Bibliotheken in der Open-Access-Transformation:
„PABA“ revisited

Silke Frank (Technische Hochschule Clausthal) und Frank Salmon (Hochschule Niederrhein, Krefeld) im Interview mit Kai Geschuhn (Max Planck Digital Library Services GmbH, München)

Ende letzten Jahres verschickte die Max Planck Digital Library Services GmbH (MPDL Services GmbH) die ersten publikationsbasierten Rechnungen („PABA-Rechnungen“) für das erste DEAL-Vertragsjahr mit Wiley an über 450 Einrichtungen.1 Eigens für das DEAL-Konsortium2 entwickelt, sind die PABA-Rechnungen ein Instrument, das Bibliotheken dabei unterstützt, ihre ehemaligen Subskriptionsausgaben an die neue Logik des Open-Access-Publizierens anzupassen. Die Rechnungen, die nach Ablauf eines jeden Jahres verschickt werden, zeigen ihnen die Publikationen, die aus ihren Häusern in den Zeitschriften der DEAL-Verlage veröffentlicht wurden, jeweils berechnet mit der einheitlichen DEAL-PAR-Gebühr (Publish-And-Read-Gebühr).3

Gemessen an den gesamten ehemaligen Bibliotheksausgaben der deutschen Wissenschaftseinrichtungen für Zeitschriftenabonnements wurden die DEAL-Verträge kostenneutral realisiert. Auf Ebene einzelner Einrichtungen entsprechen die Publikationskosten nach PAR-Gebühr aber häufig nicht den Ausgaben, die eine Bibliothek vor Abschluss des DEAL-Vertrags bei den Verlagen hatte. Wie sich Bibliotheken auf die Umstellung ihrer Verlagsausgaben vorbereiten, war Thema des Webinars „Von PAR Fee und PABA – Kooperative Finanzierung und Kostenneuverteilung im DEAL-Konsortium“, das die MPDL Services GmbH im Februar dieses Jahres veranstaltete.4 Praxisbeispiele aus zwei Einrichtungen wurden gezeigt: Frank Salmon, Leiter der Bibliothek der Hochschule Niederrhein, und Silke Frank, kommissarische Leiterin der Universitätsbibliothek an der Technischen Universität Clausthal, stellten die Transformationsstrategien ihrer Einrichtungen dar. Mittlerweile ist das DEAL-Konsortium in der Abrechnungsperiode für das Jahr 2020 angekommen, und damit auch für den 2020 gestarteten DEAL-Springer-Nature-Vertrag. Ein Anlass dafür, die beiden Referent*innen noch einmal zu befragen.

Frau Frank, Herr Salmon, gerade wurden die ersten PABA-Rechnungen für Springer Nature verschickt – gab es Überraschungen, oder entsprach die Aufstellung Ihren Erwartungen?

Frank Salmon: Die Rechnung entsprach im Großen und Ganzen unseren Erwartungen. Wir haben uns im Vorfeld unseres DEAL-Beitritts mithilfe des Open-Access-Monitors das Publikationsvolumen der Hochschule Niederrhein angesehen. Dank der Kolleg*innen in Jülich, die den Monitor zur Verfügung stellen, hatten wir dann einen groben Rahmen, an dem wir uns orientieren konnten. Die Publikationszahlen unserer Hochschule bei Springer Nature sind im einstelligen Bereich.

Silke Frank: Für uns gab es keine Überraschungen. Wir hatten uns bereits im Vorfeld der Unterzeichnung des Springer-DEAL-Vertrages, z.B. über den Open-Access-Monitor,5 über die Publikationsleistung der TU Clausthal beim Springer-Verlag erkundigt und konnten daher gut abschätzen, mit welcher Anzahl an Zeitschriftenartikeln zu rechnen war. Außerdem haben wir im Jahresverlauf über das Dashboard von Springer kontinuierlich den Publikationsverlauf beobachten können. Die PABA-Rechnung entsprach daher genau unseren Erwartungen.

Würden Sie für die Leser*innen und gerade auch für jene, die das Webinar im Februar nicht besucht haben, noch einmal die wichtigsten strategischen Überlegungen darlegen, die an Ihrer Einrichtung beim Beitritt zu den DEAL-Verträgen eine Rolle gespielt haben?

Frank Salmon: Wir haben uns, wie gesagt, das Publikationsvolumen der letzten drei-vier Jahre angesehen und das dann hochgerechnet auf die Vertragslaufzeit der DEAL-Verträge, die ich als einen Testzeitraum für das neue Finanzierungsmodell bezeichnen würde. Die Zahlen haben wir dann dem Präsidium unserer Hochschule vorgelegt. Man hat sich dann dazu entschieden, den DEAL-Verträgen beizutreten und sie entsprechend zu finanzieren, wobei ich sagen würde, dass diese Entscheidung eher eine Kosten-Nutzen-Abwägung war, also weniger von der Idee geleitet, Open Access zu fördern. Es wurde insbesondere geschaut, welche Zeitschriften zusätzlich freigeschaltet werden.

Bei Springer hatten wir zwar zuvor auch schon über das NRW-Konsortium Zugriff auf fast das gesamte Zeitschriftenangebot; bei Wiley bestand vor Abschluss des DEAL-Vertrages nur Zugriff auf einzelne Zeitschriften. Insbesondere der Fachbereich Chemie unserer Hochschule hatte sich bis dahin allerdings schon breitere Zugriffsmöglichkeiten gewünscht, und es bestand auch der Wunsch, in Wiley-Zeitschriften Open Access zu publizieren.

Da die Vertragskosten also von vornherein publikationsbasiert kalkuliert und eingeplant waren, können wir jetzt beide Ausgleichszahlungen tätigen. Und ich gehe davon aus, dass wir die Mittel zwischen den Verträgen auch flexibel zur Deckung der DEAL-Gesamtkosten verwenden können, wenn wir also bei einem Verlag einmal mehr Publikationen haben als angenommen und beim anderen weniger.

Silke Frank: Die TU Clausthal hat vor der Laufzeit der DEAL-Verträge am Niedersachsen-Konsortium für die Verlage Springer und Wiley teilgenommen. Dadurch bestand hier bereits ein umfassender Zugriff auf die Zeitschriftenartikel dieser Verlage. In dieser Hinsicht gab es keine Änderung und auch keinen Vorteil hinsichtlich der Teilnahme an den DEAL-Verträgen. Für die TU Clausthal ergibt sich der Nutzen durch die Open-Access-Komponente. Aus Gründen der Transparenz und der Vermeidung von „Double-Dipping“ finanziert der Publikationsfonds der TU Clausthal keine Artikel in Hybrid-Zeitschriften. Wir mussten daher die Anträge vieler Clausthaler Autor*innen auf Unterstützung bei der Finanzierung von Open-Access-Artikeln in Springer- und Wiley-Hybrid-Zeitschriften ablehnen. Durch die DEAL-Verträge können alle Publizierenden der TU Clausthal ihre Artikel nun in allen Zeitschriften der Verlage Springer Nature und Wiley im Open Access zur Verfügung stellen, nicht nur in den reinen Open-Access-Zeitschriften. Dies wird auch ausgiebig von ihnen genutzt und wird sehr geschätzt. Da die Autor*innen der TU Clausthal neben Zeitschriften des Verlags Elsevier hauptsächlich in Zeitschriften der Verlage Springer und Wiley publizieren, bringt das den Open-Access-Anteil am Gesamtpublikationsvolumen gut voran. Zusätzlich erfordert es kein geändertes Publikationsverhalten bei den Wissenschaftler*innen und erleichtert ihnen damit Förderbedingungen zu erfüllen, oder auch allgemein den Weg hin zu mehr Open-Access zu beschreiten.

Wie verhalten sich Ihre ehemaligen Subskriptionsausgaben für Wiley und Springer-Nature-
Zeitschriften zu den publikationsbasierten Kosten für die jeweiligen Verlage? Welche Maßnahmen und Strategien wurden ergriffen, um eventuelle Kostensteigerungen ausgleichen zu können?

Silke Frank: Die ehemaligen Subskriptionsausgaben liegen sowohl für Wiley als auch für Springer Nature sehr viel höher, als es die publikationsbasierten Kosten ergeben haben. Überschlagsrechnungen im Vorfeld der Teilnahme an den Verträgen hatten das bereits gezeigt. Selbst Prognosen mit deutlichen Publikationssteigerungen lagen allenfalls im Bereich des „Break-Even“. Es gab daher keinen Anlass für uns, Kostensteigerungen in Betracht zu ziehen. Die tatsächlichen Abrechnungen haben diese Prognosen bestätigt.

Frank Salmon: Bei Springer Nature ist es jetzt schon gestiegen, da haben wir Nachzahlungen in Höhe von fünf- bis sechstausend Euro zu tätigen, und das entspricht unseren Erwartungen. Bei Wiley sind wir unter den Fachhochschulen in NRW eher im oberen Bereich mit Nachzahlungen in Höhe von um die zwanzigtausend Euro, aber man kann das Publikationsaufkommen eben auch nicht steuern.

Ich weiß, dass es eine Grundsatzdiskussion an vielen Hochschulen gibt, ob sie verpflichtet sind, Nachzahlungen zu leisten. Das hängt natürlich immer auch davon ab, ob die Bibliothek oder die Hochschule die Mittel hat. Da die Hochschule den Vertrag abgeschlossen hat, läge die Nachweispflicht aus meiner Sicht auch bei ihr, und das wäre bei der Größenordnung unserer Nachzahlung natürlich keine Frage – wenn aber größere Nachzahlungen anstehen, dann ist das wahrscheinlich ein Fall für einen DFG-Antrag.

Herr Salmon, gibt es eine Fachhochschul-Perspektive auf die DEAL-Verträge und die Open-Access-Transformation?

Frank Salmon: Aus meiner Sicht haben die FHs hier stark gewonnen, da sie viel mehr Zugriff bekommen. An manchen Hochschulen wird zum Teil ausschließlich auf die Kosten geschaut. Da heißt es dann zum Beispiel, dass sich die Ausgaben durch DEAL verdreifacht haben. Das kann natürlich der Fall sein, wenn man vorher 3.000 Euro für Zeitschriftenabonnements bezahlt hat und nun drei Hybrid-Publikationen finanzieren muss. Das kann man so sehen, aber ich persönlich würde empfehlen, die Kosten eher aus einer Inhaltsperspektive heraus zu bewerten. Außerdem sollten Beträge in dieser Größenordnung keine Hochschule vor eine Herausforderung stellen.

Was hat sich durch die DEAL-Verträge geändert, z.B. in Ihrer täglichen Arbeit oder in Bezug auf Rolle, Wahrnehmung und Aufgaben der Bibliothek? Welche Dinge werden sich aus Ihrer Sicht durch die Open-Access-Transformation zukünftig noch ändern?

Silke Frank: Die DEAL-Verträge sind für uns mit zusätzlichen Arbeiten verbunden. Bisher hatten wir nur im Rahmen der Hochschulbibliographie mit Hybrid-Zeitschriftenartikeln unserer Autor*innen zu tun. Jetzt müssen wir für jeden Artikel aus den DEAL-Verträgen bestätigen, dass der*die Hauptautor*in aus unserer Einrichtung kommt. Hier ist vor allem eine zeitnahe Reaktion wichtig. Insgesamt erhöhen sich die Anforderungen an das Monitoring der Publikationen der TU Clausthal. Auch im Bereich der Beratung und Information besteht hier ein höherer Aufwand, da unsere Wissenschaftler*innen noch unsicher im Umgang mit den neuen Möglichkeiten sind. In Bezug auf die DEAL-Verträge ist dies ein vorübergehendes Phänomen, aber im Bereich der Open-Access-Publikationen insgesamt wandeln sich die Rahmenbedingungen so kontinuierlich, dass wir hier längerfristigen Beratungsbedarf sehen. Noch haben wir es nicht geschafft, dass alle unsere Nutzer*innen uns als „Publikationsermöglicher“ sehen. Die Aufgaben der Bibliothek begannen bisher erst nach der Publikation eines Werkes. Nun sind Bibliotheken auch schon im Publikationsprozess selbst beteiligt. Die Digitalisierung macht hier so viel möglich. Es ist schade, dass sich bisher im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens nichts wirklich Neues durchsetzen konnte, sondern dass nur kosmetische Veränderungen des alten Systems gelungen sind. Die Open-Access-Transformationsverträge sorgen bei uns für deutlich andere Arbeitsvorgänge und dennoch sind sie hoffentlich nur ein kleiner, erster Schritt hin zu einem wirklich neuen, besseren, die Wissenschaft fördernden System.

Frank Salmon: Dass wir Services rund um das Publizieren anbieten, hat sich noch nicht so ganz etabliert, weil die Menge nicht so groß ist. Uns erreicht schon die eine oder andere Anfrage zu Open Access, aber das ist noch nicht so repräsentativ. Es gibt Professor*innen, die sich sehr gut auskennen, aber manche haben auch sehr viele Fragen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass das Thema Open Access jetzt auch an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ein dauerhaftes Thema für die Bibliothek wird. Für andere Fragen rund um das wissenschaftliche Publizieren generell sind wir noch außen vor, bisher läuft das zwischen Verlagen und Autor*innen direkt ab.

Wir gehören zu den fünf größten FH-Bibliotheken in Deutschland mit 20 Vollzeitstellen. Die Frage, ob wir Personal für neue Services einsetzen, stellt sich im Moment nicht, da die Personaldecke in allen Bereichen der Bibliothek so dünn ist, dass neue Services nur durch zusätzliches Personal geleistet werden können. Generell denke ich auch in Bezug auf Open Access, dass das Thema aus der Forschung kommen muss, nicht aus der Bibliothek, und es sollte lieber „top-down“ organisiert werden als „bottom-up“.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie als Bibliothekar*in auch noch gerne „transformieren“?  

Frank Salmon: Ja, also, wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann vielleicht in Bezug auf E-Books: Im Moment ist es für den Einkauf sehr aufwändig herauszufinden, ob und zu welchen Konditionen eine Lizenzierung möglich ist. D.h. es wäre schön, wenn zukünftig die Beschaffung von E-Books zu ähnlichen Rahmenbedingungen erfolgen könnte wie bei gedruckten Büchern: Jeder Titel kann einzeln als Campuslizenz lizenziert werden, der Preis ist bei allen Lieferanten gleich, es gibt dauerhafte Zugriffsrechte, etc.

Silke Frank: Ungeduldig erwarte ich schon seit vielen Jahren eine Transformation unseres Bibliothekssystems. Es wäre wirklich schön, wenn unsere Arbeitsabläufe dann auch im 21. Jahrhundert ankommen könnten, ohne durch veraltete Software ausgebremst zu werden.

Frau Frank, Herr Salmon, ich danke Ihnen für Ihre Antworten.

Silke Frank, Technische Hochschule Clausthal
Frank Salmon, Hochschule Niederrhein, Krefeld
Kai Geschuhn, Max Planck Digital Library Services GmbH, München

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5719

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1 Mehr über die DEAL-Verträge: Max Planck Digital Library Services GmbH: DEAL Operations. Das ist der Deal, <https://deal-operations.de/das-ist-der-deal>, Stand: 26.06.2021.

2 Ebd.: DEAL-Konsortium, <https://deal-operations.de/bibliotheken/deal-konsortium>, Stand: 26.06.2021.

3 Mehr zur PAR-Gebühr: Ebd.: Das ist der Deal. Kosten reduzieren und neu verteilen, <https://deal-operations.de/das-ist-der-deal/kostenneuverteilung>, Stand: 26.06.2021.

4 Ebd.: Aktuelles, 04.03.2021, <https://deal-operations.de/aktuelles/deal-praxis-webinar-2>, Stand: 26.06.2021.

5 Forschungszentrum Jülich: Open Access Monitor, <https://open-access-monitor.de/#/home>, Stand: 26.06.2021.