Aus der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Am 18. und 19. Februar 2021 fand die erste von drei im Jahresverlauf geplanten Sitzungen des Ausschusses für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI) in Form einer Videokonferenz statt.

Einleitend hat der AWBI festgestellt, dass die Umsetzung der im Positionspapier von 2018 „Förderung von Informationsinfrastrukturen für die Wissenschaft“1 benannten Vorschläge inzwischen weit gediehen ist. Das in der heutigen Sitzung zu diskutierende neue Programm „Verantwortung für Informationsinfrastrukturen gemeinsam organisieren“ geht beispielsweise auch auf das Positionspapier zurück.

Fachinformationsdienste für die Wissenschaft

Im November 2020 war das Merkblatt zu dem Programm „Fachinformationsdienste für die Wissenschaft“ in aktualisierter Form veröffentlicht worden. Mit der Neuakzentuierung war neben den beiden bisherigen Zielen – Orientierung an fachlichen Interessen und der Schaffung von Mehrwerten in Abgrenzung zu den Grundaufgaben und der Grundversorgung – ein dritter Fördergrundsatz hinzugekommen: die Vernetzung der Fachinformationsdienste zu einer übergreifenden FID-Gesamtstruktur. Der AWBI hat sich nun mit einem Konzept zur Bewertung der Entwicklung der FID-Gesamtstruktur befasst, das eine Grundlage für die Begutachtungsrunde ab dem Jahr 2021 darstellen wird. Dabei hat der AWBI hervorgehoben, dass in der Anfangsphase vorrangig die Beiträge der einzelnen FID zur Entwicklung einer Gesamtstruktur anhand von qualitativen Kriterien evaluiert werden und dass die Bewertung der FID-Gesamtstruktur erst nachgelagert erfolgen kann. Hierzu wird das neu formierte FID-Lenkungsgremium regelmäßig um einen Bericht gebeten. Ein solcher Sachstandsbericht dient auch als Kommunikationsweg, um übergreifende Themen aus dem FID-Kontext an den AWBI herantragen zu können. Des Weiteren haben einzelne FID bereits enge Verbindungen zu NFDI-Konsortien vorzuweisen; darüber hinaus ist zu erwarten, dass das FID-Lenkungsgremium in einen konkreten und strukturierten Austausch mit dem Direktorat der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) treten wird.

Aus Sicht des AWBI sollte u.a. Ziel einer FID-Gesamtstruktur sein, dass – vor allem bei technischen Entwicklungen – Synergien genutzt und damit einhergehend Parallelentwicklungen vermieden werden. Darüber hinaus wird erwartet, dass sich ein gewisser Konvergenzdruck bei entsprechenden technischen Entwicklungen, z.B. im Bereich von Discovery-Systemen, Repositories und Langzeitarchivierungssystemen, ergeben wird. Den Wunsch, einen zentralen Überblick über das Leistungsspektrum der FID zu erhalten, haben die FID mit dem Projekt zur Kartierung ihrer Dienste, Dienstangebote und Technologien bereits aufgegriffen.2 Die FID-Gesamtstruktur soll in einem selbstorganisierten Prozess aufgebaut werden, eine steuernde Rolle sieht der AWBI hier für sich nicht.

Digitalisierung und Erschließung

Ebenfalls im Herbst 2020 war auch das Programm „Digitalisierung und Erschließung“ neu akzentuiert und damit verbunden für alle wissenschaftlich relevanten Objektarten geöffnet worden. Aufgrund dieser Ausweitung ist es nicht mehr sinnvoll, Praxisregeln zur Digitalisierung material- und fachübergreifend in einem Dokument zusammenzuführen. Daher hatte der AWBI im Zuge dieser Neuausrichtung festgelegt, dass die bisherigen DFG-Praxisregeln „Digitalisierung“ künftig in Selbstorganisation der betroffenen Communities zu organisieren sind. Damit ergibt sich die Notwendigkeit, für die künftige Aktualisierung und Weiterentwicklung der DFG-Praxisregeln „Digitalisierung“ neue Formate und Prozesse zu definieren. Um diesen Prozess anzustoßen, hat die DFG-Geschäftsstelle ein Rundgespräch zur Selbstorganisation der Praxisregeln „Digitalisierung“ unter Beteiligung von Akteuren aus denjenigen Communities, deren Materialien bisher in den Praxisregeln umfassend abgebildet sind, vorgeschlagen. Konkret geht es dabei um folgende Materialarten: Drucke (Imagedigitalisierung und Volltextbereitstellung durch OCR), mittelalterliche Handschriften, archivalische Quellen, Nachlässe, Zeitungen, bildbezogene Materialien (hier vor allem grafische Darstellungen und Fotografien). Der AWBI unterstützt die Durchführung eines solchen Rundgesprächs, verweist aber darauf, welche strukturbildende De-Facto-Standards mit den Praxisregeln entstanden sind, die weit über die Grenzen von DFG-geförderten Projekten hinaus ihre Wirkung gezeigt haben. Dies sollte – ggf. ergänzt um neuere Entwicklungen – beibehalten werden. Auch sollte berücksichtigt werden, dass sich die wissenschaftliche Nutzung von Digitalisaten sehr verändert hat, sodass auch veränderte Nutzungsformen und entsprechende Schnittstellen künftig verstärkt beachtet werden sollten. Auch eine Erweiterung des Kreises der einzuladenden Akteure, z.B. um Vertreterinnen und Vertreter der DDB-Fachstellen und der sich etablierenden NFDI-Konsortien, sollte bedacht werden.

Die Communities, die mit den im Programm „Digitalisierung und Erschließung“ neu hinzugekommenen Materialarten arbeiten, sind von Anfang an aufgefordert, abgestimmte Qualitätskriterien bzw. Standards zur Digitalisierung und/oder Erschließung zwischen bestandshaltenden Einrichtungen und der jeweiligen fachwissenschaftlichen Community in Selbstorganisation zu erarbeiten.

E-Research-Technologien

Seit 2014 fördert die DFG die koordinierte Förderinitiative zur Weiterentwicklung von Verfahren zur Optical Character Recognition (OCR-D), deren Hauptziel die konzeptionelle und technische Vorbereitung der Volltexttransformation der in den nationalbibliographischen Verzeichnissen für das 16., 17. und 18. Jahrhundert nachgewiesenen Drucke (VD 16, VD 17, VD 18) ist. Der AWBI hat sich mit den Ergebnissen der Ende 2020 durchgeführten dritten Ausschreibung zur Implementierung des noch prototypischen OCR-D-Gesamtworkflows für unterschiedliche Anforderungen befasst. Dazu wurden in dieser Runde fünf Projekte zur Bewilligung vorgeschlagen. Zudem werden das Koordinierungsprojekt sowie zwei weitere Projekte gefördert, die auf die Verbesserung eines bereits in der zweiten Ausschreibungsrunde entwickelten Softwaremoduls zielen. Im Zuge der Begutachtung der in der dritten Ausschreibungsrunde eingereichten Anträge hatten die Begutachtenden noch Nachbesserungsbedarf beim OCR-D-Gesamtworkflow festgestellt, vor allem hinsichtlich der Layout- und Strukturanalyse, die von dem Koordinierungsprojekt und den bewilligten Einzelprojekten gemeinsam gelöst werden sollten. Auch der nachhaltige Betrieb sowie die Weiterentwicklung des Gesamtworkflows nach Auslaufen der Förderung sollten gemeinsam von allen an der OCR-D-Initiative Beteiligten organisiert werden.

Verantwortung für Informationsinfrastrukturen gemeinsam organisieren (VIGO)

Konzeption, Aufbau bzw. Weiterentwicklung sowie dauerhafter Betrieb von Informationsinfrastrukturen setzen vermehrt intensive Abstimmungen zwischen unterschiedlichen Akteuren voraus. Daher hatte der AWBI in seiner Klausursitzung im Mai 2017 ein eigenes Förderformat zur Unterstützung der hier notwendigen Aushandlungsprozesse angeregt. Auf Grundlage des im Nachgang zur Klausur 2018 veröffentlichten Positionspapiers empfiehlt der AWBI nun, das Programm „Verantwortung für Informationsinfrastrukturen gemeinsam organisieren“ (VIGO) einzurichten. Es zielt darauf ab, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso wie die Betreiber von Informationsinfrastrukturen dabei zu unterstützen, in eigener Verantwortung Lösungsansätze für sich abzeichnende Herausforderungen im Auf- und Ausbau oder in der dauerhaften Absicherung der forschungsrelevanten Informationsinfrastrukturen zu entwickeln. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die zur Ausgestaltung von Informationsinfrastrukturen nötigen Prozesse der Selbstorganisation stimuliert.

Gegenstand der Förderung können z.B. Verabredungen im organisatorischen Bereich, Absprachen zur verteilten Finanzierung von Infrastrukturen, grundlegende Klärungen zu Aufgaben und Rollen von Kooperationspartnern, Vereinbarungen zum Umgang mit rechtlichen Bestimmungen oder auch Abstimmungen zu Standards, Schnittstellen oder zur technischen Anschlussfähigkeit von Infrastrukturen sein. Neben Mitteln zur Durchführung eines strukturierten Dialogs in Form regelmäßiger Treffen und Workshops können auch Mittel beantragt werden, um die inhaltliche und konzeptionelle Ausgestaltung dieses Dialogs zu unterstützen und die Ergebnisse festzuhalten und auszuwerten. Konkrete Umsetzungsarbeiten können im Rahmen dieses Programms nicht gefördert werden. Das Programm wird voraussichtlich im ersten Quartal des Jahres 2022 veröffentlicht.

Knowledge Exchange

Die Zusammenarbeit im europäischen Netzwerk Knowledge Exchange basiert auf jeweils dreijährigen Kooperationsvereinbarungen. Die derzeit laufende Vereinbarung läuft Ende des Jahres 2021 ab, sodass der AWBI Überlegungen für eine Weiterführung der Zusammenarbeit angestellt hat. Als Grundlage für diese Entscheidung hat das Steuerungsgremium von Knowledge Exchange eine Bewertung angestoßen, die die sechs Partnerorganisationen jeweils aus ihrer Perspektive durchgeführt haben.

Für die Perspektive der Gruppe LIS hat die DFG-Geschäftsstelle eine Übersicht über die Aktivitäten von Knowledge Exchange sowie über die eingesetzten personellen (sowohl innerhalb der DFG als auch zu beteiligten Experten und Expertinnen aus Deutschland) und finanziellen Ressourcen und über die Arbeitsergebnisse für die Jahre 2018 bis 2020 zusammengestellt, die dem AWBI zur Beratung vorlag. Aus der Übersicht geht hervor, dass sich das Netzwerk mit einer breiten Palette von Themen befasst hat, von Preprints über die European Open Science Cloud (EOSC), Open-Access-Monographien, ökonomische Aspekte von offener Wissenschaft, Monitoring von Open Access bis zur Bewertung von wissenschaftlicher Leistung (Openness Profile). In den verschiedenen Arbeitsgruppen sind 14 Berichte, Studien und Artikel entstanden. Zu den neuen strategischen Schwerpunkten, die vereinbart wurden, gehören Kommunikations- und Publikationsmodelle der Zukunft, FAIRe Daten und Software zur Unterstützung von Reproduzierbarkeit sowie Veränderungen in der Bewertung offener Wissenschaft. Dabei war die DFG an 12 von 21 Aktivitäten federführend beteiligt.

Wichtig für die DFG ist dabei auch, wie die Aktivitäten von Knowledge Exchange für die Planungen von Fördermaßnahmen genutzt werden können. Die Diskussionen zu Preprints haben beispielsweise dazu geführt, dass in den beiden neuen, seit Anfang des Jahres 2021 veröffentlichten Programmen „Open-Access-Publikationskosten“ und „Infrastrukturen für wissenschaftliches Publizieren“ diese nun explizit angesprochen werden. Auch wurden als Ergebnis der Arbeit von Knowledge Exchange Open-Access-Monographien in das Programm „Open-Access-Publikationskosten“ mit aufgenommen. Die Arbeit von Knowledge Exchange ist zudem in Projekte innerhalb der DFG-Geschäftsstelle eingeflossen sowie in Workshops im Rahmen der Allianz-Initiative Digitale Information und Science Europe. Die Effekte der Arbeit von Knowledge Exchange für das Förderhandeln und die Politikberatung der DFG werden daher sehr positiv beurteilt. Des Weiteren werden der Austausch und die Vernetzung auf internationaler Ebene gewinnbringend gefördert; die aus der Arbeit von Knowledge Exchange hervorgehenden Publikationen sind auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Interesse. Der AWBI hat sich nachdrücklich dafür ausgesprochen, die Beteiligung am Netzwerk auch über das Jahr 2021 hinaus fortzusetzen.

Datentracking in der Wissenschaft

Über verschiedene Tracking-Tools wird das Nutzungsverhalten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei der Recherche und Verwendung von wissenschaftlichen Inhalten über die Zugangsdatenbanken vor allem großer Anbieter nachvollziehbar. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen täglich eine Vielzahl von digitalen Informationsressourcen wie zum Beispiel Literatur- und Volltextdatenbanken. Häufig fallen dabei Nutzungsspuren an, die Aufschluss geben über gesuchte und genutzte Inhalte, Verweildauern und andere Arten der wissenschaftlichen Aktivität. Diese Nutzungsspuren können von den Anbietenden der Informationsressourcen festgehalten, aggregiert und weiterverwendet oder verkauft werden. Der AWBI hatte sich mit dem Thema in seiner vorhergehenden Sitzung eingehend befasst. Eine Arbeitsgruppe des AWBI erstellte in Folge ein Informations- und Empfehlungspapier, das nun dem gesamten AWBI zur Beratung vorlag.

Das Informationspapier legt die Transformation von Wissenschaftsverlagen hin zu Data Analytics Businesses dar, verweist auf die Konsequenzen daraus für die Wissenschaft und deren Einrichtungen und benennt die zum Einsatz kommenden Typen der Datengewinnung. Damit dient es vor allem der Darstellung gegenwärtiger Praktiken und soll zu Diskussionen über deren Konsequenzen für die Wissenschaft anregen. Es richtet sich an alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie alle Akteure in der Wissenschaftslandschaft. Der AWBI begrüßt dieses Papier ausdrücklich und hat sich für eine Veröffentlichung durch die DFG ausgesprochen.3

Ulrike Hintze, Deutsche Forschungsgemeinschaft

Gruppe ‚Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme’ (LIS)

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5751

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1 DFG: Förderung von Informationsinfrastrukturen für die Wissenschaft. Ein Positionspapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft, März 2018, <https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/positionspapier_informationsinfrastrukturen.pdf>, Stand: 01.08.2021.

3 DFG: Datentracking in der Wissenschaft: Aggregation und Verwendung bzw. Verkauf von Nutzungsdaten durch Wissenschaftsverlage. Ein Informationspapier des Ausschusses für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 18. Juni 2021, <https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/
programme/lis/datentracking_papier_de.pdf
>, Stand: 01.08.2021.