Teil einer „Golden Generation“: Zum Tod von Friedrich Geißelmann

Friedrich Geißelmann ist am 17. November 2019 im Alter von 76 Jahren verstorben. Er war fast zwei Jahrzehnte lang, von 1990 bis 2008, Direktor der Universitätsbibliothek Regensburg – erst der zweite seit ihrer Gründung – und hat ihre Entwicklung zu einer Einrichtung mit nationalen Aufgaben und internationalen Kontakten entscheidend geprägt.

Friedrich Geißelmann war Teil einer „Golden Generation“: Namen wie Geißelmann, Dugall und Mittler klingen heute noch wie Donnerhall durch das deutsche Bibliothekswesen. Nahezu jede grundsätzliche Entscheidung in den letzten Jahrzehnten war und ist mit diesen und einigen weiteren Namen verknüpft. Sie stehen für eine Generation von leidenschaftlichen, visionären, streitfreudigen und durchsetzungskräftigen Bibliothekaren, die die Herausforderung, als erste Generation mit dem digitalen Wandel der Bibliotheken konfrontiert zu sein, in vollem Maße und mit höchstem persönlichen Engagement angenommen haben.

Friedrich Geißelmann wurde am 14. August 1943 in Göppingen geboren. Nach einem Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik und der Promotion – mit einer Dissertation über „Die kommunalen Spitzenverbände: Interessenvertretung und Verwaltungsreform“ – absolvierte er das Bibliotheksreferendariat an der Universitätsbibliothek Tübingen und der Frankfurter Bibliotheksschule. Im direkten Anschluss trat er 1973 den Dienst an der Universitätsbibliothek Augsburg an, wo er im Verlauf von 17 Dienstjahren neben Fachreferaten auch die Leitung der Katalogabteilung und des EDV-Referats übernahm. Im Jahre 1990 wurde er schließlich zum Direktor der Universitätsbibliothek Regensburg ernannt.

Nicht allen Visionen ist es gegeben, in die Realität umgesetzt zu werden – noch weniger Visionen überdauern die Zeit und werden jenseits von Projekten zu tragenden Infrastrukturen. Unter der Leitung von Friedrich Geißelmann ist dies an der Universitätsbibliothek Regensburg gleich bei drei großen Unternehmungen gelungen:

Die Elektronische Zeitschriftenbibliothek (EZB) hat sich in den 22 Jahren ihrer Existenz zu einer zentralen Informationsinfrastruktur entwickelt, die neben den Funktionen als Zugriffsportal für digitale Zeitschriften und als ERM-Tool für Konsortien und Einzelbibliotheken auch per EZB-Linking-Dienst in eine Vielzahl von spezialisierten Informationsdienstleistungen eingebunden ist und die jüngst mit Informationen zu Open-Access-Zweitveröffentlichungen und Zweitveröffentlichungsrechten angereichert worden ist. Die Zahl ihrer Anwender nimmt nach wie vor jedes Jahr zu – derzeit sind es mehr als 650 nationale und internationale Anwenderinstitutionen. Dem Datenbank-Infosystem (DBIS) mit mehr als 330 Anwenderbibliotheken und der Regensburger Verbundklassifikation (RVK) mit über 130 Anwenderbibliotheken waren – getragen durch die Kombination von Eigenleistung, Mitgliedsbeiträgen und laufender Drittmitteleinwerbung – ähnlich erfolgreiche und dauerhafte Entwicklungen beschieden.

Seine Visionen und Überlegungen hat Friedrich Geißelmann mit permanentem Einsatz und hoher Überzeugungskraft in eine Vielzahl von Gremien eingebracht, von der Kommission für Sacherschließung, dem Standardisierungsausschuss, der Kommission für EDV-Planung und der Arbeitsgruppe Virtuelle Bibliothek im Bayerischen Bibliotheksverbund bis hin zum Steuerungsgremium des – von ihm mitbegründeten – Kompetenznetzwerks Bibliotheken (KNB), das nach der Schließung des Deutschen Bibliotheksinstituts (DBI) wichtige koordinative Funktionen für das deutsche Bibliothekswesen sicherte und die bibliothekarischen Institutionen von nationaler Bedeutung an einen Tisch brachte. Als Vorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbands (2001 bis 2004) sowie als Sprecher der Leiter/innen der bayerischen Universitätsbibliotheken (1999 bis 2001) hat er die nationalen und regionalen Diskussionen intensiv geprägt, wichtige Impulse in gesellschaftlichen Debatten etwa zur Koordination der Digitalisierung oder zur Urheberrechtsnovellierung gegeben und die politische Stellung des deutschen Bibliothekswesens maßgeblich verbessert. Auch hier dachte er als strategischer Planer in großen Strukturen – sein systematischer Blick lässt sich etwa in seinem Bericht an die Association of European Research Libraries zum Thema „Library Planning in Germany“ (2003) erkennen.1 Die enorme Breite seiner Tätigkeiten und Interessensfelder ist in der Festschrift zu seinem 65. Geburtstag dokumentiert.2

Friedrich Geißelmann hat stets leidenschaftlich in die Zukunft geschaut und viele Grundlagen für die Zukunft gelegt. Sein rastloses Vorwärtsdrängen hat jeden, der mit ihm zu tun hatte, inspiriert – sein Fleiß und seine Leidenschaft können auch der heutigen Generation als Vorbild dienen. Gleichzeitig hat er seiner Universitätsbibliothek Regensburg und seinen Kolleginnen und Kollegen immer die Treue gehalten – bis zum Schluss trotz zunehmender gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Mit größtem Respekt vor seiner Lebensleistung und tiefem Mitgefühl mit seiner Familie gedenkt die Universitätsbibliothek Regensburg, aber auch das deutsche Bibliothekswesen Friedrich Geißelmanns.

André Schüller-Zwierlein, UB Regensburg

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5568

Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

1 Geißelmann, Friedrich: Library Planning in Germany, in: LIBER Quarterly 13 (3/4), 2003. Online: <http://doi.org/10.18352/lq.7732>.

2 Hutzler, Evelinde; Schröder, Albert; Schweikl, Gabriele (Hg.): Bibliotheken gestalten Zukunft: Kooperative Wege zur digitalen Bibliothek. Dr. Friedrich Geißelmann zum 65. Geburtstag. Göttingen 2008. Vgl. auch Griebel, Rolf: Dr. Friedrich Geißelmann in den Ruhestand verabschiedet, in: Bibliotheksforum Bayern 3, 2009, S. 141-142. Online: <https://www.bibliotheksforum-bayern.de/fileadmin/archiv/2009-2/BFB_0209_26_Griebel-G_V03.pdf>, Stand: 04.02.2020.