Nachruf auf Wilhelm Totok (1921 – 2017)

Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek 1962 – 1986

Im Mai dieses Jahres verstarb Prof. Dr. Wilhelm Totok, der frühere langjährige Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek, im 96. Lebensjahr. Mit ihm hat das deutsche Bibliothekswesen den vielleicht letzten Vertreter einer Bibliothekarsgeneration verloren, die eine zwischenzeitlich untergegangene Epoche repräsentierte. Wilhelm Totok wurde am 12.09.1921 in Rumänien geboren, wuchs zweisprachig auf und studierte in den Kriegs- und Nachkriegsjahren in Marburg und zeitweise auch in Wien Germanistik, klassische Philologie, Geschichte und Philosophie. Hinsichtlich dieser wissenschaftlichen Ausrichtung stand er damit ganz in der Tradition so berühmter Vorgänger wie etwa Fritz Milkau oder Georg Leyh und war damit zugleich ein eindeutiger Vertreter des klassischen Bildungsbürgertums.

Seine bibliothekarische Laufbahn begann er 1949 an der Stadt- und Universitätsbibliothek in Frankfurt am Main, die damals noch die „Deutsche Bibliothek“ als Unterabteilung beherbergte. Dorthin wechselte er 1951, um dann anschließend (1957) an die UB Marburg zu gehen. 1962 dann wurde er Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek; dieses Amt hatte er bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst 1986 inne.

Wilhelm Totok im Jahr 2002

Für die älteren unter uns ist sicherlich mit dem Namen Totok untrennbar das „Handbuch der bibliographischen Nachschlagewerke“ verbunden – für die angehenden Bibliothekarinnen und Bibliothekare zwischen 1960 und 1990 der Klassiker der beruflichen Ausbildung. In einer Zeit ohne Internet, Suchmaschinen und ohne Discovery Systeme, in einer Zeit, in der ein prägendes Element der Bibliotheken noch der Kartenkatalog war, lieferte das Handbuch die Basisinformation, um sich fachspezifisch oder auch gattungsbezogen überhaupt erst auf die Suche nach weiteren Informationsquellen begeben zu können. Das Handbuch, im Regal durch seinen auffallenden „klostermanngrauen“ Umschlag schon weithin sichtbar, erschien zwischen 1959 und 1984 teilweise mit unterschiedlichen Co-Herausgebern (Rolf Weitzel, Karl Heinz Weimann, Hans-Jürgen Kernchen) in insgesamt sechs Auflagen, ehe es dem neuen Zeitgeist Tribut zollen musste und nach und nach obsolet wurde.

Es wäre aber viel zu kurz gegriffen, das Wirken Wilhelm Totoks nur auf dieses Handbuch zu reduzieren. Seine Arbeit in der Niedersächsischen Landesbibliothek hat gezeigt, dass er sich erfolgreich vielfältigen und sehr unterschiedlichen Aufgaben stellte. Ihm ist zuzurechnen, dass an der Bibliothek ein Leibniz-Forschungsschwerpunkt aufgebaut wurde (ab 1962). Dies passte natürlich sehr gut in sein wissenschaftliches Interesse, die Philosophie, wo er sich ja auch als Autor des „Handbuchs der Geschichte der Philosophie“, welches zwischen 1964 und 1990 in insgesamt sechs Bänden erschien, einen Namen machte. In seine Zeit fällt aber auch die Konzeption und Realisierung eines für die damalige Zeit eindrucksvollen Neubaus in wunderschöner Lage Hannovers. Und als die TU Hannover 1969 in den Stand einer Volluniversität erhoben wurde, stand er bereit, die Literaturversorgung (so bezeichnete man das damals noch) für alle nicht naturwissenschaftlich-technischen Fächer zu übernehmen. Darüber hinaus integrierte er in den Bibliotheksbetrieb auch noch die bibliothekarische Ausbildung für den mittleren und gehobenen Dienst durch Errichtung der Niedersächsischen Bibliotheksschule.

Auch im Verbandsleben war Wilhelm Totok aktiv: Von 1973 bis 1975 war er Vorsitzender des Vereins Deutscher Bibliothekare (VDB) und von 1977 bis 1980 Vorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es Wilhelm Totok gelungen war, die Niedersächsische Landesbibliothek von einer eher unbedeutenden Einrichtung zu einer in der Öffentlichkeit stark wahrgenommenen Landesbibliothek, zu einer Forschungsbibliothek und zu einer Universitätsbibliothek auszubauen – in Niedersachsen mit der Konkurrenz von Göttingen einerseits und Wolfenbüttel andererseits wahrlich eine beachtliche Leistung.

Wilhelm Totok lässt sich in seinem beruflichen Wirken in eine Epoche einordnen, die stark durch einzelne Persönlichkeiten geprägt wurde; Paul Raabe oder die Brüder Gerhard und Hartwig Lohse wären hier noch zu nennen. Ihnen gemeinsam war das Verständnis von Bibliothek als einem Hort der Wissenschaft und der klassischen Bildung. Bei aller Akzeptanz für notwendige Veränderungen war ihnen jedoch der Aufbruch hin zu gänzlich neuen Ufern, wofür etwa Totoks Berufskollegen Harro Heim und Joachim Stoltzenburg standen, fremd. So gesehen haben wir mit Wilhelm Totok einen bedeutenden Vertreter des deutschen Bibliothekswesens verloren, eines Bibliothekswesens – und dies muss auch festgestellt werden –, das es in dieser Form heute nicht mehr gibt.

Berndt Dugall, ehemals Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt am Main

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2017H3S156-157