Auf dem Weg zu einer e-preferred-Strategie: Herausforderungen und Erfahrungen mit digitalen Publikationen1

1. Die Rahmenbedingungen

1.1. Strategie 2015 - 2020

Eine der vier strategischen Prioritäten der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften) betrifft den Bestandsaufbau: „Die ZBW baut ihren einmaligen Bestand weiter aus und orientiert sich dabei am Wandel des Wissenschaftssystems und dessen Auswirkungen auf die Wirtschaftswissenschaften.“2

In dem Teilziel „Die ZBW wandelt sich zu einer digitalen Bibliothek“3 werden u.a. folgende strate­gische Vorgehensweisen beschrieben:

„Der Bestandsaufbau erfolgt nach der e-preferred-Strategie, d.h. die ZBW beschafft bevorzugt die elektronische Version eines Werkes.

Die ZBW baut die Open-Access-Bereitstellung über eigene Server aus.

Die ZBW entwickelt innovative Lizenzmodelle, um den überregionalen Zugang zu digitalen Inhalten zu ermöglichen, wenn diese nicht im Open Access angeboten werden können. […]

Über die digitale Langzeitarchivierung wird der dauerhafte Zugriff auf die elektronischen Angebote der ZBW gesichert.“4

Eine besondere Herausforderung ist die überregionale und dauerhafte Bereitstellung von wirtschaftswissenschaftlichem Publikationsoutput, zu dem die ZBW als von Bund und Ländern geförderte Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft verpflichtet ist.

Mit ihrem Kernprodukt EconStor (https://www.econstor.eu/), auf dem bereits über 100.000 wirtschaftswissenschaftliche Dokumente archiviert sind, konnte die ZBW bereits große Expertise auf dem Gebiet von Open-Access-Veröffentlichungen aufbauen. Der DINI-zertifizierte Server steht im „2015 Open Repository Ranking“5 innerhalb der DACH-Staaten auf Platz 2.

1.2. Gründe für ein weiteres Repository

Das spezifische Profil von EconStor deckt nicht das gesamte Sammelspektrum der ZBW ab, daher bestand der Bedarf nach einem Repository, in dem einerseits praxisnahe Literatur und Statistiken sowie andererseits auch Publikationen in allen gängigen Dateiformaten archiviert werden können.

Zudem sollte auch die Option eines einschränkbaren Zugangs bestehen, um für bestimmte Publikationen den Zugriff regional, organisational oder auch temporär beschränken zu können. So wäre z.B. die Begrenzung auf einen Zugriff innerhalb von Deutschland, für Leibniz-Institute oder für die Zeit einer Embargofrist denkbar.

2. Das DIGITALE ARCHIV

In 2014 hat die ZBW als zweites Repository das DIGITALE ARCHIV (http://www.zbw.eu/econis-archiv/) mit der Open Software DSpace6 implementiert. Gründe für die Softwareauswahl waren, dass die ZBW bereits Erfahrungen mit der Software hatte und dass sie auch einen Closed-Access-Zugang zulässt.

Genutzt wird das DIGITALE ARCHIV hauptsächlich zum Hosten und Archivieren der Dateien sowie zur Vergabe von persistenten Identifikatoren. Da das DIGITALE ARCHIV nicht als primärer Distributionskanal eingesetzt wird, werden dort nur wenige Metadaten erfasst und keine Services angeboten.

Es ist vorgesehen, dass alle Dokumente in die digitale Langzeitarchivierung (dLZA) überführt werden. Hierfür nutzt die ZBW das Langzeitarchivierungssystem „Rosetta“, das bereits von den Goportis-Partnern gemeinsam im Produktivbetrieb eingesetzt wird.7

Im Rahmen des Controllings werden Counter-Statistiken erhoben.

2.1. Der Prozess

Für die Aufnahme von Publikationen in die ZBW-Repositorien werden folgende Arbeitsprozesse durchlaufen:

Abb. 1: Workflow: Aufnahme einer Publikation in die ZBW-Repositorien

Im ersten Schritt wird im Bestandsmanagement entschieden, welche Publikationen akquiriert werden sollen. Grundlage hierfür sind in der Regel Bibliografien – bei hybriden Publikationen wird die digitale Ausgabe bevorzugt. Daneben spielen auch Mitteilungen der Herausgeberin oder des Herausgebers eine Rolle, z.B. Hinweise auf die Umstellung zu „E-only“ oder die Bitte um einen Metadatennachweis.

Dann werden in der Verbunddatenbank des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds (GBV) umfangreiche Metadaten erfasst, zunächst mit dem Link auf die Originalquelle. Die Metadaten stehen den Nutzerinnen und Nutzern im Fachportal EconBiz (https://www.econbiz.de/) zeitnah für die Recherche zur Verfügung.

Im Anschluss überprüft die Clearingstelle der ZBW, ob die Online-Publikation bereits langzeitverfügbar auf einem „verlässlichen“ Server liegt. Voraussetzung ist, dass die Publikation über einen Persistent Identifier verfügt und bei einer öffentlichen Einrichtung archiviert wird. In diesem Fall verzichtet die ZBW auf eine zusätzliche Archivierung und weist nur den Persistent Identifier in den Metadaten nach.

Ist die Publikation nicht langzeitverfügbar auf einem anderen Server zugänglich, wird überprüft, ob eine Open-Content-Lizenz (OCL) vorliegt, die eine Speicherung und Weiterverbreitung der Publikation auch ohne eine Rechteeinräumung ermöglicht.8

Ggf. wird bei der herausgebenden Institution oder Firma der Abschluss einer Nutzungsvereinbarung erbeten. In der Regel werden Rechte für einen Zugang im Open Access erfragt. Erfolgsfaktoren sind vornehmlich gute Vorarbeiten bei der Recherche von Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartnern und eine persönliche Ansprache unter Beachtung von interkulturellen Aspekten sowie eine schnelle Reaktion bei Rückfragen. Auch eine freundliche Erinnerung ist häufig zielführend.

Beim Vorliegen der Nutzungsrechte werden im Digitalen Archiv auf dem DSpace-Server nach minimalistischem Prinzip nur wenige Dublin-Core-Metadaten erfasst und das Dokument wird archiviert. Jedes Item – dazu können mehrere Dokumente gehören − erhält als Persistent Identifier einen Handle. Dieser wird in der Metadatenbeschreibung in der GBV-Verbunddatenbank ergänzt.

2.2. Recherche und Zugang zum Dokument

Die Distribution wird über das Fachportal EconBiz forciert, dem Rechercheportal für die Wirtschaftswissenschaften. Es bietet einen zentralen Einstiegspunkt für alle Arten wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformation und ermöglicht den Zugang zum DIGITALEN ARCHIV. Im Repository kann dann auf der „Item Page“ der Volltext aufgerufen werden (s. Abb. 2).

Abb. 2: Vollanzeige eines Titels im DIGITALEN ARCHIV

2.3. Erfahrungen und Herausforderungen

2.3.1 Rechteeinräumung und Urheberrecht

Als positive Erfahrung kann verbucht werden, dass der Open-Access-Gedanke mittlerweile weltweit im Wissenschaftssystem angekommen ist. Die Erfolgsquote bei der Rechteeinräumung ist nach ersten Einschätzungen insbesondere im asiatischen und afrikanischen Raum sehr hoch. Hier kommen zum Teil die Herausgeberinnen und Herausgeber direkt auf die ZBW zu mit dem Wunsch eines Metadatennachweises oder einer Archivierung ihrer Publikationen. Schon der Kontakt, der bei einer Rechteeinräumung entsteht, kann für die ZBW und ihre Stakeholder „Wirtschaftswissenschaftlerin und Wirtschaftswissenschaftler“ als Win-win-Situation gewertet werden und sich als Türöffner für eine weitere Zusammenarbeit erweisen.

Als Hemmnis stellt sich jedoch das Urheberrecht dar, dessen Regelungen sich in komplizierten Nutzungsvereinbarungen widerspiegeln. Es ist nicht verwunderlich, dass in Bibliotheken ein steigender Bedarf an juristischer Expertise zu verzeichnen ist.

Bei einigen Herausgeberinnen und Herausgebern stoßen die umfangreichen Nutzungsvereinbarungen auf Unverständnis: sie würden eine Rechteeinräumung gerne in „einem Satz per E-Mail“ vornehmen und keine 4-seitigen Formulare ausfüllen. Zu beobachten ist der begrüßenswerte Trend der Zunahme von Open-Content-Lizenzen, insbesondere CC-Lizenzen (Creative Commons licenses)9 im Zeitschriftenbereich. Ein neues Aufgabenfeld von Bibliotheken könnte sein, Lobbyarbeit für die Verwendung von Open-Content-Lizenzen zu leisten.

2.3.2 Bibliothekarische Herausforderungen

Für die effektive und effiziente Unterstützung aller Prozesse wäre der Einsatz einer einzigen Softwarelösung erstrebenswert. Bislang konnte die ZBW noch keine zufriedenstellende Lösung finden.

Für die ZBW stellt der Anspruch des überregionalen Zugangs zu den E-Publikationen eine beträchtliche Herausforderung dar, insbesondere für Kaufpublikationen. Hierfür müssen in der ZBW noch innovative Lizenzmodelle entwickelt werden.

Der Ausbau und die Ausweitung des Contents im DIGITALEN ARCHIV werden angestrebt.

Größte Herausforderung ist der höhere Bearbeitungsaufwand für digitale Publikationen, u.a. für das Rechtemanagement und die Archivierung, und der damit einhergehende Bedarf an Personalressourcen.

Gut gelungen ist die interne Qualifizierung der Prozessbeteiligten. In Gruppen wurden sie in die festgelegten Workflows und Qualitätsstandards eingewiesen. Darüber hinaus müssen die Prozessbeteiligten aber auch in die Lage versetzt werden, selbstständig individuelle, praktikable Lösungen zu generieren. Hier sind Skills wie z.B. Umgang mit Komplexität, Kreativität und Lösungsorientierung gefragt. Insgesamt hat dies Auswirkungen auf die Personal- und Organisationsentwicklung.

3. Fazit

Der Umstieg auf eine e-preferred-Strategie ist eine bedeutende Chance, die es sich − trotz kniffliger Herausforderungen − anzugehen lohnt.

Der digitale Wandel hat im Wissenschaftssystem bereits stattgefunden. Bibliotheken und Informationseinrichtungen sind gefordert, ein entsprechend passendes Serviceportfolio aufzubauen.

Ein weiterhin wichtiges strategisches Feld ist das Vorantreiben der Urheberrechtsreform. Nachdem der Open-Access-Gedanke erfolgreich in der Scientific Community vermittelt wurde, wäre nun eine aktive Lobbyarbeit für die Vergabe von Open-Content-Lizenzen sinnvoll.

Anke Böhrnsen, ZBW − Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Regine Lipka, ZBW − Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft

Zitierfähiger Link (DOI):http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2016H3S54-59

1 Ausformulierte Fassung einer Präsentation auf der 13. Inetbib-Tagung in Stuttgart am 11.02.2016, Folien s. http://hdl.handle.net/2003/34873 (zuletzt geprüft am 03.08.2016).

2 ZBW – Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft Kiel/Hamburg, Strategie der ZBW 2015-2020 (Kiel, Hamburg: ZBW, 2015), 6, zuletzt geprüft am 11.07.2016, http://www.zbw.eu/fileadmin/pdf/ueber-uns/2015-strategie.pd.

3 Ebd., 11.

4 Ebd., 11.

5 „2015 Open Access Repository Ranking,“ zuletzt geprüft am 24.05.2016, http://repositoryranking.org.

6 „DSpace,“ zuletzt geprüft 11.07.2016, http://dspace.org/.

7 „Digitale Langzeitarchivierung,“ Goportis, zuletzt geprüft am 11.07.2016, http://www.goportis.de/de/kompetenzen/versorgung-mit-wissenschaftlichem-content/digitale-langzeitarchivierung.html.

8 Informationen zu Open-Content-Lizenzen (OCL) siehe hier: „Open Content,“ Deutsche UNESCO-Kommission, zuletzt geprüft am 11.07.2016, http://www.unesco.de/kommunikation/opencontent.html.

9 Informationen zu CC-Lizenzen siehe „Was ist CC?,“ creativecommons.de, zuletzt geprüft am 11.07.2016,
http://de.creativecommons.org/was-ist-cc/.