Tagungsberichte vom Bibliothekskongress

Bericht zum Hands-On-Lab „Neue Geschäftsmodelle und Workflows im Open Access“ beim 7. Bibliothekskongress in Leipzig am 19. März 2019


Alexandra Jobmann, Universitätsbibliothek Bielefeld, Nationaler Open-Access-Kontaktpunkt OA2020-DE

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H4S216-220

Autorenidentifikation: Jobmann, Alexandra: ORCID: 0000-0001-6464-4583

Schlagwörter: Open-Access-Modelle; Hands-On-Lab; Bibliothekskongress; OA2020-DE; Evidence-Based Open-Access-Transformation; Subscribe to Open; Kooperatives Open Access Deutschlandkonsortium


Überblick

Der Bibliothekskongress 2019 stand unter dem Motto „Bibliotheken verändern“. Neben den schon länger bespielten Feldern wie Digitalisierung und Bibliotheken als Lern-/Kultur- und/oder Aufenthaltsorte gehören zu diesem Thema auch Veränderungen auf der Managementebene (Stichwort: agiles Management) und bei den bestehenden Geschäftsprozessen, unter anderem im Bereich der Medienerwerbung. Publikationsformate wie Open Access, veränderte Beschaffungsansätze wie Evidence-based selection und neue Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding stellen wissenschaftliche Bibliotheken vor weitere Herausforderungen. Doch nicht nur die bibliothekarische Seite ist von diesen Veränderungen betroffen. Auch Verlage und Buchhändler bzw. Intermediäre wie z.B. Knowledge Unlatched machen die Erfahrung, dass sich die Ansprüche und Wünsche ihrer Bibliothekskundinnen und -kunden hinsichtlich des Zugangs zu wissenschaftlicher Literatur verändern. In einem Hands-On-Lab des Bibliothekskongresses sollten daher praktische Modelle von Open-Access-Publikationsformen vorgestellt und mit den teilnehmenden Bibliotheken, Verlagen und Händlern diskutiert werden. Impulsreferate behandelten die vom Nationalen Open-Access-Kontaktpunkt OA2020-DE (weiter-)­entwickelten Modelle Evidence-Based Open-Access-Transformation, Subscribe to Open und kooperatives Open-Access-Deutschlandkonsortium. An das jeweilige Impulsreferat anschließend, wurden in kleinen Gruppen die Stärken und Schwächen der Modelle aus der jeweiligen Perspektive der Teilnehmenden diskutiert und per Flipchart zusammengetragen.

Evidence-Based Open-Access-Transformation

Im ersten Impulsreferat stellte Dirk Pieper, Projektleiter vom Nationalen Open-Access-Kontaktpunkt OA2020-DE, das Finanzierungs- und Geschäftsmodell „Evidence-Based Open-Access-Transformation“ vor. Das im Erwerbungsbereich bekannte Modell der „Evidence Based Selection“ wird dabei für die Open-Access-Transformation von E-Books (Monographien und Sammelbände) vorwiegend im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften adaptiert. Dadurch können elektronische Fachbücher unabhängig von ihrem Alter und stattdessen basierend auf der Nachfrage durch die Leserinnen und Leser in den Open Access gestellt werden.

Folgender Ablauf ist hierbei vorgesehen: Die Phase bis zur Auswahl der Bücher durch die Fach­referate erfolgt in beiden Modellen gleich. Ein Verlag (mit eigener Plattform) schaltet sein Angebot an E-Books für einen bestimmten Zeitraum (i.d.R. ein Jahr) zur Nutzung für die Bibliothek frei. Dies kann mit oder ohne Entrichtung einer Datenbankgebühr erfolgen. Nach Ablauf der Frist stellt der Verlag Nutzungsstatistiken bereit und die Fachreferate wählen Bücher zum „Kauf mit Open-Access-Option“ aus. Die so ausgewählten Bücher werden von den Bibliotheken sofort gekauft und vom Verlag auf herkömmlichen Wegen bereitgestellt. Der Verlag oder eine Konsortialstelle sammelt anschließend die Auswahl der Fachreferate aus den teilnehmenden Einrichtungen. Bücher, die von hinreichend vielen Einrichtungen ausgewählt und gekauft worden sind, werden vom Verlag binnen einer angemessen Frist Open Access gestellt. Bücher, die nur vereinzelt oder gar nicht ausgewählt und gekauft wurden, verbleiben im Closed Access. Wie viele Käufe ausreichend sind, um ein Buch in den Open Access zu stellen, ergibt sich aus der vorher verhandelten und vertraglich vereinbarten Open-Access-Gebühr.

Im Anschluss an den Vortrag unterzogen die Teilnehmenden – aufgeteilt auf vier Gruppen – das Modell „Evidence-Based Open-Access-Transformation“ einer SWOT-Analyse und ermittelten die in Tabelle 1 dargestellten Stärken und Schwächen.

Stärken

Schwächen

Gutes Zusammenspiel von Relevanz und Nutzung

Delayed Open Access / reaktives Modell

Open-Access-Stellung beliebter Titel

Ist der Titel überhaupt Open-Access-fähig?

Qualitätssicherung seitens der Verlage und Fachreferate

Wollen die Autorinnen & Autoren überhaupt Open Access? Sie werden kaum einbezogen.

Breiterer Zugang zu Open-Access-E-Books über Bibliothekskataloge

Nutzungsbasierte „Bestseller“ -> Nischenthemen werden vernachlässigt

Kostengünstig, niedrigschwellig, integrierbar, bedarfsgerecht, objektiv, transparent

Preisvorstellung Verlag vs. Preisvorstellung Bibliothek

Chancen für Geistes- und Sozialwissenschaften für mehr Open Access

Beteiligen sich ausreichend viele Bibliotheken?

Komplementäres Modell zum sofortigen Open Access, überführt Altbestände in den Open Access

Verlage haben Mehraufwand im Rechtemanagement: müssen rückwirkend Rechte umwandeln bzw. neue Lizenzen verhandeln

Das Modell ist für diejenigen Bibliotheken vorteilhaft, die ohnehin an einem Evidence-Based-­Selection-Modell interessiert sind und ohne weiteren Mehraufwand bezüglich Kosten und Workflow zur Open-Access-Transformation beitragen wollen. Es sind dafür keine zusätzlichen Mittel notwendig, denn die Finanzierung erfolgt innerhalb des regulären Erwerbungsetats.

Kooperatives Open-Access-Deutschlandkonsortium

Das zweite Impulsreferat von Herrn Pieper widmete sich dem sogenannten „Kooperativen Open-Access-Deutschlandkonsortium“. Dieses stellt ein kooperatives Finanzierungsmodell in Abwandlung der SCOAP³-Mechanismen dar. Statt jedoch alle Publikationen einer Fachdisziplin im Open Access zu veröffentlichen, zielt es darauf ab, die Finanzierung aller Publikationen mit einem deutschen Corresponding Author bei einem Open-Access-Verlag bzw. in reinen Open-Access-Zeitschriften durch die Bildung eines nationalen Konsortiums zu organisieren. Zielsetzung ist dabei die Stärkung von Open-Access-Zeitschriften durch verbesserte Workflows und eine strukturelle Verankerung der Finanzierung von Open-Access-Publikationskosten, eine Erhöhung der Planbarkeit von Publikationskosten für die wissenschaftliche Einrichtung sowie die Einführung von Mechanismen zur Begrenzung von Kostensteigerungen.1 Über das kooperative Deutschlandkonsortium werden alle Publikationen mit deutschem Corresponding Author der teilnehmenden Einrichtungen beim jeweiligen Open-Access-Verlag oder der jeweiligen Open-Access-Zeitschrift finanziert. Die teilnehmenden Einrichtungen zahlen dafür jährlich einen Mitgliedsbeitrag an das Konsortium, der sich anteilig an dem jeweils prognostizierten Publikationsaufkommen sowie den ausgehandelten Artikelbearbeitungsgebühren orientiert. Die finanziellen Rahmenbedingungen für das Modell sind den SCOAP³-Mechanismen entlehnt und gestalten sich wie folgt: Es gibt eine Kappungsgrenze, das heißt die Summe der Article Processing Charges (APCs), die ein Verlag für die Publikationen eines Jahres erhält, wird nach oben hin beschränkt. Diese Kappungsgrenze orientiert sich dabei an der Anzahl der in der jüngsten Periode beim Verlag publizierten Artikel zzgl. eines moderaten Wachstums. Publikationen über diese Kappungsgrenze hinaus werden vom Verlag ohne weitere Kosten Open Access publiziert. Somit werden APCs nur für tatsächlich publizierte Artikel gezahlt.

Auch hier schloss sich direkt an das Impulsreferat wieder die Gruppenarbeit zur Stärken-Schwächen-Chancen-Risiken-Analyse an und brachte die folgenden, in Tabelle 2 dargestellten Ergebnisse.

Stärken

Schwächen

Geringer Verwaltungsaufwand in wissenschaft­lichen Einrichtungen

Hoher konsortialer Koordinierungs- und Verwaltungs­aufwand

Schlanke Workflows für Bibliotheken und Autorinnen & Autoren

Komplexes Modell

Moderate APCs, keine Kosten für Autorinnen & Autoren

Keine Berücksichtigung von Monographien

Einbindung von Geistes- und Sozialwissen­schaften möglich

Fokus auf reine OA-Zeitschriften und OA-Verlage,
daher eher auf Natur- und Gesundheitswissenschaften

Größere Verhandlungsmacht gegenüber Verlagen

Vorhersagen für Publikationsverhalten sind schwierig

Test für Preisfindungsmechanismen nach weitgehender OA-Transformation

Wie bewertet man Qualität und fachliche Relevanz?

Dieses Modell stärkt den Wettbewerb um APC-Preise, da das Konsortium zur Begrenzung von Kosten­steigerungen eine Ausschreibung durchführt. Gegenstand sind alle Artikel mit Corresponding Author aus deutschen (teilnehmenden) wissenschaftlichen Einrichtungen. Die Verlage geben für ihre reinen Open-Access-Zeitschriften APC-Gebote kombiniert mit einem Service-Gebot ab. Das Konsortium wählt anschließend aus den Geboten das passende unter Einhaltung einer Budgetgrenze aus. Gewichtet wird dabei nach der geringsten APC bei höchstem Service und Qualität.

Subscribe to Open

Das abschließende dritte Modell „Subscribe to Open“ wurde von Alexandra Jobmann, Projektmitarbeiterin beim Nationalen Open-Access-Kontaktpunkt OA2020-DE, vorgestellt. Es basiert darauf, dass die Bibliotheken weiterhin ihre Subskriptionszahlung für ein Abonnement beibehalten, der Inhalt jedoch für den jeweiligen Jahrgang für alle Open Access zur Verfügung steht. Das Modell wurde vom Verlag „Annual Reviews“2 als Ansatz für die Open-Access-Transformation gut eingeführter Subskriptionszeitschriften entwickelt und nutzt die bestehenden Beziehungen zu den Abonnentinnen und Abonnenten sowie schon existierende Rechnungsworkflows nach. Einrichtungen, die die Inhalte der jeweiligen Zeitschriften kennen und schätzen, abonnieren diese wie gewohnt weiter, d.h. es fallen keine APCs oder zusätzlichen Kosten an. Dabei wird das Ziel verfolgt, Subscribe to Open als Routine­tätigkeit der Medienbearbeitung zu etablieren und damit die Arbeitskosten auf Bibliotheksseite so gering wie möglich zu halten. Solange der Verlag die Abonnementeinnahmen wie gewohnt erhält, wird der jeweilige Zeitschriftenband und das Archiv Open Access zur Verfügung gestellt. Wenn die Abonnementeinnahmen signifikant sinken, z.B. weil Einrichtungen sich für das Trittbrettfahrer-­Verhalten entscheiden, werden die neu erscheinenden Zeitschriftenbände wieder hinter eine Paywall verschoben und sind nur für die Abonnentinnen und Abonnenten weiterhin zugänglich. Das Modell eignet sich daher vor allem für Nischenzeitschriften und für Zeitschriften mit eher geringer Überschneidung zwischen Leserschaft und Autorenschaft. Für die Einrichtungsebene wiederum gilt: für den gleichen Preis wie bisher erhalten alle Interessierten Zugriff.

Eine letztes Mal Gruppenarbeit brachte dabei die folgenden, in Tabelle 3 aufgeführten Stärken und Schwächen des Modells hervor.

Stärken

Schwächen

Wenig Aufwand

Keine Kostentransparenz, da keine APCs

Keine Mehrkosten für Bibliotheken, keine Kosten für Autorinnen & Autoren

Problematik der Zeitschriftenkrise nicht gelöst („Old School")

Eignet sich für Nischenzeitschriften

Neues Rechtesystem der Verlage für Autorinnen & Autoren notwendig

Kann in die bestehenden Prozesse integriert werden

Fokus auf Abnehmende statt Produzierende

Eignet sich für Zeitschriften mit eher geringer Überschneidung zwischen Leserschaft und Autorenschaft

Community und Autorinnen & Autoren der Zeitschrift wissen vorher nicht, ob ein Artikel OA erscheint oder nicht -> schwierig in Verbindung mit Förderrichtlinien

Trittbrettfahrer-Problem nicht vollständig gelöst

Das Modell verwendet die bestehenden Subskriptionsmittel für die Open-Access-Stellung der Inhalte. Dabei werden bestehende Prozesse und Workflows in den Bibliotheken beibehalten, sodass Kosten und Aufwand für die Implementierung eines solchen neuen Modells reduziert werden.

Fazit

Trotz der beengten Verhältnisse und der schlechten klimatischen Bedingungen in dem zu kleinen Raum, haben die ca. 35 Teilnehmenden lebhaft und interessiert miteinander die verschiedenen Modelle­­ diskutiert. Die gemeinsame Grundlage bildete dabei das Verständnis von wissenschaftlichen Verlagen,­ Intermediären, Händlern und Bibliotheken als Partnerinnen und Partner im Publikationsprozess. Dementsprechend fanden sich die Gruppen zusammen.

Neben der Diskussion und Bewertung der Modelle durch die teilnehmenden Bibliothekarinnen und Bibliothekare und Verlagsangehörigen galt es weiterhin, Kriterien zu entwickeln, unter denen eine verlegerische und/oder bibliothekarische Beteiligung an Open-Access-Publikationsformen möglich ist. Die Teilnehmenden einigten sich schlussendlich auf die folgenden Punkte, die erfüllt sein sollten:

Das Hands-On-Lab hat gezeigt, dass die Herausforderungen und Chancen, die Open Access allen am Publikationsprozess Beteiligten bietet, vor allem im gemeinsamen Handeln bewältigt werden können. Dieser Eindruck wurde im Anschluss beim dritten Open-Access-Transformationsworkshop Anfang April in Bielefeld bestätigt.3 Die Folien zu dem Hands-On-Lab inklusive der Ergebnisse der Gruppenarbeiten stehen online auf dem OPUS-Server des BIB zur Verfügung.4

1 Durch die Weiterentwicklung dieses Modells ist es zu einer Umbenennung gekommen. Mittlerweile trägt es den Namen „Open-Access-Konsortium mit Ausschreibungsmechanismen“.

2 <https://www.annualreviews.org/page/subscriptions/subscribe-to-open>

3 Jobmann, Alexandra: Bibliotheken und Verlage als Partner: 3. Open-Access-Transformationsworkshop des Nationalen Open-Access-Kontaktpunkts in Bielefeld, OA2020-DE, 07.05.2019, <https://oa2020-de.org/blog/2019/05/07/3oatransformationsworkshop/>, Stand: 02.07.2019.

4 Jobmann, Alexandra; Pieper, Dirk: Neue Geschäftsmodelle und Workflows im Open Access, 108. Deutscher Bibliothekartag in Leipzig 2019 = 7. Bibliothekskongress, <https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0290-opus4-164013>, Stand: 02.07.2019.