Bestandsgebäude unter Denkmalschutz und mit mehreren Nutzern

Die neue städtische Zentralbibliothek Dresden im Kulturpalast als Planungsaufgabe und als eröffnetes Haus

Roman Rabe, Städtische Bibliotheken Dresden

Zusammenfassung:

Die Städtischen Bibliotheken Dresden haben einen Monat vor dem Bibliothekartag ihre neue Zentralbibliothek eröffnet. Dabei wurden die bisherige Haupt- und Musikbibliothek sowie die Jugendbibliothek (medien@age) zu einer Einrichtung zusammengeführt. Der Dresdner Kulturpalast ist ein Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts erbautes Gebäude der Nachkriegsmoderne, dessen Kern ursprünglich ein Mehrzwecksaal für 2.400 Besucherinnen und Besucher bildete. Auf Grund erheblichen Sanierungsbedarfs entschied sich die Stadt 2008 für einen Umbau mit Ersatz des alten Saals durch einen Konzertsaal und Integration einer Zentralbibliothek einschließlich Verwaltung der Städtischen Bibliotheken Dresden auf insgesamt 7.000 m2 Fläche. Nach einem Realisierungswettbewerb 2009 wurde der Sieger, gmp Architekten, mit der Planung beauftragt. Bezogen auf die Bibliothek verwandelte sich deren Entwurf während eines komplizierten Planungsprozesses deutlich, wobei als Ziele vor allem stringente Raumstrukturen, optimierte Erschließung, gestalterische Einheit und in Summe eine hohe Aufenthalts- und Nutzungsqualität verfolgt wurden. Der Beitrag skizziert von der Vorgeschichte des Gebäudes ausgehend wichtige Aspekte des Konzepts der Zentralbibliothek in ihrer Entwicklung über den Planungszeitraum hinweg bis zur Umsetzung in Raum und Ausstattung. Genauer behandelt er das Thema „Umgang mit knapper Fläche“. Die Einrichtungsplanung wird in Bezug auf das Zusammenspiel der beteiligten Akteure untersucht. Kurz kommt die Kooperation der Mieter im Haus und die Eröffnung zur Sprache.

Summary:

The Dresden Public Libraries opened their new central library one month before the ­Bibliothekartag. The former central library, the music library and the youth library (medien@age) were brought together at one site. The so-called Kulturpalast in Dresden was constructed in the late 1960s. It is a general purpose building of post-war modernism, with a general purpose hall for 2.400 attendants as its core. As the Kulturpalast needed to be considerably restored, the city council decided in 2008 to reconstruct the building. The old hall was to be replaced by a concert hall and the central library (including the library administration) was be to integrated on an area of 7.000 m2. The winner of the competition for the realisation, gmp Achitekten, was tasked with the development. In the course of a complex planning process, the original plans for the library were changed considerably, aiming at a stringent layout of spaces, optimum access, artistic unity and, overall, a high quality for visitors and users. Starting with the back story of the building, the paper explains important aspects of the concept for the central library, its development over the planning phase and its realisation with respect to rooms, facilities and furnishing. One focus is on the question of how to deal with insufficient space. The planning for the furniture is discussed in connection with the interaction of the players involved. The paper also coves the cooperation of the tenants in the building and the opening.

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2017H4S41-51
Autorenidentifikation: Rabe, Roman: GND 1069142743, ORCID:http://orcid.org/0000-0001-8098-7949
Schlagwörter:
Städtische Bibliotheken Dresden, Zentralbibliothek Dresden, Bibliotheksbau

1. Einleitung

Am 29. April 2017 eröffnete im komplett umgebauten Kulturpalast am Altmarkt, also im innersten Kern der Stadt, eine neue Zentralbibliothek für Dresden. Im neuen Objekt sind jetzt die beiden zentralen Einrichtungen der Städtischen Bibliotheken Dresden zu einer Bibliothek vereint, neben der Haupt- und Musikbibliothek auch die medien@age, die Dresdner Jugendbibliothek.

Die Haupt- und Musikbibliothek war in dieser Form selbst erst 1997 mit dem Einzug in das Dresdner World Trade Center, einen großen, 1996 eröffneten Gebäudekomplex mit Büro- und Ladenflächen am Rande der City entstanden, wo sie 3.000 m2 Fläche im 1. und 2. Obergeschoss genutzt hatte. Die nur teilweise barrierefreie Zugänglichkeit, eine unzureichende Belüftung nach diversen Umbauten auf Nachbarflächen sowie fehlende Erweiterungsmöglichkeiten für separate Veranstaltungsräume zwangen die Bibliotheksleitung, sich bereits nach zehn Jahren wieder nach neuen Räumen umzuschauen.

Zu dieser Zeit suchte die Landeshauptstadt einen Nutzer für einen Großteil der Räume im stadteigenen Kulturpalast, dessen Herzstück, ein Mehrzwecksaal mit 2.400 Plätzen, wegen brandschutztechnischer Mängel nur noch eine befristete Betriebserlaubnis bis 2012 besaß und saniert werden musste.

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Der Kulturpalast liegt an der Nordseite des Altmarktes, nur wenige Schritte vom Neumarkt mit der Frauenkirche entfernt. Die Fläche galt schon immer als städtebaulicher Premiumort. In den 50er Jahren, als die Stadtoberen einen sozialistischen Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Innenstadt planten, reklamierten sie sie für ein Haus der sozialistischen Kultur. Das Gebäude, 1967 bis 1969 erbaut, ist ein typisches Werk der Nachkriegsmoderne und des Übergangs zum industriellen Bauen. Zunächst orientierten sich die Entwürfe an der stalinistischen Herrschaftsarchitektur in der Sowjetunion, letztlich setzte sich ein Entwurf durch, der architektonisch mit den modernsten Konzerthäusern jener Jahre in westeuropäischen Großstädten vergleichbar ist, zum Beispiel dem Konzerthaus Rotterdam „De Doelen“ von 1966. Die sozialistische Ideologie wird beim Kulturpalast Dresden nur noch über die Kunst am Bau transportiert. Ein Beispiel ist der Wandfries „Der Weg der Roten Fahne“ an der Westfassade.1

Das Gebäude beherbergte einen Mehrzwecksaal für unverstärkte Orchestermusik und für verstärkte U-Musik. Die Akustik für erstere war unzureichend. Um den Saal herum gab es auf drei Etagen Foyers, Kongress- und Gesellschaftsräume, eine Studiobühne, ein Restaurant, Proben- und Verwaltungsräume. Nach der Wende blieb der Saal in Benutzung. Die Räume um ihn herum wurden zum Teil aufwändig für moderne Kongressanforderungen umgebaut, es gab aber auch zunehmenden Leerstand. Das Gebäude ist 100 m lang und 70 m breit; der Hauptzugang erfolgt von der Südseite, also der Altmarktseite durch fünf Bronzetüren.

2. Die Projektentwicklung

Der Hauptnutzer, die Dresdner Philharmonie, kämpfte seit den 90er Jahren für einen eigenen Konzertsaal. Die Städtischen Bibliotheken suchten seit 2007 nach größeren und modern ausgestatteten neuen Räumen. 2009 beschloss der Stadtrat mit klarer Mehrheit, den Kulturpalast zu sanieren, den Saal durch einen Konzertsaal zu ersetzen, die freien Flächen für die Zentralbibliothek und die Bibliotheksverwaltung umzubauen und auch noch ein Dresdner Kabarett mit eigenem Saal unterzubringen. Um Gegnern des Umbaus keine Angriffsfläche zu bieten, hatten die Autoren der Vorlage das Projekt nur mit einem sehr knappen Budget auszustatten gewagt. 2008 lobte die Stadt den Architektenwettbewerb „Sanierung und Umbau Kulturpalast Dresden“ aus. Kurz vorher waren das Foyer, die Fassaden und die den Saal erschließenden Treppenhäuser unter Denkmalschutz gestellt worden. Und schließlich klagte der noch lebende Architekt, unterstützt von einer Bürgerinitiative, gegen den Abriss des alten Saals. Die Unter-Denkmalschutz-Stellung erhöhte den Kostendruck. Sie sicherte aber auch die Erhaltung hochwertiger architektonischer Details und damit die Erlebbarkeit der Architekturgeschichte am und im Gebäude. Die Klage konnte den Umbau des Saals letztlich nicht verhindern.

3. Wettbewerb und Planung

Der Wettbewerb war ein begrenzt offener baulicher Realisierungswettbewerb mit anschließendem VOF2-Verhandlungsverfahren, den das Büro Gerkan, Marg und Partner (gmp), Hamburg, mit seinem Berliner Büro gewann. Die Jury überzeugte vor allem der sensible Umgang der Entwurfsverfasser mit dem vorgefundenen Gebäude und ihre Gestaltung des Konzertsaals. Für die Bibliothek hatte gmp den logistisch äußerst problematischen Plan, zwei getrennte Gebäudeecken über alle Etagen als öffentlichen Bereich für Bestände und Nutzerplätze auszuweisen. Verführerisch für die Städtischen Bibliotheken war, dass das Erdgeschossfoyer komplett von der Bibliothek, also dem Mieter mit den meisten Besuchern genutzt werden sollte.

Die Planung begann im Januar 2010. Von Anfang an drängte der Bauherr, die Landeshauptstadt und in ihrem Namen das Hochbauamt, immer wieder auf Vereinfachung der Entwürfe. Die Stadt ließ keinen Zweifel daran, dass die Einhaltung des Kostenrahmens für sie oberste Priorität besaß. Die Bibliothek profitierte zunächst davon, denn gmp entwickelte das räumliche Konzept immer konsequenter in die von den Städtischen Bibliotheken gewünschte Richtung: zu einer kompakten Raumgruppe auf möglichst wenigen Etagen. Der Zentralbibliothek wurde schließlich das gesamte 1. und 2. OG zugeordnet, das 2. OG sogar einschließlich Foyer („Die Bildung umarmt die Musik“ titelte eine Zeitung). Dazu addieren sich Lagerflächen im EG und UG, Medienrückgabe und Taschenschränke im EG. Das Foyer im 2. OG kam zuletzt zur Bibliothek, als klar wurde, dass es von ihm aus keine Saalzugänge geben würde. Die Entscheidung brachte eine enorme Verbesserung der Raumsituation. Das Bibliotheksfoyer verkürzt die langen Wege und erlaubte, alle zentralen Funktionen aus den Seitenflügeln herauszunehmen: eine Leselounge, Erstinfo, Anmeldung, Clearing, Rückgabe, Ausleihe, Kasse und die Vormerkregale. Das bedeutete Flächengewinn und eine übersichtliche Ordnung der Funktionen. Bedingung war allerdings eine Doppelnutzung. Das Foyer sollte am Abend den Konzertbesuchern offenstehen, einschließlich eines mobilen Caterings. Zu dieser Offenheit hätte es letztlich keine Alternative gegeben. Die Treppen in einem mehrgeschossigen Foyer unter Denkmalschutz hätten eine Schließung nicht zugelassen. Auf die Anforderungen der Doppelnutzung hin entwickelte gmp bei der Planung der Möbel funktionsgerechte Lösungen: An den Theken ist die relevante Technik angeschraubt bzw. verschließbar, Vorbestellregale werden durch Rollvorhänge geschützt.

Der Umbau begann mit mehr als einem Jahr Verzögerung im Oktober 2013. Eine abgelehnte Förderung durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung hatte die Erstellung eines neuen Finanzplanes erzwungen; der Planer für die technische Gebäudeausrüstung war ausgestiegen und musste ersetzt werden, was Planungsverzug zur Folge hatte; außerdem hing der Baubeginn terminlich am Stadtratsbeschluss für den Doppelhaushalt 2013/14. Beschlossen wurden eine Investitionssumme von 81,5 Mio. Euro sowie 6,0 Mio. Euro für die Ausstattung mit Möbeln und nutzerspezifischer Technik. Der Stadtrat gab in derselben Sitzung auch seine Zustimmung für die Gründung einer stadteigenen Gesellschaft zur Wahrnehmung der Bauherrenfunktion und zur späteren Betreibung des Hauses (sowie von zwei Dresdner Theatern, für die zur selben Zeit neue Spielstätten errichtet wurden).

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Der Umbau umfasste eine komplette Entkernung des Saalraumes, den Einbau eines schmaleren neuen Konzertsaals in das vorhandene Baufenster, den Einbau eines kleineren Kabarett-Saals unter dem Konzertsaal, die Schaffung von zwei internen Treppenräumen für die Verbindung der Bibliotheksetagen, das Entfernen und den Neuaufbau von Trennwänden entsprechend den neuen Bedürfnissen, die Erneuerung der Glasfassaden sowie die komplette Erneuerung der Haustechnik. Das Gebäude wurde weder für die Entkernung noch für den Neuaufbau aufgebrochen, die Baufirmen nutzten ausschließlich definierte Fassadenöffnungen.

Der Termin für die Inbetriebnahme sollte entsprechend dem Planungsstand zu Baubeginn im Oktober 2016 liegen, was eine Bauzeit von drei Jahren bedeutet hätte. Er musste später noch einmal korrigiert werden. Eröffnet wurden das Haus und die Bibliothek für die Dresdner am 29. April 2017. Die Kosten lagen lange Zeit im Rahmen des Stadtratsbeschlusses. Erst als der inzwischen fest geplante Eröffnungstermin ins Wanken geriet, mussten Nachtragsbudgets beschlossen werden. Am Ende werden die Gesamtkosten bei immer noch sehr bescheidenen 105 Mio. Euro liegen. Pro Quadratmeter Nutzfläche sind dann reichlich 10.000 Euro investiert.

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4. Das Bibliothekskonzept

Das bibliothekarische Konzept für die Zentralbibliothek entstand in Vorbereitung auf den Architektenwettbewerb 2008. Im Laufe des Planungs- und Bauprozesses musste es immer wieder veränderten Nutzungsbedingungen in den Ausgangsbibliotheken und Anforderungen aus der Planung angepasst werden: Angestrebt wurden vor allem zwei Dinge:

1. einen Ort zu schaffen, an dem die Menschen sich gern aufhalten (zum Lernen, zum Arbeiten, zum Diskutieren, zum Sehen und Gesehen werden, zum Entspannen), und

2. bessere technische Bedingungen für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen (einschließlich Programmen für Schulklassen und Kindertagesstätten; 800 im Jahr sind geplant).

Die Verantwortlichen der Bibliothek haben innerhalb des Projektes sehr gute klimatische, akustische und Lichtverhältnisse angemahnt, was bei dem geringen Baubudget nicht einfach umzusetzen war. Die Bibliotheksräume hinter den großen Glasfassaden werden über zwei Systeme gekühlt (Kühldecken und Lüftung mit gekühlter Luft) und geheizt (Radiatoren und Lüftung). Die Lüftungsanlage kann die Luft in einer Stunde einmal komplett austauschen. Die Glasfassade besitzt eine Sonnenschutzbeschichtung, die nur geringe Teile des infraroten Lichtes durchlässt. Für die Fassade gibt es eine Verschattung über die komplette Raumhöhe. Die Lux-Zahlen in den Regalbereichen liegen zum Teil etwas unter den Werten nach DIN und Arbeitsschutzrichtlinien, die Ausleuchtung wird aber von den Nutzerinnen und Nutzern sowie den Beschäftigten als sehr gut wahrgenommen. Die Leuchten treten stark zurück, der erleuchtete Raum steht im Vordergrund. Fast alle Tische sind mit Tischleuchten ausgestattet.

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Fast alle öffentlichen Räume haben Akustikdecken, ein textiler Bodenbelag ergänzt die Lärmdämpfung. Der größte Teil der Räume ist 4,50 m hoch. Diese Höhe verleiht den Räumen Wertigkeit, ohne dass der Mensch sich verloren fühlt. Die Raumqualität entsteht aber auch durch die relativ geringe Raumtiefe von 13 bis 15 m und, damit eng verbunden, das viele Tageslicht, das über die Glasfassaden eingetragen die gesamte Tiefe des Raums ausleuchtet. Dazu kommt der Blick auf die Stadt, der leider noch eingeschränkt wird durch die schnell wachsende Neumarktbebauung.

Nachteil der Ringstruktur der Bibliotheksräume sind lange Wege, die anfangs labyrinthartig wahrgenommen werden. Wer einmal den Ring über den Hauptgang abläuft, legt 250 m zurück. Andererseits lässt diese Struktur die Bibliothek beeindruckend groß erscheinen.

5. Einrichtungsplanung

Sehr sorgfältig und in einem langen Prozess wurde die Einrichtung geplant. Beteiligt war am Anfang Schulz Speyer Bibliothekstechnik mit einem Einrichtungskonzept, das zur Prüfung der Frage diente, was auf der Fläche unterzubringen ist. Es sollten 500 hochwertige Nutzerplätze der verschiedensten Art entstehen und trotzdem noch 350.000 Medien Gesamtbestand (minus Absenz) untergebracht werden. Letzteren Wert mussten die Bibliotheksplaner später auf kaum mehr als den Status Quo, also 305.000 Medien, reduzieren. Bei 4.900 m² öffentlicher Fläche, von der überdurchschnittlich viel für die Erschließung der Räume abgeht, war der Spielraum klein. Die Verantwortlichen mussten sich trotz des Verzichts auf Bestandszuwachs zwischen den 500 Nutzerplätzen und DIN-gerechten Bediengangbreiten (min. 1,20 m breit) entscheiden. Sie taten es zugunsten der Nutzerplätze. Die Bediengänge sind nur knapp 1,00 m breit.

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Bei den Sitzmöbeln entstammt kein Stück aus dem Programm eines Bibliotheksausstatters, die Auswahl trafen die Architekten. Alle Tische wurden als Teil eines innenarchitektonischen Gesamtkonzepts von gmp selbst für das Haus entworfen. Die Sofas sind aus einem modularen Produktsystem, für das ein an das Farbkonzept angepasster, überall wiederkehrender Wollstoff spezielle Vorgabe war.

Nur an einer Stelle haben die Bibliotheksverantwortlichen gmp die Gestaltung aus der Hand genommen: bei den individuellen Sitzmöbeln für Kinder und Jugendliche. Hier sollten Innenarchitekten mit einer anderen Handschrift der Strenge der sonstigen Einrichtung etwas Jugendlichen und Kindern Gemäßes entgegensetzen, was sich trotzdem einordnet. Diese Gestaltung wurde separat ausgeschrieben. Sieger des kleinen Wettbewerbs waren die Deutschen Werkstätten Hellerau. Sie blieben beim Material und zum Teil auch bei der Farbe im Rahmen des gmp-Konzepts. Die mit HPL (High Pressure Laminate, ein hochwertiges, widerstandsfähiges Trägermaterial) beschichteten Regalumhausungen bilden die Material- und Farbgrundlage für diese Sitzmöbel. In der Formensprache und der Polsterfarbe heben sie sich aber aus dem gmp-Grundkonzept deutlich heraus.

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Entstanden ist ein glückliches Zusammenspiel zweier Handschriften, für die die Bibliotheksverantwortlichen die notwendige Kommunikation herstellen konnten und dabei selber stets im Spiel blieben. Sie besaßen diese Freiheit nur, weil sie das Budget für die Möbel in ihre Hände gebracht hatten und es trotz großer Probleme mit den Ausschreibungen über die unübliche Schnittstelle Nutzer statt Bauherr nicht aus der Hand gaben. Das kostete viele Nerven, bedeutet eine riesige Verantwortung (Budget und Termine), aber nur dadurch und nur an dieser Stelle hatten sie stets den aktuellsten Informationsstand und damit verbunden echten Einfluss auf das komplette Geschehen. Schwer taten sie sich mit dem Farbkonzept für die Bibliotheksräume, das die Architekten ohne Auftrag an sich zogen. Die Städtischen Bibliotheken hielten sich trotz vorhandener Möglichkeiten zum Intervenieren in der Einflussnahme jedoch zurück. Sie kämpften lediglich um Anthrazit statt des vorgeschlagenen Schwarz für die Metallteile der Regale, übrigens erfolgreich, und sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Den Nutzerinnen und Nutzern präsentiert sich ein zeitloses, klassisches Einrichtungskonzept, dem man auch nach zehn Jahren nicht das Eröffnungsjahr ansehen wird.

6. Zielerreichung

Die Vorstellungen darüber, wie eine Bibliothek als Lern-, Kommunikations-, Identifikations- und Integrationsort aussehen muss, haben sich seit der Ausschreibung des Architektenwettbewerbs 2008 verändert. Daraus ergibt sich die Frage, ob das Ziel, einen Ort zu schaffen, an dem die Menschen sich gern aufhalten, nach heutigen Maßstäben optimal erreicht wurde. Die Verantwortlichen in Dresden konnten nicht auf hohe Flexibilität, auf schnellen Wandel, auf Reserveflächen und Platz für die Nutzer, sich individuell einzurichten, setzen. Sie haben dieses andere Konzept moderner Öffentlicher Bibliotheken, wie es das DOKK 1 in Aarhus,3 die „Bibliothek des Jahres 2016“, besonders ausgeprägt verkörpert, natürlich studiert. Aber die kleine Fläche und das Bestandsgebäude mit seinem festlichen Charakter ließen eine Bibliothek als sich stets wandelnde Werkstatt nicht zu. Die Städtischen Bibliotheken Dresden mussten einen anderen Weg gehen und sind diesen gemeinsam mit den Architekten konsequent gegangen. Die Dresdner Zentralbibliothek folgt der Logik ihres Gebäudes, das Konzept setzt ganz auf Ästhetik, gestalterisch wurde nichts dem Zufall überlassen. gmp hat auch den Technikplanern keine Hässlichkeit durchgehen lassen, so schwierig das zum Teil war. Der beste Beweis sind die Decken: So arm an Gittern, sichtbaren Klappen, Dosen und Rahmen findet man sie in neuen Gebäuden selten. Wir erleben eine zurückhaltende Ästhetik, die den Menschen, den Medien und dem Raum zur Geltung verhilft. Die Zentralbibliothek zwischen den zentralen Märkten der Stadt ist selbst so etwas wie ein überdachter Marktplatz geworden, ein modernes Forum, ein Treffpunkt ohne kommerziellen Hintergrund, vielleicht sogar so etwas wie die gute Stube der Stadt.

Auch das zweite Ziel, bessere technische Bedingungen für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen, ist für die Städtischen Bibliotheken Dresden erfüllt. Es gibt einen asymmetrisch teilbaren Veranstaltungsraum für circa 150 Plätze, mit doppelter Ausstattung an Lautsprecher- und Präsentationstechnik, verdunkelbar, verschattbar, mit dimmbarem Licht. Es gibt einen Schulungsraum mit IT-Ausstattung an jedem Platz und drei Gruppenarbeitsräume. Die Städtischen Bibliotheken haben außerdem über die Kooperation im Haus Zugang zu den Sälen des Kabaretts und der Philharmonie.

7. Kooperation im Haus

Mit den neuen Nachbarn sind die Städtischen Bibliotheken in engem Kontakt, erste gemeinsame Veranstaltungen mit der Philharmonie sind geplant. Ihre Programme begleiten die Kolleginnen und Kollegen des Musikbereichs der Bibliothek mit passender Literatur. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren gegenseitig Gäste bei den Eröffnungsfeiern. Alle hoffen auf eine Durchmischung des Publikums zum Vorteil aller Mieter.

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8. Eröffnung und Betrieb

Die Eröffnung erfolgte praktisch auf einer Baustelle, da Teile des Gebäudes noch nicht fertiggestellt waren und es auch in der Bibliothek selbst noch zahlreiche Provisorien gab. Trotzdem hatte die Zentralbibliothek am Eröffnungswochenende 10.000 Besucherinnen und Besucher und 20.000 Ent­leihungen. Sie bekam viel Lob von ihren Gästen, die sie als Wohlfühlort wahrnehmen.

Im Foyer des 1. OG wird ein Cafe betrieben. Die Foyers als festliche öffentliche Orte mit Blick auf den Altmarkt sind plötzlich Allgemeingut und ganztägig intensiv belebt. Für das Haus entstand die anspruchsvolle Konsequenz einer viel stärkeren Abnutzung. Es wird sich zeigen, wie beides zusammengeht: der öffentliche und der festliche Ort.

Literaturverzeichnis

Klemm, Bettina. Der Dresdner Kulturpalast: Eine Zeitreise von 1969 bis heute. Berlin: Bild und Heimat, 2016.

Kossel, Elmar. Hermann Henselmann und die Moderne: Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR. Königstein im Taunus: Langewiesche Nachfolger Köster, 2013.

1 Vgl. Elmar Kossel, Hermann Henselmann und die Moderne: Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR (Königstein im Taunus: Langewiesche Nachfolger Köster, 2013); Bettina Klemm, Der Dresdner Kulturpalast: Eine Zeitreise von 1969 bis heute (Berlin: Bild und Heimat, 2016).

2 VOF = Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen.

3 DOKK 1, zuletzt geprüft am 11.08.2017, https://dokk1.dk/english.