Editorial

Die Förderung von Informationskompetenz ist Kernaufgabe von Bibliotheken – und nicht nur der Senf zur Bratwurst!

Informationskompetenz ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die verantwortungsvolle Teilhabe an Gesellschaft und Politik und für den nachhaltigen Erfolg in Studium und Beruf. Die Bedeutung von Informationskompetenz wird uns im derzeitigen „postfaktischen“ Zeitalter sehr deutlich bewusst. Auf einer internationalen Konferenz zur Informationskompetenz haben kürzlich britische Kolleginnen und Kollegen die Frage gestellt, ob die Abstimmung zum Brexit bei einer höheren Informationskompetenz der Bevölkerung und besseren Fähigkeiten, den Wahrheitsgehalt von Informationen überprüfen zu können, anders ausgefallen wäre. Amerikanische Kolleginnen und Kollegen haben von Propaganda und offensichtlichen Lügen im Präsidentenwahlkampf in den USA berichtet. Mit automatisiert erzeugten Informationen, Fake News und Social Bots müssen wir auch in Deutschland umgehen, sicherlich verstärkt in Zusammenhang mit der bevorstehenden Bundestagswahl. Und das Auffinden, Aufbereiten und Präsentieren von qualitätsgeprüften Informationen gehört zur Standardaufgabe von Schülerinnen und Schülern, Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Berufstätigen – ganz generell von jedem mündigen Menschen in allen Lebenslagen.

Aber Informationskompetenz ist keine Selbstverständlichkeit; Informationskompetenz muss immer wieder aktiv gefördert werden. Bibliotheken stehen hier an vorderster Stelle in der Pflicht. Seitdem es Bibliotheken gibt, ist es ihre Aufgabe, Informationen bereitzustellen und es zu ermöglichen, diese Informationen zu nutzen. Die Art und Weise, wie dies geschieht, hat sich über die Jahrhunderte und speziell in den letzten Jahren geändert. Lange Jahre musste man in eine Bibliothek gehen, um überhaupt Informationen zu erhalten. Heute erscheinen per Mausklick mehr Informationen, als man verarbeiten kann – und Bibliotheken helfen dabei, die gefundenen Informationen zu bewerten und die für den jeweiligen Zweck relevanten Informationen herauszufiltern.

Der Direktor einer großen deutschen Universitätsbibliothek stellte mir kürzlich die Frage: „Wenn Ihre Universitätsleitung die Wahl treffen müsste, ob die Universitätsbibliothek Bücher erwerben oder Kurse und Beratungen anbieten solle – wie würden Sie sich entscheiden?“ Aus seiner Sicht sei das Ergebnis klar: Zuerst sei doch die Erwerbung am wichtigsten. Er war sehr überrascht, als ich ihm geantwortet habe, dass ich da nicht so sicher bin. Viele Studierende, Lehrende und Forschende nutzen intensiv die Informationskompetenz-Angebote ihrer Bibliothek und wissen sie sehr zu schätzen. Die Vermittlung von Informationskompetenz ist kein antiquiertes Konzept, sondern sie ist lebendige Kernaufgabe von Bibliotheken und wesentlicher Teil ihres Selbstverständnisses.

Der Themenschwerpunkt in diesem Heft von o-bib enthält aktuelle, innovative, prägnante und auch durchaus provokative Beiträge, die neue Impulse in die Diskussion um die Förderung von Informationskompetenz in Deutschland einbringen können. Ganz bewusst soll der Themenschwerpunkt auch Platz bieten für experimentelle Ansätze und neue Ideen, die noch nicht allgemein akzeptiert und konsensfähig sind. Die Bedeutung von Threshold Concepts und des Frameworks for Information Literacy for Higher Education der Association of College and Research Libraries werden diskutiert. Führen diese zu einer neuen Sichtweise auf unsere Aktivitäten in Deutschland? Der Vorstand des Deutschen Bibliotheksverbands hat im Oktober 2016 den Referenzrahmen Informationskompetenz verabschiedet. Zum ersten Mal gibt es sowohl für den einzelnen Lernenden als auch für Anbieter von Veranstaltungen zur Informationskompetenz einen einheitlichen Bezugsrahmen für alle Bildungsebenen. Der Themenschwerpunkt stellt den Zusammenhang zur Strategie der Kultusministerkonferenz her. Wie wollen wir die Teilkompetenzen auf den verschiedenen Niveaustufen vermitteln und den Referenzrahmen in Deutschland etablieren?

Zur Informationskompetenz gehört weit mehr als Recherchieren – der Themenschwerpunkt greift die Vermittlung von Informationskompetenz im Rahmen von Digital Humanities und Forschungsdatenmanagement auf. Informationskompetenz braucht Kooperationen – der Themenschwerpunkt stellt Beispiele vor. Die Vermittlung von Informationskompetenz muss ein wichtiger Aspekt in der bibliothekarischen Aus- und Fortbildung sein – der Themenschwerpunkt formuliert Anforderungen an die Qualifikation von Teaching Librarians. Es geht auch um die Generation Y – braucht sie eine vollkommen andere Bibliotheksdidaktik? Auch einen Tagungsbericht gibt es: Die AG Informationskompetenz aus Thüringen berichtet über eine besonders innovative Fortbildung.

Lassen Sie sich von den Beiträgen im Themenschwerpunkt inspirieren und entwickeln Sie neue und weitergehende Konzepte, wie Informationskompetenz nachhaltig und umfassend gestärkt werden kann. Die Gemeinsame Kommission Informationskompetenz des VDB – Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare und des Deutschen Bibliotheksverbands als Gast-Herausgeberin des Themenschwerpunkts wünscht Ihnen dabei viel Erfolg!

Fabian Franke

Vorsitzender der Gemeinsamen Kommission Informationskompetenz des VDB – Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare und des Deutschen Bibliotheksverbands

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2017H1SIV-V