Wissen lernen, Zugänge ermöglichen

Urheberrechtskompetenz – ein Thema für Bibliotheken?! Status Quo und Perspektiven

Fabian Franke, Universitätsbibliothek Bamberg

Zusammenfassung

Urheberrechtskompetenz (Copyright Literacy) umfasst die Fähigkeit, sich kritisch mit dem Schutz des geistigen Eigentums und dessen gesetzlich erlaubten Nutzungen auseinanderzusetzen, eigene Werke in geeigneter Weise zu veröffentlichen und fremde Werke legal und verantwortungsvoll zu nutzen und zu verbreiten. Auf Basis dieser Definition stellt der Beitrag die Ergebnisse einer Umfrage zur Urheberrechtskompetenz deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare und zur Vermittlung von Urheberrechtskompetenz an deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken vor. Er vergleicht sie mit den Ergebnissen der multinationalen Studie zur Copyright Literacy und diskutiert die Förderung von Urheberrechtskompetenz in der bibliothekarischen Praxis. Während international Urheberrechtskompetenz durch die Grundsatzerklärung der IFLA zur Urheberrechtsbildung und Urheberrechtskompetenz auf der Agenda steht, ist die Urheberrechtskompetenz deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare eher schwach ausgeprägt. Der Beitrag plädiert daher dafür, in die Vermittlung von Informationskompetenz und digitaler Kompetenz verstärkt Urheberrechtskompetenz einzubeziehen.

Summary

Copyright Literacy is defined as the ability to deal critically with the protection of intellectual property and its legally permitted uses, to publish one’s own works in a suitable manner and to use and disseminate other people‘s works legally and responsibly. Based on this definition the paper presents the results of a survey among German librarians on their copyright literacy and on copyright education at German academic libraries. The results are compared with the results of a multinational study on copyright literacy, and the promotion of copyright literacy in libraries is discussed. While the IFLA Statement on Copyright Education and Copyright Literacy puts copyright literacy on the international agenda, the copyright literacy of German librarians is generally weak. As a consequence, it is argued that the promotion of copyright literacy should be an essential part of the information literacy programs of academic libraries.

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H4S151-163

Autorenidentifikation: Franke, Fabian: GND 114163669, 0000-0001-8210-4265

Schlagwörter: Urheberrechtskompetenz; Informationskompetenz; Wissenschaftliche Bibliothek; Deutschland; Copyright Literacy; Information Literacy; Academic Library; Germany

1. Urheberrecht und Bibliotheken

Das Urheberrecht ist insbesondere in den letzten Jahren zu einem wichtigen Thema für Bibliotheken­ und Bibliothekar/innen geworden.1 Urheberrechtliche Rahmenbedingungen greifen im digitalen Zeitalter stark in die bibliothekarische Arbeit ein, ermöglichen und behindern Bibliotheken bei ihren Aufgaben als Service-Einrichtungen für die Wissenschaft, für Studium, Lehre und Forschung, z.B. bei Fernleihe und Dokumentlieferung (§ 60e Abs. 5 UrhG), bei der Einrichtung eines digitalen Lesesaals (§ 60e Abs. 4 UrhG), beim Umgang mit verwaisten Werken (§ 61 UrhG) oder bei der Unterstützung von Menschen mit einer Behinderung (§ 45a und § 45b UrhG). Daher erscheint es als eine logische Folgerung, dass sich Bibliotheken und Bibliotheksverbände an der Diskussion um ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht beteiligen und ihre Position einbringen.

Auch Nutzer/innen von Bibliotheken müssen sich mit dem Urheberrecht auseinandersetzen, wenn sie z.B. aus Werken zitieren (§ 51 UrhG in Verbindung mit § 62 UrhG und § 63 UrhG), Bibliotheksbestände vervielfältigen (§ 53 und § 60c UrhG) oder in digitale Semesterapparate (§ 60a UrhG) bzw. in digitale Forschungsapparate (§ 60c UrhG) einstellen, Text- und Data-Mining (§ 60d UrhG) betreiben oder ihr Zweitveröffentlichungsrecht (§ 38 Abs. 4 UrhG) wahrnehmen möchten. Gehört die Beratung der Nutzer/innen bei solchen urheberrechtlichen Fragen zu den Aufgaben von Biblio­theken? Besitzen Bibliothekar/innen ausreichend Urheberrechtskompetenz, um ihre Benutzer/innen kompetent beraten und informieren können? Diesen Fragen geht dieser Beitrag nach.2

2. Urheberrechtskompetenz

Betrachtet wird hier der Umgang mit dem Urheberrecht und die Urheberrechtskompetenz in Bildung und Wissenschaft, von Schülerinnen und Schülern, Studierenden, Lehrenden und Forschenden, die fremde Werke nutzen und eigene Werke veröffentlichen. Chris Morrison und Jane Secker beschreiben Urheberrechtskompetenz (Copyright Literacy) in diesem Rahmen als „acquiring and demonstrating the appropriate knowledge, skills and behaviours to enable the ethical creation and use of copyright material”.3
Eine umfassendere Definition gibt die International Federation of Library Associations: „Copyright literacy can be defined as sufficient copyright knowledge to be able to take well informed decisions on how to use copyrighted materials. It includes understanding the structure, functioning and implications of the copyright system, as laws, practices, and user expectations evolve. Copyright education is the process of developing and updating copyright literacy.“4

Auf die Rechtssituation in Deutschland bezogen beinhaltet Urheberrechtskompetenz insbesondere die Fähigkeiten, die gesetzlich erlaubten Nutzungen des Urheberrechts beim Umgang mit fremden Materialien zu kennen und zu nutzen und eigene Werke unter geeigneten Lizenzen, z.B. Creative-Commons-Lizenzen, zu veröffentlichen. Auf dieser Basis wird hier Urheberrechtskompetenz so definiert:

Urheberrechtskompetenz umfasst die Fähigkeit, sich kritisch mit dem Schutz des geistigen Eigentums und dessen gesetzlich erlaubten Nutzungen auseinanderzusetzen, eigene Werke in geeigneter Weise zu veröffent­lichen und fremde Werke legal und verantwortungsvoll zu nutzen und zu verbreiten.

3. Urheberrechtskompetenz als Aufgabe von Bibliotheken

„Copyright literacy is an issue for all types of library.“, stellt die International Federation of Library Associations in ihrer Stellungnahme zur Urheberrechtskompetenz eindeutig und unmissverständlich fest.5
Sie leitet daraus klare Empfehlungen für Bibliotheken, Bibliotheksverbände und Bibliothekar/innen ab. So sollten Bibliotheken u.a.

Bibliotheksverbände sollten u.a.

Und Bibliothekar/innen sollten u.a.

In Deutschland findet sich im Positionspapier „Wissenschaftliche Bibliotheken 2025“ des Deutschen Bibliotheksverbands die Aussage, dass das Urheberrecht „seitens der Politik ... weiterentwickelt werden“­ muss.6 Aussagen zur Rolle der Bibliotheken bei dieser Aufgabe fehlen hier. Eine Forderung nach einem stärkeren Einsatz von Bibliotheken bei der Förderung von Urheberrechtskompetenz lässt sich nur indirekt im Rahmen von Publikationsdienstleistungen und der Förderung digitaler Medien- und Informationskompetenz finden. Der internationale Diskurs ist deutlich fortgeschrittener als die Diskussion in Deutschland.

Bemerkenswert ist jedoch, dass bereits im April 2018 und im Juli 2018 der Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare7, im Februar 2019 der Deutsche Bibliotheksverband8 und zur Eröffnung des 8. Bibliothekskongresses in Leipzig im März 2019 auch die Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheks- und Informationsverbände Bibliothek & Information International9 Stellungnahmen zur EU-Urheberrechtsreform veröffentlicht haben. Der Deutsche Bibliotheksverband schreibt: „Obwohl es für Bibliotheken deutliche Fortschritte gegeben hat, enthält der Text [der EU Urheberrechts­reform] Bestimmungen, die den freien Zugang zu Informationen und die Meinungsfreiheit ernsthaft gefährden und im Widerspruch zu den Werten der bibliothekarischen Praxis stehen.“ Beim Berufsverband Bibliothek & Information International heißt es: „Zwar enthält der Vorschlag endlich wichtige Regelungen in einigen Schlüsselbereichen für Bibliotheken, insbesondere zu Text- und Data-Mining, Bildung, und zur Bewahrung und Nutzung von vergriffenen Werken, die von allen Bibliotheksverbänden begrüßt werden. Die allgemeine Ausrichtung der Regelungen in den beiden Artikeln 11 und 13 steht jedoch im Widerspruch zu den professionellen ethischen Grundwerten: freier Zugang zu Informationen – einem breiten Spektrum an Wissen, Ideen, medialen Inhalten und Meinungen.“ Die Bibliotheksverbände setzen sich hier über die engeren Interessen von Bibliotheken hinaus für ein Urheberrecht ein, das einen freien Zugang zu Information ermöglicht und wenden sich trotz einzelner Verbesserungen für die bibliothekarische Arbeit gegen die EU-Urheberrechtsreform.

Festzuhalten ist: Die deutschen Bibliotheksverbände haben zwar eine klare Haltung zum Urheber­recht, das den freien Zugang zu Information ermöglicht, entwickelt, sich jedoch anders als der internationale Verband noch nicht zur Rolle von Bibliotheken bei der Förderung von Urheberrechts­kompetenz positioniert.

4. Umfrage zur Urheberrechtskompetenz deutscher Bibliothekar/innen

Wie steht es nun um die Urheberrechtskompetenz der Bibliothekar/innen in Deutschland? Dazu hat der Verfasser im Januar und Februar 2019 eine Online-Umfrage durchgeführt, die in der bibliothekarischen Mailing-Liste Inetbib und in den regionalen Arbeitsgruppen zur Informationskompetenz in Deutschland angekündigt wurde. Die Teilnehmenden wurden zum einen um eine Selbsteinschätzung gebeten, wie gut sie die Schrankenregelungen des Urheberrechts kennen, und zum anderen gefragt, welche bibliothekarischen Angebote es zur Förderung von Urheberrechtskompetenz gibt. Die Umfrage umfasste folgende Fragen:

An welcher Art Bibliothek arbeiten Sie?

  1. Bitte schätzen Sie sich ein: Wie gut kennen Sie sich aus mit den Regelungen des ­Urheberrechts
  2. zum Zitieren?

    zum Vervielfältigen/Kopieren/Scannen?

    zu verwaisten Werken?

    zum Zweitveröffentlichungsrecht?

    zum digitalen Semesterapparat?

    zum digitalen Lesesaal?

    zu Fernleihe und Dokumentlieferung?

  3. Gibt es in Ihrer Bibliothek oder Institution einen Beauftragten/eine Beauftragte oder ­eine Ansprechperson für Urheberrechtsfragen?
  4. Auf welche Aspekte des Urheberrechts geht Ihre Bibliothek in Schulungen oder Informa­tionsveranstaltungen ein?
  5. Soll das Urheberrecht eine stärkere Rolle in der bibliothekarischen Ausbildung einnehmen?
  6. Wünschen Sie sich mehr bibliothekarische Fortbildungsangebote zum Urheberrecht?

349 Bibliothekar/innen haben die Umfrage vollständig beantwortet. Der größte Teil davon (144, 41,26 %) arbeitet an einer Universitätsbibliothek, die weiteren Umfrageteilnehmenden arbeiten an Wissenschaftlichen Spezialbibliotheken oder Fachbibliotheken (103, 29,51 %), Hochschulbibliotheken (55, 15,76 %), Öffentlichen Bibliotheken (21, 6,02 %) und Staats- oder Landesbibliotheken (15, 4,30 %).

An welcher Bibliothek arbeiten Sie?

Ihre Kenntnisse über das Urheberrecht schätzen die Teilnehmenden eher zurückhaltend ein. Lediglich die Regelungen zum Zitieren und zum Vervielfältigen kennt die Mehrheit nach eigener Einschätzung sehr gut oder gut. Selbst die Regelungen zu einer typischen Bibliotheksleistung wie Fernleihe und Dokumentlieferung sind nur knapp 46 % der Bibliothekar/innen sehr gut oder gut bekannt. Bei den im Rahmen der Urheberrechtsreform in Deutschland in den letzten Jahren viel diskutierten Regelungen zum digitalen Semesterapparat (29 % sehr gut oder gut), zum digitalen Lesesaal (20 % sehr gut oder gut), zu verwaisten Werken (24 % sehr gut oder gut) und zum Zweitveröffentlichungsrecht (32 % sehr gut oder gut) sind die Kenntnisse noch geringer.

Unterschiede zwischen den Kenntnissen von Bibliothekar/innen an verschiedenen Bibliothekstypen sind vorhanden, aber nicht signifikant. So schätzen 79 % der Bibliothekar/innen an Universitätsbibliotheken ihre Urheberrechtskenntnisse zum Zitieren als sehr gut oder gut ein gegenüber 71 % aller teilnehmenden Bibliothekar/innen. Aber ihre Kenntnisse zum digitalen Semesterapparat betrachten selbst Bibliothekar/innen an Universitätsbibliotheken, die von Regelungen zum digitalen Semesterapparat besonders betroffen sind, nur zu 40 % als sehr gut oder gut gegenüber 29 % aller teilnehmenden Bibliothekar/innen.

Angesichts der Selbsteinschätzung der eigenen Urheberrechtskompetenz ist es nicht überraschend, dass der Wunsch nach einer stärkeren Rolle des Urheberrechts in der bibliothekarischen Ausbildung wie auch der Wunsch nach mehr Fortbildungsangeboten zum Urheberrecht einen Mittelwert von 75 bzw. 74 auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht gewünscht) bis 100 (unbedingt gewünscht) erhält.

Einen Beauftragten, eine Beauftragte oder eine Ansprechperson zu Urheberrechtsfragen gibt es in 39 % der Bibliotheken, an denen die Teilnehmer/innen der Umfrage arbeiten, im Detail an 57 % der Staats- oder Landesbibliotheken, an 56 % der Universitätsbibliotheken, an 28 % der Wissenschaftlichen Spezialbibliotheken oder Fachbibliotheken, an 20 % der Hochschulbibliotheken und an 16 % der Öffentlichen Bibliotheken. 22 % der übergeordneten Hochschule oder Institution haben eine solche Ansprechperson, an 39 % existiert keine solche Anlaufstelle.

Urheberrechtsfragen sind nach Auskunft der Bibliothekar/innen, die an der Umfrage teilgenommen haben, ein signifikanter Teil von bibliothekarischen Schulungen und Informationsveranstaltungen. Regelungen zum Zitieren werden an 66 % der Bibliotheken insgesamt und sogar an 81 % der Universitätsbibliotheken sowie an 77 % der Hochschulbibliotheken behandelt. Die Schrankenregelungen zum Vervielfältigen werden an 58 % der Bibliotheken insgesamt und an 85 % der Staats- und Landes­bibliotheken sowie an 70 % der Wissenschaftlichen Spezialbibliotheken und Fachbibliotheken ­vermittelt. Hier spiegeln sich offenbar die speziellen Rahmenbedingungen von Staats- und Landesbibliotheken sowie von Wissenschaftlichen Spezialbibliotheken und Fachbibliotheken wider, die viel Material haben, das nicht verleihbar ist und somit eine starke Nachfrage nach Vervielfältigung besteht.

Weitere Aspekte des Urheberrechts kommen in weniger als der Hälfte der bibliothekarischen Schu­l­u­ngen und Informationsveranstaltungen vor, wobei hier das Zweitveröffentlichungsrecht mit 31 % insgesamt und 41 % an Universitätsbibliotheken am häufigsten genannt wird.

Nicht gefragt wurde, in welchem Umfang diese Aspekte des Urheberrechts behandelt werden. Es bleibt daher einer intensiveren Untersuchung überlassen, ob Bibliotheken sie wirklich umfassend vermitteln oder lediglich kurz ansprechen. Einen Anhaltspunkt gibt der Vergleich mit einer Live-Umfrage, die der Verfasser bei der Sitzung zur Urheberrechtskompetenz beim 107. Deutschen Bibliothekartag 2018 in Berlin10 durchgeführt hat. Hier lautete die betreffende Frage nicht „Auf welche Aspekte des Urheberrechts geht Ihre Bibliotheken in Schulungen oder Informationsveranstaltungen ein?“, sondern „Zu welchen Themen führt Ihre Bibliothek Schulungen oder Informationsveranstaltungen zum Urheberrecht durch?“. Bei dieser Fragestellung, die stärker suggeriert, dass die Aspekte wirklich ausführlich behandelt werden und nicht nur am Rande vorkommen, haben nur 46 % der Bibliotheken Zitieren und nur 14 % Vervielfältigungen genannt, während 44 % der Bibliotheken angegeben haben, keine Schulungen zu diesen Themen durchzuführen.

5. Internationaler Vergleich

Eine groß angelegte internationale Studie hat 2013 – 2015 die Urheberrechtskompetenz von Fachleuten der Bibliotheks- und Informationswissenschaft mit 1.926 Teilnehmenden in 13 Ländern (Bulgarien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Kroatien, Litauen, Mexiko, Norwegen, Portugal, Rumänien, Türkei, Ungarn und USA) untersucht.11 40 – 50 % der befragten Informationsspezialist/innen schätzen sich als vertraut mit dem nationalen Urheberrecht ein. Die besten Kenntnisse sind in Portugal vorhanden, ­gefolgt von Mexiko, Großbritannien, der USA, Finnland und Frankreich. Im Einzelnen wurde in der internationalen Studie u.a. nach den Kenntnissen des Urheberrechts in Bezug auf Digitalisierung, gemeinfreie Werke (public domain), vergriffene Werke, verwaiste Werke, Zweitveröffentlichungsrecht (development of institutional respositories) und digitale Semesterapparate (virtual services within e-learning-practices) gefragt. Deutschland hat sich an dieser internationalen Studie nicht beteiligt; verglichen werden die Ergebnisse mit der in diesem Beitrag beschriebenen Umfrage in Deutschland. Nach der internationalen Studie besitzen zwischen 15 % (Norwegen) und 50 % (Großbritannien) der Informationsspezialist/innen Urheberrechtskompetenz in Bezug auf Digitali­sierung, während bei der Umfrage in Deutschland 58 % der Bibliothekar/innen ihre Kenntnisse zum Vervielfältigen als sehr gut oder gut einschätzen. Vertraut mit dem Urheberrecht in Bezug auf verwaiste Werke sind international zwischen 10 % (Finnland) und 35 % (Frankreich, Großbritannien, Litauen, Türkei, USA), in Deutschland 24 %. Beim Zweitveröffentlichungsrecht (Institutional Repositories) sind das international zwischen 10 % (Finnland) und 60 % (Portugal), in Deutschland 32 %, bei digitalen Semester­apparaten (Virtual Services within E-Learning Practices) within e-learning practices international zwischen 10 % (Kroatien) und 40 % (Portugal), in Deutschland 29 %. Die Urheberrechtskompetenz deutscher Bibliothekar/innen ist also im internationalen Vergleich in Bezug auf Digitalisierung und Vervielfältigung sehr gut, bei anderen Aspekten liegt sie im Mittelfeld.

Eine britische Studie hat den Status und die Aufgaben von Urheberrechtsspezialist/innen in Bildungs- und Kultureinrichtungen analysiert12. Die Studie basiert auf einer Umfrage mit 110 Antworten, von denen 57 % aus Universitäten und weitere Antworten u.a. aus Museen, Weiterbildungseinrichtungen und staatlichen Einrichtungen kamen. In 66 % dieser Einrichtungen gibt es einen „Copyright Officer“ oder „Copyright Advisor“. Dies ist mit dem Ergebnis der Umfrage in Deutschland vergleichbar, wo es in 61 % der Einrichtungen Urheberrechtsbeauftragte gibt. Während in Großbritannien jedoch an 63 % der Bildungseinrichtungen der Copyright Officer/Advisor zur Bibliothek gehört, ist das in Deutschland insgesamt nur zu 39 % der Fall, immerhin aber zu 56 % der Universitäten.

54 Copyright Officer/Advisor in Großbritannien haben eine Ausbildung in den Bibliotheks- und Informationswissenschaften, nur 12 eine juristische Ausbildung. In Deutschland zögern manche Biblio­theken ­und Bibliothekar/innen noch, das Feld Urheberrechtskompetenz zu besetzen. Sie sind unsicher, ob sie die notwendigen Kompetenzen haben, in Schule, Studium, Lehre und Forschung bei urheber­rechtlichen Fragestellungen zu unterstützen und Urheberrechtskompetenz zu vermitteln. Dabei zeigt die Umfrage, dass deutsche Bibliothekar/innen ihre Kenntnisse zu einigen urheberrechtlichen Aspekten, insbesondere beim Zitieren und Vervielfältigen, durchaus mindestens als gut einschätzen.

6. Die Förderung von Urheberrechtskompetenz in
der bibliothekarischen Praxis

Sowohl die Information Literacy Competency Standards for Higher Education13 als auch das Framework for Information Literacy for Higher Education14 beinhalten Urheberrechtskompetenz. Der fünfte Standard der Information Literacy Competency Standards for Higher Education lautet: „The information literate student understands many of the economic, legal, and social issues surrounding the use of information and accesses and uses information ethically and legally.“ Performance Indicators sind u.a.:

Und zu den Outcomes gehört:

(Hervorhebungen durch den Verfasser dieses Beitrags.)

Die Standards umfassen zwar nicht explizit die kritische Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht, können aber schon seit dem Jahr 2000 als Grundlage für die Konzeption von Bibliotheksangeboten zur Urheberrechtskompetenz verwendet werden.

Deutlich weiter geht das Framework for Information Literacy for Higher Education15. Mit dem Frame „Information has value“ sind u.a. folgende Knowledge Practices verbunden:

Learners who are developing their information literate abilities

Das Framework fordert also ein wirkliches Verständnis der Bedeutung des Urheberrechts. In der Visualisierung des Frameworks der AG Informationskompetenz im Bibliotheksverbund Bayern16
wird dies u.a. durch die Symbole für open und closed access, Copyright und Creative-Comon-Lizenzen verdeutlicht.

Bibliotheken, die Schulungen und Informationsveranstaltungen auf Basis des Framework anbieten, müssen daher auch Urheberrechtskompetenz vermitteln. Die Umfrage hat ergeben, dass besonders Zitieren und Vervielfältigen in Schulungen behandelt wird. So können in einer Schulung zur Literaturrecherche auch die Fragen „Wie zitiere ich die gefundene Literatur?“ und „Unter welchen Voraussetzungen ist ein Zitat erlaubt?“ behandelt werden, in Zusammenhang mit dem Volltextzugriff können auch die urheberrechtskonformen Möglichkeiten des Vervielfältigens angesprochen werden und beim Thema Recherche nach Zeitschriftenliteratur kann auf Open Access und Creative-Commons-Lizenzen hingewiesen werden.17

Bibliothekarische Veranstaltungen, die kompakt und umfassend Urheberrechtskompetenz fördern, sind bisher noch eher selten. So bietet z.B. die Universitätsbibliothek Regensburg eine zweistündige Veranstaltung „Urheberrecht und Plagiat. Rechtliche Fragen bei wissenschaftlichen Arbeiten“18 an, die Universitätsbibliothek Bamberg führt in Zusammenarbeit dem Fortbildungszentrum Hochschullehre einen halbtägigen Workshop „Urheberrecht in der Lehre – Empfehlungen der Universitätsbibliothek“ durch.19

7. Zusammenfassung und Forderungen

International steht Urheberrechtskompetenz (Copyright Literacy) durch die Grundsatzerklärung der IFLA und die vielfältigen Aktivitäten in Großbritannien20 auf der bibliothekarischen Agenda. In Deutschland haben sich die Bibliotheksverbände intensiv an der Diskussion um ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht in Deutschland und um die EU-Urheberrechtsreform beteiligt. Die Urheberrechtskompetenz der Bibliothekar/innen in Deutschland ist jedoch eher schwach ausgeprägt. Eine Online-Umfrage im Januar/Februar 2019 hat gezeigt, dass nur bei den Themen Zitieren und Vervielfältigen mehr als die Hälfte der befragten Bibliothekar/innen ihre Kenntnisse als sehr gut oder gut einschätzen. Mit den Aspekten Zweitveröffentlichungsrecht, verwaiste Werke, digitale Semesterapparate, digitaler Lesesaal und Fernleihe/Dokumentlieferung im Urheberrecht ist nach eigener Einschätzung nur der kleinere Anteil vertraut.

Ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht, das den freien Zugang und die freie Verbreitung von Information ermöglicht, ist essentiell für die bibliothekarische Arbeit. Daraus folgt:

Nicht nur für Bibliotheken, auch für Studium, Lehre und Forschung ist das Urheberrecht von entscheidender Bedeutung. Wenn Bibliotheken ihren Auftrag ernstnehmen, Studierende, Lehrende und Forschende beim Umgang mit Literatur und Informationen zu unterstützen und Informations­kompetenz zu fördern, dann gehört auch die Vermittlung von Urheberrechtskompetenz zu ihren Aufgaben. Sowohl die Standards der Informationskompetenz für Studierende als auch das Framework Informationskompetenz beinhalten Urheberrechtskompetenz. Aber nur auf die Schrankenregelungen des Urheberrechts zum Zitieren und Vervielfältigen gehen laut der Umfrage mehr als die Hälfte der Bibliotheken in Schulungen und Informationsveranstaltungen ein, die Themen Zweitveröffentlichungsrecht, verwaiste Werke, digitale Semesterapparate und digitaler Lesesaal kommen nur am Rande vor.

Die Förderung der Urheberrechtskompetenz ihrer Nutzer/innen ist Teil der bibliothekarischen Arbeit. Denn nur urheberrechtskompetente Nutzer/innen können die Informationen, die sie in der Bibliothek finden, legal und verantwortungsvoll nutzen und in eigenen Publikationen verwenden. Daraus folgt:

Bibliothekar/innen können die Herausforderungen der Positionierung zum Urheberrecht und der Förderung von Urheberrechtskompetenz nur dann erfüllen, wenn sie selbst eine hohe Urheberrechtskompetenz besitzen. Daher wünschen sie sich eine Stärkung der Rolle des Urheberrechts in der bibliothekarischen Ausbildung und mehr bibliothekarische Fortbildungsangebote zum Urheberrecht.

Da das Urheberrecht alle Bereiche der Bibliothek betrifft , müssen alle Bibliothekar/innen Kenntnisse über das Urheberrecht besitzen. Daraus folgt:

Literaturverzeichnis

Beger, Gabriele. Urheberrecht für Bibliothekare: eine Handreichung von A–Z. 3. Auflage, Passau, Wien 2019.

Franke, Fabian. „Das Framework for Information Literacy. Neue Impulse für die Förderung von Informationskompetenz in Deutschland?!,“ in o-bib. Das offene Bibliotheksjournal 4 (4), 2017, S. 22–29. <https://doi.org/1w0.5282/o-bib/2017H4S22-29>.

International Federation of Library Associations (IFLA). IFLA Statement on Copyright Education and Copyright Literacy (2018). <https://www.ifla.org/publications/node/67342>, Stand: 30.06.2019.

Secker, Jane; Morrison, Chris: Copyright and E-Learning. A Guide for Practitioners. 2nd edition, London 2016.

Talke, Armin. Bibliotheksschranken: Die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in ­Bibliothek, Lehre und Forschung. 2019. <https://intr2dok.vifa-recht.de/receive/mir_mods_ 00003333>, Stand: 30.07.2019.

1 Siehe u.a. die Positionen des Deutschen Bibliotheksverbands zum Urheberrecht: <https://www.bibliotheksverband.de/dbv/positionen.html>, Stand: 30.06.2019.

2 Dieser Beitrag ist die bearbeitete Fassung eines Vortrags, den der Verfasser beim 7. Bibliothekskongress 2019 in Leipzig gehalten hat. urn:nbn:de:0290-opus4-16261, Stand: 30.06.2019.

3 Secker, Jane; Morrison, Chris: Copyright and E-Learning. A Guide for Practitioners, 2nd edition, London 2016. S. 211.

4 International Federation of Library Associations (IFLA): „IFLA Statement on Copyright Education and Copyright ­Literacy (2018),“ <https://www.ifla.org/publications/node/67342>, Stand: 30.06.2019.

5 Siehe Fußnote 4.

6 Deutscher Bibliotheksverband: „Wissenschaftliche Bibliotheken 2025. Beschlossen von der Sektion 4 „Wissenschaftliche Universalbibliotheken“ im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) im Januar 2018,“ <https://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/Sektionen/sektion4/Publikationen/WB2025_Endfassung_endg.pdf>. Stand: 30.06.2019.

7 Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare: „Offener Brief gegen den Entwurf der Richtlinie zum Euro­päischen Leistungsschutzrecht veröffentlicht,“ <https://www.vdb-online.org/2018/07/01/vdb-gehoert-zu-den-mehr-als-100-unterzeichnern-von-saveyourinternet/>, Stand: 30.06.2019.

Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare: „VDB gehört zu den mehr als 100 Unterzeichnern von #SaveYourInternet,“ <https://www.vdb-online.org/2018/07/01/vdb-gehoert-zu-den-mehr-als-100-unterzeichnern-von-saveyourinternet/>, Stand: 30.06.2019.

8 Deutscher Bibliotheksverband: „Einschätzung: Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv) zum Richtlinienentwurf der EU zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt,“ <https://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/themen/urheberrecht/Einsch %C3 %A4tzung_dbv_Eu_Urheberrecht_02-2019.pdf>, Stand: 30.09.2019.

9 Bibliothek & Information International: Bibliotheken warnen vor voreiliger Abstimmung in der EU-Urheberrechts­reform. Trotz unstrittig richtiger Zielsetzung stehen Artikel 11 und 13 im Widerspruch zu bibliothekarischen Werten. <https://www.vdb-online.org/wordpress/wp-content/uploads/2019/03/PM_2019_03_18_Bibliotheken-warnen-­vor-voreiliger-Abstimmung_final.pdf>, Stand: 30.06.2019.

10 Franke, Fabian; Secker, Jane; Morrison, Chris: „Urheberrechtskompetenz/Copyright Literacy,“ <https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0290-opus4-34404>

11 Yordanova Todorova, Tania et. al: „Information professionals and copyright literacy: a multinational study. In: Library Management,“ 38 (2017) 6/7, S. 323-344. <https://doi.org/10.1108/LM-01-2017-0007>

12 Hatch, Philippa; Morrison, Chris; Secker, Jane: „A study of copyright specialists in UK educational and cultural ­institutions: Who are they and what do they do?,“ <https://doi.org/10.22024/UniKent/01.02.70443>.

13 American Library Association: „Information Literacy Competency Standards for Higher Education,“ 2000, <http://hdl.handle.net/11213/7668>.

14 Association of College and Research Libraries: Framework for Information Literacy for Higher Education. 2015. <http://www.ala.org/acrl/standards/ilframework>. Stand: 30.06.2019.

15 Siehe auch Franke, Fabian: „Das Framework for Information Literacy. Neue Impulse für die Förderung von Informa­tionskompetenz in Deutschland?!,“ in o-bib. Das offene Bibliotheksjournal 4 (4), 2017, S. 22–29. <https://doi.org/10.5282/o-bib/2017H4S22-29>.

16 Scherbel, Nicole: „Framework turns visual. Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis von Informationskompetenz,“ in Bibliotheksforum Bayern 13 (2), 2019, S. 117.

17 Vgl. auch Sauerwein, Tessa: „Framework Information Literacy-Aspekte aus Theorie, Forschung und Praxis,“ in Bibliothek-Forschung und Praxis 43 (1), 2019; S.126–138.

20 <https://copyrightliteracy.org/>, Stand: 30.06.2019.