106. Deutscher Bibliothekartag:
Fokussieren, vertiefen, Schnittstellen bilden

Der vereinsinterne Diskurs um den Bibliothekartag, seine Bedeutung und Ausrichtung ist so alt wie der VDB selbst. Der Vereinsausschuss sieht den kommenden 106. Bibliothekartag in Frankfurt am Main als passenden Zeitpunkt, um einen neuen Impuls zu setzen und das Interesse an diesem Thema aufzunehmen. Der folgende Beitrag zur Diskussion wurde in der Vereinsausschuss-Sitzung am 28./29. März 2017 beraten und beschlossen.

Der Deutsche Bibliothekartag ist nach Größe und inhaltlicher Breite die bedeutendste bibliothekarische Fortbildungsveranstaltung in Europa. Er vereinigt alle Themen, Sparten und Berufsgruppen in Bibliotheken. Neben unterschiedlichen Fortbildungsformaten wie Vorträgen, Workshops oder Podiumsdiskussionen bildet er auch den Rahmen für die bibliothekarischen Verbände und Interessengruppen, die dort ihre Mitgliederversammlungen und Arbeitssitzungen abhalten, aber auch eine Vielzahl an inhaltlichen Beiträgen leisten. Für viele junge Kolleg/inn/en ist der Bibliothekartag buchstäblich das „Willkommen im Beruf“. Aufgrund seiner Vielfalt ist er das wichtigste Forum für den beruflichen Austausch.

In den vergangenen Jahren wurde durch die Personalverbände die Weiterentwicklung des Bibliothekartags systematisch vorangetrieben, sowohl mit neuen Inhalten als auch mit neuen Formaten. Die Zahlen sprechen dafür, dass der Deutsche Bibliothekartag ein Angebot darstellt, das für viele unserer Kolleg/inn/en attraktiv ist. Der VDB – Verein Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare erreicht mit dem Deutschen Bibliothekartag nicht nur regelmäßig ein Viertel seiner Mitglieder, sondern es kommen auch insgesamt knapp 70 % aller Teilnehmer/innen aus wissenschaftlichen Bibliotheken. Der Bibliothekartag ist die zentrale Kommunikationsplattform für das wissenschaftliche Bibliothekswesen und zugleich ein Kernarbeitsbereich des VDB.

In der Entwicklung unseres Berufs sehen wir uns aber auch großen Herausforderungen gegenübergestellt. Dies betrifft alle Sparten des Bibliothekswesens. Aus Sicht des VDB gehören dazu aktuell vor allem die sich rasch wandelnden Anforderungen an Bibliothekarinnen und Bibliothekare als Unterstützer und Ermöglicher wissenschaftlicher Forschung sowie bei der Vermittlung von Wissen und Information. Zugleich findet eine Wandlung des Berufs statt, der nicht mehr nur herkömmlich ausgebildete Bibliothekarinnen und Bibliothekare, sondern immer mehr auch IT-Fachkräfte sowie Spezialist/inn/en für Wissenschaftsmanagement, Publikationsdienstleistungen, Forschungsdatenmanagement und Angehörige anderer Berufe umfasst. Die Bedeutung des Dialogs zwischen Bibliothekar/inn/en, IT-Spezialist/inn/en und Wissenschaftler/inne/n steigt. Die Kompetenz von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren wird bei der Weiterentwicklung der Informationsinfrastrukturen aber nicht immer mit dem angemessenen Gewicht wahrgenommen. Ähnlich grundlegende Veränderungen finden in den anderen Sparten des Bibliothekswesens statt.

Parallel zu diesen Entwicklungen sehen wir den Zwiespalt zwischen enormer fachlicher Breite beim Bibliothekartag und der Notwendigkeit, Themenstellungen vertieft zu bearbeiten. Die zunehmende Größe steht in einem Spannungsverhältnis zur Qualität der Veranstaltungen, sei es bei den Inhalten oder bei den Formaten. Der Bibliothekartag als die zentrale öffentliche Veranstaltung des deutschen Bibliothekswesens sollte sich nach unserer Überzeugung dieser Herausforderung noch fokussierter stellen. Bei der bisherigen Praxis, beim Bibliothekartag alles für alle in kurzen Vorträgen anzubieten, bleibt vieles zwangsläufig an der Oberfläche. Neue und zukunftsweisende Themen bedürfen jedoch einer Vertiefung und neuartiger Formate. Es ist symptomatisch, dass zukunftsweisende Themen immer mehr in Spezialkongresse ausgelagert werden. Wichtig erscheint uns deshalb ein breiter Dialog an den Schnittstellen von Forschung und Dienstleistung, von Wissenserzeugung und Wissensvermittlung.

Der Bibliothekartag sollte sich diesen Herausforderungen aktuell durch eine klare Schwerpunktsetzung auf die Weiterentwicklung forschungsnaher Dienstleistungen (jeweils alternierend mit anderen Schwerpunkten unseres beruflichen Umfelds) stellen. Dies trägt der besonderen Bedeutung dieser Dienstleistungen Rechnung. Mit einer inhaltlichen Fokussierung kann sich das Format des Bibliothekartags verändern. Wichtig ist uns, dass der Bibliothekartag eine Veranstaltung von Bibliothekar/inn/en für Bibliothekarinnen und Bibliothekare und alle in Bibliotheken Beschäftigten bleibt, veranstaltet durch die Berufsverbände, deren Mitgliedschaft allen in unserem Berufsfeld Tätigen offen steht.

Als Veranstaltung, die von den Personalverbänden im unmittelbaren Austausch mit ihren Mitgliedern organisiert wird, benötigt der Bibliothekartag ein klares Finanzkonzept. Der Bibliothekartag als zentraler Treffpunkt der Community soll für alle erschwinglich bleiben. Er muss sich selbst tragen, soll jedoch nicht als Einnahmequelle für die veranstaltenden Verbände oder für die Finanzierung von deren Organisationsstrukturen dienen. Nicht zuletzt sollten die Ergebnisse des Bibliothekartages nachhaltig und ohne Einschränkungen im Open Access zugänglich gemacht werden. Damit öffnet sich der Bibliothekartag zusätzlich dem Anliegen, den Austausch an den unterschiedlichsten Schnittstellen zu fördern. Der Bibliothekartag ist kein Selbstzweck, sondern sollte gleichermaßen für alle Bibliothekarinnen und Bibliothekare wie auch für Angehörige weiterer Berufe sowohl in Bibliotheken als auch im Bibliotheksumfeld attraktiv sein, den Dialog gezielt fördern und das wichtigste Forum unseres Berufsfelds bleiben.

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2017H1S229-230