Engelbert Plassmann (23. März 1935 – 6. November 2021)

Am 6. November 2021 ist Prof. Dr[.] Engelbert Plassmann im Alter von 86 Jahren in Bochum verstorben. In zahlreichen Ämtern hat er das deutsche Bibliothekswesen seit den 1970er Jahren mitgeprägt und einer kaum überschaubaren Zahl von Studierenden die Grundlagen ihrer späteren Tätigkeit nahegebracht. Seine Personalbibliografie umfasst knapp 200 Titel – darunter zahlreiche Publikationen, die sich mit Studien- und Ausbildungsfragen beschäftigen.

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Engelbert Plassmann (1935–2021). Foto: privat

Geboren 1935 in Berlin erlebte Plassmann die Kriegs- und Nachkriegszeit im bayerischen Ettal. Nach dem Besuch des dortigen Benediktinergymnasiums und einem mehrjährigen Studium der katholischen Theologie wandte er sich 1960 der Rechtswissenschaft zu. In diesem Fach wurde er 1967 mit seiner Arbeit zum Thema „Staatskirchenrechtliche Grundgedanken der deutschen Kanonisten an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert“ bei Paul Mikat in Bochum promoviert. Über eine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft bei Günther Pflug in der damals jungen Universitätsbibliothek Bochum fand er zum Bibliothekswesen. Nach dem Referendariat übernahm er dort von 1971 bis 1977 das Referat Erwerbung und Koordinierung. In dieser Zeit gründete und leitete er außerdem die Fachhochschulbibliothek Bochum. Darüber hinaus war er im Bibliotheksreferat des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung in Düsseldorf tätig und übernahm für kurze Zeit die kommissarische Leitung des Hochschulbibliothekszentrums in Köln. Schon diese ersten Stationen seiner Berufskarriere zeigen, dass er immer wieder bereit war, neue Aufgaben zu übernehmen und sich großen Herausforderungen zu stellen.

Ab 1975 war er Lehrbeauftragter am bibliothekswissenschaftlichen Lehrstuhl Paul Kaegbeins an der Universität zu Köln. 1977 wurde er hauptamtlicher Dozent des Bibliothekar-Lehrinstituts des Landes Nordrhein-Westfalen, ebenfalls in Köln. Mit dessen Umwandlung zur Fachhochschule für Bibliotheks- und Dokumentationswesen (FHBD)1 wurde er 1982 zum Professor ernannt. Sein grundsätzliches Interesse an der Gestaltung von Strukturen und seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, zeigte sich darin, dass er 1986 bis 1990 das Amt des Rektors der FHBD übernahm. Gleiches gilt für seine Zeit als Vorsitzender des VDB von 1989 bis 1991.

Ein großes Anliegen war ihm das Zusammenwachsen des Bibliothekswesens in Ost und West. Entsprechend zögerte er nicht, als sich ihm 1991 die Chance bot, den Fachbereich Buch und Museum an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig als Gründungsdekan zu unterstützen. 1995 erhielt er den Ruf auf die Professur für Bibliothekstheorie und -geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Auch nach seiner Emeritierung im Jahre 2000 hat er dort noch für viele Jahre Lehrveranstaltungen angeboten und Prüfungen abgehalten. Zu den zahlreichen Engagements Plassmanns gehörte sein langjähriges Mitwirken in der Mitgliederversammlung des katholischen Borromäusvereins als persönlich berufenes Mitglied. Hier setzte er sich an der Seite seines engen Freundes Domkapitular Norbert Trippen insbesondere für den Erhalt und Fortbestand der vereinseigenen, 2003 geschlossenen Fachhochschule für das öffentliche Bibliothekswesen Bonn (FHöBB) ein.

Nachhaltig wirkte Engelbert Plassmann durch sein Standardwerk „Das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland“, das er in der zweiten Auflage (1983) gemeinsam mit Horst Ernestus und in der dritten Auflage (1999) mit Jürgen Seefeldt erarbeitet hat. Auch das von ihm initiierte und geprägte Werk „Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland“ hat inzwischen mehrere Auflagen erlebt. Mit großem Enthusiasmus und hohem Aufwand hat er außerdem über viele Jahre das Projekt „Das Buch und sein Haus“ betrieben, in dem ca. 100 mitteleuropäische Bibliotheksbauten aus sechs Jahrhunderten in Bild und Text im Rahmen einer Internetpräsentation vorgestellt werden.

Schon Mitte der 1990er Jahre hatte er Kontakte zu verschiedenen Institutionen in der georgischen Hauptstadt Tiflis aufgebaut und dort Vorträge gehalten. 1997 wurde er zum Ehrenprofessor der dortigen Staatlichen Pädagogischen Universität Sulchen-Saba Orbeliani ernannt. Mit Unterstützung der Stiftungsinitiative Johann Gottfried Herder, deren Aufgabe darin bestand, deutsche emeritierte Professor*innen an Hochschulen ins Ausland zu vermitteln, konnte er dort im Wintersemester 2001/02 als Gastprofessor wirken. In seinen letzten Jahren verfasste er autobiografische „Erinnerungen an Kriegs- und Nachkriegszeiten“, die er 2019 im Selbstverlag publizierte. Darin hat er neben seinen familiären Prägungen auch all jene Stationen, Personen und Zeitumstände in großer Detailfülle beschrieben, die ihn in seinen ersten Lebensjahrzehnten maßgeblich beeinflusst haben.

Zu den besonderen Vorzügen Engelbert Plassmanns gehörte seine Verbindlichkeit, die sich auch in sachlichen und fachlichen Kontroversen als unerschütterlich erwies. Sein Interesse an den hinter allem verborgenen menschlichen Belangen führte dazu, dass er über ein kaum überschaubares, von ihm aber mit großer Umsicht gepflegtes Netzwerk an persönlichen Beziehungen verfügte, das weit über seine Betätigungsfelder im bibliothekarischen und kirchlichen Bereich hinausreichte. Gemeinsam mit seiner Frau führte er ein außerordentlich offenes Haus, in dem zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem aus Georgien für die Dauer ihrer oft mehrmonatigen Forschungsaufenthalte mehr als nur eine Unterkunft fanden. Unabhängig davon half er mit großzügigen Gesten in Fällen, in denen sich vorübergehend materielle Not einzustellen drohte, ohne dies an die große Glocke zu hängen.

Manche seiner Auffassungen konnte er mit großer Hartnäckigkeit vertreten: Es wird wohl wenige seiner Studierenden geben, denen er nicht erläutert hat, warum auf seiner Visitenkarte hinter der Abkürzung „Dr“ auf keinen Fall ein Punkt stehen dürfe: „Der Punkt ist ein Abkürzungspunkt, der dann entfällt, wenn der letzte Buchstabe des abgekürzten Wortes Bestandteil der Abkürzung ist. Schließlich bin ich ja ein Doktor und kein Droktor.“ Sein Verhältnis zur Sprache beschränkte sich jedoch nicht auf grammatische Akkuratesse, sondern umfasste darüber hinaus ein ausgeprägtes sprachliches Feingefühl, das schiefe Vergleiche, verunglückte Metaphern und sonstige Schludrigkeiten in Textentwürfen ausnahmslos aufzudecken im Stande war.

Alle, die mit ihm in Verbindung gestanden haben, werden ihn auch aufgrund seiner freundlichen und verständnisvollen, menschlichen Zugewandtheit in guter Erinnerung behalten.

Hermann Rösch und Achim Oßwald, Institut für Informationswissenschaft der TH Köln

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5790

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1 Nachfolgeeinrichtung der FHBD ist das heutige Institut für Informationswissenschaft der TH Köln.