Rezensionen

Gantert, Klaus:
Bibliothekarisches Grundwissen / Klaus Gantert. – 9., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. – Berlin/Boston: De Gruyter Saur, 2016. – X, 493 Seiten : Illustrationen. – ISBN 978-3-11-032145-6 : EUR 29.95 (auch als E-Book verfügbar)

Acht Jahre sind seit dem Erscheinen der 8. Auflage dieses Standardwerks vergangen. Diese war erstmals von Klaus Gantert verantwortet worden, doch stand der ursprüngliche Autor, der jüngst verstorbene Rupert Hacker, noch mit auf der Titelseite. Die jetzt vorliegende 9. Auflage läuft nur noch unter dem Namen des aktuellen Autors – aus dem „Hacker“, der viele Generationen von Auszubildenden, Studierenden und Berufsanfänger/innen im Bibliotheksbereich begleitet hat, ist also endgültig „der Gantert“ geworden. Das Ziel des Werks ist es aber unverändert, „eine verständliche Einführung in die grundlegenden Begriffe, Fakten und Zusammenhänge des heutigen Bibliothekswesens und in die bibliothekarischen Arbeitszusammenhänge“ zu geben (Vorwort).

Die neue Auflage hat ein etwas größeres Format und ist bei Layout und Schrift an den derzeit gültigen Hausstandard von De Gruyter angepasst worden. Insofern ist der Umfang (493 Seiten) nicht direkt mit dem der Vorauflage (414 Seiten) vergleichbar. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass die Textmenge deutlich angewachsen ist; auch im Vorwort ist von einer „merkliche[n] Erweiterung des Textes“ die Rede. Das aktuelle Layout ist zeitgemäß und übersichtlich, sodass das Blättern in der neuen Ausgabe deutlich mehr Spaß macht, als die Vorauflage zur Hand zu nehmen. Der Preis für die Druckausgabe ist erfreulich moderat geblieben.

Die Struktur des Werks mit einer Grobgliederung in vier Teile ist im Grundsatz gleich geblieben,1 doch finden sich öfter Ergänzungen, Erweiterungen und Umstrukturierungen, um den Entwicklungen der letzten Jahre gerecht zu werden: Beispielsweise wurde im ersten Teil ein Kapitel „Bibliothek als Raum“ ergänzt. Im dritten Teil wurde im Hauptkapitel „Bestandserschließung (Katalogisierung)“ das Kapitel zur Formalerschließung grundlegend neu geschrieben – schließlich wurde seit der letzten Auflage nicht nur die Gemeinsame Normdatei (GND), sondern mit „Resource Description and Access“ (RDA) auch ein komplett neues Regelwerk eingeführt. Umfassend erläutert werden hier jetzt auch die „Functional Requirements for Bibliographic Records“ (FRBR), die in der Vorauflage nur kurz erwähnt wurden. Neu hinzugekommen ist im selben Hauptkapitel ein Kapitel zu „Discovery Services“. Auch gibt es im dritten Teil nunmehr ein eigenes, sehr gelungenes Hauptkapitel „Auskunftsdienste und Informationsdienste“, das u.a. Informationskompetenz, Teaching Library und Informationsethik thematisiert. Im vierten Teil wurde das Hauptkapitel „Informationssuche im Internet“ neu akzentuiert: Hier werden nun auch wissenschaftliche Suchmaschinen wie Google Scholar, BASE und OAIster sowie neuere Entwicklungen des Internets (u.a. Semantic Web und Linked Data, Internet der Dinge, mobiles Internet) behandelt. Eine Neuerung ist auch das Schlusskapitel „Wandel und Innovation – ein Blick in die Zukunft“, in dem der Autor (mit der gebotenen Vorsicht und natürlich nur in Auswahl) wichtige Trends im Bereich Medien und Technik, Gesellschaft und Wissenschaft kurz charakterisiert und in ihren Folgen für die Bibliotheken betrachtet.

Neben diese großen Änderungen treten zahlreiche kleinere Aktualisierungen und Ergänzungen. Beispielsweise gibt es im Hauptkapitel „Bestandsvermittlung (Benutzung)“ einen neuen, sehr nützlichen Abschnitt „Benutzung digitaler Medien“ (allerdings passt dieser nicht wirklich unter die Überschrift des Kapitels: „Verfahren der Ausleihverbuchung“). Im vierten Teil taucht im Hauptkapitel „Das Informationsproblem“ erstmalig das Thema Bibliometrie auf (S. 357-359). Bei der Darstellung der verschiedenen Informationsangebote im selben Teil sind u.a. das Directory of Open Access Journals (DOAJ, S. 392), das Suchportal für Lebenswissenschaften LIVIVO (S. 414), die Deutsche Digitale Bibliothek (S. 419) und HathiTrust (S. 424) hinzugekommen. Und natürlich ist auch gelegentlich wieder etwas aus dem Text verschwunden wie das 2011 stillgelegte Portal vascoda.

Die Terminologie wurde, wo nötig, aktualisiert (z.B. nicht mehr „Bestandsaufbau“, sondern „Bestandsmanagement“). Manchmal ist dies allerdings nicht ganz konsequent erfolgt, z.B. findet sich der neue Terminus „monografische Reihe“ zwar bei der Behandlung von RDA im dritten Teil (S. 189), aber nicht bei der Übersicht über die Publikationsformen im zweiten Teil (S. 88; dort nur „Schriftenreihe“ und „Serie“). Gefreut hat die Rezensentin, dass die Sacherschließung hier immer noch so unprätentiös heißen darf und nicht zur „Inhaltserschließung“ mutiert ist, wie dies seit einiger Zeit en vogue scheint. Bei der Rechtschreibung gibt sich der Autor weiterhin traditionell: Er schreibt nicht nur „Bibliographie“, sondern sogar „Fotographie“ (S. 103). Nachdem das Werk überwiegend von einer jüngeren Leserschaft genutzt wird, wäre in solchen Fällen der Umstieg auf die Schreibung mit „f“ zu empfehlen.

Auch die neue Ausgabe des Klassikers überzeugt insbesondere durch eine umfassende Abdeckung der relevanten Themen, ihre hohe Aktualität und sachliche Korrektheit. Man muss sich schon sehr anstrengen, um einen Aspekt zu finden, der im Blickfeld eines solchen Kompendiums sein müsste und hier nirgends angesprochen wird. Am ehesten fehlen vielleicht Themen aus dem Managementbereich wie z.B. Qualitätsmanagement, das – wenn die Rezensentin nichts übersehen hat – nur im Zusammenhang mit dem Auskunftsdienst angesprochen wird (S. 322f.). Stattdessen ist man immer wieder beeindruckt davon, was alles behandelt wird (z.B. Games, Patron Driven Acquisition, Eltern-Kind-Bereiche, Maker Spaces, QR-Codes, MOOCs, Big Data …) und wie up to date die Darstellung ist. Beispielsweise wurde die erst im November 2015 vollzogene Umbenennung des Joint Steering Committee (JSC) in RDA Steering Committee (RSC) noch berücksichtigt.

Sachliche Fehler oder Ungenauigkeiten – die sich bei einem Werk von einer solchen inhaltlichen Breite gar nicht vermeiden lassen – sind der Rezensentin nur höchst selten aufgefallen, etwa: Die Auszeichnung „Bibliothek des Jahres“ wird (leider!) nicht mehr von der der ZEIT-Stiftung finanziert (S. 42); der Südwestdeutsche Bibliotheksverbund (SWB) ist schon seit Jahren nicht mehr in Rheinland-Pfalz vertreten (S. 44); Preisangaben sind auch in Nationalbibliografien durchaus üblich (S. 164); die Functional Requirements for Bibliographic Records (FRBR) sollte man nicht als „Datenmodell“ (S. 182) bezeichnen (es ist ein ganz abstraktes Modell, das mit verschiedenen Datenmodellen realisiert werden kann); der Merksatz „Paula geht selten zum Fischen“ für die Abfolge der Schlagwörter in einer Schlagwortfolge (P, G, S, Z, F) funktioniert so nicht mehr, weil die früheren Formschlagwörter seit dem RDA-Umstieg nicht mehr Teil der Schlagwortfolge sind, sondern als separate Formangaben erfasst werden (S. 202).

Zwar geht es beim „Bibliothekarischen Grundwissen“ in erster Linie um die objektive und wertfreie Darstellung von Sachverhalten, doch gibt es natürlich trotzdem an manchen Stellen persönliche Einschätzungen und Bewertungen des Autors (beispielsweise in den Kapiteln zu Erschließung und Katalogen), die durchwegs fundiert und ausgewogen erscheinen. Wie Gantert zu Recht betont „entwickelt sich die Erschließungsarbeit in Bibliotheken von der reinen Katalogisierung immer mehr zu einem umfassenden Metadatenmanagement“ (S. 225); jedoch gelte „auch heute, dass die Qualität der Daten im Bibliothekskatalog von entscheidender Wichtigkeit ist“ – nicht zuletzt „als Grundlage für eine Vielzahl weiterer Informations- und Serviceangebote, die Bibliotheken heute anbieten“ (S. 175). Zur Erschließung durch Nutzerinnen und Nutzer (Social Tagging), das vor einigen Jahren als Hype gehandelt wurde, äußert sich der Autor wohltuend nüchtern und konstatiert, dass sich dies „nicht [hat] durchsetzen können“ (S. 218, vgl. S. 447). Sehr treffend ist auch die Darstellung von Vor- und Nachteilen von Resource Discovery Systemen (S. 243-246). Nicht unterschreiben würde die Rezensentin allerdings die folgende Einschätzung: „Ob sich die RDA auch im Bereich der Sacherschließung mittelfristig zu einem vollständigen Regelwerk weiterentwickeln oder evtl. nur einen sehr breiten Rahmen für das Erfassen von Themen-Beziehungen anbieten, in den dann bestehende Regelwerke integriert werden können, ist derzeit noch nicht abzusehen.“ (S. 199). Denn eigentlich ist schon seit Ende 2014 klar, dass mit RDA nicht das Ziel verfolgt wird, die bestehenden Regelwerke für die Sacherschließung abzulösen.2

Die neuerliche Überarbeitung und Aktualisierung des „Bibliothekarischen Grundwissens“ durch Klaus Gantert ist insgesamt hervorragend gelungen. Dennoch gibt es noch Raum für Verbesserungen. So dürften die Eingriffe in die Struktur des Werks bei der nächsten Auflage gerne etwas radikaler ausfallen. Eine grundlegende Frage ist beispielsweise, ob die Gliederung in „Bücher“, „Nicht-Buch-Medien“ und „Elektronische Publikationen“ im zweiten Teil wirklich noch der beste Weg ist, um den Stoff zu präsentieren. Beispielsweise trifft ein nicht unerheblicher Teil der Informationen aus dem „Bücher“-Kapitel (z.B. Publikationsformen, Gliederung eines Buchs, Verlagswesen) auch auf E-Books sowie auf manche Dinge zu, die jetzt unter „Nicht-Buch-Medien“ geführt werden.

Auch konnten einige neue Sachverhalte offenbar nur mit Mühe in der derzeitigen Struktur untergebracht werden. So sind die wichtigen Themen „Forschungsdaten“ und „Open Access“ im gerade angesprochenen Hauptkapitel „Elektronische Publikationen“ im zweiten Teil gelandet – stehen also unter der großen Überschrift „Der Bibliotheksbestand“. Der Anknüpfungspunkt ist offenbar, dass man es in beiden Fällen mit elektronischen Publikationen zu tun hat. Dabei geht jedoch etwas unter, dass es sich hier um wichtige aktive Dienstleistungen von Bibliotheken handelt (Beratung und Unterstützung von Forschenden, Schaffung und Betreibung von Infrastrukturen zur Veröffentlichung und Archivierung von Forschungsdaten und OA-Publikationen). Dokumentenserver tauchen noch an einer weiteren Stelle im Handbuch auf – im Hauptkapitel „Bestandsmanagement (Erwerbung)“, gemeinsam mit Digitalisierungsaktivitäten der Bibliotheken. Auch diese Platzierung erscheint suboptimal: Natürlich erweitern Dokumente, die auf Repositorien hochgeladen werden oder die in Digitalisierungsprojekten entstehen, auch den Bibliotheksbestand, sodass es sich in gewisser Weise um Erwerbung handelt. Aber würde man die Bedeutung dieser Phänomene nicht in erster Linie unter anderen Aspekten sehen – bei der Digitalisierung natürlich auch im Zusammenhang mit Kulturgut? Es wäre deshalb zu überlegen, den Bereich Dienstleistungen (die über reine Informationsdienstleistungen hinausgehen) in einer Neuauflage insgesamt stärker hervorzuheben und vielleicht als eigenen Teil auszugliedern.

Der zweite Wunsch der Rezensentin wäre, den Text in der nächsten Auflage deutlich zu „entschlacken“. Schon in der jetzigen Auflage hätte vieles ohne Verlust für die Leserinnen und Leser gestrichen werden können. Dies betrifft zum Beispiel die immer noch sehr ausführlich beschriebenen konventionellen Arbeitsvorgänge, etwa im Hauptkapitel „Bestandsvermittlung (Benutzungsdienste)“: Mehr als eine halbe Seite kostet die Beschreibung des konventionellen Bestellverfahrens mit Bestellscheinen (S. 293f.), obwohl dieses – wie der Autor völlig richtig schreibt – „heute nur noch sehr selten vorkommt“. Auch konventionelle Ausleihverfahren mit Leihscheinen oder Buchkarten sind „heute fast vollständig durch automatisierte Verfahren abgelöst worden, nur in kleineren Bibliotheken, z.B. Pfarr- und Schulbibliotheken, werden sie noch immer praktiziert“ (S. 298); dennoch werden sie auf eineinhalb Seiten dargestellt. Für den allergrößten Teil der Leserinnen und Leser sind derartige Informationen wirklich nur noch von historischem Interesse und zählen gewiss nicht mehr zum Grundwissen. Die wenigen Kolleginnen und Kollegen, die tatsächlich noch in der Praxis mit solchen Verfahrensweisen konfrontiert sind, kann man auf frühere Auflagen des „Bibliothekarischen Grundwissens“ verweisen. Eine solche Verschlankung würde den nötigen Raum schaffen für die vielen spannenden Neuentwicklungen, die sich in Bibliotheken gewiss auch in den nächsten Jahren ergeben werden und die in der 10. Auflage (auf die sich die Rezensentin bereits heute freut) zu dokumentieren sein werden.

Schließlich wäre es nützlich, wenn es mehr Verweisungen innerhalb des Textes gäbe. Denn nicht selten taucht derselbe Sachverhalt an mehreren Stellen im Buch auf, weil er unter unterschiedlichen Aspekten behandelt wird. Gelegentlich sind solche Verweisungen schon vorhanden, z.B. wird bei der Darstellung der Bibliotheksverbünde im ersten Teil (S. 43) auf die Behandlung der Verbundkataloge im vierten Teil (S. 362) verwiesen. Doch ist dies bisher nicht konsequent umgesetzt. Beispielsweise wird auf S. 413 GetInfo als Informationsressource vorgestellt und auch erwähnt, dass GetInfo „eine schnelle Lieferung von Volltexten in gedruckter oder elektronischer Form“ bietet. Hier würde sich eine Verweisung auf S. 317 anbieten, wo dasselbe Portal unter dem Aspekt der Dokumentlieferung betrachtet wird. Ähnlich beim Thema Führungen und Schulungen: Beides wird auf S. 289 im Zusammenhang mit der Zulassung von Benutzerinnen und Benutzern kurz angerissen, doch fehlt ein Hinweis auf die ausführliche Darstellung im neuen Hauptkapitel „Auskunftsdienste und Informationsvermittlung“ (S. 335ff.).

Diese Verbesserungsvorschläge schmälern jedoch nicht den Wert dessen, was für die jetzt vorliegende 9. Auflage geleistet wurde. Das „Bibliothekarische Grundwissen“ bleibt ein zuverlässiger Begleiter für alle, die sich – an einer Stelle und in gut verständlicher Form – einen Gesamtüberblick über das Bibliothekswesen, die wichtigsten bibliothekarischen Arbeitsfelder sowie zentrale Informationsressourcen verschaffen wollen. Auch die neue Auflage dieses Standardwerks sollte in keiner Bibliothek fehlen und lohnt sich gewiss auch zur privaten Anschaffung.

Prof. Heidrun Wiesenmüller
Hochschule der Medien
Nobelstr. 10, 70569 Stuttgart
E-Mail: wiesenmueller@hdm-stuttgart.de

Zitierfähiger Link (DOI): http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2016H3S70-74

1 Erster Teil: Bibliothek und Bibliothekswesen; zweiter Teil: Der Bibliotheksbestand – Literatur, Bücher, Medien, Daten und Informationen; dritter Teil: Aufbau, Erschließung und Aufbewahrung des Bestands – Information, Auskunft und Schulung; vierter Teil: Bibliothekarische Informationsangebote.

2 Vgl. dazu den Beitrag der Rezensentin „Sacherschließung unter FRBR und RDA in Theorie und Praxis“ in diesem Heft von o-bib.