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Neue Formen der Lizenzierung

Veranstaltung der dbv-Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung am 29.04.2016 in Berlin

Am 29. April 2016 richtete die dbv-Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Neue Formen der Lizenzierung“ aus, die im Erwin-Schrödinger-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin stattfand. Die Veranstaltung diente der Diskussion von Lizenzierungsformen, die in den letzten Jahren entstanden sind und einen Einfluss auf die Landschaft der überregionalen Literaturversorgung haben. Im Fokus standen die Verhandlungen von Lizenzen für elektronische Inhalte auf nationaler Ebene im Rahmen des Projektes DEAL, die Entwicklungen im Bereich von Open-Access-Verträgen sowie fachlich spezifische Lizenzierungsmodelle, die neuerdings im Kontext der Fachinformationsdienste für die Wissenschaft (FID) etabliert werden.

Während der erste Teil der Information über diese neuartigen Entwicklungen gewidmet war, fand im zweiten Teil eine Diskussion von ökonomischen, bibliothekspolitischen und praktischen Auswirkungen der vorgestellten Modelle auf die Landschaft der Literaturversorgung vor allem aus Sicht einzelner Bibliotheks- und Wissenschaftsstandorte statt.

Vorträge

Zur Einführung erläuterte Angela Holzer (UB Bochum) stellvertretend für die Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung die Hintergründe für die Auswahl und Zusammenstellung der Themen. Alle drei Lizenzierungsmodelle zielten darauf ab, das Oligopol der großen Anbieter auf dem E-Medienmarkt zu beeinflussen und flexiblere, bedarfsorientiertere Bezugsarten sowie transparentere Preisgestaltungen zu ermöglichen. Sie dienten als Wege, transformative Entwicklungen im Bereich der Literaturversorgung abzubilden und die Erwerbung in Bibliotheken auf zukünftige Erfordernisse anzupassen. Zudem sei der gegenwärtige Zeitpunkt in allen drei Fällen von besonderer Bedeutung für die jeweiligen Vorhaben. Im Rahmen des Projektes DEAL, das seit 2014 vorbereitet werde, seien nun die Mandatserteilungen für Verhandlungen auf nationaler Ebene eingegangen und erste Verhandlungen stünden bevor. Hier bestehe ein großes Interesse auch hinsichtlich der Details und der Auswirkungen auf die Praxis bei den Erwerbungsleitungen der Bibliotheken.

Das Thema Offsetting gewinne zunehmend an Bedeutung mit dem Willen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ergebnisse aus Forschungsarbeiten im Open Access zu publizieren. Die Bibliotheken hätten dabei die wichtige Rolle, neben der Abwicklung von Rechnungen für einzelne Artikel und dem Monitoring von Article Processing Charges (APCs) auch auf die Vertragsgestaltung mit den Verlagen einzuwirken und Gebühren für die Veröffentlichung im Open Access angemessen mit Subskriptionsgebühren verrechnen zu lassen. Dabei gebe es unterschiedliche Modelle, die in ihrer Wirkung auf die Transformation zu Open Access und die Preistransparenz diskutiert würden oder wurden (z.B. von JISC in Großbritannien und der Unterarbeitsgruppe Open Access Gold der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland).

Die Lizenzierung im Rahmen der FID habe 2014 mit der Gründung des Kompetenzzentrums an der Universität Göttingen und der Staatsbibliothek zu Berlin begonnen. Mittlerweile stünden die FIDs aus den drei Runden der Transformationsphase fest und es sei möglich, über die bisherigen Erfahrungen sowie die Konsequenzen für die Bibliotheken und die Wissenschaft zu berichten.

Zur Veranschaulichung der momentanen Situation verwies Frau Holzer schließlich auf Zahlen zur Marktkonzentration, auf Berechnungen zu Artikelpreisen im Subskriptions- sowie im Open-Access-Publikationsmodell und letztlich auf das Zeitschriftenportfolio einer Volluniversität.

Ca. 57 % des Volumens für E-Zeitschriften seien momentan durch die Verlage Elsevier, Springer und Wiley gebunden. Hinzu kämen APC-Zahlungen an diese Verlage, deren Berechnung noch einige Schwierigkeiten bereite. Die Verlage sollten in Zukunft auch darauf eingestellt sein, bessere Daten hinsichtlich der APCs von einzelnen Einrichtungen zu liefern.

Insgesamt stellten sich im Kontext der Veranstaltung neue Fragen sowohl auf der Ebene der praktischen Umsetzung einzelner Lizenzierungsmodelle als auch nach deren Einfluss auf die Rolle der Bibliotheken und die Landschaft der Literaturversorgung.

Im Anschluss wurden die Themen DEAL, Offsetting und FID-Lizenzen in Vorträgen ausführlich dargestellt.

Dr. Antje Kellersohn (UB Freiburg, Sprecherin der Projektgruppe DEAL), erläuterte die Ziele und den aktuellen Stand des Vorhabens. Auf Grund insbesondere der hohen positiven Rücklaufquote der Umfrage zur Mandatierung sieht die Projektgruppe ein breites Interesse an der bundesweiten Lizenzierung der Inhalte großer Wissenschaftsverlage.

Kai Geschuhn (MPDL) erläuterte das neue Geschäftsmodell Offsetting, bei dem Open-Access- und Lizenzgebühren miteinander verrechnet werden. Offsetting sollte dabei als Übergangsmodell angesehen werden. Es sei kein nachhaltiges Geschäftsmodell für Open Access, sondern müsse den vollständigen Abbau von Zugangskosten zum Ziel haben. Dies könne auf unterschiedlichen Wegen erfolgen. Die derzeitig diskutierten und teilweise praktizierten Vertragsmechanismen unterschieden sich in den tatsächlichen Möglichkeiten der Transformation zu Open Access, der Handhabung und Effizienz des Prozesses, den Ausgangslagen und der Transparenz. Die Max Planck Digital Library habe auf einem ESAC-Workshop am 7. und 8. März 2016 in München eine internationale Abstimmung über Offsetting initiiert mit dem Ziel eines gemeinsamen Verständnisses über dieses Geschäftsmodell. Weitere Informationen über die gemeinsame Zielsetzung befinden sich unter http://esac-initiative.org/activities/offsetting-workshop-2016/.

Kristine Hillenkötter (SUB Göttingen, Kompetenzzentrum für Lizenzierung) erläuterte das neue Lizenzmodell der sogenannten FID-Lizenzen. Diese überregionalen Lizenzen würden von FID angeboten und über das hierfür neu geschaffene Kompetenzzentrum für Lizenzierung (SUB Göttingen, SB Berlin, VZG Göttingen) verhandelt und technisch betreut. Die Finanzierung erfolge anteilig durch die FID (1/3) und die DFG (2/3). Die Besonderheit liege darin, dass sich die Lizenzen direkt an ausgewählte Endnutzer (Wissenschaftler/innen, Fachcommunity) eines jeweils durch den FID fachlich definierten Nutzerkreises richten. Damit solle eine neue Versorgungsstruktur unter rein fachlichen Gesichtspunkten komplementär zu den etablierten institutionellen Beschaffungsstrukturen geschaffen werden.

Derzeit werde der Gedanke v.a. durch das Lizenzmodell „Spezifischer Nutzerkreis“ umgesetzt, das derzeit für ca. 80 % aller verfügbaren FID-Lizenzen gilt. Hier werde der Zugriff auf das lizenzierte Angebot für institutionsbezogene Einzelnutzer/innen aus den jeweiligen fachlich definierten Nutzerkreisen freigegeben. Hierfür ist eine individuelle Registrierung über die Infrastruktur des Kompetenzzentrums für Lizenzierung notwendig (www.fid-lizenzen.de). Die Information hierüber erfolgt durch die jeweiligen FIDs und richtet sich direkt an die jeweiligen Wissenschaftler/innen.

In Planung befindet sich ein Lizenzmodell „Produktspezifischer Nutzerkreis“, bei dem z.B. sehr spezielle Produkte nach definierten Kriterien für Teilmengen eines fachlich definierten Nutzerkreises verfügbar gemacht werden könnten.

Insgesamt hat das Kompetenzzentrum für Lizenzierung seit 2014 Verhandlungen für 31 FID über ca. 200 Produkte verhandelt. Derzeit sind 22 dieser Lizenzen erfolgreich abgeschlossen worden, außerdem 5 Lizenzen, die durch den FID Musik selbst verhandelt worden sind.

Noch Klärungsbedarf besteht beim Nachweis der FID-Lizenzen und in den bibliothekarischen Nachweissystemen und den Online-Katalogen der Bibliotheken.

Für die Zukunft sieht Frau Hillenkötter Perspektiven für das Kompetenzzentrum z.B. im Aufbau von Mehrwertdiensten wie Volltextindexierung, Hosting und Text und Data Mining (TDM).

Diskussion

Zur Diskussion der vorgestellten Themengebiete teilten sich die Teilnehmer/innen in Arbeitsgruppen auf, die parallel tagten.

Es gab zwei Diskussionsrunden zu DEAL, wobei die zweite Diskussionsrunde unter Ausschluss der Verlags- und Handelsvertreter stattfand. Aus den Bibliotheken gab es etliche Nachfragen zu konkreten Punkten des zu verhandelnden Angebots, der Zeitschiene und den finanziellen Rahmenbedingungen. Diese betrafen u.a. das Finanzvolumen, die ambitionierte Zeitschiene mit dem Beginn der Lizenzierung im Jahr 2017, die Verteilung der Kosten und die Bedeutung der Transformationsmittel. Außerdem thematisierten Erwerbungsleiter die für sie in der Praxis relevanten Fragen nach Fortsetzung bestehender bilateraler Verträge bzw. der Formulierung entsprechender Umstiegsklauseln.

Frau Dr. Kellersohn beantwortete diese Fragen, soweit es bei dem damaligen Stand der Verhandlungen möglich war. Sie bot an, dass alle Bibliotheken sich mit ihren Fragen direkt an die DEAL-Projektgruppe oder die DEAL-Projektmitarbeiterinnen wenden können.

Die anwesenden Bibliotheksvertreter gaben Frau Dr. Kellersohn die Anregung für die Projektgruppe mit, die Erwerbungsleitungen der Bibliotheken auch direkt in den Informationsfluss einzubinden.

Die Diskussion über Offsetting als Geschäftsmodell im Transformationsprozess zu Open Access musste leider ohne die Referentin Kai Geschuhn (MPDL) stattfinden. Daher wurden neben Berichten über die bislang vorliegenden (noch geringen) Erfahrungen mit der Verrechnung von Open-Access- und Lizenzgebühren Fragestellungen und Probleme im Kontext dieses Transformationsprozesses formuliert. Diese Fragen und Probleme beziehen sich auf die konkreten Auswirkungen auf die jeweilige Bibliothek, Forschungseinrichtung oder Hochschule. Die Beantwortung dieser Fragen wurde als Voraussetzung für den Einstieg in Überlegungen und Verhandlungen angesehen:

Was würde Offsetting für die eigene Institution bedeuten?

Welche Daten werden für den Einstieg in die Verhandlungen benötigt?

mit besonderem Augenmerk auf die Beantwortung der Punkte:


Wie viele Publikationen werden von der Institution produziert?

Wie hoch sind die Publikationskosten?

Die Ermittlung der finanziellen Aspekte ist ein wichtiger Aspekt für Offsetting, primär ist jedoch die Bereitschaft der an der Institution tätigen Personen, dies aktiv zu unterstützen. Daher müssen vorrangig Antworten auf die Frage gefunden werden, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Open Access zu motivieren sind.

An der Diskussionsrunde zu den FID-Lizenzen nahmen neben Frau Hillenkötter (SUB Göttingen) und Frau Glaab-Kühn (Staatsbibliothek zu Berlin) als Repräsentantinnen des Kompetenzzentrums für Lizenzierung sowohl Vertreterinnen und Vertreter bereits laufender und in der Antragsphase befindlicher FIDs als auch Erwerbungsfachleute aus Bibliotheken und Informationseinrichtungen teil. Dadurch war ein Austausch der Ansichten möglich, der das gegenseitige Verständnis förderte.

Ein zentrales Thema war die Rolle der Bibliotheken in der Kommunikation der FID-Lizenzen. Aufgrund ihrer Rolle als Informationsvermittler an den wissenschaftlichen Einrichtungen sehen sich die Bibliotheken grundsätzlich in der Pflicht, über alle Zugangsmöglichkeiten zu wissenschaftlicher Literatur zu informieren. Derzeit richtet sich die Kommunikation der FID jedoch ausschließlich direkt an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die als Zielgruppe identifiziert worden sind. Die Bibliotheken wünschten sich hier, aktiver in die Kommunikation einbezogen zu werden, mindestens jedoch eine bessere Recherchierbarkeit der aktuell über FID-Lizenzen verfügbaren Ressourcen.

Auf Seiten der FIDs spielt die richtige Festlegung der Nutzergruppe für die abgeschlossenen Lizenzen eine wichtige Rolle, ebenso wie die Sichtbarkeit und die komfortable Nutzbarkeit der Produkte. Die Auswahl der Produkte ist durch die „Grundsätze für den Erwerb von Publikationen im DFG-geförderten System der Fachinformationsdienste für die Wissenschaft“ eingeschränkt und es muss ein akzeptables Angebot vorliegen, weswegen die Bereitstellung attraktiver Lizenzen für den „Spitzenbedarf“ eine Herausforderung sein kann. Als Anregung wurde geäußert, E-Books in FID-Lizenzen künftig auch über die Fernleihe verfügbar zu machen, um ihren Wert für die überregionale Literaturversorgung zu steigern.

Ein wichtiges Thema für alle Diskussionsteilnehmer/innen war schließlich die Nachhaltigkeit der bereitgestellten Lizenzen und des Kompetenzzentrums für Lizenzierung selbst. Frau Hillenkötter berichtete, dass das Kompetenzzentrum für Lizenzierung im Laufe der nächsten Förderphase, für die derzeit ein DFG-Antrag in Vorbereitung ist, u.a. die Planungen für ein dauerhaftes Betriebs- und Geschäftsmodell des Kompetenzzentrums aufnehmen wird.

Ausblick

Insgesamt wurde in der Veranstaltung deutlich, dass die neuen Lizenzformen noch in der Entwicklung begriffen sind. Auf Seiten der Erwerbungspraktiker bestehen noch Unsicherheiten, so dass eine intensive Information und Kommunikation auch in Zukunft wesentlich für die Akzeptanz sein dürfte. Die Kommission für Erwerbung und Bestandsentwicklung des dbv wird die weiteren Entwicklungen aufmerksam beobachten und den Themenbereich auch künftig in ihrem Fortbildungsangebot berücksichtigen.

Die Folien der Vorträge finden Sie hier: http://www.bibliotheksverband.de/fachgruppen/kommissionen/erwerbung-und-bestandsentwicklung/fortbildung.html (zuletzt geprüft am 18.10.2016).

Angela Holzer, Klaus Peter Hommes, Annette Klein, Sabine Trott, dbv-Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2016H4S297-301