Gemeinsame Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv

„Die sich selbst erklärende Bibliothek: Informationskompetent werden durch Nutzung von Diensten – ganz nebenbei“

Best-Practice-Wettbewerb Informationskompetenz 2020

Abstract:

Dieser Beitrag der gemeinsamen Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv möchte der Fachcommunity die drei bestprämierten Einreichungen des Best-Practice-Wettbewerbs Informationskompetenz 2020 vorstellen und damit zur Nachahmung der Beispiele anregen sowie Möglichkeiten und Mehrwerte einer engeren Verzahnung von Informationskompetenz und Produkt- bzw. Servicemanagement aufzeigen.

Bibliotheken engagieren sich seit vielen Jahren und mit erheblichem zeitlichen Aufwand sowie großen personellen Ressourcen in der Förderung von Informationskompetenz. Methodisch wird dabei die Förderung meist mit der Vermittlung von Inhalten im Rahmen von Bibliotheksschulungen gleichgesetzt: Bibliotheksbenutzer*innen sollen befähigt werden, selbstständig mit den bibliothekarischen Angeboten umzugehen sowie Informationen und Medien zielgerichtet und effizient zu suchen, zu finden und weiter zu verwenden.

Weit weniger Ressourcen werden dabei investiert in die Gestaltung der Informationsumgebungen selbst. Die Bereitstellung von Informationen vor Ort und online wird meist dominiert von bibliotheksorganisatorischen und technologischen Sachzwängen. Usability-Fragen hingegen spielen häufig eine untergeordnete Rolle und haben meist nur die reibungslose Bedienung bzw. fehlerfreie Nutzung von Einzel-Funktionen im Blick, nicht aber die konsequent an den Nutzerbedürfnissen ausgerichtete, sinnvolle Gestaltung des Zusammenspiels all dieser Funktionen, Angebote und Services. Dabei bietet gerade die Unterstützung der Praxis der Informationssuche, z.B. durch die Gestaltung von innovativen Bedienungsschnittstellen, Beratungsangeboten und Nutzungshilfen, gute Möglichkeiten zur Förderung von Informationskompetenz quasi „ganz nebenbei“ im Prozess der Recherche.1

Der diesjährige von der Kommission Informationskompetenz ausgeschriebene Best-Practice-Wettbewerb 2020 wollte deshalb die Potentiale der Informationskompetenzförderung bei der Gestaltung von Recherchemöglichkeiten und Informationsumgebungen in den Blick nehmen. Einreichungen zur kompetenzförderlichen, niedrigschwelligen und nutzerfreundlichen Gestaltung von Onlinetools und Webseiten waren dabei genauso erwünscht wie Beiträge zur innovativen Gestaltung der Bibliotheksservices vor Ort.

Ziel dieses Wettbewerbs war es – wie in den Vorjahren – vorbildliche Konzepte und Umsetzungen zu fördern, Best-Practice-Beispiele bekannt zu machen und zum Erfahrungsaustausch und zur Nachahmung sowie ggf. zur Nachnutzung anzuregen.

Eingereicht wurden insgesamt fünf Beiträge, wobei das Spektrum trotz der vergleichsweise geringen Beteiligung von einer Schulbibliothek über Universitätsbibliotheken bis hin zur Forschungsbibliothek reichte.

Die Fachjury zur Ermittlung der drei besten Wettbewerbsbeiträge setzte sich zusammen aus den Mitgliedern Jens Boyer (Leiter der Stadtbüchereien Hamm), Medea Seyder (Leiterin der Bibliothek des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien, FU Berlin), Prof. Dr. Inka Tappenbeck (Institut für Informationswissenschaft, TH Köln) und Dr. Klaus Ullrich Werner (Leiter der Philologischen Bibliothek, FU Berlin). Die Jury ermittelte in zwei Phasen über ein Punktesystem die drei ersten Plätze. Bewertungskriterien waren dabei die Innovationskraft und der Vorbildcharakter der Konzepte sowie ihre Umsetzung und ihr Erfolg in der Praxis.

Aufgrund gleicher Punktzahl sind dabei gleich zwei der drei bestbewerteten Einreichungen auf dem Spitzenplatz gelandet. So wird Platz 1 gleichwertig belegt sowohl von der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen als auch von der Universitätsbibliothek der TU Dortmund. Auf Platz 2 folgt die Forschungsbibliothek des Leibniz-Instituts für Schulbuchforschung (Georg-Eckert-Institut, Braunschweig).

Platz 1: Universitätsbibliothek Technische Universität Dortmund (Dr. Ute Engelkenmeier)

Im Beitrag der UB der TU Dortmund wird das KISS-Konzept (Keep it Simple & Smart) als Grundlage strategischen Servicemanagements in fünf einfachen Grundsätzen verankert. Diese fünf Leitsätze geben die Ziele für die Produktplanung intuitiv nutzbarer Bibliotheksangebote vor:

  1. 1. Grundsatz: Konsequente Ausrichtung auf Selbstbedienung
  2. 2. Grundsatz: So wenig Regeln wie möglich, so viel wie nötig
  3. 3. Grundsatz: Personalisierte Dienste
  4. 4. Grundsatz: One-Stop-Shop
  5. 5. Grundsatz: Innovationsfreude und Prototyping

Nicht nur die individuelle Förderung von Nutzenden beim Suchen, Finden und Bewerten von Informationen stehen dabei im Fokus einer solchen KISS-orientierten Produktentwicklung, sondern auch die Unterstützung sämtlicher Lernprozesse von Nutzenden der Bibliothek.2 Der Begriff der Informationskompetenz wird insofern innerhalb des Gesamtkonzeptes „Lern- und Wissensraum Bibliothek“ aufgelöst und damit strukturell erweitert.

Abgerundet wird das Konzept durch evaluative Maßnahmen wie Nutzerfeedback, Usability-Tests, strukturierte Erfassung und Auswertung von Auskunftsfragen sowie Nutzungsstatistiken. Analysen, deren Ergebnisse im Sinne formativer Evaluationen auf die Optimierung des bereits bestehenden Service-Portfolios zielen, gleichzeitig aber auch als Indikatoren für neu aufkommende Unterstützungsbedarfe dienen.

Die Entwicklung neuer Services erfolgt dabei immer unter der Prämisse „Keep it Simple & Smart“ Hand in Hand mit den Nutzer*innen und häufig über die Entwicklung von prototypischen Nutzungsszenarien im „Testlabor“.

Abb. 1: Plakat der TU Dortmund

Platz 1: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (Rachel Ellis)

Der ebenfalls den ersten Platz belegende Beitrag der SuUB Bremen zeichnet sich in der Granularität der Idee durch eine weiterreichende Hinwendung zur Praxis aus und grenzt sich insofern gut vom vorangegangenen Beitrag ab. Nicht das umfassende Gesamtkonzept, sondern die zunächst simpel erscheinende Frage „Wie finde ich diesen Text?“ bzw. „Problem mit dem Link?“ steht im Fokus des Wettbewerbsbeitrages. Es wird damit ein Problem in den Blick genommen, das sich aufgrund unterschiedlicher Datenquellen und Datenqualitäten in vielen Discovery Systemen findet: Nicht-funktionierende Verlinkungen bzw. die Frage der potentiellen Verfügbarkeit der aufgezeigten Ressource. Über einen entsprechenden Button kann bei jeder Suche im Discovery System für einzelne Titel ein entsprechendes Kontaktformular aufgerufen werden. Das Formular enthält bereits alle notwendigen bibliographischen Angaben und wird erweitert um die Kontaktinformationen des Nutzenden sowie ergänzende Informationen zur konkreten Problematik.3 Die Anfrage wird dann an ein abteilungsübergreifendes Team von sieben Bibliothekar*innen versendet, das die Mails nach Reihenfolge des Eingangs bearbeitet. Das Projekt adressiert damit neue Möglichkeiten der Kommunikation mit den Nutzenden direkt am Point-of-Need: Ausgehend vom konkreten Problem mit einer Quelle werden Lösungsvorschläge übermittelt, die den Weg zur URL, zum vorhandenen Buch oder zur Fernleihe weisen. Aus diesen konkreten Lösungsvorschlägen ergeben sich dann aber häufig auch weitergehende Beratungsbedarfe:

„Wir empfehlen alternative Titel oder auch passende Datenbanken. Diese Form der Kontaktaufnahme erleichtert den Nutzern weitere Kontakt- bzw. Nachfragen. Viele Nutzer haben auf diesem Wege ihre ‚persönliche Bibliothekarin‘ in der SuUB gefunden, an die sie sich auch bei erneuten Fragen wenden. Es handelt sich also auch um eine Form der Kundenbindung. Die inhaltliche Intensität, die so entsteht, kommt im regulären persönlichen Auskunftsdienst leider nicht mehr so häufig vor, so dass man von einer veränderten und zukunftsträchtigen Form der Informationskompetenzvermittlung sprechen kann.“4

Neben dieser Vermittlung von Informationskompetenz „im Vorbeigehen“ bedient das Projekt aber gleich mehrere nützliche Nebeneffekte zusätzlich mit, da sowohl die vorliegenden Fehler in den Daten bereinigt werden können, die Usability einem dauerhaften Test unterworfen und gleichzeitig auch eine neue Form der PDA durch Erwerb fehlender Literatur ermöglicht wird.

Abb. 2: Plakat der SuUB Bremen

Platz 2: Forschungsbibliothek Georg-Eckert-Institut (GEI) – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung (Dr. Anke Hertling)

Nahm der zuvor vorgestellte Beitrag der SuUB Bremen noch die Probleme der Verfügbarkeit der gefundenen Ressource in den Blick, so steht bei der Forschungsbibliothek des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung (GEI) die Verbesserung der Recherchemöglichkeiten und das Auffinden selbst im Vordergrund der Innovation. Aus unterschiedlichen Beratungskontexten ergab sich die Idee zur Entwicklung eines zentralen Nachweisinstrumentes für Schulbücher weltweit. Diese Idee wurde dann in Kooperation mit anderen Partnern auf internationaler Ebene gemeinsam umgesetzt. Dabei galt es insbesondere, den aus den Beratungssituationen bekannten Problemen der Schulbuchrecherche durch intuitiv nutzbare Technik zu begegnen: So liegen bei Schulbüchern kaum Autorenangaben und keine sonderlich „sprechenden“ Titel vor. Die Forschungsbibliothek des GEI erarbeitete somit zunächst ein standardisiertes und international verwendbares Schulbuchklassifikationssystem und entwickelte für Schulbücher relevante Recherche-Facetten wie z.B. Bildungslevel und Unterrichtsfach. Neben dem eigenen Bestand von 180.000 Schulbüchern wurden auch die Bestände der italienischen Schulbuchdatenbank EDISCO und der Datenbank MANES, die Schulbücher aus Spanien, Portugal, Lateinamerika und Belgien umfasst, hinsichtlich der Systematik abgeglichen und die Daten über teilautomatisierte Mappingverfahren integriert. Dass dieser eingeschlagene Weg der Bereitstellung des internationalen Gesamtkataloges mit einem eigenem Klassifikationssystem richtig war, zeigen u.a. die Nutzungsstatistiken. So werden fast ausschließlich die auf dem Klassifikationssystem beruhenden Facettierungen zur Suche verwendet, die Freitextsuche hingegen findet kaum Anwendung. Die Weiterentwicklung des International TextbookCat in Richtung einer weitergehenden Unterstützung der Schulbuch- und Bildungsmedienforschung z.B. durch integrierte digitale Volltexte der Partner ist bereits in Planung. Die Usability Verbesserungen erfolgen dabei in direkter Kommunikation mit der internationalen Community der Nutzenden.5

Abb. 3: Plakat des Georg-Eckert-Instituts

Fazit zum Best-Practice-Wettbewerb Informationskompetenz 2020

Das Ziel des diesjährigen Wettbewerbs Informationskompetenz war es, vorbildhafte Best-Practice-Beispiele aus der Community vorzustellen und zu würdigen, die aufzeigen, wie das wechselseitige Zusammenspiel von Informationskompetenz und Produkt- bzw. Service-Entwicklung organisiert werden kann, so dass innovative Mehrwerte für die Nutzenden entstehen.

Den vorgestellten prämierten Beiträgen gelingt es dabei, auf ganz unterschiedlichen Ebenen zur Nachahmung anzuregen: Ob es dabei um das „große Ganze“ im Sinne der Formulierung eines strategischen Rahmenkonzeptes geht oder aber um die Optimierung spezieller Aspekte der Bereitstellung des Bestandes – gemein ist allen Beiträgen der unbedingte Wille zur Verbesserung der Dienstleistung aus Nutzersicht, der Trend zur Vereinfachung und zur Transparenz sowie eine enge Kopplung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Bereich Informationskompetenz mit dem Innovationsmanagement, dem Bereich Forschung und Entwicklung und der EDV. Diese im besten Falle institutionalisierte Mitgestaltung der Optimierung von Prozessen und Produkten bildet dabei die notwendige Brücke, über die die Nutzersicht Eingang in den Diskurs des Produktmanagements erfahren kann.

Die gemeinsame Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv möchte an dieser Stelle allen Teilnehmenden am Wettbewerb danken, gratuliert insbesondere den drei bestbewerteten Plätzen und hofft, dass die Beiträge anderen Bibliotheken aufzeigen konnten, „[...] dass Informationskompetenz – wenn man sie einmal nicht als Schulungsaufgabe, sondern als Perspektive auf bibliothekarische Dienstleistungen versteht – Impulse für Innovationen im Bibliothekswesen geben kann.“6

Erik Senst, UB Bielefeld, Mitglied der Gemeinsamen Kommission Informationskompetenz von VDB und dbv

Literaturverzeichnis

Ellis, Rachel: „Sie sind meine Heldin des Tages“. Einreichung zum Best-Practice Wettbewerb 2020 von VDB und dbv, 21.1.2020.

Ellis, Rachel; Betancort Cabrera, Noemi; Kabitzke, Katrin: Sie sind meine Heldin des Tages – Anfragen aus dem Suchsystem heraus in der SuUB Bremen, in: Bibliothek Forschung und Praxis 43 (3), 2019, S. 399–405.

Engelkenmeier, Ute: KISS als Konzept. Einreichung zum Best-Practice Wettbewerb 2020 von VDB und dbv, 1.3.2020.

Hertling, Anke: International TextbookCat. Einreichung zum Best-Practice Wettbewerb 2020 von VDB und dbv, 20.2.2020.

Schoenbeck, Oliver: Informationskompetenz als Gestaltungsaufgabe, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 62 (2), 2015, S. 85–93. Online: <http://dx.doi.org/10.3196/186429501562241>, Stand: 30.04.2020.

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5603

1 Schoenbeck, Oliver: Informationskompetenz als Gestaltungsaufgabe, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 62 (2), 2015, S. 85–93. Online: <http://dx.doi.org/10.3196/186429501562241>, Stand: 30.04.2020.

2 Engelkenmeier, Ute: KISS als Konzept. Einreichung zum Best-Practice Wettbewerb 2020 von VDB und dbv, 1.3.2020.

3 Ellis, Rachel: „Sie sind meine Heldin des Tages“. Einreichung zum Best-Practice Wettbewerb 2020 von VDB und dbv, 21.1.2020.

4 Ellis, Rachel; Betancort Cabrera, Noemi; Kabitzke, Katrin: Sie sind meine Heldin des Tages – Anfragen aus dem Suchsystem heraus in der SuUB Bremen, in: Bibliothek Forschung und Praxis 43 (3), 2019, S. 399–405, S. 400.

5 Hertling, Anke: International TextbookCat. Einreichung zum Best-Practice Wettbewerb 2020 von VDB und dbv, 20.2.2020.

6 Schoenbeck, Oliver: Informationskompetenz als Gestaltungsaufgabe, 2015, S. 93.