Strategisch steuern!?

Ein Rückblick auf den Round Table 2017 der Managementkommission im September 2017 an der Hochschule der Medien Stuttgart

Cornelia Vonhof, Hochschule der Medien Stuttgart
(Gemeinsame Managementkommission von VDB und dbv)

„Strategieentwicklung und strategische Planung wird zunehmend auch in der deutschsprachigen Bibliothekscommunity zu einem Thema. Der Blick in die Zukunft der Bibliotheken, bei intensiven Veränderungen, fordert ein planvolles Vorgehen.“ Dies war die Ausgangsthese der Gemeinsamen Managementkommission von VDB und dbv, als sie sich an die Planung des Round Tables 2017 machte.

Belegen lässt sich diese These mit Blick auf die in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum von großen und kleinen Bibliotheken aller Sparten erstellten und veröffentlichten Strategiepapiere. Als Beispiele seien einerseits die Strategien der Deutschen Nationalbibliothek, der Staatsbibliothek zu Berlin oder der ZB MED genannt, andererseits die Projekte zur Entwicklung von Strategien und Zielplanungen im Kontext von Qualitätsmanagementprojekten. Zudem wurden unter der Federführung von Fachstellen viele Bibliothekskonzeptionen von kleinen öffentlichen Bibliotheken erarbeitetet.

Die Beweggründe sind jeweils vor dem Hintergrund der organisationsspezifischen Rahmenbedingungen zu sehen. Gemeinsam ist aber allen Strategieprozessen, dass sie eine Selbstvergewisserung ebenso ermöglichen wie eine kritische Analyse von und Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Umfeld, um daraus Handlungsfelder für die Zukunft abzuleiten.

Dabei folgten die meisten Bibliotheken bisher den klassischen Vorgehensschritten eines Strategieentwicklungsprozesses. Hier setzte nun die zentrale Frage an, die beim Round Table von 40 engagierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz intensiv diskutiert wurde: Machen Pläne, Strategien und Visionen in disruptiven Zeiten noch Sinn? Sind die klassischen Strategieprozesse nicht viel zu langwierig, zu schwerfällig, zu aufwendig? Ist die Strategie nicht längst überholt, wenn sie fertig gestellt wurde und wird sie dann gelebt oder ziert sie nur die Webseiten als mehr oder minder gelungene Selbstdarstellung? Der Round Table fand am 7. September 2017 an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart statt und stand unter dem Motto: „Organisationsentwicklung in unsicheren Zeiten – helfen uns Pläne, Strategien und Visionen?“

Wie bei Round Tables der Managementkommission üblich, wurden zu den formulierten Fragen keine fertigen Konzepte präsentiert, sondern mögliche Lösungs- und Antwortansätze wurden gemeinsam mit den Teilnehmenden diskutiert.

Albert Bilo, Direktor der UB Duisburg-Essen und Mitglied der Managementkommission, setzte mit seinem Einstiegsimpuls den Rahmen. Er zeigte die Notwendigkeit auf, Abschied vom Ideal der plandeterministischen Steuerung zu nehmen, und führte dafür die folgenden Gründe an:

Die Umwelteinflüsse sind nur bedingt durchschaubar.

Die Zukunft ist und bleibt ungewiss.

Organisationen sind komplexe soziale Gebilde, keine trivialen Maschinen.

Organisationen pendeln – trotz aller Reorganisation – gerne zurück in ihre Ausgangslage.

Auch Bibliotheken funktionieren nicht so, wie wir es steuernd erreichen wollen.

Er zeigte aber auch Ansätze dafür auf, wie man mit diesen unbequemen Herausforderungen umgehen kann:

1. Verändern muss gelernt werden; sich permanent neu zu erfinden muss zumindest der Anspruch sein.

2. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören ins Zentrum, um damit die Chance zu erhöhen, die Selbstveränderung zu stärken.

3. Strukturen sollten hinter die Prozesse zurücktreten.

Die unterstützenden Maßnahmen, die Bilo als Hilfestellungen auf dem Veränderungsweg benannte, sind weder neu noch aufregend, sondern vielfach bereits in Bibliotheken erprobt, wirkungsvoll und vor allem auch im Alltag praktikabel. Dazu gehört beispielsweise, Freiräume zum Experimentieren zu eröffnen (z.B. in Projekten), Ideen zuzulassen, Kommunikation und Transparenz zu fördern (z.B. in Foren) und Irritationen zu suchen.

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Diese nachdenkliche Sicht auf die Strategiearbeit in Bibliotheken wurde ergänzt durch den lebendigen Vortrag von Jan Fischbach (Common Sense Team GmbH Karlsruhe). Er stellte die Frage, ob szenariobasierte Planung, die Zukunftsbilder entwickelt und Entwicklungspfade aufzeigt, ein hilfreicher Ansatz auch für Bibliotheken sei. Seine Antwort war – wenig überraschend – ein klares „Ja“! Er leitete dieses „Ja“ sehr gut nachvollziehbar her, indem er die Zuhörerinnen und Zuhörer mit der Methode der szenariobasierten Planung vertraut machte.

Fischbach zeigte auf, dass die Arbeit mit Szenarien nicht heißt, alle Vorstellungen und Erfahrungen, die mit Strategiearbeit verbunden sind, über Bord zu werfen. Vielmehr ermöglicht szenariobasierte Planung eine Weiterentwicklung und Integration verschiedener Ansätze, um diese für das Arbeiten in disruptiven Zeiten zu nutzen. Szenarien erzählen plausible Geschichten über die Zukunft, sie sind Zukunftsbilder inklusive ihrer Entwicklungspfade. Szenarien betrachtet Fischbach daher nicht als Vorhersagen oder Prognosen, sondern als Denk- und Lernwerkzeuge. Sie werden eingesetzt, um Entscheidungen vorzubereiten. Dies erfolgt, indem grundsätzliche Handlungsalternativen identifiziert und daraufhin Strategien entwickelt werden. Die Frage „was wäre wenn?“ schafft einen gedanklichen Spielraum, um sich mit den Möglichkeiten und Herausforderungen der Zukunft auseinanderzusetzen. Als Hauptzweck von Szenarien benannte Fischbach, dass Strategien oder Pläne mit der Frage getestet werden können: Funktionieren sie unter den unterschiedlichen Bedingungen der Szenarien?

Faszinierend für viele der Teilnehmenden war, dass bei der Arbeit mit Szenarien sehr wohl ein rationaler Ansatz zu erkennen ist, indem Zukunftsentwicklungen recherchiert und bewertet werden. Gleichzeitig sind Szenarien jedoch offen für unterschiedliche Entwicklungen (evolutionärer Ansatz). Damit eröffnet die Szenario-Arbeit die Chance, dass eine Organisation als Ganzes ein Gespür für die Herausforderungen der Zukunft entwickelt und dass alle Beteiligten erst nach außen blicken, bevor sie wichtige Entscheidungen treffen.

Szenarien erleichtern die Diskussion über Strategien in der Organisation, ohne zu Kompromissen zu zwingen. Vor allem ermöglichen sie es, dass kritische Situationen im Geiste durchgespielt werden.

Nach den beiden gehaltvollen Inputs hatten die Teilnehmenden am Nachmittag die Möglichkeit, in einem World-Café-Format folgende Fragestellungen zu diskutieren und die Vorträge nochmals kritisch zu beleuchten:

Ist Strategieentwicklung überhaupt relevant in Zeiten starker Veränderung? Welche Alternativen gäbe es dazu?

Welche Vorgehensweise bei der Strategieentwicklung ist vorteilhaft? Ist szenariobasierte Planung für Bibliotheken geeignet?

Ist Strategieentwicklung zu stark führungs- oder bibliothekszentriert? Wie werden Mitarbeitende oder externe Stakeholder miteinbezogen?

Wie bringt man die Strategie in das Leben der Organisation?

Der intensive Erfahrungsaustausch im World Café produzierte für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Merkposten und Anregungen, um für sich jeweils neu die Bedeutung von Strategiebildungen einzuordnen und mit neuen Ansätzen den Heimweg anzutreten. Die Arbeitsatmosphäre in den wunderschönen Räumen der HdM und der vom HdM-Team geschaffene angenehme Rahmen trugen zudem dazu bei, in einer vergleichsweise großen Gruppe intensiv und unter guter Beteiligung aller Teilnehmenden zu arbeiten. Die Rückmeldungen zur Veranstaltung bestärken die Kommission in ihrer Absicht, auch weiterhin den Beitrag neuer Managementmethoden zur Organisationsentwicklung in den Blick zu nehmen.

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2017H4S257-260