Library Carpentry – neues Werkstatt-Weiterbildungs­format für Bibliotheken

VDB-Fortbildung in Marburg: Werkzeuge und Konzepte zum praktischen Umgang mit Daten im Berufsalltag

Irritation allenthalben – was hat das Zimmereihandwerk mit Bibliotheksweiterbildungen zu tun? Dahinter verbirgt sich ein Trainingsprogramm der internationalen Non-Profit-Organisationen Software Carpentry1 und Data Carpentry2. Ausgehend von diesem Konzept bietet ein Netzwerk freiwillig Lehrender – Instruktoren bzw. Instruktorinnen genannt – unter Verwendung frei verfügbarer Lehrmaterialien und Programmen spezielle Library-Carpentry-Workshops für den Bibliotheks- und Informationsbereich an. Erstmalig und zur Einführung in Deutschland haben solche Lehrende aus den Universitäten Marburg und Gießen sowie aus der TIB Hannover in Kooperation mit dem VDB-Landesverband Hessen eine zweitägige Fortbildung im Juni 2018 in der Universitätsbibliothek Marburg ausgerichtet. Die Initiative ging vom Nachwuchs aus: Evamaria Krause, Gerald Langhanke und die hessischen Referendare und Referendarinnen überzeugten den VDB von dem Konzept Library Carpentry (LC).

„Eine Einführung in die Programmierung fehlte bisher im Referendariat“3

Das Fehlen von Programmierkenntnissen und Fertigkeiten im Umgang mit Daten erleben Bibliothekarinnen und Bibliothekare im Berufsalltag zunehmend als äußerst nachteilig. Das Erheben, Verwalten und Analysieren von Daten jenseits von gängigen Office-Programmen ist aber Grundlage für neue Dienstleistungen und Nutzungsstudien. In der Aus- und Weiterbildung werden meist nur ansatzweise und theoretisch derartige Kenntnisse vermittelt. Externe Weiterbildungsangebote sind teuer und verlangen ein hohes Maß an Vorkenntnissen. Ziel der Fortbildung im LC-Format war es, grundlegende Kenntnisse zu vermitteln, praktische Fertigkeiten und Selbstvertrauen im Umgang mit Daten und Software Tools zu erlangen.

Den Workshop leiteten fünf Instruktorinnen und Instruktoren: Evamaria Krause, José Alanis, Peer Herholz (Universität Marburg), Katrin Leinweber (TIB Hannover), Christian Krippes (UB Gießen), die von den drei Helfern Christoph Marutschke (ULB Darmstadt), Andreas Morgen (Universität Marburg) und Stefan Beck (UB Marburg) im praktischen Teil unterstützt wurden. 26 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, überwiegend aus der Mitte und dem Norden Deutschlands, bis auf eine Person in wissenschaftlichen Bibliotheken beschäftigt, nahmen am zweitägigen Workshop teil.

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Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiteten mit eigenem Laptop und wurden im Vorlauf instruiert bezüglich der Softwareinstallationen, Accounts und Online-Lehrmaterialien.

Der Workshop startete mit der Anwendung von OpenRefine mit Evamaria Krause. Das Potential des Open-Source-Programms, das zur Bereinigung und Aufbereitung von Daten dient, wurde anhand von Katalogdaten aufgezeigt.

Es schloss sich nach Übungsphasen und Pausen der Einstieg in Python, eine universelle Programmiersprache, an. Das Instruktorenteam Katrin Leinweber, José Alanis und Peer Herholz vermittelte Grundlagen des Programmierens mit Python. Besonders beeindruckt zeigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von den Visualisierungsmöglichkeiten, die Python bietet.

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In der zweiten Hälfte des Workshops standen GitHub und Webscraping im Fokus. Katrin Leinweber (TIB Hannover) stellte GitHub, einen führenden Onlinedienst, der Softwareentwicklungsprojekte durch Filehosting zugänglich macht, vor. GitHub bietet adäquate Möglichkeiten des kollaborativen Programmierens durch die Verwaltung und Versionskontrolle von quelloffener Software. Neben der Versionsverwaltung ist GitHub auch webfähig, z.B. ist die Erstellung von Webseiten für Projekte unaufwändig zu lösen. Dank grafischer Darstellung im Browser lässt sich auch der Entwicklungsprozess von Software-Projekten anschaulich darstellen.

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Grundlagen und Potential des Webscraping wurden von Christian Krippes (UB Gießen) vorgestellt. Gemeinsam „erntete“ man die öffentlich zugänglichen Personendaten der Abgeordneten des Hessischen Landtages durch das Chrome-Plug-in Scraper. Nach der Selektion der Daten auf der Webseite wurden diese extrahiert und zur Weiterverwendung aufbereitet.

„Tolle Nutzungsmöglichkeiten. Beeindruckend, wie man zu Daten kommen kann.“

Die Feedbackrunden während und nach dem Workshop machten deutlich, dass das LC-Format sehr gut angenommen wurde. Geschätzt wurde die anregende und lockere Atmosphäre – begünstigt auch durch die räumlichen Möglichkeiten in der neuen UB Marburg, die dankenswerterweise Gastgeberin des Workshops war. Das Programm erschien inhaltlich sehr umfangreich und bezüglich des Praxisbezuges ausbaufähig. Da das LC-Format von den Impulsen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer lebt, ist eine verstärkte Aktivierung der Interessierten im Vorfeld wünschenswert, um konkrete, eigene Projekte in der Fortbildung zu behandeln.

„Noch besser wäre es gewesen, man hätte einfache typische Use-Cases für Bibliotheken vorgestellt“

Im Anschluss an die Präsenztage besteht das Angebot, sogenannte Follow-up-Sessions zu vereinbaren, um Kenntnisse zu vertiefen und mit den Lehrenden Fragen zu klären.

Die hessischen Referendarinnen und Referendare regten im Nachgang an, solche Grundlagen-Workshops zu Beginn der Ausbildung anzubieten und ausreichend Zeit im Laufe des Referendariats vorzusehen, um Programmierkenntnisse zu vertiefen.

Der Workshop beeindruckte auch in anderer Hinsicht: Alle Lehrenden und Helfer/innen arbeiteten ehrenamtlich und lehnten Honorare ab. Sie nutzen Open-Source-Programme und stellen Lehrmaterialien frei zur Verfügung. Sie sind Teil der Open-Science-Bewegung und vertreten das idealistisch und sympathisch.

Der Marburger Library-Carpentry-Workshop wird am 12./13. November 2018 in Köln4 erneut angeboten. Die Warteliste für Marburg hat eine Wiederauflage zwingend nahegelegt.

Claudia Martin-Konle, UB Gießen, Vorsitzende des VDB-Landesverbands Hessen

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2018H3S162-165

1 <https://software-carpentry.org/>, Stand 10.09.2018

2 <https://librarycarpentry.org/>, Stand 10.09.2018

3 Alle Zitate (Bildunterschriften und Zwischenüberschriften) sind einer Feedbackumfrage entnommen