Fenster öffnen! Wissenschaftskommunikation, Fachinformationsdienste und Fachreferat

Ein Tagungsbericht

Online-Workshop der Fachinformationsdienste für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (AVL) und Linguistik sowie der VDB Kommission für Fachreferatsarbeit am 10. November 2021

„Neue Formate in der Wissenschaftskommunikation – Herausforderung für die Informationsversorgung?“: Unter diesem Titel veranstalteten die beiden Frankfurter Fachinformationsdienste für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (AVL) und Linguistik sowie die VDB-Kommission für Fachreferatsarbeit am 10. November 2021 einen Online-Workshop. Dieser richtete sich insbesondere an Fachreferentinnen und Fachreferenten der modernen Philologien, aber eine hohe Anzahl Teilnehmender auch benachbarter Disziplinen zeigte das generell große Interesse an diesen neuen Formaten.

Die Kommunikation der Wissenschaft hat gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig zum Beispiel Podcasts sind, um wissenschaftliche Forschungen und Ergebnisse verständlich in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Allerdings ist dies kein neues Phänomen: niedrigschwellig zugängliche und zur Interaktion einladende Medienformate, die über die traditionelle fachinterne Publikationspraxis weit hinausgehen, gewinnen seit Jahren an Bedeutung. Neben einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind es Einrichtungen wie zum Beispiel Graduiertenkollegs, Sonderforschungsbereiche oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die sich über Blogs, Podcasts oder Twitter an ein Publikum jenseits der jeweiligen Fachcommunity richten.

Drei erfahrene Referent*innen berichteten im Rahmen des Workshops aus ihrer Praxis:

Mareike König vom Deutschen Historischen Institut Paris stellte mit ihrem Beitrag „Kommunikative Formate: Weblogs in den Geistes- und Sozialwissenschaften“ sehr anschaulich und informativ eine bunte Auswahl existenter Blogs vor und sortierte diese in unterschiedliche Kategorien, z.B. Blogs von Forschungsprojekten, von Einzelpersonen über ihr Dissertations- oder Habilitationsprojekt oder Blogs, die eine Veröffentlichung oder eine Tagung begleiten. Ihnen allen sei gemein, dass sie Forschungsjournale seien, „carnets de recherche“, ein Missing Link zwischen eigenen Notizen und der traditionellen Publikation von Forschungsergebnissen. Über Blogs können im Werden begriffene Forschungsaktivitäten verbreitet und diskutiert werden. Eine große Mehrheit der vom Blogportal für die Geistes- und Sozialwissenschaften „Hypotheses“ befragten Bloggerinnen und Blogger hätte als vorrangige Zielsetzung angegeben, in Kommunikation und Austausch mit anderen treten zu wollen – und hierunter sei nicht nur die eigene Fachcommunity zu verstehen. König leitet die deutsche Redaktion von Hypotheses (https://de.hypotheses.org/) und informierte über unkomplizierte Möglichkeiten, hier selbst aktiv zu werden und ein Blog zu eröffnen. Sie machte auch Angaben zum Umfang der Arbeit, die zu investieren sei. Sie rief sehr motivierend dazu auf, als Bibliothek nicht nur selbst zu bloggen, sondern für Bloggende Beratungs- und Unterstützungsangebote zu schaffen – welche das sein können, ist auch im Redaktionsblog von Hypotheses nachzulesen (und gerne auch zu kommentieren).1

Als zweiter Referent zum Thema des Workshop-Schwerpunktes bestätigte Dirk Naguschewski vom Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) auch für die „Wissenschaftskommunikative Praxis am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung“ die Notwendigkeit und den Wunsch, mittels Blogs und Podcasts direkt und flexibel mit der Öffentlichkeit über die eigene Forschungsarbeit ins Gespräch zu kommen. Er berichtete über Workflows im Blog des ZfL (https://www.zfl-berlin.org/blog-des-zfl.html), der bereits seit 2017 existiert, und über weitere Angebote wie den ZfL-eigenen YouTube-Kanal mit Mitschnitten von Vorträgen und Interviews mit Wissenschaftler*innen und den frisch eingerichteten Podcast „Bücher im Gespräch“. Darüber hinaus machte er auf die PUSH-Studie von 19992 und das aktuelle Positionspapier des Wissenschaftsrats zur Wissenschaftskommunikation3 aufmerksam. Besonders letzteres zeige, dass für eine qualitativ hochwertige Praxis der Wissenschaftskommunikation ein entsprechender Kompetenzaufbau bei Forscher*innen erforderlich ist. Zudem wies er darauf hin, dass Forschungseinrichtungen in ihren Strategien berücksichtigen sollten, dass nicht alle wissenschaftskommunikativen Formate gleichermaßen für jede*n Forscher*in geeignet seien und Abstimmungsprozesse hier sehr zeit- und arbeitsaufwändig sein können.

Konstanze Marx, Lehrstuhl für Germanistische Sprachwissenschaft, Universität Greifswald stellte anschließend fest: „Der Elfenbeinturm hat Fenster. Browserfenster. Wissenschaftskommunikation in Sozialen Medien“. Unter diesem Titel stellte sie anhand einer Vielzahl von Beispielen vor, wie die symbolhaft zu verstehenden „Fenster zur Wissenschaft“ erfolgreich geöffnet werden könnten: etwa von Christian Drosten mit dem Podcast zum Coronavirus-Update von NDR Info über die „Chemikerin eures Vertrauens“ Mai Thi Nguyen-Kim bis hin zu Alexander Lasch4, der Gaming in Forschung und Lehre einsetzt. Marx beleuchtete auch die andere Seite der Medaille: Warum bleiben diese Fenster zu mehr Sichtbarkeit und direkter Kommunikation manchmal geschlossen? Nicht in allen akademischen Disziplinen sei Social Media als Werkzeug der Wissenschaftskommunikation anerkannt. Wissenschaftler*innen fragten sich z. B., ob komplexe Inhalte hier überhaupt vermittelt werden könnten oder sie sorgten sich wegen der enormen Geschwindigkeit, mit der sich Ergebnisse in Social Media verbreiteten. Ein starkes weiteres Argument sei die Sorge vor Herabsetzung oder Hasskommentaren.

Die lebhafte Diskussion zu allen drei Fachbeiträgen zeigte das Interesse des Publikums an den verschiedenen neuen Formaten der Wissenschaftskommunikation und die bereits vielfach erfolgte aktive Auseinandersetzung damit. Geäußert wurden Überlegungen, wie diese neuen Formate sich in die eigene Arbeit integrieren lassen, aber gleichzeitig wurde auch hinterfragt, ob dies überall sinnvoll und notwendig ist. Aus dem Teilnehmer*innenkreis gab es insbesondere Verweise auf die so erweiterte Öffentlichkeitsarbeit. Kritisch angemerkt wurden jedoch der hohe Aufwand und die Frage der Nutzung. Die vielen Beispiele der Referent*innen aus der Praxis und die gezeigten internen Abläufe ermöglichten Einblicke, die sonst so nicht möglich gewesen wären.

Im Rahmen des Workshops präsentierten sich auch die mitveranstaltenden Fachinformationsdienste, die beide an der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg in Frankfurt am Main angesiedelt sind:

Passend zum Thema des Tages stellten Volker Michel und Arne Mrotzek ihre Serviceangebote insbesondere in der Kommunikationsplattform „Vernetzen“, eines von drei Modulen des FID-Portals avldigital.de, vor (https://www.avldigital.de/de/vernetzen/). Wissenschaftler*innen können hier nicht nur ihre wissenschaftlichen Aktivitäten in einem Forscher*innen-Verzeichnis sichtbar machen, sondern auch selbst Veranstaltungsankündigungen oder Calls for Papers einstellen. Diese könnten wiederum als wissenschaftskommunikative Forschungsdaten verstanden werden, so die Referenten, was Konsequenzen hinsichtlich Normierung/Standardisierung, Lizenzierung und langfristiger Verfügbarkeit mit sich bringt. Das Modul „Vernetzen“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die für die Komparatistik relevanten wissenschaftsorganisatorischen Informationen sowie weitere zeitgemäße Medienformate der Wissenschaftskommunikation – wie eben auch Blogs oder Podcasts – nachzuweisen, zu verbreiten und recherchierbar zu machen.

Heike Renner-Westermann berichtete aus der Arbeit des „FID Linguistik zwischen Innovation und Tradition“: Im Mittelpunkt stünde hier der Ausbau des Lin|gu|is|tik-Portals (https://www.linguistik.de/), über das der FID Informationen zu allen Fachgebieten der Sprachwissenschaft vermittele. Im Portal finden sich wissenschaftliche Ressourcen aller Art – sowohl konventionelle, gedruckte und elektronische Sekundärliteratur als auch digitale Informationsressourcen einschließlich Forschungsdaten. Für die Recherche nach Zeitschriften werden bspw. aus den sechs philologischen Rubriken der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek intellektuell alle sprachwissenschaftlich relevanten Titel selektiert und für die Suche erschlossen. Im Bereich Webressourcen werden neben Blogs auch Formate wie MOOCs, Podcasts, Newsletter usw. nachgewiesen. Ein weiterer FID-Schwerpunkt liegt auf Forschungsdaten: Verschiedene Maßnahmen werden durchgeführt, um deren Sichtbarkeit zu erhöhen und die Recherche zu optimieren. Erreicht wird dies u. a. durch innovative Verfahren zur automatisierten inhaltlichen Erschließung von Forschungsdaten und deren Verlinkung mit zugehörigen Publikationen. Zum FID-Portfolio gehören auch Services in den Bereichen Linked Open Data und elektronisches Publizieren sowie Bestandsaufbau und Lizenzierung von elektronischer Literatur und Forschungsdaten.

Karolin Bubke, Bibliotheks- und Informationssystem Oldenburg

Volker Michel, Arne Mrotzek, Vanya Dimitrova, Heike Renner-Westermann, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5806

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