Rösch, Hermann et al.:
Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland : eine Einführung / Hermann Rösch, Jürgen Seefeldt, Konrad Umlauf ; unter Mitarbeit von Albert Bilo und Eric W. Stein­hauer ; mitbegründet von Engelbert Plassmann. – 3., neu konzipierte und aktualisierte Auflage. – Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019. – XIII, 329 Seiten. – ISBN 978-3-447-06620-4 : EUR 39.80 (auch als E-Book verfügbar)

Schon seit vielen Jahren hat sich das hier anzuzeigende Werk „Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland – eine Einführung“ in der bibliothekarischen Ausbildung als Standardwerk etabliert. Nach dem Erscheinen der ersten Auflage im Jahr 2006 und einer zweiten aus dem Jahr 2011 (2014 wurde auf der Grundlage der zweiten Auflage eine aktualisierte englischsprachige Ausgabe publiziert) erschien 2019 nun unter veränderter Autorschaft die aktualisierte dritte Auflage des eingeführten Handbuchs. Neben den drei Autoren Hermann Rösch, Jürgen Seefeldt und Konrad Umlauf, deren individuelle Anteile nicht namentlich gekennzeichnet sind und die gemeinsam für den gesamten Band verantwortlich zeichnen, haben Eric W. Steinhauer mit dem Kapitel 5 „Die Rechtsstellung der Bibliotheken“ und Albert Bilo mit den Abschnitten 6.5 „Vernetzung und kooperative Dienste“ und 6.6 „Digitale Informationsinfrastruktur – Perspektiven der Vernetzung“ jeweils eigene, namentlich gekennzeichnete Teile beigetragen.1

Wie in den vorausgegangenen Auflagen bildet die „Nutzung systemtheoretischer Denkfiguren“ sowie die Einbettung des Bibliothekssystems „in seine gesamtgesellschaftlichen Bezüge“ auch in der vorliegenden Neuauflage dieses Werkes die konzeptionelle Besonderheit. Tatsächlich trägt dieser „ganzheitliche Ansatz“, der „sowohl historische als auch soziologische Aspekte zur Geltung“ bringt,2 sehr stark das konzeptionelle Grundgerüst des Buches. Er macht nicht zuletzt den Reiz des Bandes aus, sichert ihm auf dem Markt der einführenden Publikationen ins Bibliothekswesen eine Monopolstellung und hat zweifellos einen großen Anteil an dem anhaltenden Erfolg des Werks.

Diesem systemtheoretisch geprägten Konzept entsprechend präsentiert auch die Neuauflage zunächst umfassend die Rahmenbedingungen, in denen sich die Entwicklung des Bibliotheks- und Informationswesens in Deutschland vollzieht. Diesen Hintergrund bieten nach der Einleitung die Kapitel 2 „Bibliothek und Information“, 3 „Strukturelle und technische Entwicklungslinien im Bibliothekswesen“ und 4 „Ethische und rechtliche Rahmenbedingungen“. Hier werden zunächst u.a. begriffliche Definitionen vorgenommen und historisch-soziologische Entwicklungslinien aufgezeigt. Vorgestellt werden auch die wichtigsten funktionalen Teilbereiche und technischen Innovationen des Bibliothekswesens. Vor allem die ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind wesentlich ausführlicher behandelt als in anderen Gesamtdarstellungen. Vor diesem fundiert ausgebreiteten Hintergrund werden dann zunächst diejenigen Aspekte des modernen Bibliothekswesens in Deutschland präsentiert, die sich mit den verschiedenen Formen der bibliothekarischen Zusammenarbeit beschäftigen. Diese Aspekte finden sich in den Kapiteln 5 „Bibliotheken in Deutschland“, 6 „Netze und Kooperationen – Innovationen und Projekte“ und 7 „Normen und Standards, Richtlinien und Empfehlungen“. Hier werden konkret die wichtigsten Bibliothekstypen mit ihren Trägern und Förderinstitutionen vorgestellt, die vielfältigen Formen ihrer bibliothekarischen Vernetzung, kooperative Angebote (insbesondere im digitalen Bereich) sowie die technischen und fachlichen Grundlagen der Zusammenarbeit. Wieder stärker auf einzelne Institutionen bezogen sind die Kapitel 8 „Dienstleistungen“ und 9 „Bibliotheksmanagement“. Hier stehen alle Aspekte der verschiedenen bibliothekarischen Serviceangebote im Mittelpunkt, von den klassischen bibliothekarischen Benutzungsdiensten bis zu aktuellen Raum-, Nutzungs- und Bestandskonzepten; zentrale Aspekte des Bibliotheksmanagements werden ebenfalls umfassend behandelt (u.a. Marketing, strategische Planung, Personal- und Qualitätsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und Kulturmanagement). Das abschließende Kapitel 10 „Beruf, Ausbildung und Studium“ zeigt auf, welchen Einfluss die einschneidenden Veränderungen des modernen Bibliothekswesens auch auf die Weiterentwicklung der bibliothekarischen Ausbildungs- und Studiengänge sowie deren Curricula haben müssen.

In allen Teilen der Neuauflage wird sehr deutlich auf Veränderungsprozesse eingegangen – sowohl auf aktuelle Entwicklungen als auch auf historisch-gesellschaftlich begründete Veränderungen der Vergangenheit und perspektivische Zukunftsentwicklungen. Angesichts der Stofffülle, die in einem solchen Band präsentiert werden könnte, gelingt es den Verfassern hierbei sehr gut, ein sinnvolles Verhältnis zwischen einer umfassenden und vertieften Darstellung aller Aspekte und Funktionszusammenhänge des modernen Bibliothekswesens auf der einen Seite sowie einer Konzentration auf ihre zentralen Aufgaben und Angebote innerhalb des Systems der Informationsversorgung auf der anderen Seite herzustellen. Bewusst verzichtet das Autorenteam hierbei auf „die Vermittlung instrumentellen Könnens“, für das sich dynamische, digitale Publikationsformen vielfach besser eignen. Geleitet werden die Autoren vielmehr von dem Wunsch, zur „Orientierung und Planung langfristig wirkender Entscheidungen beitragen [zu] können, und zwar sowohl auf der Ebene der einzelnen Bibliothek als auch in Bezug auf Kooperationsprojekte und das System der Literatur- und Informationsversorgung insgesamt.“3 Dynamische Entwicklungsstränge vor dem Hintergrund ihrer historischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen stehen somit im Vordergrund.

Als Werk von fünf ausgewiesenen Experten präsentiert der vorliegende Band in allen inhaltlichen Aspekten aktuellstes und zuverlässiges Fachwissen. Gerade in der Zusammenschau mit den Bänden der Vorauflagen wird deutlich, wie konsequent die Autoren neue Aspekte über die Jahre aufgenommen, Entwicklungen, die sich als weniger bedeutungsvoll erwiesen, hingegen auch nicht weiter aufgeführt haben. Somit dokumentieren die drei bisherigen Auflagen dieses Handbuchs auch eine strukturelle Entwicklungsgeschichte des Bibliothekswesens in Deutschland im 21. Jahrhundert.

Da sich das vorliegende Werk sehr stark an die Studierenden der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiengänge richtet, scheint es nicht unwichtig, kurz auf den didaktischen Aufbau einzugehen. Hier ist vor allem die didaktisch kluge konzeptionelle Anlage nicht nur des Gesamtwerks, sondern auch seiner einzelnen Kapitel und Abschnitte zu erwähnen. Durch die stark systemorientierte Ausrichtung des Gesamtkonzepts werden viele, z.B. technische, rechtliche und ethische Aspekte der Bibliotheksarbeit, aber auch umfassende Konzepte wie die Arbeit in Kooperationen und Projekten oder Fragen des Managements nicht an vielen fachlich einschlägigen Einzelstellen abgehandelt, sondern in geschlossenen Kapiteln und Abschnitten dargestellt. Somit bilden auch diese einzelnen Teile des Werks sehr gute Einführungen in ihre jeweiligen Themen. Besonders überzeugend gelungen ist dieser systematische Ansatz etwa bei den Abschnitten zur Ethik sowie zur rechtlichen Situation im Bibliothekswesen und in der Informationsgesellschaft. Weiterhin sehr positiv hervorzuheben ist, dass fast alle Kapitel mit einer knappen Einleitung beginnen, die den behandelten Themenbereich sowohl in die Gesamtstruktur des deutschen Bibliothekswesens als auch in den Argumentationszusammenhang des Bandes einordnet. Auf vergleichbare Weise schließen alle Kapitel mit einem Ausblick ab, der in der Regel nicht nur ein Fazit zieht, sondern den Blick auch auf mögliche oder notwendige Zukunftsentwicklungen wirft. Die 46 integrierten Tabellen bieten eine weitere gute Veranschaulichung der präsentierten Inhalte. Schließlich erhöhen das umfassende und auf die einzelnen Themenbereiche bezogene Literaturverzeichnis, das Verzeichnis institutioneller Internetadressen, das Abkürzungsverzeichnis sowie das umfangreiche Sachregister den Gebrauchswert des Bandes noch einmal deutlich. Als einziges Manko ist allenfalls zu erwähnen, dass der Band häufig nicht nur sehr (system-)theoretisch argumentiert – das ist seine durchaus begründete Absicht –, sondern hierfür vielfach auch ein Vokabular aus dem gesellschaftswissenschaftlichen Bereich verwendet, das bei der zentral angesprochenen Leserschaft der Studierenden der Informations- und Bibliothekswissenschaft vermutlich in dieser Weise nicht immer vorausgesetzt werden kann (teleologische Prozesse, mikro- und makrosoziologische Perspektive, segmentäre und stratifaktorische Differenzierungsformen etc.).

Sehr zum Vorteil gereicht es dem Band, dass sich die präsentierten Inhalte grundsätzlich (trotz kurzer Blicke über den Tellerrand auf andere Länder und Sparten von Informationsanbietern) auf das deutsche Bibliothekswesen konzentrieren. Vielfach erlaubt diese Beschränkung eine sehr konkrete und gestraffte Darstellung des Stoffs. Auf die dringende Notwendigkeit, diese Grenzen in der praktischen bibliothekarischen Arbeit durch internationale Zusammenarbeit und durch die Kooperation beispielsweise auch mit Archiven und Museen überwinden zu müssen, wird an verschiedenen Stellen des Buches jedoch mehrfach explizit hingewiesen (z.B. S. 269, S. 286).

Kleinere punktuelle Versehen (auf S. 268 wird etwa noch auf das 2017 eingestellte „Forum Bestandserhaltung“ verwiesen) oder Aspekte, zu denen man sich gegebenenfalls mehr Informationen erhofft hätte (z.B. die digitale Langzeitarchivierung), tun der Qualität der Neuauflage dieses Standardwerks keinen Abbruch. Allen im Vorwort genannten Adressaten, also allen, „die sich in Theorie und Praxis mit Bibliotheken und verwandten Informationseinrichtungen beschäftigen“, sowie den „Studierenden bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Studiengänge“, die als „besonders hervorzuhebende Zielgruppe“ bezeichnet sind,4 kann das vorliegende Werk vorbehaltlos empfohlen werden. Der Band bietet umfassendes und aktuelles Fach-, Fakten- und Strukturwissen, eine Einbettung aktueller Entwicklungen in unterschiedlich determinierte historische Prozesse sowie wohlbegründete berufspolitische Forderungen und gut fundierte Zukunftsprognosen aus allen Bereichen des Bibliothekswesens.

Klaus Gantert, Hochschule Hannover

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5625

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1 Zum genauen Erscheinungsverlauf der Vorauflagen und ihren jeweiligen Autoren vgl. die in der Neuauflage abgedruckten Vorworte der früheren Auflagen (S. XI-XIII) sowie die Rezension von Ludger Syré in: Informationsmittel. Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft (IFB), 28 (1), 2020, Nr. 6828, <http://www.informationsmittel-fuer-bibliotheken.de/showfile.php?id=10224>, Stand: 19.07.2020.

2 Alle Zitate S. XI, Vorwort zur dritten Auflage.

3 Kapitel 1, Einleitung, S. 1.

4 Alle Zitate S. XII.