Kooperative Informations-Infrastrukturen als Chance und Herausforderung : Thomas Bürger zum 65. Geburtstag / herausgegeben von Achim Bonte und Juliane Rehnolt. - Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2018. - 483 Seiten : Illustrationen – ISBN 978-3-11-058493-6 : EUR 99.95 (auch als E-Book verfügbar)

Im Herbst 2018 trat der langjährige Generaldirektor der SLUB Dresden, Thomas Bürger, in den Ruhestand. Sein damaliger Stellvertreter und heutiger Nachfolger Achim Bonte hat den vorliegenden Band zusammen mit Juliane Rehnolt, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur und Kulturgeschichte der TU Dresden, wo Bürger eine Honorarprofessur innehat, zu seinem Abschied aus dem aktiven Bibliotheksdienst initiiert und publiziert. Die E-Book-Version steht beim Verlag als Open-Access-Publikation zur Verfügung.1

Die Leitung der Dresdener Bibliothek ist eine Schlüsselstelle im deutschen Bibliothekswesen. Thomas Bürger kam 1998 als stellvertretender Generaldirektor nach Dresden, wo vor allem die Altbestände der ehemaligen Sächsischen Landesbibliothek im Gebäude Marienallee sein Arbeitsfeld wurden. Zuvor war er mehr als 20 Jahre lang unter der Direktion von Paul Raabe in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel tätig gewesen, zuletzt als Leiter der „Sammlung historischer Drucke“. 2003 übernahm er von Jürgen Hering das Amt des Generaldirektors der Dresdener Großbibliothek, die 1996 aus der Fusion der früheren Sächsischen Landesbibliothek mit der Universitätsbibliothek der TU Dresden entstanden war. Im selben Jahr wurde auch der Neubau ihres Hauptgebäudes am Zelleschen Weg eröffnet.

Die Festschrift für Thomas Bürger unterscheidet sich von anderen Titeln ihres Genres darin, dass sie erfreulicherweise thematisch angelegt ist. Zwar enthält sie, wie nicht anders zu erwarten, viele Belege für die Leistungen des Geehrten. So schreibt Eva-Maria Stange, die Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, dass Bürger „über viele Jahre die sächsische Bibliothekslandschaft entscheidend geprägt“ (S. 11) habe. Seine Vorstellung von der wissenschaftlichen Bibliothek als Universalbibliothek wird in dem Band deutlich, ebenso die Charakteristik seiner Person als „Thomas Bürger, der Menschenfischer“ (so die Herausgeber/innen im Vorwort, S. 18). Nicht zuletzt stellt der Anglist Bernhard Fabian (Universität Münster) als langjähriger Begleiter der Bibliotheksentwicklung in seinem Grußwort über Dresden fest: „Heute gilt die Bibliothek in ihrer Art als Musterbibliothek“ (S. 38). Über all das hinaus ist für die Leser dieses Bandes noch ein anderer Aspekt entscheidend: Die Herausgeber haben ein aktuelles Thema der Wissenschaftspolitik in Deutschland als Thema des Bandes gewählt, und die Mehrzahl der Beiträgerinnen und Beiträger hat sich auch daran orientiert.

Im Bibliothekswesen hält die Diskussion über den Aufbau bzw. die Weiterentwicklung sogenannter Informationsinfrastrukturen für die Wissenschaft schon einige Jahre an. In der Regel wird sie auf Bundesebene geführt, wie auch die zahlreichen Planungspapiere des Jahres 20182 eindrucksvoll zeigen. Die wissenschaftlichen Bibliotheken erleben in diesem Prozess, dass man sie in einen größeren Zusammenhang einordnet, in dem sie zusammen mit anderen Einrichtungen wesentliche Dienstleistungen für die Forschung erbringen können und sollen. Die Arbeitsfelder Lehre, Studium und Bildung stehen dabei eher nicht im Mittelpunkt der Diskussion. Zweifellos hat Thomas Bürger sich in der Planung der bundesweiten Informationsinfrastrukturen für die Bibliothekswelt in einem sehr hohen Maß engagiert. Die weitreichendste Initiative für neue Infrastrukturen geht auf den breit besetzten Rat für Informationsinfrastrukturen (RfII) zurück, an dessen Gründung er mitwirkte und in den er anschließend die Vorstellungen der Bibliotheken einbrachte. Ein entscheidendes Arbeitsergebnis des Rates ist dessen Vorschlag, den Aufbau einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) zu fördern. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder (GWK) beschloss im November 2018, das Vorhaben durch Finanzierung zu unterstützen. Das vorgesehene Verfahren zur Bildung von Konsortien, nach dem jedes Wissenschaftsfach durch Kooperation der Betroffenen für die gemeinsamen Interessen tätig wird, lässt allerdings erahnen, dass fachübergreifende Strukturen, wie sie im wissenschaftlichen Bibliothekswesen schon lange üblich sind, dabei bisher noch nicht im Mittelpunkt stehen.

Fünf Beiträge, die hier näher vorgestellt werden sollen, beschäftigen sich mit grundsätzlichen Problemen der landes- und bundesweiten Organisation neuer Forschungsinfrastrukturen. Die Mehrheit der weiteren Beiträge schildert anschließend Beispiele für Infrastrukturen, die das Ergebnis gelungener Kooperation sind.

Im ersten Aufsatz des Bandes sucht Michael Knoche (bis 2017 Anna Amalia Bibliothek, Weimar) nach der Antwort auf die entscheidende Frage: „Was macht die Zusammenarbeit von Bibliotheken so schwierig?“ (S. 43-52). Er weist auf die schwierige Ausgangslage hin, zu der die gewachsene Hochschulautonomie und die unterschiedliche Politik und Finanzkraft der 16 deutschen Bundesländer gehören. Sie bewirkt, dass nach wie vor ein Akteur für eine bundesstaatliche Bibliothekspolitik fehlt. In dieser Situation wird manchmal die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) als „Knotenlöserin“ apostrophiert. Doch kann die DFG, seitdem sie auf die Förderung allein kurzfristiger Bibliotheksprojekte umgestellt hat, nur den ersten Anstoß für neue langfristige Infrastrukturen geben. In den letzten Jahren ist sogar eine starke Verkleinerung des Fächerkanons der früheren Sondersammelgebiete bei deren Nachfolgern, den Fachinformationsdiensten (FIDs), festzustellen. Eine andere erhoffte neue Infrastruktur erwies sich als nicht realisierbar: Das Fehlen einer gemeinsamen Katalogplattform aller Bibliotheksverbünde bindet weiterhin erhebliche Kapazitäten. Knoche benennt vor diesem Hintergrund die fünf „großen unerledigten Aufgaben auf gesamtstaatlicher Ebene in Deutschland“, für die noch Infrastrukturen fehlen: Überregionale Sammlungspolitik, Archivierung der gedruckten Exemplare, Langzeitarchivierung digitaler Medien, Forschungsdaten sowie ein Zentrum zur Koordinierung überregionaler Infrastrukturen der Bibliotheken (S. 50f.).

In dem folgenden Beitrag „Was zählt und was stört – Zukunftsperspektiven der Bibliothek. Zwischenrufe eines Erfahrungsübersättigten“ (S. 53-69) schließt Klaus Ceynowa (BSB München) an Knoche an, wenn er eingangs darauf hinweist, dass bereits viele Ansätze und kooperative Projekte existieren, um Zukunftsaufgaben anzugehen. Dann verlässt er die Arbeitsebene und betrachtet die Argumente und die Diskurse näher, welche die Bibliotheken im Zusammenhang mit neuen Infrastrukturen vorbrachten und führten. Seine Analyse mündet in ein desillusioniertes Urteil aus den Erfahrungen der letzten Jahre: „Das so oft beschworene und geradezu als ‚Markenkern‘ des deutschen Bibliothekswesens geltende dezidiert kooperative Handeln erweist sich bei näherem Zusehen nur allzu oft als unguter Dreiklang aus Entlastung, Externalisierung und Egalisierung“ (S. 57). Als Beispiel für Entlastung wird das Vorgehen der DFG bei den FIDs angeführt, denn diese müssen nicht mehr umfassend sammeln. Als Beispiel für Externalisierung dient der Beschluss der Deutschen Nationalbibliothek, die intellektuelle Erschließung stark einzuschränken, und als Beispiel für Egalisierung eine Diskussion in der DFG über die Förderung der Langzeitarchivierung. Ceynowa macht an diesen Vorgängen die Existenz negativer Narrative im deutschen Bibliothekswesen fest. Ihnen stellt er „die positiven Narrative, mit denen sich die Zukunftsgestalt der Bibliotheken beschreiben lässt“ (S. 62f.), gegenüber. Diese beziehen sich strikt auf die Sammlungen bzw. auf den „content“ der wissenschaftlichen Bibliothek. Sie werden in Form von vier handlungsleitenden Maximen formuliert: Bibliotheken als Instanzen des Wertens und Auswählens verstehen; Sammlungen in entgrenzten Kultur- und Wissensräumen positionieren; Ent-Textualisierung des Sammlungshandelns gestalten; Technologie als Strategietreiber einsetzen. Vermutlich sind sie bereits handlungsleitend für die Aktivitäten der Bayerischen Staatsbibliothek. Klaus Ceynowa ist davon überzeugt, dass vor allem Forschungsbibliotheken die neuen Narrative nutzen können. Er grenzt ferner, wie man dies auch von Michael Knoche kennt, die Forschungsbibliothek als Bibliothekstyp strikt von der wissenschaftlichen Gebrauchsbibliothek ab. Das Ergebnis seiner „derart fokussierten Entzauberung des Phantasmas von der gleichberechtigten Kooperation aller mit allen zum Wohle des ‚Endnutzers‘“ (S. 68) ist, dass die Forschungsbibliothek als Geberin zentraler Dienstleistungen vorgestellt wird – mit der Folge, dass die meisten anderen Bibliotheken vornehmlich als Abnehmer von deren Diensten zu fungieren hätten. Das läuft auf ein Plädoyer für die große Forschungsbibliothek als alleinigen Leistungsträger neuer Informationsinfrastrukturen im Bibliothekswesen hinaus. Diese vorgeschlagene Neuausrichtung wird sicherlich kontrovers diskutiert werden.

Dietrich Nelle (2015 bis 2017 ZB MED, Köln) schrieb mit „Die Verantwortung wissenschaftlicher Bibliotheken im Zeitalter der Digitalisierung“ (S. 70-92) den dritten grundsätzlichen Beitrag. Er argumentiert nicht von der Bibliotheksarbeit, sondern von der Wissenschaftspolitik her. Unter Verweis auf zahlreiche Planungspapiere aus der Politik und von den Fördereinrichtungen für die Wissenschaft sieht Nelle die zentralen, profilprägenden Arbeitsfelder der kommenden Jahre beim Forschungsdatenmanagement, bei der Sicherung der Datenqualität, bei der digitalen Langzeitarchivierung sowie in der Lehre, beim Coaching zum Aufbau von Informationskompetenz und bei der Nachwuchsförderung für diese Arbeitsfelder. Sein Beitrag fällt durch wiederholte Mahnungen an die Bibliothekswelt auf, sich durch Arbeitsteilung mit Fachwissenschaften und IT-Zentren stärker als bisher mit ihren Kernkompetenzen, etwa zu Metadaten, in die Entwicklung beim Forschungsdatenmanagement einzubringen.

Wolfram Horstmann (SUB Göttingen) fokussiert sich wieder stärker auf das eigentliche Thema der Festschrift. „Zur Rolle von Bibliotheken in digitalen Forschungsinfrastrukturen“ lautet der Titel seiner Überlegungen (S. 93-109). Aufgrund langjähriger Erfahrung in internationalen Gremien erweitert er den Blick auf die internationale Diskussion. Relevante Stichworte hierzu sind die European Open Science Cloud (EOSC), die Initiative CoData, die Research Data Alliance und die Strategie von LIBER (Ligue des Bibliothèques Européennes de Recherche – Association of European Research Libraries), deren drei Ziele bis 2022 Horstmann auch zitiert: innovative Wissenschaftskommunikation befördern, digitale Kompetenzen in die Wissenschaften einbringen, digitale Infrastrukturen aufbauen. Allerdings erleichtern nach seiner Erfahrung die fließenden Fachgrenzen und das Fehlen einer verbindlichen Terminologie zu dem Arbeitsfeld „Digitale Forschungsinfrastrukturen“ die internationale Kommunikation nicht gerade – ganz abgesehen von den Übersetzungsproblemen. Wer wollte oder könnte, um ein Beispiel zu nennen, zwischen analoger und digitaler Forschung eine scharfe Trennlinie ziehen? Ebenso ist es mit den Digital Humanities einerseits und Digital Science auf der anderen Seite. Strikte Trennlinien existieren hier nicht. Aus diesen Gründen existieren kooperative Infrastrukturen in den bekannten vielfältigen, stark ausdifferenzierten und sich teilweise überschneidenden Ausprägungen. Sehr anschaulich ist Horstmanns Vergleich zentraler Begrifflichkeiten aus der Diskussion über digitale Forschungsinfrastrukturen in Deutschland und in der EU (Tabelle 1 auf S. 105). An ihm wird deutlich, dass die in Deutschland angestrebte NFDI ganz auf die Forschungsdaten konzentriert sein soll, während die „Open Science“ in der EOSC offener, nämlich für sämtliche Publikationen aller Wissenschaftsfächer konzipiert wurde. Für die wissenschaftliche Bibliothek birgt die Entwicklung Chancen, aber auch Risiken. Eine wichtige lokale Voraussetzung zum Erfolg ist das Funktionieren der Arbeitsteilung zwischen Bibliothek und Rechenzentrum, die einander ergänzen müssten. Beide Typen von Einrichtungen erfahren das ungeklärte Verhältnis zwischen fachlichen und fachübergreifenden Infrastrukturen nicht selten in mehreren Komplexitätsgraden. Angesichts ständig neuer Wissenschaftsfächer und neuer Methoden formuliert Horstmann sogar die These: „Für Bibliotheken ist die Herausforderung, zwischen fachübergreifenden und fachlichen Infrastrukturen zu vermitteln, größer als die Herausforderung der Digitalisierung selbst“ (S. 107). Als Lösungsansatz verweist er auf den ursprünglichen Auftrag der Bibliotheken, Wissensressourcen für die Wissenschaft zu erschließen und zu managen. Heute geht das mehr denn je nur in enger Abstimmung mit den Forschenden. Die Bibliothek kann diese Personen nach Horstmann durch neue übergreifende – also nichtfachliche – Methoden unterstützen, vielleicht vergleichbar mit den Hilfswissenschaften, die den Geisteswissenschaften zuarbeiten. Ein guter Weg, um Forschende besser über die Leistungen der Bibliotheken zu informieren, sind gemeinsame Projekte.

Die Rahmenbedingungen einer offenen Wissenschaft erörtert ein weiterer Aufsatz einmal grundsätzlich: „Open Science. Kooperation zwischen Bibliothek und Wissenschaft“ von Andreas Degkwitz (UB der HU Berlin, S. 438-446). Der Autor warnt im Hinblick auf das neue „Ökosystem“ von Open Science vor der Illusion, „dass Bibliotheken sich evolutionär in dieses Szenario integrieren“ (S. 441), ohne ihre Angebote und Dienstleistungen zu verändern. Das betrifft etwa den Bestandaufbau dort, wo Publikationsgebühren nicht mehr durch die Bibliothek, sondern von Wissenschaftler/inne/n direkt bezahlt werden. Beim Publizieren können Bibliotheken neue Rollen ausüben, indem sie neue Publikationsformen austesten, den Fachwissenschaftler/inne/n beim Publizieren zuarbeiten, die Sichtbarkeit und Vernetzung der online zugänglichen Forschung verbessern oder zum Forschungsinformationssystem ihrer Institution beitragen. Degkwitz traut es den Bibliotheken zu, durch Nähe zur Forschung in eine Schlüsselposition bei der Unterstützung von Open Science zu gelangen, denn Wissenschaftsunterstützung, Forschung und Forschungskommunikation werden noch enger miteinander verflochten sein.

Auf diese fünf Beiträge, die sich mit grundsätzlichen Aspekten von Informationsinfrastrukturen auseinandersetzen und das breite Spektrum der zu diskutierenden Fragen verdeutlichen, folgen noch 30 weitere Aufsätze. Sie reihen sich ohne gliedernde Elemente aneinander und zeichnen viele Vorhaben nach, die durch Kooperation Infrastrukturen für die Bibliotheksarbeit und häufig auch Dienstleistungen für die Wissenschaft bereitstellen. Dabei wird der Begriff „Informationsinfrastruktur“ so weit ausgedehnt, dass auch viele praktische Beispiele für lokale, regionale, nationale und internationale Kooperationen darunter eingeordnet werden, über die man teilweise an anderer Stelle Näheres lesen konnte.

In einer Reihe von Beiträgen kommen Tätigkeitsfelder zur Sprache, die eng mit der Arbeit von Thomas Bürger verbunden sind. Das gilt etwa für den Masterplan für das Digitalisierungsprogramm zum „Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts“ (VD 17) aus DFG-Mitteln (Beitrag von Thomas Stäcker, UB der TU Darmstadt, S. 131-143), für den Aufbau des Nationalen Zeitungsportals aus DFG-Mitteln (Beitrag von Reinhard Altenhöner, Staatsbibliothek zu Berlin, S. 144-160) und für die Kooperation der Technischen Universitäten in der Gruppe TU9 (Beitrag von Katrin Stump, UB der TU Braunschweig, S. 224-234). Andere Beiträge berichten über eindrucksvolle Kooperationsprojekte der Dresdener Bibliothek, etwa zu community-orientierter freier Software (Beitrag von Achim Bonte über Kitodo, S. 182-192) und zu der Öffnung digitaler Sammlungen für Mitwirkende von außen (Beitrag von Martin Munke, SLUB Dresden, S. 302-316, über das Portal zur Landesgeschichte).

Aus der Fülle von Aufsätzen in einem Sammelband sticht manchmal ein Beitrag hervor, den man nicht erwartet. In diesem Band findet sich ein Text, der keine Informationsinfrastruktur im oben geschilderten Sinn behandelt, aber stattdessen interessante Anregungen zur Funktionsbestimmung einer wissenschaftlichen Bibliothek gibt. Ulrich Johannes Schneider (UB Leipzig) skizziert Überlegungen zum „Lesen als Arbeiten in der Bibliothek“ (S. 277-288). Angesichts der Attraktivität des Arbeitens in Bibliotheksräumen unternimmt er den spannenden Versuch, „die Funktion der Schreibwerkstatt, wie man Leseräume besser nennen sollte“ (S. 278), einmal nicht aus der Sicht der Architekt/inn/en oder des Bibliothekspersonals, sondern von der Situation der Lesenden und Schreibenden her zu betrachten. Dazu ist es unumgänglich, sich mit den Prozessen zu beschäftigen, die sich bei Benutzer/inne/n abspielen, während sie wissenschaftlich lesen und wissenschaftlich schreiben. Zu diesen Themen liegen etwa Erkenntnisse der Lernpsychologie und der Neurowissenschaften vor. Bibliothekarinnen und Bibliothekare sollten, so Schneider, mehr über die Kultur des kollektiven Arbeitens in den Lesesälen in Erfahrung bringen. Fragen hierzu sind etwa: Wie funktioniert die Verarbeitung des rezipierten Wissens durch eigenes Schreiben der Benutzer/innen und durch deren Austausch untereinander? Dabei geht es nicht nur um Lerntypen und um Lerneffizienz. Der Blick richtet sich auch auf die wissenschaftliche Kreativität im Schreibprozess. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht damit jener Bildungsprozess, den die Benutzer/inne/n bei ihrer Arbeit in der wissenschaftlichen Bibliothek durchlaufen. Schneider lässt seinen Vorschlag nicht im leeren Raum stehen, sondern skizziert auch den Nutzen des vorgeschlagenen Wechsels der Blickrichtung. Erst damit werde eine nutzungsbezogene Begründung der wissenschaftlichen Bibliothek möglich, also eine direkt auf die Wissenschaften bezogene Ergänzung zur derzeitigen Erhebung der Nutzungszahlen.

Ulrich Hohoff, Universitätsbibliothek Augsburg

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H1S87-92

2 Deutsche Forschungsgemeinschaft: Förderung von Forschungsinfrastrukturen für die Wissenschaft. Ein Positionspapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn 15.03.2018. Online: <http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/positionspapier_informationsinfrastrukturen.pdf>, Stand: 19.02.2019. Deutscher Bibliotheksverband, Sektion 4: Wissenschaftliche Bibliotheken 2025, Januar 2018. Online: <https://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/Sektionen/sektion4/Publikationen/2018_02_27_WB2025_Endfassung_endg.pdf>, Stand: 19.02.2019. Deutsche Initiative für Netzwerksinformation: Thesen zur Informations- und Kommunikationsstruktur der Zukunft, Mai 2018. Online: <http://doi.org/10.18452/19126>.