Bibliographien heute

Bericht zur Fortbildungsveranstaltung und zur Jahresversammlung 2019 des VDB-Regionalverbands Südwest in der Universitätsbibliothek Tübingen

Zur Jahresversammlung 2019 lud der VDB-Regionalverband Südwest am 17. Mai 2019 nach Tübingen ein.1 Gastgebende Institution war die Universitätsbibliothek Tübingen, in deren Historischem Lesesaal im Bonatzbau die Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Bibliographien heute“ stattfand. Die rund 30 Teilnehmenden wurden durch den Vorsitzenden des Regionalverbands Dr. Robert Scheuble und die Direktorin der Universitätsbibliothek Dr. Marianne Dörr begrüßt. Die Jahresversammlung war schon mehrfach zu Gast an der UB Tübingen gewesen, das letzte Mal lag aber nun schon 16 Jahre zurück. Frau Dörr ging kurz auf aktuelle Projekte der UB Tübingen im Bereich OER und FIDs ein und gab einen ersten Überblick über die bauliche Situation. Anschließend wurden die Besucherinnen und Besucher in zwei Gruppen vom Leiter der Abteilung Benutzung, Dr. Renke Siems, und von der stellvertretenden Leiterin des Ausleihzentrums, Simone Seefeldt, durch die Gebäude der Universitätsbibliothek geführt.

Die heutige Bibliothek der 1477 gegründeten Universität Tübingen ist in vier miteinander verbundenen Gebäuden aus sehr unterschiedlichen Bauepochen untergebracht. Diese Situation bringt es mit sich, dass die Universitätsbibliothek flexibel auf den räumlichen Bedarf unterschiedlicher Nutzungsanforderungen reagieren kann. Das älteste der heutigen Gebäude ist der 1912 eröffnete und als dezidierter Bibliotheksbau errichtete „Bonatzbau“. Der zentrale Zugang zur Universitätsbibliothek liegt jedoch in dem 1963 eröffneten Hauptgebäude, das sowohl mit dem „Bonatzbau“ als auch mit dem dahinter liegenden alten Magazinbau verbunden wurde. Als das Hauptgebäude Ende der 80er Jahre einer Asbestsanierung unterzogen werden musste, erhielt die Universitätsbibliothek jenseits des kleinen Flüsschens Ammer die ehemalige Klinikwäscherei, die „Alte Waschhalle“, als Ausweichlesesaal, die sie auch nach der Sanierung als Zeitschriftenmagazin weiter nutzen konnte. Ein großer Erweiterungsbau, der Ammerbau, wurde 2002 eröffnet, ebenfalls jenseits der Ammer gelegen und sowohl mit dem Hauptgebäude als auch mit der „Alten Waschhalle“ verbunden. Der Ammerbau ermöglichte es, das seit Anfang der 80er Jahre angemietete Ausweichmagazin aufzulösen, einen großen Teil der Bestände frei zugänglich in einem offenen Magazin anzubieten und die Zahl der Leseplätze zu erweitern. Beim Rundgang konnten die Gäste in Augenschein nehmen, wie die Bibliothek in allen Gebäudebereichen in neue Angebote investiert, um Lernen digital und räumlich zu unterstützen sowie Raum für die unterschiedlichen Arbeits- und Lernbedürfnisse zu schaffen. Der Eingangsbereich des Hauptgebäudes wurde 2011 umgebaut und mit einer ansprechend gestalteten Cafeteria erweitert, deren Öffnungszeiten jedoch mit denen der Bibliothek in keiner Weise mithalten. 2007 wurde im 1. OG ein Lernzentrum eingerichtet, gleich neben dem Eingang zum ehemaligen allgemeinen Lesesaal. Dieser dient heutzutage als Lehrbuchsammlung, an die angrenzend 2004 ein Ausleihzentrum eingerichtet wurde. Schneller als damals gedacht, ging mit dem Angebot an elektronischen Lehrbüchern der Bedarf an gedruckten Lehrbüchern zurück. Der gewonnene Raum wurde inzwischen für ein Blended Library Projekt genutzt und mit einem vielfältigen Mobiliar für Arbeitsplätze neu strukturiert. Im Ammerbau bietet die Bibliothek Gruppenarbeitsräume für Studierende, aber auch für das akademische Leben an. Die Bibliothek dient als zentraler Ort für verschiedene Angebote des Schreibzentrums, der Graduiertenakademie, des Careerservice u.a.m. Ein digitales Leitsystem erleichtert die Orientierung in den Gebäuden und ist kombiniert mit einer Raumbuchungsmöglichkeit für die Gruppenarbeitsräume. Als neuestes Raumprojekt wird im Ammerbau ein Bereich für Doktorandinnen und Doktoranden, die keinen festen Arbeitsplatz in der Universität haben, eingerichtet. Der Ort soll dem konzentrierten Arbeiten dienen, aber auch als „Coworking Space“ die Vernetzung der Doktorandinnen und Doktoranden untereinander fördern. Der Doktorandenkonvent der Universität unterstützt das Vorhaben.

Abb. Jahresversammlung VDB-RV-Suedwest UB Tuebingen.jpg

Nach einem Mittagsimbiss im benachbarten Seminarraum fand im „Historischen Lesesaal“ der eigentliche Fortbildungsteil der Jahresversammlungen statt. Er war dem Thema „Bibliographien heute“ gewidmet und wurde von der Verfasserin dieses Berichts moderiert. Gerade nach dem Umbruch zur digitalen Erscheinungsweise und angesichts des stark wachsenden Publikationsaufkommens haben Bibliographien nicht an Aktualität verloren. Sie bieten nach wie vor einen spezialisierten Zugang zur Literatur, indem sie sie nicht nur fachspezifisch möglichst vollständig nachweisen, sondern die Literatur auch gründlich inhaltlich erschließen.

Dr. Martin Faßnacht, der Leiter der Fachinformationsdienste der UB Tübingen, führte mit seinem Vortrag „Bibliographien im digitalen Zeitalter − vom Konzept bis zur Umsetzung am Beispiel der drei Tübinger Fachinformationsdienste“ die Zuhörenden gleich in „medias res“. Er berichtete über Qualitätskriterien, Organisation und Produktionsmethoden der drei großen, an der UB Tübingen herausgegebenen und im Rahmen von Fachinformationsdiensten erstellten Fachbibliographien KrimDok2 (FID Kriminologie), IxTheo3 (FID Theologie, in Zusammenarbeit mit den Evangelisch- und Katholisch-Theologischen Fakultäten der Universität Tübingen) und RelBib4 (FID Religionswissenschaften). Für alle drei Bibliographien wurde der Open-Access-Ansatz gewählt. Alle Medienarten werden von den Bibliographien berücksichtigt, in KrimDok werden auch bereits Forschungsdaten nachgewiesen. Insbesondere für IxTheo spielt zudem ein multilingualer Zugang eine große Rolle. Kooperationen mit Verlagen und Bibliotheken, aber auch mit Herausgeberinnen und Herausgebern stellen eine unersetzliche Unterstützung der bibliographischen Arbeit dar. Vor dem Hintergrund beschränkter Finanzmittel wird trotzdem auf größtmögliche Vollständigkeit im Bereich wissenschaftlicher Medien hingearbeitet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer möglichst umfassenden Zeitschriftenauswertung. Die inhaltliche Erschließung fußt auf einer klassifikatorischen Basiserschließung und wird ergänzt durch eine verbale Tiefenerschließung. Für das Retrieval wird damit auch eine Volltextsuche kombiniert, soweit diese über Kooperationen mit Verlagen zur Verfügung stehen. Förderung von Open Access steht auch für die Zugänglichkeit der nachgewiesenen Literatur im Fokus: So führen die FIDs retrospektive Digitalisierungen durch und unterstützen die Open-Access-Publikation von Zeitschriften, aber auch Patron-Driven-Acquisition für in Deutschland nicht verfügbare Literatur wird angeboten. Der Kern der Organisation der Bibliographien liegt bei der UB Tübingen in den Abteilungen FID und IT. Mit der Fachcommunity stehen die FIDs in engem Kontakt. Der Austausch findet bei Konferenzen oder Videokonferenzen statt, läuft aber auch über andere Kommunikationskanäle und wird von Schulungen und durch die Projektdatenbank ZEDER unterstützt. Bei allen Bibliographien setzt man, soweit möglich, bei der Einarbeitung und Erschließung der Literatur auf automatisierte Prozesse. Dennoch bleibt vieles intellektuell zu sichten, zu steuern und zu erschließen.

Über das Beispiel einer Universitätsbibliographie berichtete Petra Oberhollenzer unter dem Titel „heiBIB: Die Heidelberger Universitätsbibliographie und ihre Anwendung“. heiBIB5 hat eine über 65jährige Geschichte, die zurückreicht bis zur 1953 gegründeten Heidelberger Universitätsbibliographie, die von 1998 bis 2011 von der Online Dozentenbibliographie abgelöst und ab 2012 als heiBIB fortgeführt wurde. Die Vortragende war von Beginn an bei heiBIB dabei und leitete bereits seit 2013 die Redaktion, bis im März 2019 eine Stabsstelle für die Universitätsbibliographie eingerichtet wurde, die sie nun innehat. Das Publikationsaufkommen der Universität Heidelberg und des Heidelberger Klinikums ist mit zurzeit ca. 8.000 Publikationen pro Jahr sehr hoch. Um die Bibliographie zu vervollständigen, werden jedoch zurzeit jährlich 15-20.000 Titel eingebracht. Die Datenakquise erfolgt über vielfältige Kanäle, von Meldungen durch Autorinnen und Autoren, über die Nachnutzung von Literaturlisten bis zu intellektuellen Recherchen. Die Erfassung wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in allen dezentralen Bibliotheken der UB Heidelberg geleistet. Ihre Nähe zu den Fachbereichen und damit zu den Autorinnen und Autoren hat sich als sehr nützlich sowohl für die Akquise als auch für die Kommunikation mit den Fachbereichen erwiesen. Bei der Gründung von heiBIB hatte sich die UB Heidelberg gegen eine proprietäre Datenbank entschieden und katalogisiert die Datensätze stattdessen in der K10plus-Verbunddatenbank (früher SWB-Verbunddatenbank), in der die Bibliographie über eine eigene ILN (International Library Number) verfügt. Seit 2016 wird die Katalogisierung durch Metadatenübernahme über Zotero unterstützt. HeiBIB ist über eine eigene Suchoberfläche recherchierbar. Bei der Erschließung der Publikationsdaten werden Personen- und Institutsrollen besonders berücksichtigt. Nachgenutzt werden können die Daten daher nicht nur in der bibliographischen Recherche und für Feeds, sondern Institute sowie Autorinnen und Autoren können sich dynamische Literaturlisten für ihre Internetseiten und auch Autorenprofile erstellen. Die UB Heidelberg unterstützt diese Anforderungen in vielfältiger Weise.

Erweitert und abgerundet wurde das Thema Bibliographie durch Dr. Ludger Syré aus der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und Vorsitzender des Arbeitskreises Regionalbibliographie, der die Frage stellte: „Literatur über Land und Leute – was leistet eine zeitgemäße Landesbibliographie?“ Im ersten Teil gab er einen Überblick über das, was Landesbibliographien heutzutage zu leisten haben und welche Anforderungen aus Perspektive von Benutzerinnen und Benutzern an sie gestellt werden. Ursprünglich als Bibliographien zur Landesgeschichte „von Historikern für Historiker“ konzipiert, wurden Landesbibliographien in den 1980er/1990er Jahren zu Universalbibliographien ausgebaut. Kernaufgabe ist der Nachweis der Pflichtliteratur. Da sie Literatur zu Land und Leuten nachweisen, können sie als Rechercheeinstieg zu allen Themen mit einem Bezug zu einem Ort, einer Landschaft oder einer Region dienen. Alle Landesbibliographien sind im Arbeitskreis Regionalbibliographie vertreten und über die „Virtuelle Deutsche Landesbibliographie“ beim KVK recherchierbar.6 Die Anforderungen an Suchoberfläche und Funktionalitäten haben sich in den letzten Jahren seitens der Recherchierenden stark gewandelt. In welcher Hinsicht Landesbibliographien diesen Anforderungen schon gerecht werden und wo noch nicht, erläuterte der Vortragende an einigen Beispielen. Im Anschluss ging er auf die Baden-Württembergische Landesbibliographie7 ein, die von beiden Landesbibliotheken gemeinsam aufgebaut und gepflegt wird. Bis zum Erscheinungsjahr 1973 wird retrospektiv katalogisiert. Hosting und technische Betreuung liegen beim Statistischen Landesamt in Stuttgart. An modernen Features fehlen, so Syré, Chat- und Bestellfunktionen und auch der Zugriff über Smartphones konnte noch nicht realisiert werden. Für die Suche nach Orten, die über eine Karte in den Trefferlisten angezeigt werden, und für die Suche nach Regionen und Naturräumen bietet die baden-württembergische Landesbibliographie jedoch einigen Mehrwert gegenüber heutigen Katalogen und Discovery-Systemen. Auch Personen werden differenzierter erschlossen, als das beispielsweise mithilfe der GND möglich ist, und sind daher umfassender suchbar. Die Landesbibliographie verfügt über eine eigene Personendatenbank, in die für die Erschließung der Literatur Personen aufgenommen werden, die im Land geboren wurden, gewirkt haben oder gestorben sind, aber auch Personen, auf die dies nicht zutrifft, die aber einige Bedeutung für Baden-Württemberg besitzen. Leider ließ die Netzverbindung im Historischen Lesesaal während der geplanten Live-Präsentation zusammen mit der begrenzten Zeit nur einen sehr kleinen Einblick in die Oberfläche und die Funktionalitäten der Baden-Württembergischen Landesbibliographie zu. Dennoch vermittelte Ludger Syré einen umfassenden Einblick in ihren Mehrwert für die Recherche nach Informationen mit einem geographischen Bezug zu Baden-Württemberg.

Die Jahresversammlung endete mit der jährlichen Mitgliederversammlung des VDB-Regionalverbands Südwest. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die nach der Veranstaltung nicht gleich die Heimreise antreten mussten, ließen den Tag gemeinsam in einem nahe gelegenen Lokal ausklingen.

Imma Hinrichs, Universitätsbibliothek Stuttgart, Stellvertretende Vorsitzende des VDB-Regionalverbands Südwest

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5593

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1 Das Programm der Veranstaltung und die Folien zu den beiden ersten Vorträgen können auf den Seiten des VDB-Regionalverbandes eingesehen werden: <https://www.vdb-online.org/veranstaltungen/798/>, Stand: 19.01.2020.

2 <https://krimdok.uni-tuebingen.de/>, Stand: 16.02.2020

3 <https://www.ixtheo.de/>, Stand: 16.02.2020

4 <https://www.relbib.de/>, Stand: 16.02.2020

6 <https://kvk.bibliothek.kit.edu/vdl/>, Stand: 16.02.2020