfolg der fachkulturellen Transformation als digitaler Transformation ist eher eine Frage der mentalen denn der technischen Einstellung. Dies korrespondiert auch mit neueren Ausrichtungen der Medienforschung, die sich von einer Fokussierung auf die „scheinbar stabilen Einzelmedien“ abwenden, um sich „den scheinbar flüchtigeren Medienpraktiken“ zuzuwenden.17 Nach diesem Verständnis sind alle Medien (hier verstanden in einem weiten Sinne) kooperativ.18 Infrastruktur (wie Repositorien) kommt als „genuin soziotechnische[m] Schlüsselbegriff“ eine entscheidende Bedeutung zu, wenn es um die Gestaltung dieser Kooperationen geht.19 Der Blick auf die Digital Humanities illustriert, dass diese Transformation (durch Kooperation) nur gelingt, wenn die soziale und die technische Dimension miteinander vereint werden. Für ein Fachrepositorium wie media/rep/ mit dem dargelegten Selbstverständnis bedeutet dies, sich im Zuge der digitalen Transformation nicht nur mit Dokumenten, Daten und Dateiformaten zu beschäftigen, es heißt im Wesentlichen, sich mit den fachkulturellen Spezifika sowie den Forschenden, Lehrenden und Studierenden in Hinblick auf deren Arbeitspraktiken auseinanderzusetzen.

4. Forschungsdatenmanagement als Teil der fachkulturellen Transformation

Ein wesentlicher Aspekt dieses Transformationsprozesses ist in den letzten Jahren das Forschungsdatenmanagement geworden. Für media/rep/ wird diese Arbeitspraktik nicht nur durch die Zusammenarbeit mit NFDI4Culture virulent, sondern auch anhand der Tatsache, dass media/rep/ gegenwärtig ein eigenes Forschungsdatenrepositorium für die Medienwissenschaft entwickelt. Gerade diese Entwicklung eines Forschungsdatenrepositoriums für die Medienwissenschaft macht es unumgänglich, zentrale Anforderungen und Bedarfe der Forschenden zu ermitteln. Deshalb war es unerlässlich zu eruieren, wie es um medienwissenschaftliche Forschungsdaten und deren Management steht und welche Auswirkungen die artikulierten Anforderungen und Bedarfe hierauf haben.20 Um dies leisten zu können, wurden zwischen Juni und August 2021 qualitative Leitfadeninterviews mit 21 Medienwissenschaftler*innen zu Forschungsdaten und Forschungsdatenmanagement aus fachwissenschaftlicher Sicht von Kai Matuszkiewicz durchgeführt. Bei der Auswahl der Interviewpartner*innen wurde die Vielfalt medienwissenschaftlicher Teildisziplinen, die sich in den AGs der Gesellschaft für Medienwissenschaft widerspiegelt, ebenso berücksichtigt wie die Unterschiede zwischen eher theoretisch und eher empirisch arbeitenden Medienwissenschaftler*innen oder unterschiedliche Vorkenntnisgrade. Ferner spielte die Berücksichtigung wichtiger medienwissenschaftlicher Standorte ebenso eine Rolle wie der Einbezug fachlich einschlägiger Projekte. Zudem wurden bei der Auswahl der Interviewpartner*innen das Geschlechterverhältnis sowie verschiedene Karrierestufen bedacht. Der Leitfaden orientierte sich am Datenlebenszyklus, bot aufgrund der Offenheit der gestellten Fragen aber allen Interviewten die Möglichkeit, unabhängig von Vorkenntnissen oder Erfahrungen antworten zu können, sodass eine Vergleichbarkeit der Aussagen gegeben ist.21 Das Ziel der Interviews bestand konkret darin, Vorkenntnisse, Bedarfe und die Einstellung des Faches für die Gestaltung eines fachlich ausgerichteten Forschungsdatenrepositoriums zu ermitteln.

Einige der zentralen Ergebnisse der Interviews sollen im Folgenden kurz skizziert werden:22 Der Forschungsdatenbegriff wurde als wichtiges Konzept beschrieben, jedoch scheint es seitens der Interviewten noch weitestgehend unbestimmt zu sein – für die Data Literacy gilt dasselbe. Ferner besteht ein großes Interesse an den rechtlichen und ethischen Implikationen des Forschungsdatenmanagements. Zudem sind Metadatenstandards eher unbekannt und finden auch nur selten Verwendung. Die Heterogenität der Stake- und Shareholder ist insgesamt groß und die Bedarfe und Interessen der einzelnen Teildisziplinen sind teilweise recht unterschiedlich, sollten aber dennoch Berücksichtigung finden, so der Wunsch. Darüber hinaus wurde immer wieder betont, dass Forschungsdatenmanagement und Datenpublikationen als eigenständige wissenschaftliche Leistung Anerkennung finden müssen, und zwar auch im Kontext von Stellenbesetzungen. Damit hängt zusammen, dass einige der Befragten dazu tendierten, eigene Forschungsdaten nicht zu früh zu veröffentlichen, sondern erst nach Abschluss der eigenen Auswertungen. Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass für die Erhebung und Dokumentation von Forschungsdaten fast ausschließlich die im jeweiligen Arbeitskontext schon verfügbare Soft- und Hardware Verwendung fand, sodass Gits oder Repositorien nur sehr selten genutzt wurden.

Diese stakkatoartige, eklektizistische Auflistung der zentralen Ergebnisse soll hier keinesfalls über die Studie und ihre Erkenntnisse angemessene Aussagen treffen, sondern einen für unsere vorliegende Fragestellung interessanten Sachverhalt unterstreichen – die Bedeutung des Sozialen. Denn, bis auf den letztgenannten Punkt (Verwendung von verfügbarer Hard- und Software zuungunsten von Gits oder Repositorien), werden alle vorgenannten Punkte vornehmlich durch soziale Implikationen bestimmt. Lediglich bei der Verfügbarkeitsfrage rückt die Technik in den Vordergrund, auch wenn selbst hier nicht immer nur technische Erwägungen eine Rolle spielen, sondern auch soziale und individuelle, wenn z.B. aus Gewohnheit (ausschließlich) der eigene Laptop zur Speicherung der Forschungsdaten verwendet wird. Dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, die fachkulturelle Transformation als soziotechnischen Prozess wahrzunehmen und nicht zu sehr auf technische Aspekte einzugrenzen. Andernfalls läuft man Gefahr, Angebote zu entwickeln, die an den Bedarfen von großen Teilen der Fachcommunity vorbeigehen, da sie letztlich nur einen kleinen Bereich der Fachcommunity adressieren.

Was bedeutet dies konkret für ein Fachrepositorium, das ein Forschungsdatenrepositorium entwickelt? Es bedeutet, dass sich die eingangs genannten, abstrakteren Herausforderungen vor dem Hintergrund der Interviews detaillierter fassen lassen. So ist die Auseinandersetzung mit (neuen) Konzepten und Begriffen wie Forschungsdaten oder Data Literacy ebenso eine zentrale Herausforderung für die Medienwissenschaft und deren Fachrepositorium wie jene mit neuen Themengebieten wie Recht, Ethik oder Metadaten und nicht zuletzt gilt es, sich mit den Veränderungen der Wissenschaftspraxis eingehender zu befassen (Anerkennungsfrage, Publikationszeitpunkt, Wissenschaftskommunikation).

5. Schlussfolgerungen und mögliche Maßnahmen

Die sich hieraus ergebenden Implikationen sind vielfältig, vielseitig und vielgestaltig. Um sich diesen zu nähern und abstraktere Ausführungen konkreter werden zu lassen, bietet es sich an (als Forschungsinfrastrukturanbieter*in), Leitfragen zu formulieren, die keinesfalls neu sind, deren Beantwortung in größeren Teilen aber immer noch aussteht. Diese könnten lauten: Wie bringe ich Wissenschaftler*innen dazu, nach Unterstützungs- und Beratungsangeboten zu suchen und diese zu nutzen? Wie sensibilisiere ich für eher abstrakte Themen wie Meta- oder Normdaten? Welche Handlungsspielräume haben hier insbesondere Bibliotheken? Wie gehe ich mit der knappen Zeit der Forschenden um? Wie mache ich auf die langfristigen Folgen von Entscheidungen aufmerksam, die anfangs unproblematisch wirken?23 Wie bringe ich Fachwissenschaftler*innen dazu, bestehende Infrastrukturen zu nutzen? Wie kann ich den Diskurs zwischen fachlichen und informationsfachlichen Kolleg*innen, aber auch innerhalb der Disziplin anregen? Wie organisiert man die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams? Welche neuen Publikationsformate entstehen?24

Auf diese Fragen muss jede Institution ihre eigenen Antworten finden, da die jeweiligen Rahmenbedingungen zumeist sehr verschieden sind. Auch wenn eine Beantwortung der skizzierten Fragen vor diesem Hintergrund als nicht möglich erscheint, so scheint es dennoch möglich, die dahinterstehenden Ansätze, welche zumeist Manifestationen bestimmter Strategien sind, zu betrachten und auf ihre Zielführung zu befragen. So wird, erstens, ein pragmatischer Ansatz vertreten. Hierbei versuchen die Bibliotheksmitarbeitenden den Forschenden möglichst viel Arbeit abzunehmen, indem sie sich um die Dokumentenbeschaffung, die Metaverdatung sowie die Rechteklärung kümmern. Pragmatisch ist dieser Ansatz deshalb, weil er versucht, insbesondere institutionelle Repositorien möglichst umfassend mit den Publikationen der affiliierten Forschenden zu befüllen. Jedoch führt dieser Ansatz weder dazu, dass Forschende ihre Einstellungen gegenüber dieser Art von Arbeit verändern, noch dazu, dass sie sich neue Kompetenzen oder Wissensbestände (z.B. Rechtliches oder Metadaten betreffend) aneignen. Aus Sicht der sozialen Dimension der fachkulturellen Dimension erscheint dieser Ansatz also wenig nachhaltig zu sein (v.a. wenn man die knappen Ressourcen mancher Hochschulbibliotheken bedenkt).

Der zweite Ansatz ist ein wissenschaftspolitischer und setzt darauf, dass der fachkulturelle Wandel von oben angeregt wird und sich dann nach unten ausbreitet. Die Wissenschaftspolitik artikuliert dementsprechend neue Vorgaben, die großen Forschungsförderer und wissenschaftspolitischen Akteure reagieren hierauf, was wiederum eine Bewegung innerhalb von Hochschulen nach sich zieht – von der Hochschulleitungsebene über den Senat, die Fachbereiche bis in die Institute und Professuren. Abgesehen davon, dass nicht unerhebliche Teile der Scientific Community solchen Top-Down-Ansätzen kritisch gegenüberstehen, lässt sich deren Wirksamkeit bezweifeln, zumindest dann, wenn es der einzige Ansatz sein soll, den man verfolgt. Sicherlich betont die Wissenschaftspolitik zunehmend umfassender, ausführlicher, eindringlicher und frequenter einen Wandel hin zu Open Science und sicherlich ist die NFDI eine Manifestation des dahinterstehenden Willens in Hinblick auf Forschungsdaten und sicherlich weisen die Empfehlungen des Wissenschaftsrates oder der DFG zu Open Access eine deutliche Sprache auf.25 Jedoch sind diese Aussagen keineswegs neu, das Wissenschaftssystem in den kritisierten Bereichen zuweilen aber immer noch recht ‚alt‘.

Deshalb möchte ich hier ergänzend einen dritten Ansatz vorschlagen, der den Kompetenzaufbau und damit die fachkulturelle Transformation befördert sowie den Forschenden mehr Handlungsmacht gibt, ergo die Transformation nicht nur top-down, sondern bottom-up betreiben will (was auch ein Ziel der NFDI ist). Dies ist der Ansatz der intrinsischen Motivation, welcher versucht, die Forschenden dort abzuholen, wo sie sind, und zwar bei ihrem Kenntnisstand und ihren eigenen (Forschungs-)Interessen. Im Rahmen eines solchen Ansatzes kann mit Erfolgsgeschichten arrivierter Forschender bzw. allgemeiner mit User Stories geworben werden.26 Ebenso effizient erscheinen Ansätze, die anhand konkreter Beispiele aus dem Forschungsalltag Probleme beschreiben, die es aus Forschendensicht unbedingt zu umgehen gilt.27 Ferner können die bekannten Botschaftermodelle hilfreich sein, da sie mit der Peer-Ebene ein bewährtes Element der fachinternen Wissenschaftskommunikation aufgreifen und Hilfestellung in vertrauten Kommunikationssituationen und mit fachlichem Zuschnitt bieten können.28 Letztlich ist es aber auch unumgänglich – für fachliche wie informationsfachliche Beteiligte – Gespräche zu führen und Berührungsängste zu nehmen. Via Internet abrufbare Informationsangebote oder Tutorials stellen vollkommen zurecht einen wesentlichen Teil der bestehenden Unterstützungsangebote dar, sie können jedoch keinesfalls die Kommunikation ersetzen, sondern sind Grundlage eines umfassenderen Aushandlungsprozesses, den die digitale Transformation für die Wissenschaftslandschaft wie für ihre Fachkulturen bedeutet. Diese Diskussion gilt es entschieden zu führen.

Literaturverzeichnis

1 Unter einem Fachrepositorium wird im Folgenden nicht nur die technische Infrastruktur verstanden, sondern auch die Personen, die es betreiben und deren Wirken neben der Bereitstellung der Infrastruktur auch auf die Förderung von deren Nutzung und hiermit zusammenhängender Arbeitsprozesse zielt.

2 O.A.: media/rep/, o.D., <https://mediarep.org/>, Stand: 28.06.2022.

3 Zu den Prinzipien der Open Science vgl. Kraker, Peter; Dörler, Daniel; Ferus, Andreas u.a.: The Vienna Principles: A Vision for Scholarly Communication in the 21st Century, in: Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 69 (3–4), 2016, S. 436–446.

4 Vgl. dazu Ingelmann, Julian: Die Wortkrieger des Web 2.0. Laienliterarische Praktiken im Mikrofeld digitaler Schreibforen. Göttingen 2019.

5 Für weitere Informationen zu media/rep/ vgl. Bircher, Katrin; Blümel, Ina; Gammert, Jonathan u.a.: Digitalisierung des Kulturellen und digitale Arbeitskultur im Forschungsverbund NFDI4Culture. Community-Arbeit an, durch und mit fachspezifischen Datenkorpora und Elementen der FDM-Infrastruktur, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 69 (1–2), 2022, S. 26–36, hier S. 30–31. <https://doi.org/http://dx.doi.org/10.3196/1864295020691258> sowie Matuszkiewicz, Kai: media/rep/ – das Open-Access-Fachrepositorium für die Medienwissenschaft, in: AKMB-news. Informationen zu Kunst, Museum und Bibliothek 28 (2), 2022, S. 46–49.

6 Seit 2021 in der zweiten Förderphase.

7 Für nähere Informationen zu NFDI4Culture vgl. deren Website: o.A.: NFDI4Culture – Konsortium für Forschungs­daten materieller und immaterieller Kulturgüter, o.D., <https://nfdi4culture.de/>, Stand: 28.06.2022.

8 Gegenwärtig sichert media/rep/ eine Archivierung von mindestens zehn Jahren zu und liefert die Dokumente zusätzlich an die DNB aus.

9 Zur Gesellschaft für Medienwissenschaft vgl. deren Website: o.A.: Gesellschaft für Medienwissenschaft, o.D., <https://gfmedienwissenschaft.de/>, Stand: 28.06.2022. Zur Förderung der Open-Access-Transformation durch Repositorien vgl. Oberländer, Anja: Förderung von Open Access über institutionelle Infrastrukturen, insbesondere Repositorien, in: Söllner, Konstanze; Mittermaier, Bernhard (Hg.): Praxishandbuch Open Access, Berlin 2017, S. 137–145.

10 Vgl. dazu exemplarisch Lurk, Tabea: Open-Access zwischen Community-Arbeit und Sammlungsmanagement. Ein Praxis­­bericht. in: o-bib. Das offene Bibliotheksjournal 9 (3), 2022, S. 1–15. <https://doi.org/10.5282/o-bib/5830>.

11 Vgl. zum Konzept des ‚soziotechnischen Systems‘ als systemtheoretischer Betrachtung der Mensch-Maschine-Interaktion Ropohl, Günter: Allgemeine Technologie. Eine Systemtheorie der Technik. Karlsruhe 2009. <https://library.oapen.org/handle/20.500.12657/34498>.

12 Vgl. dazu Schrape, Jan-Felix: Digitale Transformation. Bielefeld 2021.

13 So ergab die weiter unten angeführte qualitative Erhebung zum Umgang mit Forschungsdaten in der Medienwissen­schaft via Experteninterviews, dass insbesondere Repositorien und Gitlabs von Medienwissenschaftler*innen kaum genutzt werden. Vgl. Matuszkiewicz, Kai: Forschungsdatenmanagement in der Medienwissenschaft. Eine Auswer­tung von qualitativen Interviews zur Bedarfsermittlung für die Gestaltung eines medienwissenschaftlichen Forschungs­datenrepositoriums, in: Bausteine Forschungsdatenmanagement 5 (2), 2022, S. 1–14, hier S. 8. <https://doi.org/10.17192/bfdm.2022.2.8433>.

14 Vgl. Winston, Brian: Media Technology and Society. A History: From Telegraph to the Internet. London 1998.

15 Bewusst ausgeblendet werden dabei die kontroversen Diskussionen um den Status der Digital Humanities als eigener Disziplin, als Hilfswissenschaft oder als Werkzeug. Vgl. dazu exemplarisch Jannidis, Fotis: Digitale Geisteswissenschaften. Offene Fragen – schöne Aussichten, in: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 10 (1), 2019, S. 63–70. <https://doi.org/10.25969/mediarep/18724> sowie Krajewski, Markus: Hilfe für die digitale Hilfswissenschaft. Eine Positionsbestimmung, in: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 10 (1), 2019, S. 71–80. <https://doi.org/10.25969/mediarep/18725>.

16 Vgl. dazu Schwandt, Silke (Hg.): Digital Methods in the Humanities. Challenges, Ideas, Perspectives, Bielefeld 2021.

17 Schüttpelz Erhard; Gießmann, Sebastian: Medien der Kooperation. Überlegungen zum Forschungsstand, in: Naviga­tionen 15 (1), 2015, S. 7–54, hier S. 9. <https://doi.org/10.25969/mediarep/1424>.

18 Vgl. ebd., S. 10.

19 Ebd., S. 26.

20 Einen Eindruck der gegenwärtigen Diskurse zu Forschungsdaten und Forschungsdatenmanagement in der Medien­wissenschaft vermittelt z.B. die von Dietmar Kammerer und Kai Matuszkiewicz herausgegebene Sonderreihe. Kammerer, Dietmar; Matuszkiewicz, Kai (Hg.): Sonderreihe „Forschungsdaten in der Medienwissenschaft“, Open-Media-Studies-Blog, Zeitschrift für Medienwissenschaft, seit 2021. Online: <https://zfmedienwissenschaft.de/archiv?tag=59>, Stand: 28.06.2022.

21 Vgl. dazu Matuszkiewicz, Kai: Leitfaden für Expert:inneninterviews zur Bedarfsermittlung und bei der Gestaltung eines medienwissenschaftlichen Forschungsdatenrepositoriums, 2022. <https://doi.org/10.5281/zenodo.6979783>.

22 Eine ausführliche Skizzierung des methodischen Vorgehens, der Ergebnisse, deren Auswertung und Diskussion sind der folgenden Publikation zu entnehmen: Matuszkiewicz, Kai: Forschungsdatenmanagement in der Medienwissenschaft. Eine Auswertung von qualitativen Interviews zur Bedarfsermittlung für die Gestaltung eines medienwissen­schaftlichen Forschungsdatenrepositoriums, in: Bausteine Forschungsdatenmanagement 5 (2), 2022, S. 1–14. <https://doi.org/10.17192/bfdm.2022.2.8433>.

23 Wie z.B. die Nutzung von Datenbanken während der Projektlaufzeit, deren Wartung und Fortbestand nach Auslaufen des Projektes nicht gesichert ist und deren Daten sich oftmals nur aufwändig für die Langzeitarchivierung in Repositorien aufbereiten lassen.

24 Vgl. zu den aufgeworfenen Fragen exemplarisch Dellmann, Sarah: Relevante Faktoren für eine gelungene Implemen­-tierung von FDM-Services vor Ort. Ergebnisse einer Befragung von FDM-Mitarbeiter*innen an hessischen Hoch­-schulen, in: Bausteine Forschungsdatenmanagement 5 (2), 2022, S. 1–16. <https://doi.org/10.17192/bfdm.2022.2.8428> sowie Meyer-Doerpinghaus, Ulrich; Tappenbeck, Inka: Informationskompetenz neu erfinden. Praxis, Perspektiven, Potenziale, in: o-bib 2 (4), 2015, S. 182–191. <https://doi.org/10.5282/o-bib/2015H4S182-191>.

25 Vgl. dazu Wissenschaftsrat (Hg.): Empfehlungen zur Transformation des wissenschaftlichen Publizierens zu Open Access, Köln 2022. <https://doi.org/10.57674/fyrc-vb61> sowie Dersch, Petra; Dirnagl, Ulrich; Griem, Julika u.a.: Wissenschaftliches Publizieren als Grundlage und Gestaltungsfeld der Wissenschaftsbewertung. Herausforderungen und Handlungsfelder. Positionspapier, Bonn 2022.

26 Das NFDI-Konsortium Text+ verfolgt z.B. diese Strategie: o.A.: User Stories, Text+, o.D., <https://www.text-plus.org/forschungsdaten/user-stories/>, Stand: 28.06.2022.

27 Exemplarisch sei hier auf die Research Data Scarytales des FDM Thüringen verwiesen, die sich an den bekannten Black Stories orientieren: o.A.: Research Data Scarytales, FDM Thüringen, o.D., <https://forschungsdaten-thueringen.de/fdm-scarytales/articles/ueberblick.html>, Stand: 28.06.2022.

28 Als Botschafter*innen sollten in diesem Sinne nicht primär die Fachreferent*innen gesehen werden, womit weder das Fachreferent*innensystem noch dessen Fortbestand bestritten oder bezweifelt werden soll – im Gegenteil. Fachreferent*innen nehmen eine wichtige Schnittstellenfunktion zwischen Bibliothek und Instituten ein, jedoch von der Seite der Bibliothek aus kommend. Dementsprechend sind sie nicht direkt im Fach verortet, der beschriebene Ansatz setzt aber eben auf diese fachinterne Verortung, sodass nur Forschende aus dem Fach diese Rolle einnehmen und somit gewissermaßen die Arbeit der Fachreferent*innen ergänzen können.