Patron-Driven Acquisition (PDA) – ein Modell mit Zukunft?
Die nutzergesteuerte Erwerbung von E-Books in deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken
Zusammenfassung:
Die nutzergesteuerte Erwerbung von E-Books, Patron-Driven Acquisition (PDA), hat sich in den vergangenen Jahren in vielen Universitätsbibliotheken als Erwerbungsform etabliert.1 Dennoch stellt sich die Frage, welche Perspektiven die benutzergesteuerte Erwerbung von E-Books im deutschsprachigen Raum zukünftig besitzt.
Summary:
Patron-Driven Acquisition has established itself in a few years as a modern form of acquisition in a lot of university libraries. However, the question is being raised as to which perspectives exist for a demand driven acquisition in the German speaking countries.
1. Wofür PDA? Einsatzoptionen und Modelle
Beschäftigt man sich mit den Einsatzmöglichkeiten der Patron-Driven Acquisition (PDA) in Hochschulbibliotheken, so haben Axel Halle und Klaus Junkes-Kirchen diese Ende des Jahres 2014 mit ihrem Pro und Kontra in der Zeitschrift B.I.T. online bereits auf den Punkt gebracht.2 Im Kern geht es um die damit verbundenen Erwerbungsoptionen und unterschiedlichen Modelle.
Das, im übertragenen Sinne, „amerikanische Modell“ propagiert PDA als wesentliche Erwerbungsform wissenschaftlicher Bibliotheken. Getreu dem Grundsatz, die Nutzer/innen kennen ihren Bedarf ohnehin besser als die besten Fachreferent/inn/en, verspricht die Beschaffung auf Nutzerwunsch einen passgenauen und schnellen Bestandsaufbau „just in time.“ Die Erwerbung erstreckt sich oft auf die gesamte Bandbreite des Angebots und erfolgt in der Regel durch sofortigen Kauf des gewünschten Objekts. Implizit wird dabei vorausgesetzt, dass ein Buch nicht nur einmal sondern in der Regel gleich mehrmals genutzt wird. Die in Kassel notierte, durchschnittliche sechsmalige Nachnutzung pro Titel scheint dies zu bestätigen.3
Die Bibliothek hat in diesem Modell die primäre Aufgabe, die technische Infrastruktur bereitzustellen und über entsprechende Fachprofile dem Versorgungsauftrag der Institution zu entsprechen. Willkommener Nebeneffekt: Die Fachreferent/inn/en werden im Tagesgeschäft entlastet und können sich anderen Aufgaben widmen. Soweit dieses Modell, wie es in vielen nordamerikanischen Bibliotheken im Einsatz ist.
Demgegenüber betrachtet man die nutzergesteuerte Erwerbung in deutschen Universitätsbibliotheken oft noch mit einer gewissen Skepsis. Im „deutschen Modell“ wird PDA denn auch eher als partielle Ergänzung der bestandsorientierten Erwerbung genutzt. Dabei kommen auch Bedenken zum Tragen, die derzeit noch gegen einen umfassenden Einsatz von PDA bestehen. Diese betreffen ein unvollständiges und instabiles Angebotsprofil sowie technische und administrative Unzulänglichkeiten und Komplikationen. Auch wird bezweifelt, dass sich ein Kauf eines E-Books über PDA immer bereits beim ersten kostenpflichtigen Zugriff lohnt, so dass häufig Kurzausleihen – Short Term Loans (STL) – einem Kauf vorgeschaltet werden.
An der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg wurden in der Nutzung der E-Books durchaus andere Erfahrungen gemacht als in Kassel. Demnach wurden innerhalb von zwei Jahren zwar etwas mehr als ein Viertel aller Titel der PDA-Profile kostenpflichtig genutzt - von diesen jedoch etwas mehr als die Hälfte (53 %) in diesem Zeitraum nur einmal.4 Dies spricht eher gegen eine umfassende Nachnutzung. Allerdings kann ein Grund für diese gegenläufigen Erfahrungen in der Zusammensetzung der jeweiligen Titelprofile liegen, da in Erlangen-Nürnberg die vermeintlichen „Renner“ erst gar nicht in die Profile aufgenommen wurden. PDA kommt daher dann zum Tragen, wenn ein konkreter Bedarf an der Literatur im Vorfeld nur schwer abschätzbar ist. Wohin die Entwicklung geht, wird aber nur zum geringen Teil von den Bibliotheken bestimmt. Um dies zu beantworten, lohnt ein Blick auf die weiteren Akteure.
2. Die Akteure: Verlage – Aggregatoren – Bibliothekslieferanten – Bibliotheken und ihre jeweiligen Interessen
Dazu gehören zunächst die Anbieter, die Verlage. Für sie ist die nutzergesteuerte Erwerbung nur eine unter mehreren Vertriebsformen und aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht die ertragreichste, da sie auch die E-Book-Aggregatoren an den Umsätzen beteiligt. Vor allem für große Verlage ist es interessanter, E-Books über die verlagseigenen Plattformen zu vermarkten oder gleich eigene Modelle – Stichwort EBA „Evidence Based Acquisition“ – auszutesten, welche die E-Book-Aggregatoren außen vor lassen. Beispiele sind hier De Gruyter, Elsevier, Cambridge und Wiley.5 Die Vielzahl neuer verlagsabhängiger Modelle mit unterschiedlichsten Konditionen und Nutzungsbedingungen trägt allerdings nicht zur Übersichtlichkeit des Angebots bei. Und wenn die Titel von diesen Verlagen zusätzlich noch den E-Book-Aggregatoren zur Verfügung gestellt werden, dann oft zu solchen Konditionen, dass die von vielen Kunden gewünschte Option der Kurzausleihe finanziell uninteressant ist. Hintergrund ist die Befürchtung auf Seiten der Verlage, dass die Kurzausleihe den Verkauf der E-Books massiv beeinträchtigt.6 Gleichlautende Befürchtungen gelten in ähnlicher Form auch für das Modell „Non-linear lending“, bei dem einige Verlage bereits dazu übergegangen sind, die Zahl der jährlichen Zugriffe bei besonders nachgefragten Titeln zu reduzieren, um so bei erhöhter Nachfrage den Bibliotheken weitere Zugänge verkaufen zu können. Wie dramatisch zahlreiche Verlage in den letzten Monaten an der Preisschraube für Kurzausleihen drehten, verdeutlicht das folgende Schaubild am Beispiel des Aggregators ebrary.
Waren bis Sommer 2014 für eine siebentägige Kurzausleihe bei der überwiegenden Zahl der Verlage Gebühren in Höhe von 15 %–20 % des Nettokaufpreises die Regel, so erhöhten ab diesem Zeitpunkt eine Reihe namhafter Verlage die Gebühren für die Kurzausleihe.7 Damit stieg bis Anfang 2015 für ca. 125.000 Titel bzw. ein Viertel des gesamten PDA-Angebots der Gebührensatz von 15 % auf mindestens 25 %. Dabei verzeichneten die meisten betroffenen Verlage Preissprünge auf 30 % bzw. 40 % und mehr. Beim E-Book-Aggregator EBL sah es ganz ähnlich aus. Auch haben im Zuge dieser Entwicklung einige Verlage die Option der Kurzausleihe ganz aus dem Angebot genommen und bieten über die einschlägigen Aggregatoren nur noch einen Sofortkauf ihrer Titel an. Ob dies im Sinne der Kunden ist, darf zu Recht bezweifelt werden.
Kommen wir zu den E-Book-Aggregatoren, deren Zahl in den nächsten Jahren wohl abnehmen wird. Die Vereinigung von ebrary und EBL zur neuen E-Book-Plattform EBook Central unter dem Dach von ProQuest und die Übernahme von MyiLibrary durch ProQuest belegen das nachdrücklich.8 Wer sich neben ProQuest langfristig behaupten kann, bleibt abzuwarten. Aus Kundensicht ist dieser Konzentrationsprozess wegen der Einschränkung der Angebotsmodelle von Nachteil. Die Konzentration auf einige wenige, global agierende E-Book-Aggregatoren macht es für die einzelne Bibliothek auch tendenziell schwieriger, auf Entwicklungen einzuwirken und Kundenwünsche realisiert zu bekommen, da sie im Gesamtspektrum nur einer von vielen Kunden eines Aggregators ist.9
Doch auch die E-Book-Aggregatoren befinden sich in einem wirtschaftlichen Dilemma, da sie von den großen Wissenschaftsverlagen zu bestimmten Geschäftsmodellen – siehe die verschlechterten Konditionen der Kurzausleihe – genötigt werden. Auf der anderen Seite erwarten die Kunden von ihnen eine konsequente Vertretung ihrer Interessen und damit ein entschiedeneres Vorgehen gegenüber der Preispolitik der Verlage. Allerdings sind E-Book-Aggregatoren aus dem verständlichen Eigeninteresse heraus, attraktiven Content anbieten zu können, nur sehr verhalten mit Kritik an den Verlagen. Dieses ambivalente Verhalten könnte allerdings langfristig die Geschäftsbeziehungen mit den Bibliotheken belasten, da die von den Verlagen diktierten Konditionen und Geschäftsmodelle den Kundeninteressen entgegenstehen.
Ein weiterer Akteur sind die Bibliothekslieferanten oder Library Supplier. Lieferanten wie Massmann, Lehmanns, Dietmar Dreier, Missing Link und Schweitzer Fachinformationen leisteten in den vergangenen Jahren einen ganz entscheidenden Beitrag zur Einführung und der Entwicklung der Geschäftsroutinen von PDA. Häufig waren sie es und nicht die Aggregatoren, welche den Bibliotheken die grundlegenden Prinzipien der nutzergesteuerten Erwerbung vermittelten und die Geschäftsabwicklung in engem Kontakt mit diesen konzipierten und übernahmen.10 Bestrebungen der Verlage und E-Book-Aggregatoren sowohl mit verlagseigenen PDA-Programmen als auch mit der Übernahme der Rechnungsstellung und des Supports die Lieferanten zukünftig außen vor zu lassen und die Geschäfte direkt mit den Bibliotheken abzuwickeln, stellen dies zunehmend in Frage.
Für eine weitere positive Entwicklung des Geschäftsmodells PDA wird die Einbindung der Bibliothekslieferanten in die Geschäftsprozesse essentiell bleiben. Auch dürfte dies mit darüber entscheiden, wie erfolgreich sich diese Erwerbungsform im deutschsprachigen Raum in den nächsten Jahren noch entwickeln wird.
Die Bibliotheken haben sich mit dem Konzentrationsprozess der E-Book-Aggregatoren am Markt und den veränderten Geschäftsmodellen auseinanderzusetzen. Hinzu kommt eine zusätzliche Diversifizierung des Angebots mit zahlreichen verlagsinternen PDA bzw. EBA-Modellen, was auch eine Gegenentwicklung zum Konzentrationsprozess auf Aggregatorseite ist. Diese zwingt die Bibliotheken vermehrt dazu, sich mit einer Vielzahl an individuellen Angeboten zu beschäftigen und diese in die Erwerbung einzubeziehen. Dabei ist die nutzergesteuerte Erwerbung auf Grund unterschiedlicher inhaltlicher Tiefe der Angebotsprofile derzeit noch nicht für alle Fächer gleichermaßen interessant und damit eine ernsthafte Alternative zur gewohnten Erwerbung.11
Die Erfahrungen in Erlangen-Nürnberg zeigen, dass die Verlagerung der Erwerbungsentscheidung auf die Nutzer/innen und das Modell einer weitgehend unmoderierten PDA die Geschäftsgänge nicht vereinfacht haben. Auch haben sich in Erlangen-Nürnberg keine größeren Rationalisierungseffekte in den Geschäftsgängen eingestellt. Gründe hierfür sind die umfangreichen Anforderungen an das Metadatenmanagement der PDA-Titel mit den Einspielungen, oft aber auch manuellen Löschungen von Titeln und Titelpaketen als Reaktion auf veränderte Konditionen und Lizenzbedingungen der Aggregatoren und Verlage. Auch erfordert die PDA zusätzliche Geschäftsgänge wie eine weitere Budgetkontrolle der diversen Fachprofile und führt zu einem hohen Informationsbedarf der Nutzer/innen.12
Ein wichtiger Aspekt betrifft die Einbindung der nutzergesteuerten Erwerbung in die gewohnten Geschäftsgänge der Monographien und E-Book-Erwerbung. Das wirft Fragen auf: Wer trifft die Entscheidung, ob und in welcher Form ein Titel erworben oder zunächst nur in einem Profil zur Verfügung gestellt wird? Wie und an welcher Stelle werden die Fachreferent/inn/en einbezogen?
Allein die Entscheidung, ob man ein Buch erwirbt oder zunächst dessen potentielle Integration in ein existierendes PDA-Fachprofil abwartet, vereinfacht die Geschäftsgänge nicht. Und wann und mit welchem Aufwand werden nicht genutzte Titel aus den Profilen wieder gelöscht? Hinzu treten die Rücksichtnahme auf die durch PDA voreingestellten Parameter sowie die damit einhergehende Frage einer Parallelerwerbung gedruckter und elektronischer Bücher, welche die traditionellen Erwerbungsprinzipien vieler Bibliotheken in Frage stellen und die Verantwortung der Fachreferent/inn/en teilweise aufheben. Bleiben die Fachreferent/inn/en auch weiterhin Akteure mit Gestaltungsauftrag beim Bestandsaufbau oder mutieren sie zu Begleitern eines Verwaltungsakts?
PDA hat daher im Kollegenkreis mitunter ein Akzeptanzproblem, da sie das professionelle Selbstverständnis der Fachreferent/inn/en berührt und die Bucherwerbung durch zusätzliche Arbeitsgänge verkompliziert.13 Kein Akzeptanzproblem haben die Nutzer/innen. Sie wissen in der Regel nicht, dass der Gebrauch eines E-Books über den OPAC oft auf der Basis von PDA erfolgt, da sich der Zugang über die Onlinekataloge der Bibliotheken nicht von bereits lizenzierten oder gekauften E-Books unterscheidet. Wenn sie etwas kritisieren, dann bezieht sich das auf die Aggregatorplattform und damit einhergehende eingeschränkte Nutzungsfunktionalitäten in Form eines restriktiveren DRM.
3. PDA in der Praxis: Das Beispiel Erlangen-Nürnberg
Was bedeuten die eingangs angedeuteten Szenarien für eine Universitätsbibliothek wie die der Universität Erlangen-Nürnberg?
Auf Grund der dezentralen Organisationsstruktur der UB Erlangen-Nürnberg und ihrer räumlichen Verteilung auf ca. 140 Bibliotheksstandorte in zwei Städten erfüllen E-Books als an allen Standorten gleichermaßen zugängliches Medium einen wesentlichen Beitrag zur universitären Literaturversorgung. Es lag daher nahe, sich auch mit den Modellen der benutzergesteuerten Erwerbung zu beschäftigen.
Seit Anfang 2012 bietet die Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg eine benutzergesteuerte Erwerbung von E-Books über den Aggregator ebrary an. Nach einjähriger Testphase läuft seit März 2013 PDA in einem unmoderierten und weitgehend automatisierten Regelbetrieb mit ca. 16.000 Titeln. Die 27 Fachprofile von den Geistes- und Sozialwissenschaften bis zu den STM-Fächern wurden von den Fachreferent/inn/en nach formalen und inhaltlichen Kriterien erstellt und werden regelmäßig durch weitere Titeleinspielungen in unseren Katalog aktualisiert. Als einer der ersten Anwender von PDA in Deutschland übernahm die Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg für ebrary eine gewisse Pilotfunktion, so dass die Mitarbeiter/innen von Anfang an eng in die Weiterentwicklung der ebrary-Plattform und die Optimierung der Geschäftsgänge eingebunden waren.14
Die mittlerweile zweijährigen Erfahrungen eines PDA-Regelbetriebs zeigen, dass das Modell der nutzergesteuerten Erwerbung an der Universität sehr gut angenommen wurde. Dies belegt auch die Zahl der Zugriffe auf die in den Profilen enthaltenen Titel, von denen innerhalb von zwei Jahren insgesamt 9.550 Titel, also ca. 60 % des Gesamtangebots genutzt wurden. Auch erwies sich der Mitteleinsatz für PDA als sehr effizient. So wurden in diesen zwei Jahren des Regelbetriebs 57 % aller genutzten Titel kostenlos genutzt. Nach einem Jahr Regelbetrieb hatte deren Anteil nur um knapp 2 % höher gelegen, was auch dafür spricht, dass die Nachnutzung über die Jahre nicht zu einem dramatischen Anstieg der Kosten führt. Dabei haben sich die zwei vorgeschalteten Kurzausleihen bewährt, da nur 16 % aller kostenpflichtig genutzten Titel gekauft wurden, also konkret nur 648 von 4.101. Diesen positiven Erfahrungen stehen allerdings der hohe personelle und administrative Aufwand gegenüber. Dennoch sind die Erfahrungen der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg mit der nutzergesteuerten Erwerbung insbesondere wegen deren finanzieller Effizienz, den Zugriffsraten und der Nutzerzufriedenheit insgesamt positiv.
Umso ärgerlicher ist die Entwicklung der Ausleihgebühren für die Kurzausleihe. Als Reaktion hat die Bibliothek konsequent alle Verlage aus den Profilen gelöscht, die seit Sommer 2014 mehr als 25 % für eine Kurzausleihe verlangen. Innerhalb eines halben Jahres wurden daher mehr als 9.300 Titel aus den 27 Fachprofilen gelöscht, wobei es vor allem renommierte Verlage wie Wiley, Sage, Oxford, De Gruyter sowie verschiedene amerikanische Universitätsverlage traf. Zwar kommen auch weiterhin durch automatische Aktualisierungen laufend neue Titel nach, aber eben nicht von den oben genannten Verlagen. Das inhaltliche Profil des PDA-Angebots verändert sich damit grundlegend, was direkte Auswirkung auf das Nutzerverhalten hat. So verlieren die Fachprofile durch die Herausnahme wichtiger Verlage deutlich an Attraktivität. Dies ist daran zu erkennen, dass mit den Titellöschungen die Zahl der Zugriffe auf die in den Profilen verbliebenen bzw. neu hinzukommenden Titel abnahm und in Konsequenz auch die laufenden Ausgaben für PDA sanken. Es wurden, wie in Abbildung 3 zu sehen, seit Sommer 2014 deutlich weniger Titel kostenpflichtig genutzt. Dass sich die geringere Nutzung vor allem auf die englischsprachigen Titel konzentriert, ist eine direkte Folge der Löschungen wichtiger angloamerikanischer Verlage.
Abb. 3: Anzahl kostenpflichtiger Nutzungsfälle pro Woche
Sofern Bibliotheken bei der Preisentwicklung für Kurzausleihen nicht mitgehen und statt dessen ihre Fachprofile um diese Verlage bereinigen, entwickelt sich dieses PDA-Modell vor allem für angloamerikanische Literatur zwangsläufig immer mehr zu einem Angebot der ergänzenden Spitzenversorgung aus Verlagen der zweiten und dritten Kategorie.
Die nutzergesteuerte Erwerbung war einmal – speziell mit dem Modell der Kurzausleihe – angetreten, ein finanziell effizientes Erwerbungsmodell zu sein, weil es eine relativ kostengünstige Versorgung mit nur selten benötigter Literatur versprach.15 Aber ist das immer noch so? Und wäre ein Sofortkauf aller kostenpflichtig genutzten Titel eine Alternative zu einer vorherigen Kurzausleihe?
Im Fall Erlangen-Nürnberg sicher nicht, denn ein Verzicht auf die beiden vorgeschalteten Kurzausleihen und der Sofortkauf der E-Books hätte Mehrkosten von ca. 120 % verursacht. Je höher die Kosten für eine Kurzausleihe, umso geringer wird natürlich auch der finanzielle Vorteil gegenüber einem Kauf. Bereits 10 % höhere Ausleihgebühren hätten die Ausgaben der Bibliothek um ein gutes Drittel bzw. ca. 30.000 Euro erhöht. Das ist nur ein Rechenbeispiel. Es legt aber nahe, dass sich jede Bibliothek die Frage stellen muss, unter welchen Umständen die nutzergesteuerte Erwerbung finanziell attraktiv ist oder bleibt.
Dahinter stehen auch zwei grundsätzliche Fragen: Wer entscheidet über die Verwendung der Mittel und kann der individuelle Bedarf der Nutzer/innen für alle Fächer über eine nutzergesteuerte Erwerbung adäquat abgebildet werden? Natürlich sollte im Idealfall jede Nutzerin oder jeder Nutzer für sich genommen immer am besten wissen, welche Literatur er für seine Forschungs- oder Ausbildungszwecke momentan benötigt. Aber ergeben, im Fall Erlangen-Nürnberg, vierzigtausend individuelle Bedürfnisse und eine daraus abgeleitete nutzergesteuerte Erwerbung von Büchern eine sowohl finanziell als auch fachlich begründete Mittelverwendung?
Dank einer stabilen Etatsituation musste in Erlangen-Nürnberg in den vergangenen zwei Jahren weder der Kauf der gedruckten Monographien noch die Erwerbung im Bereich der PDA finanziell eingeschränkt werden. Wohin es führt, wenn man der Nachfrage freien Lauf lässt, zeigt die Gegenüberstellung der Ausgaben für PDA- und Monographienerwerb. Bezogen auf die letzten zwei Jahre gingen die Ausgaben der nutzergesteuerten Erwerbung und die der traditionellen, durch die Fachreferate vorgenommene Literaturauswahl nur bedingt synchron. Während Fächer wie die Sozial- und Rechtswissenschaften, Medizin und Psychologie eine ähnliche Verteilung der Ausgaben für Monographien und PDA verzeichneten, wiesen andere Fächer eine deutliche Diskrepanz auf.
Der inhaltliche Zuschnitt der Fachprofile der PDA scheint vor allem für die Wirtschaftswissenschaften und mit Abstrichen für die Ingenieur- und Naturwissenschaften von besonderem Interesse zu sein. Dies sind jene Fachgruppen, die, trotz unterdurchschnittlichem Anteil an der Gesamtzahl aller PDA-Titel, die Mittel am stärksten abschöpfen. Demgegenüber sind die Geisteswissenschaften, die immerhin mehr als ein Drittel aller Titel der Fachprofile repräsentieren, nur für gut 12 % der Ausgaben verantwortlich. Neben unterschiedlichen Durchschnittspreisen in den Fächern spiegelt dieser Befund vor allem gänzlich gegenläufige Nutzungsgewohnheiten wider. So werden E-Books in den Wirtschaftswissenschaften überdurchschnittlich genutzt, hingegen in den meisten Geisteswissenschaften noch eher selten.
Ist es daher sinnvoll, die finanzielle Verantwortung in hohem Maße dem/der einzelnen Nutzer/in zu übertragen, oder sollte die Steuerung nicht weiterhin bei der Bibliothek liegen? Und wie kann eine fachlich und finanziell sinnvolle Berücksichtigung einzelner Fächer und derer Interessen gewährleistet werden? Diese Fragen sind im Zusammenspiel von konventioneller und nutzergesteuerter Erwerbung zu beantworten und müssen auch in entsprechenden Etatverteilungsmodellen berücksichtigt werden.
Ist die nutzergesteuerte Erwerbung unter den eingangs erläuterten Prämissen ein Modell mit Zukunft? Die Antwort auf diese Frage fällt zwiespältig aus und lässt sich am ehesten mit einem „vielleicht einmal, wenn …“ beantworten. So bestehen durchaus Perspektiven für eine nutzergesteuerte Erwerbung von E-Books, wenn diese auf Grund der derzeitigen fehlenden inhaltlichen Tiefe auch weiterhin als partielle Ergänzung zur traditionellen Erwerbung eingesetzt wird. Voraussetzung dafür sind aber überzeugende Geschäftsmodelle, welche die Vorteile dieser Erwerbungsform – sofortiger Zugriff auf ein breites Titelspektrum bei effizientem Mitteleinsatz – wieder zur Geltung kommen lassen und dafür vor allem auch attraktiven Content zur Verfügung stellen. Die notwendige Vereinfachung der Geschäftsprozesse und des Metadatenmanagements sind einige weitere Dinge, die über die Zukunft der nutzergesteuerten Erwerbung in Deutschland entscheiden. Sollten aber die derzeitigen Fehlentwicklungen nicht behoben werden, so dürfte dies die Zukunftsaussichten der PDA beeinträchtigen. Schließlich gibt es mit den Academic Book Collections, wie sie beispielsweise Ebsco und auch ProQuest anbieten, Subskriptionsmodelle, die zukünftig eine inhaltliche und finanzielle Alternative zu PDA bieten könnten.
Literaturverzeichnis
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– Vieler, Astrid: Patron Driven Acquisition – Wie wird die Ebook Library (EBL) an der Universität Leipzig genutzt? In: Bibliothek: Forschung und Praxis 37 (2013), H. 3, S. 363–367. http://dx.doi.org/10.1515/bfp-2013-0055.
– Way, Doug; Garrison, Julie: Financial implications of Demand-Driven Acquisitions: A case study of the value of Short-Term Loans. In: Swords, David A. (Hg.): Patron-Driven-Acquisitions. History and best practices, Berlin (u.a.): De Gruyter Saur, 2011, S. 145–148.
1 Einen zusammenfassenden Überblick über die Entwicklung von PDA bietet: Herb, Silvia: Patron-Driven Acquisition. In: Griebel, Rolf; Schäffler, Hildegard; Söllner, Konstanze (Hg.): Praxishandbuch Bibliotheksmanagement, Bd. 1, Berlin/München/Boston: De Gruyter Saur, 2015, S. 227–240.
2 Vgl. Halle, Axel; Junkes-Kirchen, Klaus: Die nutzergesteuerte Erwerbung mit PDA (Patron-Driven Acquisition) kann eine ernsthafte Alternative zum bisherigen Erwerbungssystem in Hochschulbibliotheken werden! In: B.I.T.online 17 (2014), H. 5, S. 465–467. http://www.b-i-t-online.de/heft/2014-05-kontrovers.pdf (09.11.2015).
3 Ebd, S. 467.
4 Ähnlich sind auch die Nutzungsanalysen an der SLUB Dresden und der UB Leipzig zu interpretieren. Vgl. Vieler, Astrid: Patron Driven Acquisition – Wie wird die Ebook Library (EBL) an der Universität Leipzig genutzt? In: Bibliothek: Forschung und Praxis 37 (2013), H. 3, S. 363–367, hier: 364. http://dx.doi.org/10.1515/bfp-2013-0055.
5 So z.B. die Modelle von CUP, siehe http://www.flipsnack.com/AF5BDBBA9F7/eba-a-guide-for-librarians.html (25.09.2015) und De Gruyter: Patron Driven Acquisition: Vollständigkeit der elektronischen Verlagsinhalte bei Kostenkontrolle für die Bibliothek. http://www.degruyter.com/staticfiles/pdfs/130923_WhitePaper_PDA_DE.pdf (25.09.2015).
6 In diesem Sinne: „Entscheidungs- und Handlungszeiträume werden dramatisch kürzer, das Erfordernis zur Korrektur von Modellen wächst.“ In: B.I.T.online 17 (2014), H. 5, S. 468. http://www.b-i-t-online.de/heft/2014-05-kontrovers.pdf (09.11.2015).
7 Betroffen waren u.a. De Gruyter, OUP, CUP, Taylor & Francis, Wiley, Ashgate, Palgrave Macmillan und zahlreiche weitere renommierte Verlage.
8 Vgl. http://www.proquest.com/about/news/2015/ProQuest-Completes-Acquisition-of-Coutts-Information-Services-and-MyiLibrary.html (25.09.2015).
9 Zwar erfolgt die Entwicklung der neuen Plattform ProQuest E-Book Central in Kooperation mit den Bibliotheken, doch sind weltweit nur 10 Bibliotheken in diesen Entwicklungsprozess intensiv eingebunden.
10 So auch im Fall unserer Bibliotkek. Vgl.: Berg, Sabine; Korneli-Dreier, Diane: Es begann mit einer Tasse Kaffee … das gemeinsame PDA-Projekt der UB Erlangen-Nürnberg und der Wissenschaftlichen Versandbuchhandlung Dietmar Dreier. In: B.I.T.online 15 (2012), H. 5, S. 472–475. http://www.b-i-t-online.de/heft/2012-05-nachrichtenbeitrag-berg.pdf (09.11.2015), sowie Berg, Sabine; Korneli-Dreier, Diane: Patron Driven Acquisition – auf dem Weg zum Routinebetrieb? In: B.I.T.online 16 (2013), H. 5, S. 398–403. http://www.b-i-t-online.de/heft/2013-05-nachrichtenbeitrag-berg.pdf (09.11.2015).
11 So entfallen bei ebrary bereits 57 % aller PDA-Titel auf die vier Fächer Pädagogik, Politik, Wirtschaft und Medizin.
12 Vgl. Herb (wie Anm. 1), S. 237–238.
13 Zum komplizierten Zusammenspiel von Bibliothek und Nutzer/in in der nutzergesteuerten Erwerbung siehe auch Rösch, Henriette: Die Bibliothek als soziales System im Umbruch. PDA und ihre Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Bibliothek und ihren Nutzern. In: Bibliothek: Forschung und Praxis 37 (2013), H. 1, S. 70–77. http://dx.doi.org/10.1515/bfp-2013-0013.
14 So beispielsweise bei der Pilotierung des ebrary E-Book-Readers im Jahr 2014.
15 Dies belegen auch die Erfahrungen verschiedener Universitätsbibliotheken. Vgl. Way, Doug; Garrison, Julie: Financial implications of Demand-Driven Acquisitions: A case study of the value of Short-Term Loans. In: Swords, David A. (Hg.): Patron-Driven-Acquisitions. History and best practices, Berlin (u.a.): De Gruyter Saur, 2011, S. 137–156, sowie Herb, Silvia; Pieper, Dirk: PDA im Praxistest – Nutzergesteuerte E-Book-Erwerbung an der UB Bielefeld. In: B.I.T.online 15 (2012), H. 5, S. 476–480, bes.: 479. http://www.b-i-t-online.de/heft/2012-05/nachrichtenbeitrag-herb.pdf (09.11.2015), sowie unsere eigenen Erfahrungen. Dazu: Berg; Korneli-Dreier, Patron Driven Acquisition (wie Anm. 9), S. 399.