450 Jahre Wissen – Sammeln – Vermitteln : von der Hof- zur Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt : 1567-2017 / herausgegeben von der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt ; Redaktion: Björn Gebert, Andreas Göller, Thomas Hahn, Helge Svenshon, Silvia Uhlemann. – 1. Auflage. – Darmstadt: Justus von Liebig Verlag, 2017. – 385 Seiten. – ISBN 978-3-87390-402-8 : EUR 39.00

Selten hat der Rezensentin die Durchsicht eines zu besprechenden Bandes schon optisch so viel Vergnügen bereitet wie in diesem Fall. Denn bei der Festschrift für die heutige Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt handelt es sich um ein ungewöhnlich liebevoll gestaltetes Buch, das man sich ohne Weiteres als Kandidaten für den Wettbewerb „Die schönsten deutschen Bücher” der Stiftung Buchkunst vorstellen kann. Um nur einige Beispiele für die attraktive Gestaltung des im Justus von Liebig Verlag („Der Darmstädter Kunst- und Kulturverlag”) erschienenen Bandes zu nennen: Auf dem festen, in Schwarz gehaltenen Umschlag werden die Titelangaben (in goldener Schrift) dezent umrahmt von 16 Bibliotheksstempeln aus unterschiedlichen Epochen. Die Haupttitelseite zeigt ein höchst originelles Layout. Auch die Titelseiten der einzelnen Beiträge wurden sehr bewusst gestaltet: Titel und Untertitel sind jeweils vertikal in den zwei Schriftfarben des Bandes (schwarz und braun) gesetzt, horizontal erscheint eine Zeitleiste, und über allem thront eine passende Illustration in Form eines Medaillons. Auch ein Lesebändchen darf natürlich nicht fehlen.

Umso erstaunlicher ist es, dass der umfangreiche Band zu einem sehr moderaten Preis zu haben ist – was vermutlich auch einem Druckzuschuss der Merck’schen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft zu verdanken ist. Beim Blick ins Impressum erfährt man außerdem, dass das Buch in 500 Exemplaren „klimaneutral gedruckt” wurde und dass ab 2. Mai 2018 eine E-Book-Version unter einer Creative-Commons-Lizenz (by-sa) zur Verfügung stehen wird.1 Diesen Doppelpack aus einer hochwertigen, aber dennoch preisgünstigen Printversion und einer nur leicht verzögerten Open-Access-Publikation kann man nur als mustergültig bezeichnen.

Aber nun zum Inhalt der Festschrift! Die obligatorischen Grußworte stammen vom Hessischen Minister für Wissenschaft und Kunst (beginnend mit dem unvermeidlichen Goethe-Zitat vom Kapital, „das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet”), vom Präsidenten der TU Darmstadt, die seit dem Jahr 2000 Trägerin der Bibliothek ist, und schließlich gemeinschaftlich vom scheidenden Bibliotheksdirektor Hans-Georg Nolte-Fischer und seinem Nachfolger Thomas Stäcker. Es folgen über 30 Textbeiträge von meist überschaubarer Länge, verfasst von insgesamt 19 Autorinnen und Autoren, von denen viele an der ULB Darmstadt tätig sind oder waren. Besonders fleißig haben sich Andreas Göller mit acht und Silvia Uhlemann mit fünf Beiträgen beteiligt; sie zeichnen auch für die inhaltliche Konzeption verantwortlich.

Die Beiträge behandeln die Geschichte der ULB Darmstadt und ihrer Vorgängersammlungen bzw. –institutionen in vier großen chronologischen Abschnitten: „Die fürstlichen Bibliotheken in Hessen-Darmstadt” (1567-1790), „Von der Hofbibliothek zur Landesbibliothek” (1790-1917), „Die Hessische Landesbibliothek in bewegten Zeiten” (1917-1948) und schließlich „Von der LHB zur ULB – auf dem Weg in die Zukunft” (1948-2017).

Neben den Texten sind aber auch die Illustrationen von großer Bedeutung. Am Ende jedes Abschnitts steht ein Kapitel „Bibliotheksgeschichte in Bildern” mit jeweils zwölf Doppelseiten, wodurch die Festschrift auch zu einem Bildband wird. Die Verknüpfung zwischen Text und Bildern wird durch Verweisungen auf relevante Abbildungen in der Randkolumne der Textbeiträge (die sich eigenartigerweise nicht am Außen-, sondern am Innenrand der Seiten befindet) hergestellt. Die Abbildungen – überwiegend Faksimiles von Beständen und Dokumenten zur Bibliotheksgeschichte, teilweise auch Fotografien – sind gut ausgewählt und durchwegs von hoher Qualität. Allerdings gestaltet sich die Orientierung darin etwas schwierig: Da sie jeweils die ganze Seite ausfüllen, bleibt kein Platz für eine Beschriftung. Stattdessen findet sich in der Mitte jedes Bildteils eine ausklappbare Doppelseite, die (eingeklappt) „Thumbnails” der Bildtafeln und die zugehörigen Erklärungen zeigt. Man muss also immer zwischen den eigentlichen Abbildungen und der Übersichtsseite hin und her wechseln, was ein bisschen lästig ist. Immerhin gibt es noch eine Dreingabe, wenn man die Doppelseite aufklappt: Dann findet man eine Zeitleiste zum jeweiligen Abschnitt vor, um die sich weitere (kleine) Abbildungen gruppieren. Diese zeigen relevante Personen, Ansichten der Stadt Darmstadt und von Bibliotheksgebäuden sowie zum Zeitabschnitt passende Dokumente aus dem Bestand oder bibliotheksgeschichtliche Zeugnisse.

Die Textbeiträge stellen eine anregende Mischung dar: Teilweise sind es institutionengeschichtliche Überblicksbeiträge (z.B. „Die Hofbibliothek im langen 19. Jahrhundert” oder „Die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek” über den Zeitraum von 1948 bis 1999) oder Beiträge zu einzelnen Aspekten wie z.B. dem engen Verhältnis zwischen der Hofbibliothek und dem Museum im 19. Jahrhundert (die beiden Institutionen teilten sich nicht nur den Standort im Schloss, sondern mehrfach auch dieselbe Leitung). Teilweise werden Personen porträtiert, die in der einen oder anderen Weise für die Bibliothek relevant waren. Als Beispiele dafür seien der Hofkapellmeister Christoph Graupner (1683-1760) genannt, dessen Originalhandschriften in der ULB heute auch digitalisiert betrachtet werden können (S. 54), oder Hanns Wilhelm Eppelsheimer (1890-1972), der 1929 die Leitung der damaligen Landesbibliothek übernahm, aber schon kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme als „national unzuverlässig” entlassen wurde (S. 188). 1945/46 war er nochmals kurz Direktor in Darmstadt, ehe er sein Wirken nach Frankfurt verlagerte. Teilweise stehen Bestandsentwicklungen im Mittelpunkt, etwa die Zuwächse durch die Säkularisation, die schweren Kriegsverluste oder die Erwerbung von Teilen des Archivs des Musikverlags Breitkopf & Härtel. Auch Zimelien werden gewürdigt (Originalausfertigung der Goldenen Bulle, bedeutende Haggadah-Handschrift), darüber hinaus besondere Sammlungen, Bereiche und Dienstleistungen der Bibliothek (z.B. Theatersammlung, Digitalisierungszentrum und Europäisches Dokumentationszentrum).

Dies entspricht dem Konzept der Festschrift, für die – wie es im direktoralen Geleitwort heißt – „nicht versucht werden [sollte], eine Geschichte der Bibliothek zu schreiben, analytisch ihre Entwicklung zu charakterisieren”, sondern vielmehr „nur exemplarisch und auf wenige, wie auch immer ausgewählte Zeitpunkte oder –abschnitte bezogen” einen „Einblick [zu] geben in die Bestände, die Aufgaben und Funktionen der Bibliothek im Laufe und Wandel ihrer Geschichte” (S. 15). Anspruch auf Vollständigkeit besteht also nicht; dennoch entsteht aus den zusammengestellten Texten und Bildern ein recht umfassendes und informatives Bild.

Natürlich ist vieles dabei, womit man gerechnet hatte – etwa eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit der „Bibliothek in der Zeit des Nationalsozialismus” oder eine konzise Darstellung der wichtigsten Darmstädter Entwicklungen seit 1999 („Auf dem Weg in die Gegenwart”) – beide Beiträge stammen aus der Feder von Andreas Göller. Für die jüngere Vergangenheit konstatiert Göller einen „in der Geschichte der Darmstädter Bibliothek bislang einzigartigen Struktur- und Medienwandel”, der u.a. von der Umsetzung einer „umfassenden Organisationsreform” (S. 287) geprägt war. Die bisher eigenständige „Hessische Landes- und Hochschulbibliothek” wurde in die Technische Universität integriert und trägt seit 2004 den Namen „Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt”. Gewürdigt werden u.a. auch die beiden Neubauten in der Stadtmitte und am Standort Lichtwiese sowie die „Causa Darmstadt”, der für das gesamte Bibliothekswesen wichtige Rechtsstreit mit dem Ulmer-Verlag um das Angebot elektronischer Leseplätze (S. 290f.).

Doch die Festschrift verhilft auch zu unerwarteten Erkenntnissen, etwa in dem sehr lesenswerten Beitrag von Verena Kümmel über „Weibliches Wirken in und für die Hof- und Hochschulbibliothek in Darmstadt”. Herausgearbeitet werden hier nicht zuletzt die Folgen einer Heirat für das weibliche Bibliothekspersonal: Nach den Normen der Gesellschaft führte diese unweigerlich zum Ausscheiden aus dem Dienst. So ist es sehr ungewöhnlich, dass die Bibliotheksgehilfin (später Bibliotheksinspektorin) Elisabeth Behaghel, geb. Lauckhard (1883-1958), es als verheiratete Frau auf 33 Dienstjahre brachte (S. 144 mit Anm. 14). Und noch in den 1950er Jahren plädierte der damalige Bibliotheksdirektor dafür, zur Sicherstellung der Personalressourcen den männlichen Bewerbern – sofern „sachlich tauglich” – den Vorzug zu geben (S. 145). Beispielhaft herausheben möchte die Rezensentin auch den Beitrag von Rudolf Nickels über das Patentinformationszentrum, das auf eine seit 1877 geführte Sammlung zurückgeht; dies ist auch das Jahr, das als Beginn des einheitlichen deutschen Patentwesens betrachtet werden kann. Am Beispiel der Darmstädter Patentstelle bietet der Aufsatz einen ausgesprochen nützlichen Überblick über die Geschichte und die Funktionen des Patentinformationswesens insgesamt.

Gemäß dem Geleitwort von Nolte-Fischer und Stäcker soll die Festschrift ihre Inhalte „in möglichst unterhaltsamer Form” vermitteln (S. 15) und „Anregungen geben zum Nachdenken über die Wandelbarkeit auch der heutigen Gegebenheiten, die wir alle allzu selbstverständlich als selbstverständlich betrachten” (S. 16). Auch dies ist nach dem Eindruck der Rezensentin gelungen. Immer wieder stößt man bei der Lektüre auf interessante Details, die besonders im Gedächtnis bleiben. Einige gänzlich subjektiv ausgewählte Beispiele: Einen bedeutenden Bestandszuwachs erhielt die Hofbibliothek durch das Erbe des bekannten Barons Wilhelm Carl Adolf von Hüpsch (1730-1805), der nicht nur ein „manischer Sammler” (S. 107), sondern auch sehr geschäftstüchtig war: „1787 und 1788 verkaufte er dem Herzog Carl Eugen von Württemberg ein Psalterium, das er vorher selbst in drei Teile zerschnitten hatte, um es teurer in Einzelteilen anbieten zu können” (S. 110) – die Rezensentin hat diese Stücke übrigens in Stuttgart schon selbst gesehen.2 In den 1860er Jahren besaß die Hofbibliothek vorbildliche Öffnungszeiten von 28 Stunden pro Woche. Nur 10 % der Ausleihen wurden damals von Nutzerinnen getätigt, „die ohne weitere fachliche oder soziale Differenzierung als ‚Damen‘ aufgeführt wurden” (S. 100). Zum Vergleich: 20 % der Nutzungsvorgänge entfielen auf (männliche) Juristen. Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es einen Bücherversand an auswärtige Nutzer im Land (S. 101). In der 1872 eingerichteten Bibliothek des Darmstädter Polytechnikums (später Technische Hochschule) wurde es den Studierenden genehmigt, „drei Bücher für 14 Tage zu entleihen und diese Leihfrist einmalig zu verlängern”. Ausleihen über die Semesterferien waren nur erlaubt, „wenn in Darmstadt ansässige Bürgen gestellt wurden” (S. 132). Sicher war es jedoch ein Trost für die Studierenden, dass es zwar Mahnungen gab, aber noch keine Säumnisgebühren. Und zuletzt noch ein Blick in das 20. Jahrhundert: „Schon 1963 wurde im Deutschen Rechenzentrum in Darmstadt ein Programmierkurs für Bibliothekare angeboten” (S. 278).

Der Anhang der Festschrift bietet insbesondere ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren, ein Gesamt-Literaturverzeichnis für den Band und eine Liste der Ausstellungen der ULB Darmstadt seit 2002. Hätte man sich hier noch etwas wünschen dürfen, so wäre dies ein Sach-, Personen- und Ortsregister gewesen – dessen Erstellung allerdings einen erheblichen Zusatzaufwand verursacht hätte. Einen gewissen Ausgleich für das fehlende Register bilden die gliedernden Stichwörter in der Randkolumne der Textbeiträge, über die man eine gesuchte Stelle relativ leicht wiederfinden kann.

Die sehr gelungene Festschrift zum 450jährigen Bestehen der Darmstädter Bibliothek(en) zeigt, dass dieser Publikationstyp auch heute noch lebendig ist und seine Berechtigung hat. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ULB Darmstadt (oder wie auch immer sie dann heißen mag) werden sich in 50 Jahren anstrengen müssen, um eine ähnlich gehalt- und qualitätvolle Jubiläumspublikation auf die Beine zu stellen.

Heidrun Wiesenmüller, Hochschule der Medien Stuttgart

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2018H1S67-70