Von der Papierfischchenjagd zur Magazinlichterleuchtung

Praxisnahe Workshops zur Bestandserhaltung an der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt

1. Einleitung

Archive, Bibliotheken und Museen verbindet in der täglichen Arbeit eine gemeinsame Herausforderung: die Bestandserhaltung der wertvollen und oft unikalen Bestände. Häufig wird den Problemen erst dann begegnet, wenn die Spuren einer falschen Aufbewahrung und Pflege längst mit bloßem Auge erkennbar sind. Bestandserhaltung beginnt jedoch schon bei der Auswahl der Räumlichkeiten, der Herstellung eines schwankungsarmen Klimas und einer schonenden Lichtsituation, beinhaltet regelmäßige Kontrollen der Lagerungsbedingungen und endet nicht bei der fachgerechten Handhabung und Verpackung der Sammlungsgüter, sondern ist eine Langzeitaufgabe. Bestandserhaltung muss kontinuierlich und nachhaltig in den Geschäftsgängen jeder Einrichtung verankert sein, um den Originalerhalt zu sichern und die Kosten für aufwändige Restaurierungen zu minimieren.

Da sich im Gespräch mit Kolleg*innen oft zeigt, das es auf diesem Gebiet viele Fragen gibt, kam in der Abteilung Bestandserhaltung der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) die Idee auf, Kompetenzen zur Bestandserhaltung nicht nur bei den eigenen Mitarbeiter*innen zu vertiefen und aufzubauen, sondern dieses Wissen auch anderem interessierten Fachpublikum zur Verfügung zu stellen. In Workshops zu verschiedenen Themenbereichen, durchgeführt von verschiedenen spezialisierten Referent*innen, sollte der vorhandene Wissensstand der Teilnehmenden aufgefrischt und der fachlichen Austausch und Wissenstransfer zwischen Kolleg*innen verschiedener Häuser und Fachrichtungen befördert werden.

2. Die Abteilung Bestandserhaltung – IST-Situation an der ULB Darmstadt

Im Zuge der Neustrukturierung der Bibliothek unter Direktor Thomas Stäcker wurde auch die Abteilung Bestandserhaltung als eine von sechs neuen Abteilungen der Bibliothek neben der Erwerbung, der Benutzung, der Forschung und Entwicklung, den Historischen Sammlungen und der Verwaltung eingerichtet.1

Unter dem Dach der Bestandserhaltung2 sammeln sich alle Dienste, welche mit der Erhaltung und der Zugänglichmachung der Bestände beschäftigt sind. Schon seit vielen Jahren gibt es vielfältige Geschäftsgänge der Bestanderhaltung, welche ständig aktualisiert und erweitert werden. Die Einbandstelle und die Zeitschriftenstelle bearbeiten die neu zu bindenden Bestände, welche zumeist extern bei einem Buchbinderdienstleister gebunden werden. Ebenso werden einfache Reparaturen außer Haus gegeben. Aufwändigere Reparaturen und Restaurierungen sowie die kontinuierliche Buchpflege und die Erstellung von Schutzverpackungen, insbesondere am Altbestand, werden durch die interne Restaurierungswerkstatt durchgeführt. Die Bereitstellung der Medien wird durch die Magazinmitarbeiter*innen sichergestellt. Es gibt eine enge Vernetzung mit dem Digitalisierungszentrum und den historischen Sammlungen, um die schonende Behandlung von historischen Beständen bei der Bearbeitung, der Benutzung und bei Ausleihen zu Ausstellungen im In- und Ausland sicherzustellen.

Auch wird die Klimasituation, die Sicherheit und das Schädlings-, Notfall- und Schimmelmanagement durch die Abteilung Bestandserhaltung überwacht und stetig weiterentwickelt. Um besondere Projekte der Bestandserhaltung durchführen zu können, nutzt die ULB Drittmittel, z.B. des Landesprogramms zur Erhaltung schriftlichen Kulturgutes in Hessen oder Bundesmittel der Koordinierungsstelle zur Erhaltung schriftlichen Kulturgutes. Die Abteilung Bestandserhaltung ist Anlaufstelle im Haus für alle Fragen rund um die Bestandserhaltung. Mitarbeiter*innen und Hilfskräfte, bei Bedarf auch Besucher*innen, welche mit Altbestand hantieren, werden regelmäßig intern geschult, um die Bestände schonend und fachgerecht zu nutzen. Schulungen finden auch statt, um beim Ausheben, Reponieren und Verzeichnen vorhandene Schäden zu erkennen. So kann eine Bestandserhaltung aus der Benutzung heraus organisiert werden. Der 2020 in dritter Auflage an der ULB veröffentlichte „Ratgeber Bestandserhaltung“3 gibt für viele Fragestellungen erste Anhaltspunkte, viele Themen verlangen jedoch nach einer weiteren Vertiefung und praktischen Beispielen.

3. Die ersten Workshops zur Bestandserhaltung an der ULB Darmstadt

Da der Bedarf nach Fortbildung zu wichtigen Schlüsselthemen wie z.B. Schimmel, Klima, Licht, Schädlingen und Notfallplanung an der ULB ständig vorhanden ist, erwuchs die Idee, zu diesen Themen regelmäßige Weiterbildungen anzubieten. Da es in Hessen zu diesen Themen selten Veranstaltungen im Bereich der Bibliotheken und Archive gibt und bei Gesprächen mit Kolleg*innen, z.B. im Rahmen der regelmäßigen Sitzungen des Notfallverbundes Darmstadt4 ein vorhandener Bedarf ermittelt wurde, entschied sich die ULB dazu, diese Veranstaltungen öffentlich zu machen und andere Interessierte über diverse Mailinglisten (Notfallverbund Darmstadt, Restauratoren Rhein-Main Gebiet, Museumsverbund, Hebis-Verbund) einzuladen.

Als sinnvoller Zeitrahmen wurde ein halbtägiger Nachmittagstermin (13:00 – 16:00 Uhr) angesetzt, um auch Kolleg*innen mit einer etwas weiteren Anfahrt eine Teilnahme zu ermöglichen. Die dreistündige Veranstaltung bot ausreichend Zeit, um ein Thema sinnvoll zu behandeln, aber auch Raum für den kollegialen Austausch zu lassen.

Die Workshops fanden im Vortragssaal der ULB Darmstadt statt, da dort einerseits genug Platz ist für praktische Vorführungen und anderseits auch genügend Sitzplätze für die anfangs nicht zu kalkulierende Zahl der Teilnehmer*innen vorhanden sind.

Als ersten Workshop planten wir das Thema Schädlinge und Integrated Pest Management5 aufzugreifen, einem Thema, welches inzwischen auch in anderen Bibliotheken und Archiven auf der Tagesordnung steht. Aufgrund des Klimawandels und der Globalisierung gibt es neue Schädlinge wie z.B. die Papierfischchen, auf die es sich vorzubereiten gilt. Papierfischchen sind Schädlinge, welche den Silberfischchen sehr ähnlich sehen, allerdings etwas größer und keine silbrige, sondern eher eine bräunliche Körperfärbung aufweisen. Auch sind die Extremitäten (Cerci) länger als bei den Silberfischchen. Gefährlich werden sie für Bibliothek und Archiv, weil sie sich im Normalklima am wohlsten fühlen und große Schäden an den Beständen anrichten können, da sie Oberflächen regelrecht abfressen und somit die Inhalte des Schriftgutes vernichten. Gemäß den Grundsätzen der Integrierten Schädlingsbekämpfung (IPM) wendet man, um Bestände und Benutzer zu schonen, im besten Fall keine chemischen Substanzen zur Bekämpfung dieser Schädlinge an. Um eine eventuell vorhandene Population zu detektieren stellt man Fallen auf, um die Anzahl und die Art der Schädlinge erkennen zu können. Für Papierfischchen eignen sich Klebefallen mit Pheromonlockstoff oder Lebendfallen (die Papierfischchen krabbeln nach oben in den erhöhten Papphülsendeckel und kommen nicht mehr heraus) aus einer Papphülse.

Abb. 1: Lebendfalle

Abb. 1: Lebendfalle für Papierfischchen (Foto: Jana Moczarski)

Als Bekämpfungsmaßnahme eignet sich dieses sogenannte Monitoring nicht, da nur ein Teil der vorhandenen Schädlinge über die Fallen läuft und daran festklebt. Anhand der gefangenen Individuen kann man jedoch die Gesamtpopulation hochrechnen. Die ULB führte ein solches Monitoring seit einigen Monaten durch und die Abteilungsleitung wollte dieses Konzept und die bisherigen Erfahrungen vorstellen.

Abb. 2: Klebefallen

Abb. 2: Klebefallen für Papierfischchen (Foto: Jana Moczarski)

Aus dem Stand meldeten sich 35 Teilnehmer*innen an, was gleich ein schöner Ansporn für weitere Veranstaltungen war. Der Workshop fand im November 2019 statt und wurde durch Restaurator*innen, Bibliothekar*innen, Archivar*innen und Museumsleute zu etwa gleichen Teilen besucht. Die Veranstaltung bestand aus einem Vortrag, der durch eine 25-minütige Kaffeepause unterbrochen wurde, in der sich gleich rege Diskussionen unter den Teilnehmenden entspannen. Tipps für gut funktionierende Fallen wurden ausgetauscht und E-Mail-Adressen gewechselt. Nach dem Vortrag wurden viele Fragen gestellt und auch eigene Erfahrungen zu Quarantänelösungen von neu hereinkommenden Beständen, z.B. aus dem Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, kurz vorgestellt. Eine auf der Veranstaltung durchgeführte schriftliche anonyme Umfrage untermauerte, dass ein Bedarf nach solchen Weiterbildungsangeboten besteht und auch das gewählte Format guten Anklang findet. Das Format der Veranstaltung gefiel und auch die Länge und der Zeitpunkt wurden gut angenommen. Die meisten Kolleg*innen kreuzten an, dass Sie mehr Veranstaltungen dieser Art wünschen. Themenwünsche für weitere Veranstaltungen waren: Notfallplanung- und Notfallbewältigung, Bestandserhaltungskonzeptionen und Bestandserhaltung im Geschäftsgang sowie alterungsbeständige Schutzbehältnisse und Schimmel. Auch Vorträge über verschiedene Materialien wie z.B. Papier, Leder und Pergament wurden genannt. Generell wünschte man sich mehr praktische Übungen. Zudem sollen weiterhin Expert*innen zu den einzelnen Themen eingeladen werden.

Zum zweiten Workshop6 lud die ULB im Dezember 2019 die Expertin Frau Susanne Fenkes der Firma Long Life for Art7 ein, welche sehr praxisnah und fundiert über das Klima in Magazinen und Ausstellungen sprach und die vielen Fragen der 40 anwesenden Fachkolleg*innen fachkundig beantwortete. Sie hatte viel Anschauungsmaterial mitgebracht und es entspann sich wie schon auf der vorigen Veranstaltung ein reger Erfahrungsaustausch und eine fachliche Diskussion. Themen dieser Diskussion waren z.B. das Herstellen eines angemessenen Klimas in Ausstellungsvitrinen und der Zusammenhang zwischen Luftfeuchtigkeit und Temperatur.

Abb. 3: Vortrag über Klima von Frau Fenkes

Abb. 3: Vortrag über Klima von Frau Fenkes (Long Life for Art) (Foto: Jana Moczarski)

Am 11. Februar 2020 fand nun (vor den einschränkenden Maßnahmen gegen Covid-19) die vorerst letzte Veranstaltung statt. Dieses Mal sprach Herr Frank Heydecke8 vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg über das Thema Licht. Gemeinsam mit den 42 Teilnehmenden betrachtete der Referent das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Diese reichten vom physiologischen Vorgang der Wahrnehmung, der Charakteristika der verschiedenen Lampentypen, über die Beurteilung von Messverfahren zu Lichtqualität, Lichtstärke und Schadenspotenzial bis hin zum täglichen Umgang mit Licht in Kultureinrichtungen. Mit eigens für den sehr anschaulichen Vortrag aufgebauten Lichtexperimenten schaffte es Herr Heydecke, den Teilnehmenden Kenntnisse an die Hand zu geben, die es Ihnen zukünftig ermöglichen werden, Gespräche mit Lichtplanern mit mehr Knowhow anzugehen und die richtige Wahl beim Kauf und der Einrichtung von Beleuchtung für die eigene Institution zu treffen. Nach den Workshops erhielten die Teilnehmenden jeweils Teilnahmezertifikate.

4. Das Resümee und der Ausblick

Anhand der Rückmeldungen während und nach den Veranstaltungen und nach Auswertung des Fragebogens der ersten Veranstaltung wurde ersichtlich, dass ein solches Format regelmäßiger Weiterbildungen von den Kolleg*innen sehr gut angenommen und eine Fortsetzung der Reihe gewünscht wird.

Im neuen Jahr sind weitere Veranstaltungen zu den folgenden Themen geplant: alterungsbeständige Verpackungen, Erstellung von Feuerwehrlaufkarten zur Notfallbewältigung, Leder und Pergament, Schimmel sowie die Notfallbewältigung von fotografischen Beständen. Um Aufwandsentschädigungen und Reisekosten für die Referent*innen zahlen zu können, wurden Drittmittel bei der Koordinierungsstelle zur Erhaltung schriftlichen Kulturgutes (KEK) beantragt. Aufgrund der derzeitigen Situation bleibt abzuwarten, wann wieder Präsenzveranstaltungen durchgeführt werden können. Im Moment werden Webinare zum Thema Schimmel und IPM erstellt, welche die Veranstaltungen ergänzen können. Sie werden ohne Zugangsbeschränkungen und mit einer Downloadfunktion auf der Website der TU Darmstadt eingestellt sein. Gemeinsame Veranstaltungen als Plattform zum kollegialen Austausch und zur praktischen Einübung von neuen Kenntnissen lassen sich jedoch nicht ersetzen.

Bei Interesse an den kommenden Workshops und Webinaren melden Sie sich gern bei uns unter: <bestandserhaltung@ulb.tu-darmstadt.de>.

Jana Moczarski, Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt

Zitierfähiger Link: https://doi.org/10.5282/o-bib/5610

Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

Literaturverzeichnis

1 Organigramm der ULB Darmstadt: <https://www.ulb.tu-darmstadt.de/media/ulb/sekretariat/pdf_8/Organigramm.pdf> (05/2020), Stand: 25.05.2020.

2 Webseite der Abteilung Bestandserhaltung der ULB Darmstadt: <https://www.ulb.tu-darmstadt.de/ulb/bestandserhaltung/bestandserhaltung.de.jsp>, Stand: 25.05.2020.

3 Kobold, Maria; Moczarski, Jana: Bestandserhaltung. Ein Ratgeber für Verwaltungen, Archive und Bibliotheken, Darmstadt 2020. Online: <https://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/11407/>, Stand 25.05.2020. Dieser Ratgeber wurde unterstützend mit Drittmitteln der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und der Kulturstiftung der Länder (KSL) überarbeitet und in einer kleinen Auflage gedruckt, sowie als E-Book veröffentlicht.

4 Website des Notfallverbunds Darmstadt: <http://notfallverbund.de/darmstadt>, Stand: 25.05.2020.

5 Pinninger, David; Landsberger, Bill; Meyer, Adrian u.a. (Hg.): Handbuch Integriertes Schädlingsmanagement in Museen, Archiven und historischen Gebäuden, Berlin 2016.

6 Beide Workshops wurden, wie bereits der Ratgeber (vgl. Fußnote 3), ebenfalls mit Drittmitteln der KEK sowie mit Mitteln der BKM und der KSL unterstützt.

7 Website der Firma: <https://llfa.de/>, Stand: 25.05.2020.

8 Frank Heydecke als Mitarbeiter am Germanischen Nationalmuseum: <https://www.gnm.de/museum/mitarbeiter-und-gremien/mitarbeiter-im-ueberblick/heydecke/>, Stand: 25.05.2020.

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