Eröffnungsansprache der Vorsitzenden des VDB – Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare e.V.

Konstanze Söllner, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg

Vorbemerkung: Der 107. Deutsche Bibliothekartag in Berlin wurde mit der hier abgedruckten Ansprache von Konstanze Söllner, der Vorsitzenden des VDB – Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare e.V., am Abend des 12. Juni 2018 im Estrel Congress Center eröffnet. Der Berliner Staatssekretär Mark Rackless und der scheidende Präsident der Freien Universität und designierte Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter-André Alt, trugen jeweils ein Grußwort bei. Den Festvortrag hatte die Soziologin Jutta Allmendinger übernommen, die mit nachdenklich machenden Worten die gesellschaftliche Bedeutung von Bibliotheken betonte. Für viele Anregungen und manches Staunen sorgten zwei Blöcke „Minute Madness“, bei der Bibliothekarinnen und Bibliothekare aus dem Berliner Raum in jeweils einer Minute ihre Bibliothek oder ein besonderes Projekt vorstellten. Die Berliner Band „Ruperts Kitchen Orchestra“ umrahmte den Abend musikalisch und begleitete die über 1.000 Gäste auch zum abschließenden Get together auf der Terrasse des Estrel Hotels am Neuköllner Schifffahrtskanal.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren,

ganz schön funky, die Musik von Ruperts Kitchen Orchestra! Es war die schwierigste Entscheidung des Berliner Ortskomitees: Welche Band soll bei der Eröffnung spielen? Erst in der allerletzten Sitzung fiel die Entscheidung: Bibliothekare sind funky, wir brauchen funky Musik bei unserem zentralen Kongress. Mehr davon hören Sie später auch noch im Rahmen des Get together im Anschluss an die Eröffnungsveranstaltung.

Abbildung 1: Ruperts Kitchen Orchestra

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte begrüßen Sie zunächst heute mit mir Herrn Staatssekretär Mark Rackles von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Wir freuen uns, dass Herr Rackles als Staatssekretär für Bildung zu uns sprechen wird. Herzlich willkommen! Ein weiteres Grußwort wird Herr Professor Peter-André Alt sprechen, Präsident der Freien Universität Berlin und ab August Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Seine Anwesenheit ist im Kontext vieler neuer forschungsnaher Dienstleistungen in den Bibliotheken und angesichts der deutschlandweiten Lizenzverhandlungen der Allianz für Wissenschaftsorganisationen für uns besonders bedeutsam. Sehr geehrter Herr Professor Alt, wir heißen Sie auf dem Bibliothekartag sehr herzlich willkommen!

Eine besondere Freude ist es mir, unsere Festrednerin Frau Professor Jutta Allmendinger zu begrüßen. Frau Professor Allmendinger ist Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Frau Professor Allmendinger steht in besonderer Weise für die öffentliche Wirksamkeit von Wissenschaft. Ihre zentralen Forschungsanliegen sind die Weiterentwicklung des Bildungssystems, die Erwerbsbiografien von Frauen und Männern und die Frage nach dem Deutschland, wie es für die kommenden Generationen aussehen soll. Frau Professor Allmendingers Forschungsarbeit passt daher besonders gut zu Bibliotheken als bedeutenden Bildungseinrichtungen, zu Bibliothekarinnen und Bibliothekaren und zum Bibliothekartag. Sehr geehrte Frau Professor Allmendinger, wir freuen uns, dass Sie den Festvortrag halten werden!

Abbildung 2: Professor Dr. Peter-André Alt, Festrednerin Professor Dr. Jutta Allmendinger,

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zu meinem Stichwort vom Beginn zurückkommen – „funky“. Was hat funky Musik mit dem Bibliothekartag zu tun? Funky, das bedeutet flippig, originell, abgefahren. Passt das zu uns? Sind wir, die wir heute in einer Bibliothek arbeiten, nicht wirklich ein wenig merkwürdig, ein wenig abgefahren? Dass sich die beruflichen Aufgaben in den Bibliotheken immer mehr verändern, ist Realität. Die Digitalität der Medien krempelt unsere Arbeitsweisen vollständig um. Dasselbe gilt für den „Megatrend der letzten Jahre“, wie zuletzt die Zeitung „Die Welt“ schrieb. Nämlich den Trend, Bibliotheken als Lern-, Freizeit- und Flirtort aufzusuchen und ganze Tage, sogar Nächte dort zu verbringen. Auch dieser Trend verändert die Bibliotheken nachhaltig.

Wer heute in einer Bibliothek seine berufliche Laufbahn beginnt, trifft auf eine Institution im Umbruch. Es ist schon lange Realität, dass Bibliothekarinnen und Bibliothekare große Mengen an Metadaten managen, statt einzelne Bücher zu katalogisieren und zu etikettieren. Ebenso ist es Realität, dass Bibliotheken den gesamten Lebenszyklus der Information von ihrer Entstehung bis zur koordinierten Langzeitarchivierung begleiten. Das gilt nicht mehr nur für Texte, sondern auch für nichttextuelle Materialien und für Daten. Immer mehr werden Bibliotheken aber auch zu einem Ort für bürgerschaftliches Engagement. Als niedrigschwellige Bildungseinrichtungen und meistbesuchte Kultureinrichtungen in ihren Kommunen stehen sie für Bildungsgerechtigkeit. Es ist deshalb auch Realität, dass wir in den Bibliotheken unterschiedliche Berufe brauchen. Die Bibliothek der Dinge braucht ebenso ausgebildete Spezialisten wie das Lernraummanagement. Die Transformation von Subskriptionszeitschriften hin zum Open Access braucht Spezialisten ebenso wie das Archivieren von Daten aus der Forschung. Labs, Makerspaces und andere Kreativräume entstehen vielerorts in Bibliotheken und brauchen ausgebildete Spezialisten. Dass sich die Aufgaben in den Bibliotheken verändern, ist Realität. Es ist Alltag, dass Bibliothekarinnen und Bibliothekare etwas so Abgefahrenes tun wie beispielsweise mit Schülerinnen und Schülern zu programmieren oder Daten aus der Forschung zu katalogisieren. Wer heute in einer Bibliothek arbeitet, ist zweifellos ziemlich funky!

Diese positive Entwicklung hat auch eine Kehrseite: Die Anforderungen an Bibliotheken sind in den letzten Jahren gestiegen. Viele Bibliotheken sind angesichts des Nutzeransturms inzwischen schlichtweg unterdimensioniert. Unsere Kolleginnen und Kollegen erleben es jedes Semester von neuem: Nicht nur in der Klausuren- und Prüfungszeit sind Arbeitsplätze in der Bibliothek heiß begehrt. Von den Universitäts- und Hochschulbibliotheken weichen viele Studierende in die Stadtbibliothek aus. Umgekehrt streben Schülerinnen und Schüler in die nächstgelegene Universitätsbibliothek. Aber es geht nicht nur um die Zahl, sondern auch um die Qualität der Arbeitsplätze. Kreativräume, Makerspaces und Digital Labs, die als Trainingsräume für digitales Arbeiten in der Bibliothek gebraucht werden, müssen ganz neu eingerichtet werden. Es gibt schon eine ganze Reihe von Leuchtturmprojekten, aber in der Breite sind diese Angebote noch nicht realisiert. Das liegt oft an ganz banalen Gründen, wie etwa dass die Stromanschlüsse nicht ausreichen oder das WLAN. Wenn der Kanzler meiner Universität mich bittet, das vom BMBF geförderte Learning Lab in den Räumen der Universitätsbibliothek einzurichten, dann freue ich mich. Aber es müssen Arbeitsplätze für Studierende dafür weichen, denn die Bibliothek wurde zu einem Zeitpunkt gebaut, als die Universität noch nicht einmal ein Viertel so groß war wie heute. Die Parkscheibe in der Unibibliothek ist inzwischen legendär. Andere Bibliotheken entwickeln Apps, um jeden freien Lernplatz in Echtzeit nachzuweisen. Bibliothekarinnen und Bibliothekare sind Spezialisten darin geworden, den Raummangel zu verwalten.

In dieser Situation besonders hoher Nachfrage brauchen Bibliotheken mehr Unterstützung. Wir beobachten, dass Bibliotheken sich zu einem Hub, einer zentralen Drehscheibe für viele neue Aufgaben ihrer Hochschule oder Kommune entwickeln. Bibliotheken brauchen ebenso wie andere Bildungseinrichtungen die Unterstützung des Bundes, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu bestehen. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass geprüft werden soll, wie der Bund zum Erhalt der vielfältigen Bibliothekslandschaft und ihrer zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung beitragen kann. Diese Zusage muss nun umgesetzt werden.

Abbildung 3: Konstanze Söllner

Außerdem müssen Bibliotheken ihr Personal für die neuen Aufgaben qualifizieren und weiterentwickeln. Hier haben wir eine Riesenbaustelle bei der tariflichen Bezahlung in den Ländern, auch in Berlin. Die Eingruppierungsmerkmale für Bibliothekarinnen und Bibliothekare sind Jahrzehnte alt, sie entsprechen nicht mehr der Berufsrealität. Da muss sich in den Tarifverhandlungen in diesem Sommer jetzt endlich etwas tun! Die Personalverbände BIB und VDB haben deshalb die Tarifpartner nochmals angeschrieben und aufgefordert, die Ungleichheit im Tarifbereich zu beseitigen. Diese gibt es nur in Bibliotheken. Und in Bibliotheken sind in den betroffenen Tarifbereichen 85 % Frauen beschäftigt. Eine solche Ungleichheit ist nicht akzeptabel – und sie schadet den Einrichtungen, die ihre Stellen nicht sachgerecht besetzen können.

Im Bibliothekswesen ist es lange Tradition, Wissen zu teilen. Begonnen hat das im Jahr 1900 mit dem ersten Bibliothekartag. 118 Jahre später heißt unser Motto „offen & vernetzt“. Was kann der Bibliothekartag für unsere Community leisten?

Mehr als 4.000 Beschäftigte aus Bibliotheken sind in diesem Jahr nach Berlin zum Bibliothekartag gekommen, um sich nicht nur in der virtuellen Welt, sondern auch im „Real Life“ zu begegnen und zu vernetzen. In Deutschland sind insgesamt 23.000 Menschen in Bibliotheken beschäftigt. Wenn sich davon jedes Jahr 4.000 beim Bibliothekartag treffen, dann sind das 17 % unserer gesamten Community. Fast ein Fünftel unserer Community trifft sich also auf einer einzigen Veranstaltung. Das ist ganz bestimmt außergewöhnlich, und ich behaupte, dass andere Berufsgruppen eine solche Beteiligung bei einem Kongress nicht erreichen. Der Bibliothekartag spielt deshalb eine zentrale Rolle dabei, unsere bibliothekarische Community zu konstituieren und wie ein Inkubator oder großes Learning Lab weiterzuentwickeln.

Was will der Bibliothekartag für Sie sein? Der Bibliothekartag ist keine Infotainment-Show. Der Bibliothekartag ist auch nicht nur Networking, Kommunikation oder Lobbyarbeit. Wenn die Veranstalter hoffentlich alles richtig gemacht haben, dann ist der Bibliothekartag ein Ort des Lernens und gemeinsamen Arbeitens. Er vermittelt Methodenwissen und stellt Lösungen vor, er gibt Hilfe für den beruflichen Alltag und ermöglicht die Begegnung mit Neuentwicklungen und Innovationen. Im Zentrum des Bibliothekartags steht die Wissensvermittlung. Der Bibliothekartag will die richtigen Leute zusammenbringen, die Experten und den Nachwuchs. Wer während seines Studiums oder seiner Ausbildung unseren zentralen Kongress nicht besuchen konnte, der kommt spätestens in den ersten Berufsjahren hierher. Der Bibliothekartag ist der zentrale Fachkongress für alle, die in Bibliotheken arbeiten. Er schafft eine hohe Qualität der beruflichen Interaktion, weil man hier Kolleginnen und Kollegen mit profundem Fachwissen trifft. Darum schafft der Bibliothekartag es auch, Jahr um Jahr die größte bibliothekarische Community Europas zusammenzubringen, darunter viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie in den nächsten Tagen vom Bibliothekartag twittern oder Bilder hochladen, dann zeigen Sie, dass Sie aus einer großen und für unsere Gesellschaft wichtigen Community kommen: Verwenden Sie nicht nur den Hashtag #bibtag18 vom Bibliothekartag 2018, sondern auch #imalibrarian!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vorbereitung eines so großen Kongresses erfordert einen sehr hohen Einsatz von allen Beteiligten. Von der schwerwiegendsten Entscheidung über die passende Musik einmal abgesehen, müssen nicht nur Hunderte von Einreichungen begutachtet, die Raumvergabe koordiniert, Zusagen und leider auch Absagen formuliert werden. Auch der Einsatzplan für die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer muss zusammengestellt, die Pressearbeit koordiniert und nicht zuletzt auch der Ort für die Kongressparty ausgewählt werden. Neben unserem langjährigen Dienstleister KIT GmbH möchte ich mich im Namen der Verbände ganz besonders herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des Berliner Ortskomitees bedanken. Viele, aber längst nicht alle, die an der Vorbereitung mitgewirkt haben, sehen Sie auf diesem Foto, das im Rahmen einer Ortskomiteesitzung entstanden ist.

Abbildung 4: Ortskomitee Berlin.jpg

Wir danken sehr herzlich den Kolleginnen und Kollegen aus der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, aus der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität, der Universitätsbibliothek der Freien Universität, der Universitätsbibliothek der Technischen Universität, aus den Stadtbibliotheken Berlin-Reinickendorf, der Helene-Nathan-Bibliothek Neukölln, der Bibliothek im Berufsausbildungszentrum Lette-Verein und vielen anderen. Ein besonderer Dank gilt Doreen Grahl von der Universitätsbibliothek der Technischen Universität, die für die Social Media verantwortlich zeichnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn in den nächsten Tagen hier im Estrel alles wie am Schnürchen klappt, dann liegt es an diesen Kolleginnen und Kollegen.

Ich wünsche Ihnen allen nun einen erfolgreichen Kongress – offen und vernetzt – und erkläre hiermit den 107. Deutschen Bibliothekartag für eröffnet.

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2018H4S1-6