Regionalbibliographien: Forschungsdaten und Quellen des kulturellen Gedächtnisses : liber amicorum für Ludger Syré / Maria Elisabeth Müller, Ulrich Hagenah und Lars Jendral (Hrsg.). – Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag, 2019. – 245 Seiten : Illustrationen. – ISBN 978-3-487-15650-7 : EUR 44.80

Beim hier zu besprechenden „Liber amicorum“ (Buch der Freunde) fällt zunächst auf, dass der Geehrte nicht zu den typischen Personengruppen des Bibliothekswesens gehört, die mit einer Festschrift gewürdigt werden: Ludger Syré ist weder leitender Bibliotheksdirektor noch Hochschullehrer – umso mehr erfreut es, dass seine Verdienste auf diesem Weg öffentliche Anerkennung finden. Bereits seit 1988 leitet er die Arbeitsgruppe Regionalbibliographie. Anlässlich seines bevorstehenden Ausscheidens aus dem aktiven Dienst spricht ihm die Arbeitsgemeinschaft der Regionalbibliotheken mit diesem Band ihren Dank aus.1

Am Anfang des Bands steht eine umfängliche Würdigung von Syrés langjährigem Wirken an der Badischen Landesbibliothek (BLB) in Karlsruhe und darüber hinaus. Julia Freifrau Hiller von Gaertringen, die Direktorin der BLB, zeichnet ein eindrucksvolles Bild sowohl von seinen beruflichen Leistungen als auch von seiner Persönlichkeit. Besonders hebt sie das jahrzehntelange Wirken des Gefeierten in der Regionaldokumentation – als „Doyen der Landesbibliographie“ (S. 13) – hervor, würdigt aber auch seine anderen Tätigkeitsbereiche, u.a. in der Ausbildung und Digitalisierung, sowie sein großes Engagement im VDB und dbv. Mit zahlreichen Veröffentlichungen und einer universitären Lehrtätigkeit erfülle Syré „vorbildlich das Berufsbild des gelehrten Bibliothekars“ (S. 21), was auch durch das 22seitige Schriftenverzeichnis am Ende des Bands bestätigt wird. Dieses ist übrigens als „von ihm selbst zusammengestellt“ gekennzeichnet und man rätselt, mit welchen Tricks das Herausgeberteam daran gekommen ist – denn die Geheimhaltung des Festschrift-Projekts hat offenbar perfekt funktioniert. Syrés bekannteste Veröffentlichung ist natürlich das zur Berliner IFLA-Konferenz von 2003 erschienene Büchlein „Portale zu Vergangenheit und Zukunft – Bibliotheken in Deutschland“, welches in mehrere Sprachen übersetzt wurde und mittlerweile in der 5. Auflage vorliegt.2 Unter dem Titel „Ludger Syré als Autor“ steuert Ko-Autor Jürgen Seefeldt (früher LBZ Rheinland-Pfalz) einen sehr persönlich gehaltenen Text bei.

Während Festschriften sich typischerweise durch ein buntes Allerlei auszeichnen, widmet sich der Hauptteil des vorliegenden Bands nur einem einzigen Thema – den Regionalbibliographien. Da die letzte umfassende Darstellung für ein bibliothekarisches Publikum dazu bereits aus dem Jahr 2006 stammt,3 ist eine aktuelle Bestandsaufnahme sehr zu begrüßen. Es verblüfft allerdings etwas, dass im Titel von den Regionalbibliographien als „Forschungsdaten“ gesprochen wird. In ihrem Vorwort führt die Vorsitzende der AG Regionalbibliotheken, Maria Elisabeth Müller (SuUB Bremen), dazu aus: „Das in Regionalbibliographien erschlossene Material zu einem vernetzten Wissensschatz zu entwickeln, ist heute ein hoher Anspruch, diese für die Geisteswissenschaft wertvollen Forschungsdaten mit neuen Verfahren und Methoden der Digital Humanities zu ‚Big Data‘ werden zu lassen, ein ambitioniertes Ziel.“ (S. 8). Hier zeigt sich also ein erweitertes Verständnis des Forschungsdaten-Begriffs.

In 13 einschlägigen Beiträgen wird das Thema in allen seinen Facetten beleuchtet. Fast alle Autorinnen und Autoren sind entweder selbst bei einer Regionalbibliographie tätig oder zumindest in deren engerem Umfeld zu verorten. Vier von ihnen – Gritt Brosowski, Lars Jendral, Ulrich Hagenah und Anja Thalhofer – haben gleich mehrfach zur Feder gegriffen. Die Anordnung geht dabei vom Allgemeinen zum Besonderen; die ersten beiden Aufsätze stellen zudem einen expliziten Bezug zum Gefeierten her. Unter dem Titel „Landesbibliographien in der Ära Syré“ geben Gritt Brosowski (LB Mecklenburg-Vorpommern) und Ulrich Hagenah (SUB Hamburg) einen ersten Überblick und ordnen die nachfolgenden Beiträge in die größeren Zusammenhänge ein. Es folgt ein längerer Beitrag über „Die AG Regionalbibliographie in der Ära Syre 1988‒2019“ von Ulrich Hagenah und Lars Jendral (LBZ Rheinland-Pfalz). Diese von Praktiker/inne/n getragene Facharbeitsgruppe arbeitet seit vielen Jahren sehr kontinuierlich und produktiv an Themen wie Standardisierung (z.B. durch die Erarbeitung einer Mustersystematik 1991), Kooperation untereinander (hier ist vor allem die 2001 gestartete Metasuchmaschine Virtuelle Deutsche Landesbibliographie zu nennen), Vernetzung mit anderen Angeboten (insbesondere den Regionalportalen, die seit 2006 ein wichtiges Thema sind) sowie der Anpassung und Optimierung der Bibliographien im digitalen Umfeld (z.B. Webarchivierung).

Die nächsten Beiträge beschäftigen sich mit übergreifenden Themen. Zunächst lenkt Lars Jendral im Beitrag „Regionalbibliographien und biographische Erschließung“ den Blick auf die Personendatenbanken als typische Elemente von Regionalbibliographien, die jedoch auch einen enormen Eigenwert besitzen: Hier können viele Personen differenziert recherchiert werden, die man in den nationalen Verzeichnissen vergeblich sucht, und – ein ganz wichtiger Vorteil! – es werden auch lebende Personen berücksichtigt. Vielfach sind die Personendatenbanken heute breit vernetzt und in andere Angebote wie biographische und regionale Portale eingebunden. Ausführlich stellt Jendral zunächst die Rheinland-Pfälzische Personendatenbank vor; danach gibt er einen Überblick über die Personendatenbanken anderer Landesbibliographien. Für die Rheinland-Pfälzische Personendatenbank werden sogar Tageszeitungen ausgewertet; auch hat man Personendaten aus verschiedenen gedruckten biografischen Verzeichnissen halbmaschinell übernommen. Regelmäßig werden aus den Einträgen HTML-Seiten erzeugt, die über die allgemeinen Suchmaschinen zu finden sind: „Gerade für Personen von geringerer Bekanntheit lassen sich so im Google-Ranking gute Plätze erzielen“ (S. 75).

Unter dem Titel „Persistente Daten und neue Kontexte – die Regionalbibliographie als Profilelement von Landesbibliotheken“ steuert Ulrich Hagenah einen Grundlagenbeitrag bei, der sich zunächst mit der Typologie und den Kernaufgaben von Regionalbibliotheken beschäftigt, um anschließend die Rolle der regionalbibliographischen Erschließung darin einzuordnen. Sehr konkret beschreibt Hagenah das Spektrum der dokumentierten Objekte, geht auf Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten ein (als potenzielle Partner werden hier übrigens auch bestimmte Fachinformationsdienste genannt) und beschreibt typische Prozesse der praktischen Bibliographiearbeit. „Erzeugt werden qualitativ hochwertige Katalogdaten (…), anschlussfähig und für verschiedene Communities von Interesse“ (S. 103). Hagenah betont die „Stetigkeit des Produkts Regionalbibliographie“, die „idealiter auch als Vertrauensbildnerin in die Leistungsfähigkeit der Regionalbibliothek für ihr Referenzgebiet [fungiert]“ (S. 104). In der Tat ist eine langfristige Kontinuität in der Erschließung – sowohl bei den eingesetzten Standards als auch bei Methoden und Praktiken – ein hoher Wert, der heutzutage leider nahezu in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Dies zeigen nicht zuletzt die zahlreichen Änderungen, die in der jüngeren Vergangenheit bei der Deutschen Nationalbibliografie zu beobachten waren.

Anja Thalhofer (WLB Stuttgart) beschreibt im nächsten Beitrag „Regionale Schätze im World Wide Web – wie Landesbibliographien ihre Sichtbarkeit steigern“ Herausforderungen und Chancen bei der Aufgabe, die regionalbibliographischen Erschließungsdaten bekannter und besser nutzbar zu machen. Als eine wichtige Maßnahme arbeitet sie deren Integration in Resource Discovery Systeme heraus, die derzeit allerdings noch am Anfang steht. Berichtet wird u.a. auch vom Relaunch und der geplanten Erweiterung der Virtuellen Deutschen Landesbibliographie, die künftig auch noch besser mit anderen Angeboten vernetzt werden soll. Der Block schließt mit einem Beitrag von Stephan Kellner (BSB München) über „Regionalportale und Regionalbibliographie – eine Beziehung mit Potential“. Kellner stellt die Entwicklung landesgeschichtlicher und landeskundlicher Portale im deutschsprachigen Raum seit dem Beginn der 2000er Jahre dar. Seit 2007 gibt es eine eigene Arbeitsgemeinschaft dafür (AG Regionalportale), die im regen Austausch mit der AG Regionalbibliographie steht. Die Vernetzung von Bibliographien und Portalen konnte im Lauf der Zeit merklich verbessert werden: „In der Rückschau auf die vergangenen 15 Jahre ist zu sehen, wie verschiedene regionale Portale mit wachsenden technischen Möglichkeiten und zunehmender Verwendung von Normdaten die Potentiale der Bibliographien stärker in ihre Angebote integriert haben“ (S. 125f.).

Die nächsten sechs Aufsätze stehen im Inhaltsverzeichnis unter der Überschrift „Werkstattberichte“ und behandeln in der Regel nur eine einzige Bibliographie. Nicht alle davon sind allerdings tatsächlich Werkstattberichte im Sinne eines Blicks auf aktuelle Entwicklungen und evtl. noch vorläufige Ergebnisse, sondern teilweise werden auch größere historische Entwicklungslinien aufgezeigt. Den Anfang macht Anja Thalhofer mit „Die Landesbibliographie Baden-Württemberg – wie eine Großrechneranwendung aus den 1980er Jahren die Internet-Welt erobert“. Diese Landesbibliographie ist insofern ein Solitär, als sie auf einer vom Statistischen Landesamt entwickelten Host-Anwendung beruht. Thalhofer zeigt überzeugend, wie trotz der in der heutigen Zeit ungewöhnlichen technischen Basis eine moderne und nutzerfreundliche Webanwendung geschaffen werden konnte. Ausführlich behandelt sie außerdem die Rolle der Landesbibliographie innerhalb des landeskundlichen Informationssystems LEO-BW.

Der Einbezug von Websites ist für viele Regionalbibliographien noch immer ein schwieriges Thema. Umso willkommener ist der Aufsatz „Unsere Bayern im Zeitalter des Internets – Webarchive in der Bayerischen Bibliographie“ von Tobias Beinert, Ulf Röhrer-Ertl und Birgit Schaefer (alle BSB München). Die Autor/inn/en gehen kurz auf die technischen und rechtlichen Grundlagen ein und berichten dann konkret über die Verfahren in Bayern. Bislang ist die Sammlung mit „etwa 300 archivierte[n] Websites, überwiegend aus dem Bereich der amtlichen Websites“ (S. 149), die in der Regel im Halbjahresabstand geharvestet werden, noch überschaubar. Schwerpunktmäßig sollen als nächstes die Webpräsenzen von Geschichtsvereinen, von Personen und Institutionen aus den Bereichen Volkskunde und Brauchtumspflege sowie aus der Literatur gesammelt werden.

In seinem Beitrag „Konzertierte Aktion Nordrhein-Westfälische Bibliographie – zur Kooperation der NRW-Universitäts- und Landesbibliotheken mit dem HBZ“ widmet sich Holger Flachmann (ULB Münster) der Zusammenarbeit von Verbund und Landesbibliographie, von der beide Seiten profitieren: Die Bibliographie-Titel werden direkt in der Verbunddatenbank katalogisiert, sodass zumindest bei der selbständigen Literatur auch Fremddaten genutzt werden können; umgekehrt wird durch die landesbibliographische Aufsatzerschließung der Datenpool des HBZ-Verbunds erheblich erweitert. Auch für die Präsentation der Bibliographie – ursprünglich einmal in Form gedruckter Bände, später als eigenständige Sicht auf die Verbunddatenbank, welche 2016 grundlegend erneuert wurde – zeichnet das HBZ verantwortlich. Es schließt sich ein Artikel über „Regionalbibliographien und Retrokonversion historischer Bibliographien“ an, den die Rezensentin als besonders spannend empfunden hat. Gritt Brosowski, Lars Jendral und Verena Letzner (LB Mecklenburg-Vorpommern) stellen darin die beiden unterschiedlichen Herangehensweisen bei der nachträglichen Einbindung älterer gedruckter Vorgängerbibliographien einander gegenüber: Entweder werden die Titel „in das aktuelle Datenbanksystem oder den Verbundkatalog hinein abgetippt“ oder die gedruckten Bände werden „eingescannt und mit Hilfe von Textverarbeitungssoftware bearbeitet“, „mit geringerem oder größeren Aufwand manuell nachbearbeitet und im Anschluss in die Datenbank eingespielt“ (S. 165). Während bei der Landesbibliographie Mecklenburg-Vorpommern das manuelle Verfahren zur Anwendung kam, setzt man in Rheinland-Pfalz auf das halbautomatische Verfahren, wodurch die Bibliographie in der jüngeren Vergangenheit um 120.000 (!) Titel erweitert werden konnte.

Die letzten beiden Werkstattberichte kommen aus Niedersachsen und Sachsen. Jens Reinbach (Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover) berichtet über „50 Jahre Niedersachsen-Dokumentation in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek“. Bislang wird die Niedersächsische Bibliographie noch in der Allegro-Anwendung ABACUS gehalten, die in den 1990er Jahren speziell für Regionalbibliographien entwickelt wurde. Künftig soll jedoch auch diese Bibliographie Teil des Verbundkatalogs werden. Für die Personendatensätze ist die Erfassung in der von der Verbundzentrale des GBV entwickelten easydb-Anwendung DANTE (Datendrehscheibe für Normdaten und Terminologien) vorgesehen. Der von Martin Munke (SLUB Dresden) beigesteuerte abschließende Beitrag trägt den Titel „Landesbibliographie und Citizen Science – Kooperationsmöglichkeiten für Bibliotheken und Wiki-Communities am Beispiel der Sächsischen Bibliografie“. Eins von mehreren Beispielen, über die Munke berichtet, ist eine für die Nutzung in der Wikipedia erarbeitete Vorlage, um Personenartikel sehr einfach um einen Link auf zugehörige Literatur in der Bibliographie zu erweitern. Die Vorlage wurde bereits über 600mal von Wikipedianern verwendet, wobei diese öfter auch wertvolle Verbesserungshinweise für die Bibliographie liefern.

Die hier kurz charakterisierten Beiträge zeichnen ein umfassendes und detailreiches Bild vom aktuellen Stand der Regionalbibliographien, wobei der Schwerpunkt ganz klar auf den Landesbibliographien liegt. Als etwas störend hat es die Rezensentin allerdings empfunden, dass manche Aspekte in mehreren Beiträgen ausführlicher behandelt werden. Zwar ist es verständlich, dass Doppelungen nicht ganz zu vermeiden waren, da bestimmte zentrale Entwicklungen wie Personendatenbank, Regionalportale oder die Virtuelle Deutsche Landesbibliographie letztlich für jede Bibliographie von Bedeutung sind. Dennoch wäre es vielleicht durch präzisere Absprachen möglich gewesen, die Redundanzen etwas zu verringern. Gewünscht hätte sich die Rezensentin außerdem ein Sachregister (um z.B. leicht alle Stellen aufzufinden, in denen die für Vernetzungen verwendete BEACON-Technologie angesprochen wird).

Ein immer wiederkehrendes Motiv in den bisher besprochenen Aufsätzen ist, wie sich die Regionalbibliographien in der digitalen Welt konsequent an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst und leistungsstark und mit innovativen Entwicklungen auf die sich dynamisch wandelnden Anforderungen reagiert haben. Brosowski und Hagenah formulieren es in ihrem einleitenden Beitrag so: „Regionalbibliographie – braucht man so etwas noch? Wofür? Und nicht vielleicht in ganz anderer Form des Angebots? Die Regionalbibliographien haben reagiert, zum Teil mit erheblichen Anpassungsleistungen und immer im bundesweiten Austausch – und sie stehen selbstverständlich weiterhin, wahrscheinlich permanent, in einem Prozess der Neupositionierung“ (S. 44f.). Also alles bestens in der Welt der Regionalbibliographien? Ein Schlaglicht auf durchaus vorhandene Probleme wirft Anja Thalhofer, wenn sie erwähnt, dass „einzelne Landesbibliographien immer wieder im Fokus von Einsparungsmaßnahmen stehen“; konkret sei in jüngster Zeit die Hessische Bibliographie „von drastischen Personalkürzungen und Erfassungsreduzierungen betroffen“ gewesen (S. 106 mit Fußnote 2).

Einen sehr viel stärkeren Kontrapunkt setzt der den Band beschließende, im Inhaltsverzeichnis etwas abgesetzt aufgelistete Beitrag von Thomas Mutschler, dem Leiter der Abteilung Medienerwerbung und –erschließung an der ThULB Jena: „Sind Landesbibliographien heute noch relevant für die historische Forschung?“ Zum Einstieg weist Mutschler darauf hin, dass das Thema auf den Bibliothekartagen kaum mehr eine Rolle spiele und spricht gar von einer „Krise der Landesbibliographien“: „Landesbibliographie gilt als altmodisch, ist kaum vermittelbar (was ist eine Landesbibliographie?) und findet im Forschungs- und Studienalltag kaum bis keine Beachtung“. Insbesondere würden die Landesbibliographien „ihre eigentliche Zielgruppe kaum mehr (…) erreichen“ (S. 209f.) – damit bezieht sich Mutschler auf die Geschichtswissenschaft. Die Ursachen verortet der Autor einerseits in den genannten Imageproblemen, andererseits im veränderten Informationsverhalten der Nutzer/innen und der Konkurrenz durch Google & Co. Leider wird kein Versuch unternommen, diese Einschätzung durch messbare Faktoren (etwa die Entwicklung der Nutzungszahlen) zu belegen. Richtig ist aber sicher, dass Erschließung im Allgemeinen und Bibliographie im Besonderen im deutschen Bibliothekswesen vielfach nur noch als ein notwendiges Übel und nicht selten als potenziell verzichtbar betrachtet wird – oft flankiert von einem unerschütterlichen Glauben an die Leistungsfähigkeit maschineller Verfahren. Die inhaltliche Erschließung steht dabei unter einem noch stärkeren Druck als die Formalerschließung. Nachgerade erschreckend ist es, wie wenig Aufsehen die Reduzierung oder gar Aufgabe von Erschließungsaktivitäten erregt – beispielsweise die (auch von Mutschler angeführte) Einstellung der traditionsreichen Jahresberichte für deutsche Geschichte im Jahr 2015 oder die dramatischen Einschränkungen bei der Sacherschließung für die Reihe A der Deutschen Nationalbibliografie ab Herbst 2019.

Im weiteren Verlauf dieses zum Nachdenken anregenden Beitrags zeichnet Mutschler in großen Zügen die Entstehung der Landesbibliographien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und ihre weitere Entwicklung nach und geht auch auf die Situation in der DDR ein. In Westdeutschland sieht er einen wichtigen Einschnitt in den 1970/80er Jahren, als die „vormals auf die Geschichtswissenschaft fokussierten Landesbibliographien zu Universalbibliographien“ wurden, die sich für alle Lebens- und Wissensbereiche zuständig fühlten – dies sei von Historiker/inne/n „durchaus als Profilverlust der Landesbibliographie im Sinne einer Fachinformationsressource (…) wahrgenommen“ worden (S. 213). Beschrieben wird weiter der „Professionalisierungsschub“ (S. 216) der Landesbibliographien durch die Automatisierung, was auch eine verstärkte Standardisierung mit sich brachte, sowie das in jüngerer Zeit veränderte Aufgabenspektrum der Regionalbibliotheken, u.a. im Bereich der Digitalisierung.

Abschließend formuliert Mutschler einen Anforderungskatalog von sechs Punkten, mit denen sich die Landesbibliographien „für das digitale Zeitalter rüsten“ (S. 217) sollen. So sollen die Bibliographiedaten in die Resource Discovery Systeme der Bibliotheken integriert werden; auch die Virtuelle Deutsche Landesbibliographie sei zu einem Discovery-System weiterzuentwickeln. Der Einsatz von Normdaten solle intensiviert werden – als Grundlage für Vernetzungen sowie als Serviceleistung für Archive und Museen. Die Landesbibliographien seien stärker zu vernetzen, etwa mit Fachenzyklopädien oder Rezensionen. Digitalisate sollen in das bibliographische Erschließungssystem mit eingebunden werden, „so dass sich Forschende beim Betrachten digitalisierter Druck- und/oder Handschriften gleichzeitig einen Überblick über die aktuelle Forschungsliteratur verschaffen können“ (S. 219); auch solle die digitalisierte Zeitschriftenliteratur in der Bibliographie erschlossen werden. Die Landesbibliographien sollen außerdem nicht nur mit den Regionalportalen, sondern auch mit Fachinformationsdiensten zusammenarbeiten und der neuen, kooperativ zu erstellenden Deutschen Historischen Bibliografie4 zuarbeiten. Schließlich sollen Websites und Social Media stärker berücksichtigt werden.

Diese Liste von Arbeitsfeldern bringt verschiedene sinnvolle Anregungen, allerdings wenig, was völlig neu ist. Vieles davon ist nach dem Eindruck der Rezensentin schon Realität oder zumindest bereits in Ansätzen verwirklicht, anderes ist zumindest in den Blick genommen. Den Beitrag von Mutschler kann man deshalb letztlich als Bestätigung für den Weg sehen, den die Regionalbibliographien seit einiger Zeit eingeschlagen haben. Dass dabei natürlich manches noch intensiver, noch schneller und noch besser gemacht werden könnte, versteht sich von selbst. Ob dies gelingt, hat freilich sehr viel mit den Ressourcen zu tun, die den Bibliographie-Abteilungen zur Verfügung gestellt werden. Auch Mutschler sieht hier einen Knackpunkt: „Die Krise (…) wird dadurch verschärft, dass die Personal­decke sehr dünn ist und in manchen Ländern die Arbeit der Landesbibliographie in Umfang und Inhalt daher auf ein fast schon kleinstmögliches Maß zurückgefahren wurde. Um sich in Zukunft den neuen und fachlich immer komplexeren Herausforderungen der regionalbibliographischen Arbeit stellen zu können, braucht es entsprechende Ressourcen“ (S. 222).

Den Kolleginnen und Kollegen in den Regionalbibliographien ist zu wünschen, dass ihre wertvolle und durchaus zeitgemäße Tätigkeit intern und extern stärker wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Diese gelungene Bestandsaufnahme, die zugleich in die Zukunft blickt und neue Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigt, kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Heidrun Wiesenmüller, Hochschule der Medien Stuttgart

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H3S115-121

1 Die Festschrift wurde auf der letzten vom Geehrten geleiteten Sitzung der AG Regionalbibliographie am 9. Mai 2019 in Hamburg durch die Vorsitzende der AG Regionalbibliotheken, Maria Elisabeth Müller, überreicht – in Anwesenheit des gesamten Vorstands der AG Regionalbibliotheken.

2 Seefeldt, Jürgen; Syre, Ludger: Portale zu Vergangenheit und Zukunft – Bibliotheken in Deutschland, Hildesheim, Zürich, 20175.

3 Syré, Ludger; Wiesenmüller, Heidrun (Hg.): Die Regionalbibliographie im digitalen Zeitalter. Deutschland und seine Nachbarländer, Frankfurt am Main, 2006 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 90).

4 Vgl. historicum.net: Über das Projekt [der DHB], <https://beta.historicum.net/dhb/ueber-das-projekt/>, Stand: 12.08.2019.