Neue Konzepte für die Informations-und Literaturversorgung?

Eine Zusammenfassung der Fortbildung „Fachinformationsdienste: Angebote und Perspektiven der überregionalen Informationsversorgung“

Am 12. Oktober 2017 veranstaltete der VDB-Landesverband Bayern in der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg in Erlangen eine ganztägige Fortbildungsveranstaltung zum Thema Fachinformationsdienste für die Wissenschaft.

Die Überraschung war auf Seiten der Wissenschaftlichen Bibliotheken zunächst groß, als die DFG nach vorangegangener Evaluation das seit mehr als sechzig Jahren bestehende System der überregionalen Literaturversorgung in Form der Sondersammelgebiete in drei Etappen, beginnend mit dem Jahr 2014, beendete und durch das Konzept der Fachinformationsdienste für die Wissenschaft ersetzte. Ging diese Neukonzeption doch zugleich mit einem wesentlichen Paradigmenwechsel einher: So sollten die projektorientierten und in enger Kooperation mit der jeweiligen Fachcommunity ausgerichteten Fachinformationsdienste das einheitliche und nach verbindlichen Kriterien aufgebaute System der überregionalen Literaturversorgung ersetzen. Zudem sollte der Fokus zukünftig auf der Entwicklung elektronischer Dienstleistungen liegen, die auch in der Erwerbung den elektronischen Medien Vorrang vor den konventionellen Medien einräumt und sich nunmehr auf den wissenschaftlichen Spitzenbedarf eines Faches konzentriert.

Betraf dieser Umstieg im ersten Jahr des neuen Förderprogramms zunächst einige Geistes- sowie die Sozialwissenschaften, so waren im zweiten Jahr die Naturwissenschaften und im dritten eine große Gruppe geisteswissenschaftlicher und ehemaliger geographisch-regionaler Sondersammelgebiete an der Reihe. Allein mit einer Aktualisierung oder Fortführung bisheriger Erwerbungsprofile war es nicht getan, denn es verlangte nach neuen Konzepten und inhaltlichen Neuausrichtungen, die im engen Austausch mit der jeweiligen Fachwissenschaft erarbeitet wurden. So finden sich vielfach auch neue Partner und Allianzen unter dem Dach eines Fachinformationsdienstes wieder, der jetzt häufig aus der Zusammenarbeit von Bibliothek und einer auf IT und Datenverarbeitung ausgerichteten Informationseinrichtung besteht.

Während die Antragssteller in den ersten beiden Transformationsphasen mangels erfolgreicher „Best-practice-Anträge“ in vielen Fällen erst im zweiten Versuch erfolgreich waren, lag die Förderquote in der dritten Runde durchweg höher. Dennoch gibt es kein allgemeines Erfolgsrezept, da die Begutachtungsprozesse höchst individuell waren und sich daraus disziplinübergreifend keine Empfehlungen für einen erfolgreichen Antrag ableiten ließen.

Diese Bandbreite und Heterogenität der Fachinformationsdienste demonstrierten auch die sieben Beiträge dieses Fortbildungstages. Den Anfang machte Dr. Gregor Horstkemper (BSB München) mit seinem Vortrag „Zwischen Literaturversorgung und Dienstentwicklung: Akzentsetzungen im FID Geschichtswissenschaft.“ Dieser, von der Bayerischen Staatsbibliothek und dem Deutschen Museum gemeinsam getragene Fachinformationsdienst, erörterte die Chancen der FIDs, die in einem gemeinsam mit der Fachcommunity erarbeiteten Informations- und Literaturangebots liegen. Allerdings wurden auch die damit verbundenen Schwierigkeiten thematisiert, die im Falle der Geschichtswissenschaft in der Größe und Heterogenität der Fachdisziplin sowie in deren Interesse an einem vorsorgenden Bestandsaufbau, gerne auch mit gedruckter Literatur, lagen. Auch wurde ein im Rahmen des FID nur auf Wissenschaftler/-innen beschränkter Zugang zu elektronischen Medien als unzureichend erachtet. Alles Aspekte, die der offiziellen DFG-Policy eigentlich widersprechen. So versucht der FID Geschichtswissenschaft, die konkreten Bedürfnisse der Wissenschaft durch folgende Arbeitsschwerpunkte umzusetzen:

  1. Ein weiterhin vorsorgender Bestandsaufbau, der sich bei Zeitschriften allerdings nunmehr auf unikale und singuläre Bestände beschränkt und für Monographien im Rahmen eines inhaltlichen Erwerbungsprofils erfolgt.
  2. Der Abschluss zielgruppenspezifischer FID-Lizenzen des wissenschaftlichen Spitzenbedarfs mit Nutzungskontingenten für Datenbanken und E-Books, der den Bedürfnissen der Historiker nach Interdisziplinarität Rechnung trägt und Zugriff auch für Studierende bietet.
  3. Die Weiterentwicklung des Recherche- und Informationsportals Historicum.net mit fach­spezifischen Einstiegswegen.
  4. Die Etablierung einer deutschen historischen Bibliographie, die gemeinsam mit weiteren Projektpartnern realisiert werden soll sowie
  5. Serviceangebote rund um die Digitalisierung von Quellenbeständen und das elektronische Publizieren.

Thema des zweiten Vortrags von Dr. Martin Faßnacht (UB Tübingen) war „Der neue FID Theologie. Schwerpunkte – Organisation – Neuheiten“. Kumulationspunkt des Fachinformationsdienstes ist der Index Theologicus ixtheo.de, der in Kooperation mit weiteren Bibliotheken, Verlagen und anderen Bibliographien zum zentralen Nachweisinstrument für die Erwerbung und Erschließung theologischer Literatur ausgebaut wird. In diesem Sinne wurde ixtheo.de um zusätzliche Suchfeatures wie eine Bibelstellensuche, die thematische Suche in verschiedenen Sprachen sowie einen Alerting Dienst für neu erschienene Aufsätze erweitert. Darüber hinaus besitzt der FID auch weiterhin eine wichtige Erwerbungskomponente, in dem die UB Tübingen sowohl auf Nutzerwunsch als auch im Sinne der bibliographischen Vollständigkeit des Index Theologicus monographische Literatur im größeren Umfang erwirbt, so dass in diesem Bereich der vorherige Erwerbungsauftrag des Sondersammelgebiets Theologie in die Gegenwart überführt wurde, nun aber ergänzt um die Komponente der elektronischen Medien. Dies schließt auch Nationallizenzen für kleine, fachliche definierte Nutzergruppen ein. Ein zukünftiger Schwerpunkt liegt zudem im Ausbau der elektronischen Services. Dies erfolgt durch eine retrospektive Digitalisierung historischer Werke und den Aufbau von Publikationsdienstleistungen im Rahmen der Zweitveröffentlichung von Aufsätzen in Open Access.

Gänzlich andere Herausforderungen stellen sich dem neuen regionalen FID Osteuropa. So verwies Dr. Gudrun Wirtz (BSB München) in ihrem Beitrag „Neuer Wein in neuen Schläuchen? – Die Dienste der BSB für die Ost-, Ostmittel- und Südosteuropaforschung und ihre Förderung durch die DFG“ auf die konzeptionellen Anforderungen, die sich aus der Integration dreier ehemaliger Sondersammelgebiete in einen Fachinformationsdienst ergeben. Dies betrifft einerseits die komplizierte Verquickung aus regionaler und fachlicher Zuordnung als auch die spezielle Situation der Literatur- und Informationsversorgung in Ost-, Südost- und Ostmitteleuropa, die weiterhin einen vorsorgenden Bestandsaufbau mit primär gedruckter Literatur erfordert. Auf Grund der geringen Angebotsvielfalt sind elektronische Angebote nur begrenzt verfügbar, so dass in diesem Segment eine E-Only-Policy nicht realisiert werden kann. Andererseits erfordert die politische Situation in einigen Staaten Osteuropas die Archivierung relevanter Open-Access-Journals durch den FID, um diese vor Zensur zu bewahren. In diesem Zusammenhang kommt auch der Virtuellen Fachbibliothek „Vifa Ost“ eine besondere Rolle zu, deren Angebote zudem um die Bereiche Elektronisches Publizieren und Retrodigitalisierung ausgebaut werden. Der Ausrichtung auf die neuen Förderrichtlinien der DFG trägt der FID durch eine Profilschärfung im Bestandsaufbau Rechnung. So konnten zwar die Erwerbungsausgaben durch Absprachen mit verschiedenen Spezialbibliotheken reduziert werden, dennoch erfordert die spezielle Situation des osteuropäischen Buchmarktes und der damit verbundenen Erschließungsprobleme einen hohen Eigenanteil der Bibliothek an Erwerbungs- und vor allem Personalmitteln, die eine Betreuung dieses FID finanziell höchst unattraktiv machen.

Einen anderen Ansatz verfolgt hingegen der FID Geowissenschaften der festen Erde (FID Geo), der gemeinsam von der SUB Göttingen und dem Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam betrieben wird. So erläuterte Dr. Norbert Pfurr (SUB Göttingen), dass man sich in diesem Gemeinschaftsprojekt ganz bewusst gegen eine kostenpflichtige Erwerbung von Fachliteratur im FID-Kontext entschieden hat und sich stattdessen in Absprache mit den einschlägigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften auf einen Ausbau der E-Services und den Nachweis von Open-Access-Publikationen konzentriert. Dazu zählen sowohl der elektronische Zugriff auf graue sowie open access verfügbare Literatur im FID-eigenen Repositorium Geo-Leo als auch die Bereitstellung und Archivierung von Forschungsdaten durch das GFZ Potsdam. Weitere Angebote des FID sind die Digitalisierung on Demand für gemeinfreie Werke, institutionelle Serien und Karten sowie die Beratung von Autor/-innen und Wissenschaftler/-innen in allen Fragen rund um das elektronische Publizieren und die Archivierung von Forschungsdaten. Während sich die Beratungsdienstleitungen schon nach kurzer Zeit einer hohen Nachfrage erfreuen, gestaltet sich die Digitalisierung institutioneller Serien und Karten infolge der vorab notwendigen Rechteeinholung schwierig. Wie überhaupt die Kommunikation mit einer aus mehr als 20 Fachgesellschaften bestehenden Fachcommunity besondere Herausforderungen stellt und derzeit im Wesentlichen über eine Mailingliste und Informationen in den Geowissenschaftlichen Mitteilungen (GMIT) und auf Fachtagungen erfolgt.

Mit seinem Vortrag „FID Biodiversitätsforschung – ein FID mit Fokussierung auf bedarfsorientierten Text-Mining“ präsentierte Dr. Gerwin Kasperek (UB Frankfurt a.M.) einen zweiten Fachinformationsdienst aus den Naturwissenschaften. So hatte man nach vorangegangenen Experteninterviews innerhalb der Fachcommunity der Biologie vor allem in der Biodiversitätsforschung einen hohen Informationsbedarf ermittelt und die vier verschiedenen Module Text-Mining, Open Access, Digitalisierung und Literaturerwerbung als die wesentlichen bedarfsorientierten Komponenten des FID identifiziert. Im Mittelpunkt des Text-Mining und der Digitalisierung steht ein Pilotprojekt zur Überführung historischer Textinformationen zum Vorkommen von Tier- und Pflanzenarten des deutschsprachigen Raums in eine Datenbank. Dazu werden die Texte zunächst digitalisiert, deren Daten mittels Software retrievalfähig eingespielt und der Forschung zur Nachnutzung zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Überführung relevanter, von Fachgesellschaften herausgegebener Zeitschriften in Open Access und deren Präsentation auf einer OJS-Plattform. Anders als in den Geowissenschaften spielt jedoch die Erwerbung im FID Biodiversitätsforschung nach wie vor eine wichtige Rolle: Im Abschluss relevanter FID-Lizenzen, in der Bereitstellung von Artikeln aus mehr als 550 Fachzeitschriften sowie im Erwerb monographischer Literatur. Der Austausch mit der Wissenschaft erfolgt mittels Beirat, Workshops und Rundmails an verschiedene Empfängerkreise innerhalb der Fachcommunity. Ob sich der Fachinformationsdienst allerdings in diesem Kontext als „Marke“ etablieren kann, sieht Dr. Kasperek in Anbetracht der internationalen Ausrichtung der Biodiversitätsforschung und der Nischenausrichtung auf den „Spitzenbedarf“ kritisch.

Einen Fachinformationsdienst der ersten Stunde präsentierte Dr. Sebastian Stoppe unter dem Titel „Was sich hinter adlr.link verbirgt: Informationsdienstleistungen und Literaturversorgung für die Kommunikations-, Medien- und Filmwissenschaft.“ Mit ca. 1,3 Mio. Datensätzen ist adlr.link das zentrale Rechercheportal des FID Kommunikations- und Medienwissenschaften und bietet neben Büchern und Zeitschriften auch den Zugriff auf E-Books und zahlreiche audio-visuelle Daten in Form von Bild- und Musikdaten. Seinen Nutzer/-innen bietet adlr.link nach Anlegen eines kostenlosen Nutzerkontos zahlreiche personalisierte Such- und Arbeitsfunktionalitäten, darunter auch die Services eines kostenlosen Kopienversands von Artikeln aus der Datenbank und einer bedarfsorientierten Erwerbung von Monographien und deren Lieferung an den Endnutzer, sofern dieser Titel nicht an der Heimatbibliothek des Bestellers / der Bestellerin zur Verfügung steht. Auch werden Verlagsneuerscheinungen auf Basis eines Approval Plans in die Datenbank integriert und können zur Anschaffung und späteren Direktlieferung vorgeschlagen werden. Darüber hinaus hat der Fachinformationsdienst im Bereich der elektronischen Medien mit dem Abschluss nutzergruppenspezifischer FID-Lizenzen sein Angebot ausgeweitet und auf die Bedürfnisse seiner Fachcommunity ausgereichtet.

Zum Abschluss der Fortbildung erläuterte Dr. Rainer Plappert (UB Erlangen-Nürnberg) mit seinem Vortrag „Zwischen Spitzenbedarf und E-Only-Policy. Der FID Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung und die Bedürfnisse der Fachcommunity.“ Spezifika dieses FID. So nimmt der FID Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung eine Sonderstellung ein, da er von fünf Projektpartnern in vier Institutionen getragen wird. Neben dem hohen administrativen Aufwand stellt auch die Kommunikation mit der zahlenmäßig großen und sehr heterogenen Fachcommunity eine besondere Herausforderung dar. Allerdings verfügt der Fachinformationsdienst mit dem Fachportal Pädagogik über ein bereits seit vielen Jahren etabliertes und in der Fachwelt gut eingeführtes Informations- und Rechercheportal, über welches die zentralen Dienste der bedarfsorientierten Erwerbung und Digitalisierung on Demand bereitgestellt werden. Zugleich wurde im Zuge der Einführung des Fachinformationsdienstes die Recherche nach erziehungswissenschaftlicher Literatur durch die Einbeziehung weiterer Datenlieferanten, wie der Library of Congress und des Bibliothekslieferanten Casalini, verbessert. Diese Datenlieferungen bilden die Grundlage einer bedarfsorientierten Monographienerwerbung der in Deutschland überregional nicht vorhandenen ausländischen Fachliteratur. Darüber hinaus erwirbt der FID die unikale und in den vergangenen Jahren auch tatsächlich nachgefragte Zeitschriftenliteratur und versucht, diese in Form von Nationallizenzen überregional zur Verfügung zu stellen. Die Praxis zeigt jedoch, dass sich das von der DFG propagierte Primat einer E-Only-Policy in einer noch deutlich durch gedruckte Medien bestimmten Angebotsstruktur der Erziehungswissenschaften nur in Ansätzen realisieren lässt.

Die eintägige Fortbildung vereinte eine Reihe ganz unterschiedlicher Fachinformationsdienste mit ihren unterschiedlichen Charakteristika. Dabei wurde deutlich, dass sich das jeweilige Angebotsspektrum als das Ergebnis eines mehr oder minder intensiven Dialogs mit der jeweiligen Fachcommunity präsentiert. Die Bandbreite der Angebote, unter denen die Literaturversorgung nur noch eine von vielen Optionen ist, reicht von Open-Access-Aktivitäten über sehr differenzierte Erwerbungsprofile, erweiterte Suchportale, Data-Mining, Social-Media-Präsenz bis hin zum Forschungsdatenmanagement. Vielen Fachinformationen gemeinsam sind dabei die umfangreichen Serviceangebote rund um das elektronische Publizieren.

In der abschließenden Diskussion war allerdings auch ein Unbehagen spürbar, welches für manche Teilnehmenden mit der Abkehr von einer traditionell langfristigen flächendeckenden Infrastrukturförderung hin zu einer punktuellen und projektorientierten Förderung verbunden ist. Die aktuell fehlende Verstetigung dieser grundlegenden Infrastrukturaufgabe wirft Fragen auf, die auch über die Zukunft dieses FID-Systems entscheiden. Wird es den Fachinformationsdiensten gelingen, sich dauerhaft als Partner der Wissenschaft zu etablieren, werden sie akzeptiert und vor allem, werden ihre Dienstleistungen auch in Anspruch genommen? Gerade in Zeiten, in denen die Kosten-Nutzen-Relation eine immer größere Bedeutung erhält, stellt sich die Frage, in wieweit ein auf den Spitzenbedarf ausgerichteter Dienst sich durch die umfangreiche Nutzung seiner Angebote legitimieren muss. Oder andersherum: Wie wenig Nutzung wird toleriert? Welchen Mehrwert bieten also die von ihnen angebotenen Dienstleistungen, und ist eine Verengung auf den aktuellen Spitzenbedarf der Wissenschaft im Sinne des Aufbaus nachhaltiger Informationsinfrastrukturen wirklich zielführend? Schließlich könnte sich auch für die Träger dieses Systems die Frage stellen, welche Aufgaben den Bibliotheken bei einer Abkehr von einer vornehmlich bestandsorientierten Literaturbeschaffung zukünftig noch in diesem FID-System bleiben. Dies waren nur einige der Fragen, mit denen die Fortbildung in einer regen Diskussion ihr Ende nahm.

Rainer Plappert, UB Erlangen-Nürnberg

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2018H2S208-213