Vorstand und Vereinsausschuss

Ergebnisse der DACHS-Tagung 2019 „Bibliothek – Qualifikation – Perspektiven“

Ein Arbeitspapier von BIB, Bibliosuisse, BVS, VDB und VÖB

LogoDACHS.png

Die bibliothekarischen Verbände haben ein genuines Interesse, Veränderungen im Ausbildungsbereich rechtzeitig zu erkennen. Sie sind interessiert, neue Entwicklungen zu identifizieren, aber auch im Interesse der Bibliotheken selbst anzustoßen. Dabei geht es ebenso um Veränderungen in bibliothekarischen Kernqualifikationen wie um die Rekrutierung anderen qualifizierten Personals für Bibliotheken. Mit der D-A-CH-S-Tagung „Bibliothek – Qualifikation – Perspektiven“1 haben die Verbände den Diskurs über die Zukunftsfähigkeit des bibliothekarischen Berufsfelds angestoßen. Jede Engführung im Sinne einer bibliothekarischen Binnenschau ist dabei zu vermeiden. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass Interessierte am bibliothekarischen Beruf die passende Ausbildung finden und anschließend auch in eine Anstellung in der Bibliothek einmünden. Zudem soll bei allen Veränderungen auch die Qualität der bibliothekarischen Arbeit sichergestellt werden.

Die Ergebnisse der Tagung sind in dem vorliegenden Arbeitsprogramm beschrieben.

1. Veränderten Bedarf erkennen

Die Situation in den Bibliotheken ist aktuell gekennzeichnet einerseits durch einen höheren zahlenmäßigen Personalbedarf infolge des Ausscheidens personenstarker Jahrgänge, andererseits durch einen zunehmenden Grad an Spezialisierung. Insbesondere geht der IT-Bedarf an wissenschaftlichen Einrichtungen über einen rein systemtechnischen Ansatz inzwischen deutlich hinaus und erstreckt sich stark in den datentechnischen Bereich. Beim Bedarf an kompetentem Personal befinden sich die Bibliotheken in Konkurrenz zu technologieaffinen Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologie, in denen insgesamt eine Zunahme von hochkomplexen Expertentätigkeiten zu beobachten ist.2 Es besteht also gleichzeitig eine quantitative wie eine qualitative Problemlage bei der Gewinnung von qualifiziertem Personal für Bibliotheken. Vor diesen Herausforderungen steht auch die Berufsbildung (FaMi in Deutschland, Lehrberuf und Ausbildungslehrgänge in Österreich, Fachfrau/Fachmann Information & Dokumentation in der Schweiz). Auf der Tagung wurde deutlich, dass die Schweiz bei der Weiterentwicklung des Bildungsplans, die alle fünf Jahre erfolgen muss, zwar deutlich systematischer und schneller vorgeht als Deutschland. Jedoch werden auch hier die Inhalte – wieviel Spezialisierung und wieviel Technik darf/muss es sein, wieviel bibliothekarische Grundkompetenzen wie Formalerschließung muss noch sein – intensiv diskutiert.

Untersuchungen und Analysen, die Rückschlüsse auf anstehende Neuordnungsverfahren in den Ausbildungsgängen oder auf Defizite in den Angeboten geben, sollten in allen Ländern von den Ausbildungseinrichtungen und den Verbänden regelmäßig durchgeführt oder angestoßen werden. Dies gilt sowohl für Studiengänge an Hochschulen als auch für die Berufsbildung.

2. Personalgewinnung sicherstellen

Die Hochschulen reagieren auf das veränderte Studieninteresse mit neuen Schwerpunktsetzungen in den bibliothekarischen Studiengängen (Kulturmanagement/Datenmanagement) sowie mittels Vernetzung mit den Angeboten anderer Fachbereiche. Diese Angebote sind hinsichtlich der Ansprache von mehr Studieninteressierten erfolgreich. Bereits länger bestehende Angebote von informations- bzw. bibliothekswissenschaftlichen Hochschulstudiengängen gerade mit systemtechnischem oder Datenschwerpunkt haben allerdings gezeigt, dass diese Studiengänge zwar mehr Studierende anziehen, dies aber nicht dazu führt, dass die Absolventinnen und Absolventen jeweils eine Beschäftigung in Bibliotheken suchen bzw. finden.

Seitens der kleineren Öffentlichen Bibliotheken stellt sich die Frage nach der Ausbildung und Gewinnung von qualifiziertem Personal noch dringender, zumal in einzelnen Ländern häufig Teilzeitstellen besetzt werden. Die Tagung zeigte hier sehr große Unterschiede zwischen den deutschsprachigen Ländern (zum Beispiel mit einem sehr hohen Anteil ehrenamtlicher Mitarbeitender in Österreich und Südtirol).

Die grundsätzlich zu begrüßende Neuausrichtung der informationswissenschaftlichen und bibliothekarischen Studiengänge muss hinsichtlich des Verbleibs der Absolventinnen und Absolventen in den nächsten Jahren regelmäßig analysiert und ggf. neu bewertet werden.

3. Stellenbedarf nachweisen

Der internationale Vergleich zeigt, dass in den nächsten Jahren aufgrund fehlender Bedarfsdeckung damit zu rechnen ist, dass Bibliotheken zunehmend Quereinsteiger/innen einstellen werden, insbesondere in den Bereichen, wo sich neue Arbeitsschwerpunkte entwickeln, d.h. in Wachstumsbereichen. Dies bietet die Chance, dass die Arbeit in Bibliotheken auch für nichtbibliothekarische Berufsgruppen an Attraktivität gewinnt und Bibliotheken bei ihrer Weiterentwicklung von fachfremdem Know-how profitieren. Damit ist jedoch auch eine gewisse Gefahr gegeben, dass sich Personaleinsatz und Ausbildung auseinanderentwickeln, und dies in einer Situation ohnehin schon starker äußerer Veränderungen. Der Chance, dass die Arbeit in Bibliotheken auch für nichtbibliothekarische Berufsgruppen an Attraktivität gewinnt und Bibliotheken von fachfremdem Know-how profitieren, steht das Risiko gegenüber, dass bibliothekarische Kernkompetenzen in den Hintergrund geraten und sich das eigentliche bibliothekarische Berufsprofil nicht weiterentwickelt. Weiterhin wird die Attraktivität des bibliothekarischen Berufs und der entsprechenden Ausbildung wesentlich davon abhängen, dass individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und Karriereverläufe existieren.

Die Auffindbarkeit und fachliche „Kodierbarkeit“ bibliothekarischer Berufsfelder muss gesichert bleiben, sowohl in konkreten Ausschreibungskontexten als auch allgemein hinsichtlich der Berufsorientierung. Eine nachteilige Tarifeinordnung wie aktuell in Deutschland ist dabei aber unbedingt zu vermeiden.

Der Nachweis von Stellenangeboten in Bibliotheken ist ein zentrales Anliegen in einer Situation zunehmenden Bedarfs. Die bibliothekarischen Verbände engagieren sich im Interesse von Stellensuchenden und Bibliotheken zugunsten eines offenen Nachweises von Stellenanzeigen der Bibliotheken. Dies trägt dazu bei, bibliothekarische Stellenangebote auffindbar zu machen, Bedarfe zu dokumentieren und Entwicklungen langfristig zu verfolgen.

4. Nachqualifizierung und Weiterbildung bedarfsgerecht gestalten

Angesichts der zunehmenden Zahl von Quereinsteigenden stellt sich die Frage, wie diese für die Arbeit in Bibliotheken qualifiziert sind bzw. qualifiziert werden können? Besonders gesucht sind derzeit bspw. an wissenschaftlichen Bibliotheken Quereinsteiger/innen, die von Haus aus praktische Publikations- und Datenmanagementkenntnisse mitbringen. Die Quereinsteiger/innen müssen ggf. noch nachqualifiziert werden. Hier sind steigende Ansprüche von Bibliotheken und Bewerberinnen und Bewerbern zu beobachten. Bibliotheken haben hohe Erwartungen hinsichtlich passgenauer Qualifikationsangebote mit hohem Praxiswert. Bewerberinnen und Bewerbern ist oft nicht mehr zu vermitteln, dass sie nach schon erfolgten Ausbildungsgängen noch eine weitere postgraduale Qualifizierung für das Bibliothekswesen absolvieren müssen. Diese Beobachtung trifft umso mehr zu, je qualifizierter die Quereinsteiger/innen für ihre jeweilige Aufgabe in Bibliotheken bereits sind und je formalisierter und verschulter die postgraduale Qualifizierung organisiert ist. Flexiblere Angebote und Zertifikatskurse, die bedarfsbezogen regelmäßig angepasst werden, entsprechen diesem Bedarf häufig besser als breit angelegte Grundausbildungen. Neue Angebote wie „Medical Librarian“, „Data Librarian“ oder „Digitales Datenmanagement“ tragen dazu bei, Nachqualifizierung spezifischer auszurichten. Aber auch für die Absolventinnen und Absolventen von Grundausbildungen (Berufslehre, Bachelor) müssen auf allen Stufen passende Angebote gemacht werden, die veränderte Bedarfe abbilden.

Hochschulen und andere Träger müssen auf den veränderten Bedarf reagieren und Weiterbildungsangebote machen, die für Bibliotheken wie für Quereinsteiger/innen oder grundständig ausgebildete Bibliothekarinnen und Bibliothekare gleichermaßen attraktiv sind, weil sie eine fachliche Ergänzung und anwendungsbereites Wissen bereitstellen. Die Verbände sind in der Verantwortung, geeignete berufliche Vernetzungsangebote zu machen und die Qualität eigener Angebote zu gewährleisten bzw. die Ausbildungseinrichtungen und Hochschulen regelmäßig hinsichtlich wichtiger Neuentwicklungen zu beraten.

5. Entwicklungen auf dem Ausbildungsmarkt nachvollziehen

Der Ausbildungsmarkt verändert sich. Immer häufiger ist zu beobachten, dass Bewerber/innen auf duale Studiengänge orientiert sind. Damit folgen sie einem übergreifenden Trend. Als aufeinander abgestimmte Kombination von theoretisch ausgerichtetem Studium und Praxiseinsätzen in der Bibliothek stellen duale Studiengänge besondere Anforderungen an Bibliotheken – sowohl an die ausbildenden Personen als auch an die Infrastrukturen und den Stellenhaushalt.

Bibliotheken müssen in die Lage versetzt werden, in Kooperation mit Ausbildungseinrichtungen duale Studiengänge zu ermöglichen und dazu in der Bibliothek Stellen anzubieten, um einem langfristigen Trend nach inhaltlich, organisatorisch und zeitlich aufeinander abgestimmten Theorie- und Praxisinhalten zu entsprechen.

6. Berufliche Mobilität fördern

Die beschriebenen Entwicklungen führen zu einem erhöhten Bedarf an beruflicher Mobilität. Wenn Bibliotheken attraktiver Arbeitsort für Spezialistinnen / Spezialisten und Quereinsteiger/innen sein wollen, müssen sie diese Qualifikationen anerkennen, auch wenn sie in anderen Berufsfeldern, Ausbildungen oder Studiengängen erworben worden sind. Dies erfordert eine höhere Flexibilität bei der Anerkennung von Berufs- und Qualifikationsprofilen und die Abkehr von „Kastendenken“.

Die Verbände sorgen für eine Anerkennung und Harmonisierung der Anforderungen der Aus- und Weiterbildung und erleichtern damit die berufliche Mobilität. Sie richten ihre eigenen Aus- und Weiterbildungsangebote gezielt auf die Förderung beruflicher Mobilität aus.

7. Geographische Mobilität fördern

Geographische Mobilität im D-A-CH-S-Raum und darüber hinaus in Europa ist immer verbreiteter. Auch in Bibliotheken gibt es dafür bereits eine Vielzahl an Beispielen. Auch wenn die Anerkennungsproblematik nicht mehr so virulent ist wie in der Vergangenheit, so gibt es doch eine Vielzahl von anderen organisatorischen Hürden, die den Wechsel vom einen zum anderen Land erschweren.

Die Verbände sehen geographische Mobilität als ein wesentliches Mittel der beruflichen Entwicklung und wollen diese noch gezielter unterstützen. Ein Ziel ist dabei, insbesondere jungen Kolleginnen und Kollegen Praxis- und Weiterbildungsaufenthalte im Ausland zu ermöglichen. Es soll überprüft werden, ob erfolgreiche Konzepte aus den einzelnen Regionen auf andere Länder übertragen werden können.

1 Vgl. zur DACHS-Tagung auch Fischer, Michael; Zenkel, Franziska: „Wir bibliotheken“ – neue Wege in der bibliothekarischen Ausbildung Tagungsbericht zur D-A-CH-S-Tagung „Bibliothek – Qualifikation – Perspektiven“, DOI: <https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H2S92-98> sowie: 10-Punkte-Plan für Arbeitgeber vom Nachwuchsforum zur D-A-CH-S-Tagung „Bibliothek – Qualifikation – Perspektiven“; DOI: <https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H2S99-101>; d. Red.

2 Vgl. Lehmer, Florian u. Britta Matthes: Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland. <http://doku.iab.de/aktuell/2017/aktueller_bericht_1705.pdf>, Stand: 12.06.2019.

bib_wortbild_einzeilig_neu.png    VDB_Logo_4C_mit-Spiegel.jpg    91538.png    voeb_banner.png    Logo%20Bibliosuisse.jpg

Rudolf Mumenthaler, Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern

Konstanze Söllner, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Vorsitzende des VDB

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H2S153-157