Rechtliche Aspekte der Provenienzforschung in Bibliotheken

Bernd Juraschko, Duale Hochschule Baden-Württemberg Lörrach

Zusammenfassung:

Die Verfügungsbefugnis über die in einer Bibliothek befindlichen Medien gehört zu den grundlegenden Voraussetzungen, damit bibliothekarische Dienstleistungen angeboten werden können. Gleichzeitig stehen Bibliotheken im Lichte der Öffentlichkeit, was einen klaren und sicheren Umgang mit der Herkunft der Medien erfordert. Ist die Herkunft oder die Zuordnung der Medien nicht sicher oder erfolgte ein vorhergehender Erwerb durch eine Unrechtshandlung, so sollte über das Instrument der Provenienzforschung und nachgelagerter Handlungen ein sachgerechter Umgang erfolgen. Ein zentraler Wegbereiter für die Entwicklung der Provenienzforschung war und ist die Diskussion um die NS-Raubkunst. Ein weiterer Anlass ist die Entziehung von Kulturgütern in der SBZ bzw. DDR. Auch weniger spektakuläre Umstände – wie fehlende Unterlagen – lassen einen Nachforschungsbedarf entstehen. Der Beitrag beschäftigt sich aus juristischer Sicht mit der Provenienzforschung.

Summary:

The power of disposal over the library media is a basic requirement for libraries to offer their services. At the same time, libraries are in the public eye and need to treat the provenience of their media openly and reliably. If the history of a media item is unknown or the former acquisition was illegal, the issue should be properly handled by provenience research and subsequent actions. Provenience research has been pioneered by the discussion of the Nazi-looted art. Another catalyst for provenience research was the looted art in the Soviet Zone and German Democratic Republic. But also less spectacular circumstances like missing documentaries can make provenience research necessary. The present article covers provenience research from the legal point of view.

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/2017H4S211-220
Autorenidentifikation: Juraschko, Bernd: GND 1024180212
Schlagwörter: Bibliothek; Bibliotheksrecht; Provenienzforschung

1. Einleitung

Mit der Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung hat sich Deutschland zu einer aktiven Aufarbeitung von NS-Raubgut verpflichtet. Die Aufgaben der Provenienzforschung reichen jedoch darüber hinaus. Denn es warten weitere Altfälle aus den Hinterlassenschaften der DDR. Betroffen hiervon sind öffentliche Sammlungen wie Bibliotheken. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der rechtlichen und rechtsethischen Einordnung und Bewertung dieser Fälle.

2. Besitz- und Eigentumsverhältnisse in Bibliotheken

Im Zivilrecht in Deutschland wird zwischen Eigentum und Besitz unterschieden. Eigentum bedeutet unbeschränkte Sachherrschaft über eine Sache, d.h. im Rahmen der Gesetze das Recht, nach Belieben mit ihr verfahren zu dürfen. Besitz ist dagegen gemäß § 854 BGB lediglich die tatsächliche Herrschaft einer Person über eine Sache. Somit können Eigentümer und Besitzer eines Buches verschiedene Personen sein. Ein Musterbeispiel für das Auseinanderfallen von Besitzer und Eigentümer bietet der Vorgang der Ausleihe. Hierbei bleibt die Bibliothek bzw. deren Rechtsträger weiterhin Eigentümer des Mediums, während der Bibliothekskunde Besitzer des Bibliotheksbuches wird, welches bei ihm zu Hause liegt. Der Leihvertrag stellt die Rechtsgrundlage dar, der zufolge der Bibliothekskunde ein Recht zum Besitz des Buches hat. In den für die Provenienzforschung einschlägigen Fällen verhält es sich entgegengesetzt: Hier ist die Bibliothek bzw. deren rechtsfähige Trägerorganisation Besitzerin eines Mediums, ohne Eigentum an diesem zu haben. Eigentümer ist eine andere Person. Allerdings besteht zwischen der besitzenden Bibliothek und dem Eigentümer keine rechtlich gültige Vereinbarung, welche der Bibliothek ein Recht zum Besitz gibt. Indem sie dazu beiträgt, bestehende Informationslücken zur Herkunft des Mediums zu schließen, bildet die Provenienzforschung die Grundlage dafür, entweder dem Eigentümer seine volle Sachherrschaft an dem Medium wieder zu verschaffen oder eine Vereinbarung zwischen der bisher rechtsgrundlosen besitzenden Bibliothek und dem Eigentümer herbeizuführen. Damit dient die Provenienzforschung der Verwirklichung des Rechtsfriedens.

Eigentum besteht immer an der einzelnen Sache, d.h. am einzelnen Medium. Eine Sachgesamtheit, wie der vollständige schriftliche Nachlass eines berühmten Forschers, kann wissenschaftlich und ökonomisch einen höheren Wert haben als die reine Summe der einzelnen Medien. Aus Rationalisierungsgründen kann bei Überprüfungen oder Verhandlungen auch weiterhin eine Summierung der Medien oder eine Unterteilung in Gruppen vorgenommen werden. Rechtlich ist jedoch jedes Medium einzeln zu betrachten. Dies erlaubt bei geltend gemachten Restitutionsansprüchen eine Aufteilung der Medien und damit auch eine Kompromisslösung. Eine solche kann geboten sein, wenn die Beweislage z.B. wegen eines nur zeitweise verwendeten Exlibris in einer Büchersammlung nicht einheitlich ist.

Befindet sich ein Medium in einer Bibliothek, so gilt die Vermutung, dass dem Rechtsträger der Bibliothek auch die darin enthaltenen Medien als Eigentum gehören. Dies ergibt sich aus § 1006 BGB. Der Gesetzgeber hatte bei dieser Regelung den Wunsch, die Zuordnungsverhältnisse für den Alltag möglichst einfach und übersichtlich zu gestalten. Um im Falle einer Leihe genau diese Vermutung zugunsten des Entleihers nicht aufkommen zu lassen, werden Medien mit dem Eigentumsstempel der Bibliothek versehen. § 1006 Abs. 1 BGB kennt ferner eine Ausnahme von der Rechtsscheinwirkung. So gilt die Vermutung nicht gegenüber dem Alteigentümer, wenn diesem die Sache abhandengekommen war. Dies betrifft auch die Fälle von nicht rechtmäßigen Enteignungen. Damit gilt bei einem entsprechenden Buch die Bibliothek gegenüber dem Alteigentümer bzw. gegenüber seinen Erben nicht als Eigentümer. Gegenüber allen anderen Personen, z.B. Bibliotheksbenutzern, gilt die Bibliothek dagegen als Eigentümerin.

3. Diskussionen um die NS-Raubkunst als Katalysator der Provenienzforschung

Wenngleich es die Provenienzforschung als Teildisziplin der Geschichte bzw. Kunstgeschichte seit langem gibt, so hat sie durch die Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung1 durch 44 Staaten erheblich an Bedeutung gewonnen. In der Erklärung verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten wie Deutschland und Österreich, Gegenstände, die durch rassistisch motivierte Beschlagnahmungen in der Zeit des Nationalsozialismus den Eigentümern entwendet worden waren, in den Beständen öffentlicher Sammlungen ausfindig zu machen und den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben oder für einen gerechten Ausgleich zu sorgen. Die Provenienzforschung wurde lange Zeit nur rudimentär wahrgenommen. Im Rahmen der Aufarbeitung des NS-Unrechts gelangte sie zu einer deutlich höheren Bekanntheit in der Öffentlichkeit.

Die Thematik der Rückgabe bzw. Zuordnung von Eigentum stellt sich bei der Aufarbeitung aller flächendeckenden Beschlagnahmehandlungen auf Grund ideologischer Vorstellungen. Bei der Untersuchung der Frage, inwieweit die Argumentation aus der Diskussion um die NS-Raubkunst auf andere Restitutionsfälle, z.B. DDR-Altfälle, übertragbar ist, geht es nicht um eine Gegenüberstellung von NS-Unrecht und DDR-Unrecht. Maßstab ist nicht der eines Unrechtssystems, sondern das Abweichen eines Unrechtssystems von den rechtsstaatlichen Vorstellungen der Bundesrepublik Deutschland.

Enteignungen sind nach bundesdeutschen Recht auf Basis von Art. 14 Abs. 3 GG möglich. Erforderlich ist hier ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit gegenüber dem Interesse des Eigentümers. Zudem ist der Eigentümer zwingend zu entschädigen. Dagegen erfolgte bei den Enteignungen in der SBZ und in der DDR gerade keine Entschädigung.

Auch wenn das strafrechtliche Sanktionensystem der Bundesrepublik Deutschland den Vermögens­einzug nicht kennt und nur eine Abschöpfung von Gewinnen aus einer Rechtsverletzung wie in § 73 StGB zulässt, so ist der Gedanke, dass die alleinige Sanktion der Gewinnabschöpfung mit dem Grundgesetz völlig unvereinbar wäre, unter Würdigung von Grundrechten nicht abwegig. Wesentlich ist hierbei aber der Anknüpfungspunkt: Sanktion für ein zuvor begangenes Unrecht. Kein zulässiger Anknüpfungspunkt sind Kriterien wie Religionszugehörigkeit, Abstammung oder die politische Überzeugung. Entscheidungen nach ausländischem Recht sind ausnahmsweise dann nicht anzuwenden, wenn sie wesentlichen Grundsätzen des inländischen Rechts widersprechen. Dies ergibt sich aus dem sogenannten Ordre public, geregelt u.a. in Art. 6 EGBGB, und aus der Interpretation von Art. 14 GG.

Wird ein Rechtssystem durch ein anderes abgelöst, so kommen zwei grundsätzlich verschiedene Wege in Betracht. Zum einen kann beim Übergang gleichzeitig eine Aufhebung aller bisheriger rechtlicher Regelungen erfolgen, sofern deren weitere Gültigkeit nicht ausdrücklich bestätigt wird, zum anderen können die bisherigen Rechtsregeln generell weiter in Kraft bleiben, soweit keine neue gegenteilige Regelung beschlossen wurde. In Reinform werden diese beiden Wege selten praktiziert. Sowohl beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland in der Nachkriegszeit als auch bei der Wiedervereinigung wurde überwiegend der erste Weg gewählt. Eine Abschwächung dieses Prinzips erfolgte dadurch, dass für die Bundesrepublik vorkonstitutionelles Recht gem. Art. 123 Abs. 1 GG fortbesteht und nach dem Anhang II zum Einigungsvertrag DDR-Recht in vielen Fällen gültig bleibt.

Neben der Enteignung durch staatlichen Rechtsakt kann die Entziehung von Besitz und Eigentum durch scheinbar legale Geschäfte von Privatpersonen an den Staat oder an staatsnahe Personen erfolgen. Dadurch werden inhaltlich gleichermaßen schlechte Alternativen auch gleichbehandelt. So ist beispielsweise der Verkauf bzw. die Übertragung von Hausratsgegenständen und Immobilien nicht ungewöhnlich, wenn eine Auswanderung angestrebt wird. Die Veräußerung ist kritisch zu sehen, wenn der Verkaufspreis ungewöhnlich niedrig ist oder der Verkauf nur deshalb erfolgt, um eine staatliche Genehmigung für die Ausreise zu erhalten. Die Annahme, dass eine Notlage ausgenutzt wurde, ist daher zu bejahen, wenn die Grenze des Wuchers gemäß § 138 Abs. 2 BGB erreicht wurde. Die Norm des § 138 BGB besteht seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches.2 Ferner war das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in der DDR bis zur Ablösung durch das Zivilgesetzbuch (ZGB) im Jahre 1975 in Kraft.

4. Umfang der Nachforschungspflicht – zumutbar und angemessen

Die Washingtoner Prinzipien enthalten eine Einigung der Unterzeichnerstaaten auf Grundsätze. 3 Diese werden unter Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Rechtssysteme als nicht bindend bezeichnet. Soweit jedoch eine Umsetzung in nationales Recht erfolgt ist, kommt ihnen eine Bedeutung bei der Auslegung von einzelnen nationalen Normen zu. Die Intention der Washingtoner Prinzipien ist eine progressive, auf aktive Herbeiführung der Restitution gerichtete. Dies bedeutet die Schaffung und Gewährleistung der entsprechenden Infrastruktur und der Bereitstellung von Personal. Hinsichtlich des Umfangs der aktiven Herbeiführung der Restitutionsfälle bestehen notwendigerweise Spielräume. Denn die Fälle sind unterschiedlich gelagert bzw. es stehen unterschiedliche Nachweismöglichkeiten zur Verfügung. Daher ist neben einer aktiven Ermittlung auch ein zentraler Aufruf an Angehörige, sich zu melden, eine gängige und zulässige Methode. Lediglich eine Beschränkung allein auf einen solchen Meldeaufruf wäre zu wenig und würde hinter dem Ziel des Washingtoner Abkommens zurückbleiben.

5. Ethische Aspekte

Während das Recht die Beziehung bzw. das Handeln der einzelnen Akteure weitgehend neutral, nüchtern, gegebenenfalls sogar steril beschreibt, stehen hinter den Historien der einzelnen gegenständlich betroffenen Medien regelmäßig dramatische Ereignisse. Zusätzlich zu den teilweise vorhandenen materiellen Werten verkörpern die Medien Erinnerungen an eigene Erlebnisse oder an Angehörige und die damit verbundenen Schicksale. Daher haben die betroffenen Medien einen hohen emotionalen Wert, der im Gesamtkontext zu berücksichtigen ist.

Zu beachten ist, dass objektiv gleichen Handlungen eine sehr unterschiedliche Motivation zu Grunde liegen kann. Ein Beispiel hierfür ist das Profitstreben eines Plünderers, der sich wertvolle Schriften angeeignet hat. Die gleiche Handlung kann auch der Rettung von Kulturschätzen unter Lebensgefahr dienen. So wurden beispielsweise zahlreiche Werke der Bibliothek von Timbuktu gerettet.4 Ähnlich wurden auch in der NS-Zeit und in den Nachkriegsjahren Sammlungen aus reinem Erhaltungsinteresse vor der Vernichtung bewahrt. Das Sachenrecht des BGB nimmt hier keinen Unterschied bei der Motivationslage hinsichtlich des Besitzstandes vor. Ebenso ist es nicht immer möglich, die Umstände des Besitzwechsels bzw. der dahinterstehenden Motivationslage vollständig aufzuklären. In einer solchen Lage bieten sich konsensorientierte Verfahren wie Mediation oder außergerichtliche Vergleichsverhandlungen zur Regulierung an. Bei einer Mediation handelt es sich um ein strukturiertes, freiwilliges Verfahren zur Beilegung eines Konflikts. Ziel dabei ist eine gemeinsame Vereinbarung zwischen den beteiligten Parteien, die Bedürfnisse und Interessen aller Betroffenen berücksichtigt.

6. Dauerhafte Lösungen – Emotionale Bindung – Rechtsfrieden

Eine Lösung herbeizuführen, heißt, die Zielkonflikte der verschiedenen Ideale zum Ausgleich zu bringen. Pauschalisierende Regelungen sprechen für eine Gleichbehandlung, vereinfachen und beschleunigen die Herbeiführung von Lösungen. Dagegen kommt eine Einzelfallbetrachtung den jeweiligen Umständen und Interessen näher, ist jedoch arbeits- und zeitaufwendiger.

Im Hinblick auf den in vielen Fällen der Provenienzforschung bestehenden bedeutsamen historischen Hintergrund ist eine friedliche Einigung der Königsweg. Einen Anspruch auf Herausgabe von Medien zu haben bedeutet nicht, dass der Eigentümer diesen Weg beschreiten muss. Neben den Extrempositionen der vollständigen Rückgabe oder des vollständigen Verbleibs der Medien bzw. der Bestände in einer Bibliothek sind auch andere Lösungen denkbar. Hierzu gehört beispielsweise die klassische Lösung der Erstattung des Werts durch eine Ausgleichszahlung. Weitere Lösungen können, wenn die betreffenden Medien im Bestand der Bibliothek belassen werden, ihre Kennzeichnung durch Katalogeinträge, Hinweise auf einer Webseite oder die Präsentation der Objekte in Verbindung mit einer Gedenktafel sein. Daraus ergibt sich eine größere Publikumswirkung, als wenn die Medien einmalig zurückgegeben werden. Eine Zwischenlöschung ist auch das Belassen der Medien in der Bibliothek als Dauerleihgabe. Hier wird sowohl dem Interesse auf Anerkennung des begangenen Unrechts und der Eigentumslage als auch dem Interesse der Bibliothek auf Fortführung der Sammlung Rechnung getragen. Juristisches Instrument und Grundlage einer rechtssicheren Lösung ist eine entsprechende Vertragsgestaltung. Teilweise sind in der Vergangenheit rechtlich relevante Handlungen erfolgt, die zu bewerten sind. In den Fällen, in denen sich jemand um den Erhalt der betroffenen Medien gekümmert hat, wäre es unbillig, ihn auf die gleiche Stufe mit jemandem zu stellen, der sich lediglich bereichern wollte. Für solche Fälle bietet das Recht die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) an. Sie ist in den §§ 677 ff. BGB geregelt und gibt dem Geschäftsführer z.B. einen Anspruch auf Kostenerstattung. Die GoA bietet sich auch als Kompromissformel an, wenn es darum geht, einen nicht weiter aufklärbaren Sachverhalt hinsichtlich der Folgen zukunftsorientiert zu regeln.

Das Sachenrecht des BGB stellt eine ganze Reihe von Regelungen für den Umgang von Restitutionsansprüchen zur Verfügung. Dennoch bleiben hierbei weiter regelungsbedürftige Fragen offen oder die zur Verfügung gestellten Mechanismen führen nicht immer effizient zum interessengerechten Ergebnis. Eine wichtige und häufige Fragestellung ist das Thema der Mediennutzung bis zu einer Umsetzung des Restitutionsfalls. In Betracht kommt hier die Einordnung der betroffenen Medien als Dokumente der Zeitgeschichte. Bei Abbildungen gibt es hier nach dem Kunsturhebergesetz (KUG) in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine spezielle Regelung. Eingriffe in die Rechte von dargestellten Personen werden danach in einem größeren Umfang gestattet. Hierdurch wird dem nachvollziehbaren Interesse der Öffentlichkeit an der Darstellung und gesellschaftlichen Aufarbeitung Rechnung getragen. Dieselbe Interessenlage liegt vor, wenn es um die Aufarbeitung von Restitutionsfällen geht. Hat sich der eigentliche Eigentümer bzw. haben sich dessen Erben noch nicht dazu geäußert, wie mit den betroffenen Medien verfahren werden soll, steht auch die Antwort auf die Frage aus, wie die Bibliothek mit den Medien in der Zwischenzeit verfahren kann. Für die Anwendung von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG analog fehlt derzeit eine Begründung, es besteht insoweit eine Regelungslücke. Der Wunsch nach einer fortdauernden Nutzung der betroffenen Medien lässt die Ausfüllungsbedürftigkeit der Regelungslücke deutlich werden. Im Hinblick auf die Nutzung einer Abbildung im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG besteht eine vergleichbare Interessenlage. Es stehen ferner keine wesentlichen anderen Interessen entgegen. Eine Regelung durch den Gesetzgeber wäre hier angebracht. Vorerst ist eine Berufung auf § 23 KUG analog als Rechtfertigung der Verwendung im Rahmen der üblichen bibliothekarischen Nutzung denkbar. Die Rechtfertigungsgründe sind anerkanntermaßen nicht abschließend definiert. Ausgeschlossen wäre jedoch eine Aussonderung von Medien zum Zwecke der Veräußerung bzw. der Vernichtung.

Der Begriff „Raubkunst“ hatte seine Berechtigung, um das Thema der unrechtmäßigen Enteignungen in den Blickpunkt zu rücken. Mittelfristig wird eine Versachlichung der Thematik bei gleichzeitiger Würdigung der emotionalen Umstände hilfreicher sein, um dauerhafte und für alle Seiten tragbare Lösungen zu finden.

7. Zersplitterte Rechtslage in Deutschland – Vorbild Österreich

Die Rechtslage in Deutschland ist durch die Zuordnung der Provenienzforschung zum Kulturförderalismus geprägt. Dies wirkt sich in Deutschland dadurch aus, dass die Regelungen in den Bundesländern spürbar voneinander abweichen und Bundesrecht nur dort zur Anwendung kommt, wo Rückgabeansprüche aus Bundesvermögen betroffen sind. Dies kann zu Kompetenzüberschneidungen bzw. zu längeren Diskussionen über die verantwortliche Einrichtung führen, wenn sich die Sachverhalte nicht vollständig aufklären lassen.

Österreich ist ebenfalls ein Bundesstaat. Im Gegensatz zu Deutschland ist hier der Regelungsaufbau für die Provenienzforschung klarer strukturiert und damit gut nachvollziehbar. Auf Bundesebene sind mit dem Kunstrückgabegesetz (KRG) und den früheren Rückstellungsgesetzen Regelungen geschaffen worden. Auf der Ebene der Bundesländer bestehen Beschlüsse der jeweiligen Landesregierung. Auf kommunaler Ebene folgen vor allem in den größeren Städten die Regelungen der Gemeinden. Herauszuheben sind hier die Regelungen der Stadt Wien. Die Struktur und die Zuständigkeiten sind hier klar und übersichtlich gegliedert, was neben der anwendungsfreundlichen Handhabung den politischen Willen für die Aufarbeitung besser erkennen lässt. Gerade bei der Provenienzforschung besteht ein Bedürfnis nach Rechtsklarheit, da die einzelnen Fälle regelmäßig bereits aufwendig genug sind. Eine unübersichtliche Rechtslage erschwert die Regulierung und ist damit dem Rechtsfrieden abträglich.

8. DDR Raubkunst

Anders als das Thema der NS-Raubkunst, welches zuletzt durch den Fall Gurlitt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geriet, ist das Thema der DDR-Raubkunst bisher weitgehend unbearbeitet.5 Ähnlich wie bei der NS-Raubkunst gab es bei den Fällen der DDR-Raubkunst eine besondere Dimension des Unrechts. Beispiel hierfür ist die systematische Plünderung von Kulturgut durch die DDR-Firma Kunst und Antiquitäten GmbH (K & A) die der Kommerziellen Koordinierung des DDR-Außenhandelsministeriums (kurz KoKo) unterstand. Das Thema wurde im Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG) aufgegriffen, die Diskussion im Detail jedoch bisher nicht in der notwendigen Tiefe zu Ende geführt.

§ 1 Abs. 3 Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG).

Dieses Gesetz betrifft auch Ansprüche an Vermögenswerten sowie Nutzungsrechte, die aufgrund unlauterer Machenschaften, z.B. durch Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter, erworben wurden.

Um die Fälle der DDR-Raubkunst besser erfassen zu können, bietet es sich an, Fallgruppen zu bilden. Die hier genannten sind erste Schritte einer Systematisierung und keinesfalls abschließend.

Ein rechtlich generell nicht zu beanstandender Grund für einen Vermögensentzug und damit für die Enteignung war die Kontrollratsdirektive (KRD) Nr. 38, eine vom Alliierten Kontrollrat am 12. Oktober 1946 erlassene Direktive über die „Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen“. Durch die Umsetzung von KRD Nr. 38 konnte Hauptschuldigen und Belasteten des NS-Regimes das Vermögen entzogen und als Volkseigentum der SBZ / DDR zugesprochen werden. Rechtswidriges Handeln kann jedoch nicht nur durch eine fehlende, falsche oder diskriminierende rechtliche Regelung erfolgen, sondern auch durch Zweckentfremdung bei an sich nicht zu beanstandender Rechtsgrundlage. Ein Beispiel hierfür ist die spätere Verwendung der KRD Nr. 38 in der DDR. Ab 1949 wurde sie missbraucht, um die politische Opposition zu diskreditieren, auszuschalten und sie ihres Vermögens zu berauben. Die Aufarbeitung bedeutet hier, die Fälle von staatlicher Willkür von jenen Fällen zu trennen, in denen die Sanktion nicht nur formal, sondern auch inhaltlich nachvollziehbar ist. Bei der Beurteilung, ob ein Missbrauch der KRD Nr. 38 vorlag, ist eine Einzelfallprüfung erforderlich. Indizien für eine Zweckentfremdung der KRD Nr. 38 sind beispielsweise:

die Pauschalierung von Verfahren mit verfahrensfremden Zielen;

die Standardisierung von Justizverfahren anstelle der Ermittlung der individuellen Schuld;

eine übermäßige Sanktionierung;

das Ersetzen einer Beweisermittlung durch das Vorbringen von politischen Behauptungen.

Eine eigenständige Gruppe bilden die wegen einer Flucht in den Westen zurückgelassenen Kunstgegenstände. Diese wurden bei Bekanntwerden der Flucht regelmäßig in Staatseigentum überführt. Das bis 1975 auch auf dem Gebiet der DDR geltende Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) fordert in § 959 BGB einen erkennbaren Willen, das Eigentum an den betreffenden Gegenständen aufgeben zu wollen. Bei Wertgegenständen ist hier eine klar erkennbare Willensäußerung zu fordern, die nicht nur in dem einfachen Verlassen der Örtlichkeit zu sehen ist. Die auf dem Gebiet der damaligen DDR in den Jahren 1976-1990 geltende Norm § 32 Abs. 1 Zivilgesetzbuch (ZGB) besagt:

§ 32 Abs. 1 ZGB DDR: Erwerb des Eigentums in besonderen Fällen.

„Eine bewegliche Sache, an der das Eigentum aufgegeben worden ist, kann von jedem zu Eigentum erworben werden. Das Eigentum wird in diesem Fall durch die Inbesitznahme der Sache mit der erkennbaren Absicht begründet, Eigentum daran zu erlangen. Das Aneignungsrecht an Sachen, die von erheblichem gesellschaftlichem Wert oder Interesse sind, steht ausschließlich dem Staat zu.“

Unter Zugrundelegung allgemeiner rechtsstaatlicher Prinzipien ist diese Norm als solche nicht zu beanstanden, da eine Klärung der Rechtslage nach einer Eigentumsaufgabe von allgemeinem und nachvollziehbarem Interesse ist. Entscheidend für einen Eigentumsübergang nach § 32 ZGB DDR ist jedoch, ob überhaupt eine Eigentumsaufgabe vorliegt oder ob eine solche sehr frei interpretiert oder gar unterstellt wurde. Wurde beispielsweise Eigentum bei einer Flucht in den Wesen zurückgelassen, so kann nicht ohne Weiteres auf eine Eigentumsaufgabe geschlossen werden. Erst recht ist eine solche Annahme fehlgehend, wenn Bemühungen zur Sicherung der Vermögensgegenstände getroffen worden waren. Hierzu kann auch das einfache Absperren einer Wohnungstüre gehören. Dass aus damaliger Perspektive eine Wiedererlangung der Gegenstände häufig eher für unwahrscheinlich gehalten wurde, lässt den Herrschaftswillen nicht entfallen. Daher konnte auch im zeitlichen und örtlichen Geltungsbereich des ZGB DDR nur dann eine Eigentumsübertragung auf Dritte erfolgen, wenn der Wille zur Eigentumsaufgabe klar und erkennbar zu Tage getreten war. Ein solches Signal wäre eine an den Medien angebrachte Nachricht „zum Mitnehmen“ oder eine ähnliche briefliche Nachricht an einen Nachbarn etc. gewesen. Ein Aneignungsrecht des Staates war auch nach damaligem DDR-Recht in den Fällen der sogenannten Republikflucht regelmäßig nicht gegeben, weder nach §§ 958 ff. BGB noch nach § 32 ZGB DDR.

Vom Vermögenstransfer zu Gunsten des Unrechtsregimes war nicht nur das materielle, sondern auch das immaterielle Eigentum betroffen. So wurden in der DDR Raubkopien von Produkten westlicher Wissenschaftsverlage erstellt und in Bibliothekssammlungen eingestellt. Sofern sich solche Exemplare noch in den Beständen der Bibliotheken befinden, besteht ein Anspruch auf Vernichtung der Raubkopien aus § 98 Abs. 1 UrhG. Dass ein Vernichtungsanspruch besteht, bedeutet jedoch nicht, dass diese Exemplare bereits von Seiten der Bibliothek vorauseilend vernichtet werden müssen. Notwendig ist ein entsprechendes Verlangen des Rechteinhabers. Liegt ein solches Verlangen nicht vor oder gibt es sogar eine gegenteilige Vereinbarung, so ist auch eine Verwendung der Raubkopien als Objekte der Zeitgeschichte möglich. Um bei einer solchen Verwendung dennoch eine klare Distanz zu Urheberrechtsverletzungen zu wahren, ist eine Trennung von den Beständen mit alltäglichen Nutzungsmöglichkeiten erforderlich und eine Einordnung in die Rara-Bestände mit Zugangsbeschränkungen notwendig. Ein reines Umdeklarieren und Weiternutzen wie zuvor würde auch Schadensersatzansprüche fortschreiben. Die Verjährung der Schadensersatzansprüche richtet sich nach § 102 UrhG i.V.m. §§ 194ff. BGB. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Geschädigten. Wenn von Objekten der Zeitgeschichte gesprochen wird, so muss hier die besondere Historie gewürdigt werden. Verfehlt wäre es, einer beliebigen Raubkopie einen historisch bedeutsamen Kontext zuzuschreiben. Ein Museum für Plagiate muss als solches erkennbar und beschrieben werden, es darf sich nicht vermischt in einer sonstigen Sammlung befinden.

9. Vorschlag eines vereinfachten Prüfungsschemas

Als Instrument zur Aufarbeitung komplexer Sachverhalte eignen sich Schemata. Das folgende Schema enthält einige zentrale Punkte zur Prüfung von Restitutionsansprüchen. Die Einzelfallprüfung kann Abweichungen erforderlich machen. Schemata bieten sich jedoch als Ausgangspunkt einer Prüfung an.6

1. Gibt es eine einschlägige, spezielle Regelung?

2. Bildung von Fallgruppen / Systematisierung gleicher Vorgänge.

3. Ist der Eigentumstransfer nachvollziehbar?

a) Wertungsgedanken des Internationalen Privatrechts, z.B. Regelungen im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB).

b) Gab es eine faire Gegenleistung, evtl. eine Entschädigung, oder wurde eine Notlage ausgenützt?

c) Handelt es sich um eine nachvollziehbare Sanktion für ein schweres Verbrechen durch Vermögensentzug?

4. Liegt ein Fall einer Geschäftsführung ohne Auftrag vor?

10. Schlusswort

Provenienzforschung wird in einer Reihe von Kultureinrichtungen seit Jahren betrieben. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Aufarbeitung des Unrechts des NS-Regimes. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse können auf die Restitutionsfälle der DDR angewendet werden. Die häufig detaillierten Arbeitsschritte erfordern die notwendige Zeit und sprechen dafür, dass bei einem entsprechenden Aufkommen von Fällen Personalstellen vom Projektbetrieb als dauernde Aufgabe verstetigt werden. Bei der Verstetigung ist eine Überarbeitung der Regelungen zur Zuständigkeit in Deutschland sachdienlich. Dabei können die positiven Erfahrungen aus Österreich genutzt werden.

Literaturverzeichnis

Deutscher Bundestag. „Raubkunst und Restitution. Washingtoner Erklärung und Limbach-Kommission.“ Dok.Nr. WD 10 3000 - 061/16, 2016. Zuletzt geprüft am 26.10.2017. https://www.bundestag.de/blob/491794/42f7ba4d067efd53c4a62a3d8987c037/wd-10-061-16-pdf-data.pdf.

Deutsche UNESCO-Kommission. „Das Welterbe in Timbuktu.“ Dezember 2015. Zuletzt geprüft am 26.10.201 7. https://www.unesco.de/kultur/2015/welterbe-timbuktu.html.

Deutsches Zentrum Kulturgutverluste. „Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles).“ Zuletzt geprüft am 26.10.2017. http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Grundlagen/WashingtonerPrinzipien.html.

Juraschko, Bernd. Praxishandbuch Recht für Bibliotheken und Informationseinrichtungen. Berlin u.a.: De Gruyter Saur, 2013.

Kuhn, Nicola: „Die magere Bilanz der Gurlitt-Taskforce.“ Zeit-Online vom 14.01.2016, ­aktualisiert am 15.01.2016. Erschienen im Tagesspiegel vom 14.01.2016. Zuletzt geprüft am 26.10.2017. http://www.zeit.de/kultur/2016-01/gurlitt-sammlung-taskforce-schwabinger-kunstfund.

1 „Raubkunst und Restitution. Washingtoner Erklärung und Limbach-Kommission,“ Dok.Nr. WD 10 3000 - 061/16, Deutscher Bundestag 2016, zuletzt geprüft am 26.10.2017, https://www.bundestag.de/blob/491794/42f7ba4d067efd53c4a62a3d8987c037/wd-10-061-16-pdf-data.pdf.

2 Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.08.1896, in Kraft getreten am 01.01.1900.

3 „Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden (Washington Principles),“ Deutsches Zentrum Kulturgutverluste, zuletzt geprüft am 26.10.2017, http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Grundlagen/WashingtonerPrinzipien.html.

4 „Das Welterbe in Timbuktu,“ Deutsche UNESCO-Kommission, Dezember 2015, zuletzt geprüft am 26.10.2017, https://www.unesco.de/kultur/2015/welterbe-timbuktu.html.

5 Nicola Kuhn, „Die magere Bilanz der Gurlitt-Taskforce,“ Zeit-Online vom 14.01.2016, aktualisiert am 15.01.2016, erschienen im Tagesspiegel vom 14.01.2016, zuletzt geprüft am 26.10.2017, http://www.zeit.de/kultur/2016-01/gurlitt-sammlung-taskforce-schwabinger-kunstfund.

6 Siehe hierzu: Bernd Juraschko, Praxishandbuch Recht für Bibliotheken und Informationseinrichtungen (Berlin u.a.: De Gruyter Saur, 2013), 14 ff.