Dr. Antonius Jammers (2. Februar 1937 - 1. Dezember 2020)

Ein Nachruf

Vorbemerkung: Dr. Antonius Jammers wurde 1937 im sächsischen Radebeul geboren. Zum Jura-Studium ging er nach Heidelberg; nach der Promotion absolvierte an der dortigen Universitätsbibliothek auch das Referendariat für den höheren Bibliotheksdienst. Die nächste Phase seines Lebens führte ihn nach Nordrhein-Westfalen. Nach einer Tätigkeit an der Universitätsbibliothek Bonn leitete er von 1974 bis 1995 das Referat für Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationswesen beim Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Im hier veröffentlichten Nachruf wird das Wirken von Dr. Jammers an der Staatsbibliothek zu Berlin seit 1995 gewürdigt.

Kurz nach der Wende und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurde auch die Vereinigung der Deutschen Staatsbibliothek (Ostberlin) mit der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (Westberlin) eingeleitet. Die sehr große Bibliothek, die daraus 1992 entstand, ist die heutige Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.

Trotz der grundsätzlichen Freude über die Vereinigung der beiden Einrichtungen nach knapp 40 Jahren der Trennung gab es nicht wenig Unmut bei verschiedenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Ost und West. Die Ressentiments, die während der deutschen Teilung auf beiden Seiten der Mauer entstanden waren, sowie konträre fachliche, sachliche, persönliche und politische Positionen prägten das Arbeitsklima der Staatsbibliothek. Die in den Abteilungen der Bibliothek und besonders bei den Personalversammlungen geführten Debatten verliefen häufig emotional und blieben nicht selten ohne Ergebnis. Dabei schien die Zusammenlegung der Sammlungen aus Ost und West an jeweils einem der beiden Standorte (Potsdamer Straße oder Unter den Linden) zunächst besser zu gelingen als die Integration der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in bereits bestehenden oder neugegründeten Abteilungen.

Als Dr. Antonius Jammers 1995 das Amt des Generaldirektors der Staatsbibliothek zu Berlin übernahm, war die Vereinigung der beiden Staatsbibliotheken zwar formal vollzogen, aber es sollte noch viele Jahre dauern, bis die emotional geführten und vom Ost-West-Gefälle geprägten Debatten abflauten. Antonius Jammers übernahm in diesem Prozess eine ausgesprochen positive Rolle. Dabei überließ er bibliothekarische Detailfragen, die sich im Prozess der Vereinigung der Bestände und der Abteilungen ergaben, wie etwa nach der Zusammenlegung von Katalogen und anderen Findmitteln aus Ost und West, der Weiterentwicklung der Regelwerke, der Benutzung von Materialien in den Sonderlesesälen und nach dem Aufbau eines OPAC überwiegend seinem tatkräftigen Stellvertreter, Dr. Günter Baron, oder den zuständigen Abteilungsleitern und -leiterinnen und konzentrierte sich mit seiner Fachkompetenz besonders auf die Fragen der mittel- und langfristigen Konzeption der Bibliothek.

Ein zentrales Anliegen in seiner Amtszeit war die Zusammenführung des seit Kriegsende über die Staatsbibliotheken in Ost und West aufgeteilten Altbestands, sowohl im Druckschriftenbestand als auch in den Sonderabteilungen. Er baute die bis heute währenden guten Kontakte und Kooperationen mit der Biblioteka Jagiellońska in Krakau auf, wo die während des Krieges nach Schlesien ausgelagerten Bestände der Preußischen Staatsbibliothek aufbewahrt werden. In diesem Rahmen initiierte er deutsch-polnische Projekte zur Erschließung der ehemals Berliner Bestände in Krakau.

Richtungsweisend und im Wesentlichen noch heute gültig waren seine Entscheidungen zur Verteilung der Abteilungen und Sammlungen über die beiden Häuser der Bibliothek. Bereits zu Beginn seiner Amtszeit wurde klar, dass es keinen Bibliotheksneubau geben würde, der die bisherigen Standorte Unter den Linden und in der Potsdamer Straße ersetzen hätte können. Voraussetzung für eine Staatsbibliothek in zwei Häusern war daher zunächst die Grundsanierung des Hauses Unter den Linden, die unter seiner Leitung geplant wurde.

Auch die Bestandserhaltung war ihm sehr wichtig. Er förderte den Ausbau der dafür zuständigen Abteilung und die Bereitstellung von erheblichen Mitteln für die Restaurierung des Altbestands, ebenso die heiß diskutierte Restaurierung der von Tintenfraß befallenen Bach-Autographen. Er initiierte Ausstellungen, Buchpräsentationen, Tage der offenen Tür und Führungen. Es gelang ihm mit leiser Überzeugungskraft, zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für solche öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen zu gewinnen. Für kostbare Großerwerbungen, vor allem in den Sonderabteilungen, ließ er sich gern begeistern. Es gelang ihm immer wieder, bei Fördereinrichtungen sowie Spenderinnen und Spendern die erforderlichen Zuwendungen und Spenden einzuholen. In diesem Zusammenhang ist die von ihm gemeinsam mit Dr. Winfried Sühlo verfolgte Gründung des Vereins der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin hervorzuheben, die 1997 erfolgte. Rückblickend ist es Dr. Jammers zu verdanken, dass die Staatsbibliothek zu Berlin ihre Präsenz in der Berliner Öffentlichkeit deutlich stärken konnte.

Immer dann, wenn sich in der Bibliothek ein gravierendes Ost-West-Gefälle auftat, bemühte er sich zu vermitteln. Kritische, emotional geladene Wortmeldungen in den Personalversammlungen hörte er mit Ruhe und Geduld an und erwiderte freundlich, formal und präzise, manchmal etwas weitläufig, so wie er eben war. Erst viel später habe ich von ihm erfahren, wie viel Mühe ihm diese Zurückhaltung abverlangte und wie sehr ihm die heftige Kritik einzelner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unter die Haut ging. Er nahm Rücksicht auf die Empfindlichkeiten einzelner Bibliothekarinnen und Bibliothekare, weil ihn deren schwierige persönliche Schicksale aufrichtig berührten. Er ging gern auf seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu, zeigte Empathie, empfand große Freude auch bei kleinen Erfolgen und hat geholfen, wo es möglich war.

Am Ende seiner Amtszeit 2002 stand die Bibliothek wesentlich besser da als zu seinem Amtsantritt 1995. Einen OPAC gab es inzwischen, nach und nach entstand eine funktionsfähige IT-Abteilung. Die ersten Retrokonversions- und Digitalisierungsprojekte waren erfolgreich, auch wenn das Digitalisierungszentrum erst später eingerichtet wurde. Während seiner Amtszeit gestaltete Dr. Antonius Jammers maßgeblich die langfristige Bau- und Organisationsplanung und trug entscheidend zu Ausgleich, Befriedung und Beruhigung der Gemüter in der Staatsbibliothek zu Berlin bei.

Eef Overgaauw, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5754
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