Europa - wissenschaftliche Bibliotheken - Open Science Hub

Bibliotheksmitarbeitende aus wissenschaftlichen Bibliotheken in Europa tauschen sich auf der LIBER Jahrestagung in Lille, Frankreich, aus

Interview von Hella Klauser mit Konstanze Söllner

Unter dem Motto „Research Libraries as an Open Science Hub: from Strategy to Action“ kamen vom 04.-06.07.2018 440 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus wissenschaftlichen Bibliotheken in Europa in Lille zur 47. LIBER-Jahrestagung1 zusammen. Die LIBER Open Science Roadmap wurde ebenso vorgestellt wie aktuelle Themen, die in der neuen Strategie2 des europäischen Verbandes festgehalten sind.

Eine der 25 Teilnehmenden aus Deutschland war Konstanze Söllner, Direktorin der Universitätsbibliothek Erlangen – Nürnberg3 und Vorsitzende des VDB.

Hella Klauser, zuständig für den Arbeitsbereich internationale Kooperation im Kompetenznetzwerk für Bibliotheken (knb)4 im Deutschen Bibliotheksverband (dbv), fragte Konstanze Söllner nach den Erfahrungen ihrer ersten LIBER-Konferenzteilnahme.

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1. Frau Söllner, Sie haben zum ersten Mal an der Jahrestagung des europäischen Verbandes für Wissenschaftliche Bibliotheken LIBER teilgenommen, die vom 04.-06.07.2018 in Lille, Frankreich stattgefunden hat – was hat Sie bewogen, sich diesmal für eine Teilnahme zu entscheiden?

Ich wollte gern das umgestaltete Gebäude der Universitätsbibliothek, jetzt „Learning Center Innovation LILLIAD“5, kennenlernen. Außerdem wurde mir die Teilnahme an der LIBER-Tagung von Kolle­ginnen und Kollegen empfohlen. Die Aktivitäten von LIBER beobachte ich schon seit längerer Zeit, auch meine Bibliothek ist Mitglied bei LIBER.

2. „Research Libraries as an Open Science Hub: from Strategy to Action“ lautete das Motto der Konferenz, bei der Umsetzungsmöglichkeiten der neuen LIBER-Strategie im Fokus standen – gab es für Sie als Direktorin der Universitätsbibliothek Erlangen Anknüpfungspunkte für die eigenen Entwicklungen in Ihrer Bibliothek?

Forschungsnahe Dienstleistungen nehmen auch an meiner Bibliothek immer weiter zu. Daher war es für mich besonders interessant, die Angebote anderer europäischer Häuser kennenzulernen. Dabei habe ich festgestellt, dass die inhaltlichen Unterschiede gar nicht so groß sind. Allerdings gibt es gerade beim Forschungsdatenmanagement echte Leuchtturmprojekte, etwa in den Niederlanden, an denen man erkennt, dass wir in Deutschland noch Nachholbedarf haben, insbesondere bei den fachnahen Angeboten.

3. Können Sie ein Thema, einen Diskussionspunkt oder Aspekt aus dem Kongressgeschehen nennen, der Ihnen besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben ist?

Das war natürlich der Launch der nationalen Open-Science-Strategie6 durch die französische Ministerin für Hochschulbildung, Forschung und Innovation, Frédérique Vidal, der eine hohe Wertschätzung für die Arbeit von LIBER ebenso wie für die der französischen Kolleg/innen darstellt.

4. Die LIBER Open Science Roadmap wurde während des Kongresses vorgestellt – ein Thema, das auch Sie im Berufs- und Verbandsalltag beschäftigt?

Ja, das beschäftigt mich sehr. Ich mache die Beobachtung, dass für die deutsche Wissenschaft die Vorteile in der Breite nicht deutlich sind. Das liegt auch daran, dass dieser Prozess in Deutschland immer noch nicht wirklich skaliert. Insofern ist es natürlich eine tolle Erfahrung, die französische Wissenschaftsministerin, eine renommierte Wissenschaftlerin und Hochschulpräsidentin, dabei zu erleben, wie sie der bibliothekarischen Fachöffentlichkeit die nationale Open-Science-Strategie vorstellt.

In der Verbandsarbeit tun wir uns da etwas leichter als die deutsche Wissenschaftspolitik. Mein Verband7 setzt seit vielen Jahren auf Openness, und der Erfolg gibt uns recht. Die Zahl der Einreichungen etwa bei unserer Open-Access-Zeitschrift o-bib ist durchgängig sehr hoch, und es wurde von Anfang an großer Wert auf ein echtes Peer Review gelegt. Ich beobachte, dass es für immer mehr Kolleginnen und Kollegen attraktiv ist, bei o-bib zu publizieren, als Gutachter/in oder Redakteur/in aktiv zu sein. Diese Kenntnisse können sie dann auch unmittelbar in ihrem beruflichen Alltag umsetzen.

5. In Lille waren rund 25 Teilnehmende aus Deutschland – bei 400 Delegierten aus ganz Europa nicht gerade viel. Dazu die fremde, französischsprachige Umgebung, das internationale Flair der Konferenz und die Kongresssprache Englisch – das sind schon einige Herausforderungen! Wie haben Sie diese wahrgenommen, hatten Sie vor der Abreise Bedenken oder Sorgen?

Nein, eigentlich nicht – da wusste ich aber noch nicht, dass am Abreisetag ein Streik der SNCF stattfindet! Ich konnte aber relativ unproblematisch meinen Zug umbuchen. Der einzige Wermutstropfen dabei war, dass ich deutlich eher abreisen musste und die LILLIAD-Führung deshalb versäumt habe.

6. Gab es ein besonderes oder unerwartetes Erlebnis in Lille, das Sie mit uns teilen möchten?

Das ist kein konkretes einzelnes Erlebnis, sondern eine durchgängige Erfahrung: Die inhaltliche Qualität der Vorträge war sehr hoch.

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7. Als Vorsitzende des VDB und somit Mitveranstalterin des jährlichen Bibliothekartags in Deutschland haben Sie den LIBER-Kongress sicher auch aus der Perspektive der Kongressorganisation erlebt – gibt es hier Anregungen und Ideen, die Sie in das Vorbereitungskomitee DBT einbringen möchten?

Die LIBER-Tagung ist sehr viel kleiner als der Bibliothekartag, so dass die Hauptlast der Organisation von den Bibliothekar/innen vor Ort getragen wird. Da kann man bisweilen auch mal ein wenig improvisieren. Ein großes Plus ist sicherlich, wenn man in einer attraktiven neuen Bibliothek tagen kann – so war es zumindest in Lille. Dafür fehlt dann etwas die fachliche Breite. Die Qualitätssicherung bei der LIBER-Tagung ist sehr streng, nur knapp 60% der Einreichungen wurden in diesem Jahr akzeptiert. Dies ist sicherlich ein Moment, das auch beim Bibliothekartag eine Rolle spielen sollte. Ich meine, die Veranstalter und die Gutachter/innen dürfen sich hier noch mehr trauen.

8. Die Konferenzgebühr ist mit rund 450.- EUR nicht gerade gering; hinzukommen Reise- und Aufenthaltskosten – wie konnten Sie diese Reise finanziell stemmen?

Das Weiterbildungsbudget ist an meiner Bibliothek nicht so umfangreich, dass man internationale Konferenzen daraus bezahlen könnte. Auch würde das auf Kosten meiner Mitarbeiter/innen gehen. Leider hilft auch die ERASMUS-Förderung bei Kongressen nicht weiter. Ich hatte den großen Vorzug, dass ich ein Stipendium von Bibliothek & Information International (BII)8 erhalten habe. Das hat bei mir die Teilnahmehürde natürlich deutlich gesenkt, auch wenn das Stipendium nicht alle Kosten decken kann.

9. Würden Sie sagen, dass sich Ihre Teilnahme, vom zeitlichen Aufwand über die finanziellen Ausgaben bis hin zu ‚nutzbaren‘ Erkenntnissen, die Sie mit nach Hause nehmen konnten, gelohnt hat? Können Sie ein oder zwei konkrete Beispiele nennen, die Sie in Ihre Arbeit in Erlangen direkt übertragen können und möchten?

Meine Teilnahme hat sich auf jeden Fall gelohnt. Einerseits konnte ich sehr viel Neues lernen, andererseits aber auch feststellen, dass die Bibliotheken in Europa alle vor denselben Herausforderungen stehen. Mir hat die Tagung dabei geholfen, strategische Überlegungen zur Ausrichtung unserer Bibliothek im Bereich der Digital Humanities und des Forschungsdatenmanagements abzuschließen. Dabei ging es um die Rollenfindung meiner Bibliothek an der Universität. Solche Entscheidungen brauchen sehr viel fachlichen Input, und den hat mir die Tagung gegeben. Ein Vortrag hat meine Wahrnehmung noch einmal zusätzlich geschärft für neue Entwicklungen im Bereich des Single Sign-On. Nach Ansicht der Referent/inn/en geht die Entwicklung weg von der standortbezogenen Autorisierung hin zu persönlicher Autorisierung. Das ist ein Thema, über das in Deutschland fast gar nicht gesprochen wird, obwohl es einschneidende Veränderungen bei der Autorisierung von elektronischen Medien geben könnte, die vor allem von der Verlagsseite getriggert werden. Ich werde in Zukunft noch viel mehr als bisher darauf achten, welche Zugangsoptionen Verlage bieten. Es handelt sich um eine gefährliche Entwicklung, wenn die Autorisierungsmöglichkeiten immer weiter perfektioniert und personalisiert werden, statt vielmehr für offenen Zugang zu sorgen.

10. Haben Sie konkret vom Austausch mit den internationalen Kongressteilnehmenden profitieren können?

Die LIBER-Tagung hält sehr viele Möglichkeiten zum Austausch und Networking bereit. Das geht von den Pausen bis hin zu verschiedenen Social events. Entsprechend kommt man auch mit vielen Kolleg/inn/en unkompliziert ins Gespräch. Ich kenne nun wichtige Ansprechpartner/innen, insbesondere in fachlicher Hinsicht, und schließe nicht aus, dass wir in absehbarer Zeit auch einmal an einem EU-Projekt mitarbeiten können.

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11. Die nächste LIBER Konferenz wird vom 26.-28.06.2019 im Trinity College in Dublin9 stattfinden – werden Sie wieder dabei sein und würden Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in Deutschland empfehlen, ebenfalls als ‚Newcomer‘ dabei zu sein?

Ich werde leider nicht dabei sein, weil es eine Terminkollision gibt, kann aber allen die Teilnahme sehr empfehlen. Bei einer kleineren Tagung muss man natürlich vorher genau schauen, ob das Programm genügend Relevantes für den eigenen Berufsalltag bereithält. Das war in Lille der Fall, und die Tagung hat sehr gut zu meinem aktuellen Weiterbildungsbedarf gepasst. Und für Newcomer gibt es sogar eigene Vernetzungsangebote.

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2018H3S210-214